Kurzfilm-Vorstellungen programmieren und kuratieren
Teil 2 Der Kurzfilm im Kinoprogramm

Der Kurzfilm im Kinoprogramm (auf der Leinwand: "Der Hahn ist tot") © Yumi Machiguchi

Der Kurzfilm im Kinoprogramm (auf der Leinwand: „Der Hahn ist tot“ von Zoltan Spirandelli) © Yumi Machiguchi

 

Nachdem im ersten Teil des Artikels das Programmieren und Kuratieren auf Festivals behandelt wurde, geht es in diesem zweiten Teil um Programmmodelle und kuratorische Strategien für die Präsentation von Kurzfilmen im Kino.

Im Kinosektor gibt es sowohl Programmmacher als auch Kuratoren. Für die große Mehrheit der Filmtheater ist eine begriffliche Unterscheidung aber nicht nötig. Denn der Spielplan eines normalen gewerblichen Kinos wird nicht inhaltlich gestaltet, sondern nach wirtschaftlichen Kriterien marktkonform disponiert. In Erstaufführungstheatern ist schon die Auswahl auf Filmstarts beschränkt, die von den Verleihern angeboten werden. Innerhalb dieses Rahmens gibt es Spielräume für Qualitätsentscheidungen. Häufig nutzen aber die großen Verleiher (major companies) ihre Marktmacht, um den Einsatz und die Laufzeit ihrer Filmtitel, ja manchmal in Multiplexen sogar die Wahl des Saals zu beeinflussen. Wie lange ein Film im Programm bleibt und Platz für die nächste Startwelle macht, wird jedes Wochenende aufgrund der zurückliegenden Besucherzahlen in einer Abwägung mit dem erwarteten Erfolg der Neustarts mit den Verleihern ausgehandelt und entschieden. Nur wenige solcher Erstaufführungskinos leisten sich kuratierte Nischen in ihrem Programm – aus persönlichem Engagement, um lokale Kooperationen zu pflegen oder um das Image aufzupolieren.

 

Kinotypen

Ab den siebziger Jahren gibt es in Deutschland alternative gewerbliche Kinos, die schon durch die Bezeichnung darauf aufmerksam machten, dass bei ihnen die Filmauswahl programmatischen Kriterien folgt. Nämlich Programmkinos, die Filme nach ihrer Qualität und Inhalt wählten und sie in einer terminlich festgelegten Folge – in der Regel in Monatsprogrammen – disponierten. In den neunziger Jahren mussten viele engagierte Programmkinos aufgeben oder ihr Geschäftsmodell ändern. Die Nachfolger der Programmkinos erhielten das Label Arthouse-Kino  – eigentlich irreführend, denn der Begriff kommt aus den Vereinigten Staaten, wo er die dortigen Programmkinos bezeichnete. Heute gibt es nur noch wenige echte Programmkinos – fast alle in den Metropolen. Im Unterschied zu Programmkinos sind Arthouse-Kinos Erstaufführer und anstelle fester Programme prolongieren sie Filme nach wirtschaftlichen Kriterien. Daher sind auch in diesem Kinosegment die Möglichkeiten Programme zu gestalten oder zu kuratieren sehr eingeschränkt. Nicht wenige Arthouse-Kinos buchen aber Kurzfilme als Vorfilme und sind für gelegentliche Kurzfilmprogramme offen.

Unter den Kinotypen bleiben für kuratierte Programme also fast nur nicht-gewerbliche, kulturelle Kinos übrig. Von der Filmförderanstalt werden diese Kinos zusammen mit anderen Kinotypen – vom Autokino bis zu Wanderkinos – als Sonderform-Kinos bezeichnet und als solche statistisch erfasst. Für die hier relevante Kinoform kommunale/kulturelle Kinos wurde in der letzten Sonderformenstudie (FFA, 7/2016) für das Jahr 2015 ein Bestand von 155 Leinwänden gezählt. Das sind 3,3% aller Kinoleinwände in Deutschland mit einem Besucheranteil von 1,2% im gleichen Jahr.

 

 

Programmmodelle für Kurzfilme im Kino

Das einfachste Modell ist ein Programm, das aus Vorfilm und einem abendfüllenden Hauptfilm besteht. Nur wenn ein enger inhaltlicher oder ästhetischer Bezug zwischen den Filmen besteht oder ein argumentatives Spannungsfeld entsteht, wird man beim Programmieren eines Vorfilms von Kuratieren sprechen können.

Gute Programmpraxis ist es einen Kurzfilm vorzuschalten, der thematisch zum Hauptfilm passt. Erleichtert wird dies durch Kurzfilm-Abos, wie sie in Deutschland vom Hamburger KurzFilmVerleih  und vom interfilm-Verleih in Berlin oder in Frankreich von der Agence du court-métrage (RADI) angeboten werden. Nach diesem Modell kann aus einem Pool von Filmen der jeweilig passende frei ausgewählt werden. Eine Verschlagwortung der Filme in einer Online-Datenbank hilft bei der Suche. Die Verleihe unterstützen die Programmmacher außerdem mit konkreten Filmvorschlägen zu aktuellen Starts ausgewählter Arthouse-Filme.

Wie Erfahrungen und Tests gezeigt haben, stößt das Vorfilm-Modell beim Publikum nicht immer auf Akzeptanz. Für manche Kinobesucher verlängert ein Vorprogramm –subjektiv unnötig – die Wartezeit auf den Hauptfilm, der ja Anlass für den Kinobesuch ist. Problematisch an diesem Modell ist auch, dass die zusätzliche Filmmiete nicht mit der Eintrittskarte, die für den Hauptfilm gilt, anteilig abgerechnet werden darf. Kinos können aber den Mehraufwand mit einer Abspielförderung der FFA abfedern.

Keine Missverständnisse unter den Kinobesuchern gibt es bei dezidierten Kurzfilmprogrammen. Das gängigste Modell ist die Buchung eines abendfüllenden Programms. Solche ‚Pakete’ werden von den einschlägigen Verleihen sowie von Wettbewerbsveranstaltern und von Kurzfilmfestivals geschnürt. Das können auch vom Veranstalter kuratierte Themenprogramme oder Preisträger-Programme sein. Zu den Preisträger-Programmen gehört zum Beispiel auch das Programm der Kinotournee Deutscher Kurzfilmpreis.

Preisträger-Programme sind – ähnlich den Wettbewerbsprogrammen auf Festivals –keine kuratierten Programme. Sie qualifizieren sich durch den Reputationswert der jeweiligen Jury und vor allem durch den Image-Transfer des Veranstalters. Dieses Modell war in der Vergangenheit beim Publikum sehr erfolgreich. Die Erfahrungen der jüngsten Zeit zeigen aber ein abnehmendes Publikumsinteresse. Offenbar schwindet das hierfür nötige ‚blinde Vertrauen’ beim breiten Publikum. Und blindes Vertrauen ist bei Kurzfilmprogrammen ja besonders wichtig, insofern es keine Medienöffentlichkeit gibt, also die Filmtitel in der Regel unbekannt sind und die Kinos die Programme auch nicht mit bekannten Namen bewerben können.

Über die Gründe für das sinkende Interesse an Preisträgern lässt sich nur spekulieren. Vermutlich liegt es an einem generellen Wandel des Kinobesucherverhaltens. Das Phänomen lässt sich nämlich auch im Spielfilmbereich beobachten. Eine Festivalauszeichnung lockt nicht mehr automatisch Besucher ins Kino. Goldene Palmwedel oder Lorbeerzweige auf den Filmplakaten wirken bei manchen Kinogängern statt als Gütesiegel, schon beinahe als Warnsignal! Ohne hier mögliche kulturpessimistische Gründe anzuführen, liegt die Vermutung nahe, dass dieser Vertrauensverlust eine Rückwirkung von Veränderungen in der Festivallandschaft selbst ist. So sinkt durch die Proliferation der Festivals, die in ihrer Summe eine Art Parallelkino-Universum bilden, auch der Distinktionswert. Und bei den exponierteren, noch immer renommierten Spielfilmfestivals wird in der Öffentlichkeit die Tendenz wahrgenommen, dass dort zunehmend typische ‚Festivalfilme’ gepflegt werden – als ein neues Genre, das außerhalb des Kinos erschöpfend ausgewertet wird.

Deutlich erfolgreicher sind gestaltete Kurzfilmprogramme, die so zusammengestellt sind, dass sie entweder ein Unterhaltungsbedürfnis oder ein inhaltlich-kulturelles Bedürfnis bedienen. Zum Erfolg der populären Variante eines gestalteten Kurzfilmprogramms gehört die Erfüllung der Erwartung des Zuschauers, dass in einem solchen Programm auf jeden Fall Etwas dabei ist, was Gefallen findet. Die Voraussetzungen für das Funktionieren des Modells sind eine inhaltliche und visuelle Heterogenität sowie eine durchdachte Dramaturgie des Gesamtprogramms. Dazu gehören Eigenschaften wie unterschiedliche Erzählgeschwindigkeiten, unterschiedliche visuelle Reize und das Ansprechen unterschiedlicher Gefühlslagen.

Entsprechende Empfehlungen an Programmmacher gab es bereits in der Frühzeit des Kinos. Also einer Zeit, in der alle Filme kurz waren und in der noch längst nicht von Ausstellungskuratoren oder gar Filmkuratoren die Rede war! In einer der wenigen deutschsprachigen Publikationen zum Thema Filme programmieren (The Art of Programming: Film, Programm und Kontext*) zitiert Andrea Haller in einem Beitrag Grundregeln für die Programmzusammenstellung aus der Zeitschrift Lichtbild-Bühne von 1910. Darin wird folgende Mixtur empfohlen: »1. Musikpièce, 2. Aktuellität [sic!], 3. Humoristisch, 4. Drama, 5. Komisch, – Pause –, 6. Naturaufnahme, 7. Komisch, 8. Die große Attraktion, 9. Wissenschaftlich, 10. Derbkomisch«. Dem ist heute kaum etwas hinzuzufügen, außer dass man natürlich die Begriffe aktualisieren würde. Vielleicht wurde man anstelle eines Musikpièce ein Musikvideo setzen und derbkomisch mit intelligent witzig ersetzen. Ein harmonisches Ende ist, damit die Kinobesucher gutgestimmt den Saal verlassen, auf jeden Fall ein alter Programmmacher-Trick.

 

 

Kuratierte Kino-Programme im engeren Sinne

Von kuratierten Programmen kann man im Kino sprechen, wenn die Zusammenstellung der Filme – sei es eine Reihe mit abendfüllenden Filmen über einen gewissen Zeitraum hinweg oder mehrere Kurzfilme in einem Programm – einem Thema oder einer These folgt, für das die Programmteile speziell recherchiert und ausgewählt wurden. In der Regel sind die Kuratoren solcher Programme zugleich – also in Doppelfunktion – auch die Programmacher der Kinos. Freelance-Kuratoren, wie bei Filmfestivals werden – aus finanziellen Gründen – kaum noch beauftragt.

Eine Sonderrolle nehmen Filmmuseen oder Kinos in Filmmuseen ein, wenn sie institutionell an ein Archiv oder eine Filmsammlung gekoppelt sind. Hier sind Kuratoren im ursprünglichen Wortsinn tätig, die Werke, die zum kulturellen Erbe gehören, bewahren, gegebenenfalls restaurieren und in Ausstellungen oder Programmen der Öffentlichkeit zugänglich machen und dabei auch in ihrem spezifischen historischen, inhaltlichen und ästhetischen Kontext vermitteln.

Eine Schwierigkeit beim Kuratieren von Filmprogrammen, die es zu meistern gilt, ist die Balance zwischen der eigenen Intention und der Intention der Autoren der Werke.
Auch, wenn sich anders als bei Wettbewerbsprogrammen auf Filmfestivals die einzelnen Filme dem kuratorischen Vermittlungsziel unterordnen müssen, darf doch die Integrität des einzelnen Filmwerks nicht verletzt werden. Die rote Line ist wohl dort zu ziehen, wo die Autoren-Intention so umgelenkt wird, dass dem Werk andere als die intendierten Bedeutungen zugeschrieben werden. Jedoch dürfen die Elemente eines Programms durch die Kontextualisierung in einem Gesamtprogramm neue Bedeutungen hinzugewinnen, denn Kontextualisierung ist das Wesen und der Sinn kuratierter Programme.

Gut kuratierte Kinoprogramme zeichnen sich durch eine Lokalisierung, also die Abstimmung mit dem Veranstaltungsort und dem lokal erwarteten Publikum, aus. Dies kann, muss aber nicht, ein spezifisches Zielpublikum sein. Ein erfahrener Kinomacher kennt sein Publikum und nimmt auch dessen Bedürfnisse – nicht im populistischen Sinne – ernst. Auch an die Themenwahl sind qualitative Ansprüche zu stellen.

Auf großes Publikumsinteresse stoßen aktuelle zeitgeschichtliche und gesellschaftliche Themen. Kurzfilmprogramme sind dafür oft besser geeignet als der Einsatz eines einzelnen abendfüllenden Films oder eine zeitlich ausgedehnte Filmreihe. In einem thematisch motivierten Programm gehört es zur kuratorischen Aufgabe, Filme nicht nur als inhaltliches Vehikel (aus-)zu nutzen, sondern auch ihre formale Gestaltung und ästhetische Dimension in den Vordergrund zu stellen. Modelle, in denen Filme als Beleg für eine These kompiliert werden, funktionieren in der Regel ohnehin nicht als Filmprogramm.

Die Möglichkeit im Anschluss an ein Programm mit dem Publikum zu diskutieren sollte auf jeden Fall wahrgenommen werden. Gerade in Zeiten der (un-)sozialen Medien, die zum privaten Cocooning führen, und dem Schwinden öffentlicher Diskursräume, gibt es nicht nur ein großes Bedürfnis, sondern auch eine gesellschaftliche Notwendigkeit für Face-to-Face-Debatten und für kommunikativ-partizipative Angebote. Dies ist auch ein Alleinstellungsmerkmal der Filmpräsentation auf einer öffentlichen Leinwand, sei es im Kino oder auf einem Festival.

Insofern außerfilmische Themen im Zentrum eines kuratierten Programms stehen, bietet sich auch die Zusammenarbeit mit Partnern, die fachliche Kenntnisse und Erfahrungen einbringen, an. Dies hat den positiven Nebeneffekt zusätzliche Aufmerksamkeit zu generieren und Zielgruppen zu mobilisieren.

Bei der Berücksichtigung von Bedürfnissen des Publikums und Programmpartnern besteht immer auch die Gefahr einer Anpassung unter Niveau. Dies kann ökonomisch bedingt intendiert, naiv unbeabsichtigt und sogar zufällig geschehen. Ein schönes Beispiel für Letzteres ist der Erfolg der Katzenvideo-Open-Airs des Walker Art Center. Die Problematik ist in allen kulturellen Bereichen bekannt und ein Dauerthema. Dazu gehören Anbiederungen der museumspädagogischen Zielgruppenarbeit, wie zum Beispiel Kaffeekränzchen für Senioren, Snapchat-Aktionen für Jugendliche oder Hüpfburgen für Kinder am Tag der offenen Tür. Die Schlagworte hierzu heißen ‚niederschwellig’, ‚kreatives Marketing’ oder ‚die Menschen dort abholen, wo sie sind’. Häufig, kann man zynisch anmerken, werden bei solchen Strategien die Menschen dann auch dort, wo sie abgeholt wurden, wieder stehen gelassen. Auch renommierte Institutionen sind nicht davor gefeit sich ‚unter Wert zu verkaufen’ und damit ihre eigentlichen Zwecke, ja Existenzberechtigung, zu unterminieren. Paradoxerweise – oder doch nicht? – sind es oft die öffentlichen Träger und Förderer die von Kultureinrichtungen solche populären und populistischen Maßnahmen verlangen.

 

 

Alltagspraxis

Jenseits der roten Teppiche und populären Events ist der Spielraum für gut gestaltete und kuratierte Kurzfilmprogramme im Kino durch Ignoranz gegenüber kultureller Filmarbeit und flächendeckende Spar- und Austeritätspolitik sehr gering geworden. Der Aufwand für die Beschaffung von Kopien, die Deckung der Kosten von Verleihmieten und die kuratorischen Vermittlungsleistungen sind für Kurzfilmprogramme ohnehin höher und deshalb für die meisten Kinos weder personell noch finanziell leistbar. So kommen dann Kurzfilme bestenfalls unkuratiert als Preisträgerpaket oder als Pseudo-Festival, in dem die einreichenden Filmemacher um eine Leihmiete geprellt werden, auf die Leinwand.

Der Aufwand für eine sorgfältige Filmrecherche, die Voraussetzung für ein gut programmiertes oder kuratiertes Filmangebot wäre, ist enorm. Da es keine zentrale Recherche-Plattform zum Auffinden von Filmen und kein Bezugsverzeichnis von Kopien gibt, wandern auch Kurzfilme, die mehr Aufmerksamkeit verdienen und potentiell einen Bedarf erfüllen könnten, nach ihrer Premiere und einem kurzen Festivaldurchlauf direkt ins Regal oder in das Datennirvana des Internets. Ein Kopienverzeichnis würde sowohl den Herstellern von Kurzfilmen als auch interessierten Kinos helfen.
Wünschenswert wäre schließlich auch die Anerkennung kuratorischer Leistungen bei der kulturellen Vermittlung und Präsentation von Kurzfilmen im Kino. Fachkundige Vermittler sind nicht nur gefragt, sondern auch abkömmlich notwendig, um das Publikum nicht ganz den Marktkräften zu überlassen. Das Potential dafür ist im Kurzfilmsektor besonders hoch und sollte nicht brachliegend bleiben!

 

 

Quellen und Links
„The Art of Programming: Film, Programm und Kontext“ hrsg. von Heike Klippel, Münster: Lit Verlag 2008

Artikel im Kurzfilmmagazin: „Der Vorfilm macht den Unterschied“ + „Die Kunst Filme zu zeigen