Light Cone – 25 Jahre Engagement für den Experimentalfilm

Eine der wichtigsten Heimstätten des Experimentalfilms in Europa, der Light Cone Filmverleih, feiert in diesem Jahr seinen 25. Geburtstag. Seit einem viertel Jahrhundert ist Light Cone für Kuratoren, Festivals und Filmemacher ein wichtiger Partner bei der Präsentation von Experimentalfilmen. Im Light Cone Archiv lagern inzwischen mehr als 3.000 experimentelle Filmarbeiten aller Formate, hier finden Liebhaber alles von aktuellen Videoarbeiten über Installationen bis zu den Klassikern der Filmavantgarde. Darüber hinaus sorgt Light Cone durch seine regelmäßigen Screenings dafür, dass der internationale Experimentalfilm in der Öffentlichkeit sichtbar bleibt.

 

Light Cone in Gefahr
Doch dieser Rückzugsort der experimentellen Filmkunst ist in Gefahr. Wie viele andere staatlich geförderte Kulturinstitutionen hatte auch Light Cone in den letzten Jahren immer wieder Kürzungen der Fördersummen zu verkraften. Obwohl bereits intensive Bemühungen unternommen wurden, alternative Geldquellen zu erschließen, blieb die Finanzlage prekär. Anfang 2007 verschärfte sich die Situation, als eine weitere massive Mittelkürzung um 20% durch den Centre National de la Cinématographie bekannt wurde. Durch das gleichzeitige Auslaufen staatlicher Beschäftigungsprogramme stand nun tatsächlich die Weiterexistenz von Light Cone auf dem Spiel.

Der Vorstand der gemeinnützigen Kooperative sah keine andere Möglichkeit, als sich mit einer dringlichen Bitte um Unterstützung an die Öffentlichkeit zu wenden. Parallel dazu wurden drakonische Sparmaßnahmen ergriffen: 2 Mitarbeiterinnen mussten entlassen werden, Teile der Büroräume wurden untervermietet, um Kosten zu sparen und die Filmemacher wurden aufgerufen, bis zum Ende des Jahres auf ihre Einnahmen aus den Verleihaktivitäten zu verzichten, um den Verleih so schnell wie möglich aus den roten Zahlen zu bringen.

Dieser Aufforderung kamen bis heute mehr als 50 Rechteinhaber nach, so dass allein dieser Schritt in wenigen Monaten fast 10.000 EUR eingebracht hat. Als langfristige Maßnahme zur Konsolidierung des Haushaltes entschied sich der Verleih, ab Jahresbeginn den Anteil der Filmemacher an den Filmmieten auf 50% zu kürzen. Zuvor erhielten die Filmemacher 70% der Mieten, während Light Cone mit nur 30% der Einnahmen versuchte, seine Kosten zu decken. Diese Splittung galt in der Branche seit langem als ungewöhnlich günstig für die Filmemacher und untermauerte den Anspruch der Pariser Kooperative, sich weniger als Unternehmen, denn als Interessensvertretung der Filmemacher zu verstehen.
 

Internationale Solidarität

Inzwischen haben über 1.100 Einzelpersonen und mehr als 220 Institutionen öffentlich ihre Solidarität mit Light Cone bekundet und mit ihren Protestbriefen unterstrichen, dass Light Cone für den Experimentalfilm unverzichtbar ist. Parallel zum Gang an die Öffentlichkeit und dem strikten Konsolidierungskurs warb Light Cone in Gesprächen mit Vertretern der verschiedenen fördernden Institutionen intensiv für die eigene Sache, so dass bis zum heutigen Zeitpunkt immerhin Zusagen der wichtigsten Förderer vorliegen, die Fördersummen im kommenden Jahr nicht noch weiter zu kürzen.

Während der Internationalen Kurzfilmtage in Oberhausen zeigte Christophe Bichon, einer der wenigen verbliebenen (bezahlten) Mitarbeiter des Verleihs, in einem bis auf den letzten Platz gefüllten Kinosaal ein Programm mit aktuellen französischen Experimentalfilmen und bedankte sich für das überwältigende Echo auf den Hilferuf. Noch ist zwar nicht entschieden, ob die diversen internationalen Solidaritätsbekundungen eine positive Wirkung in den Gremien haben werden, aber Vorstand und Mitarbeiter sind angesichts von so viel Zuspruch zuversichtlich, dass die aktuelle Krise überwunden werden kann.

 

Selbstverständnis

Light Cone wurde 1982 von den beiden Filmemachern Yann Beauvais und Miles McKane als gemeinnützige Organisation gegründet, um den Experimentalfilm in Frankreich zu stärken. Die beiden Gründer handelten dabei aus einer ganz konkreten und persönlichen Erfahrung heraus: es fehlte an Vermittlungsinstitutionen für experimentelle Filmkunst, es gab in Frankreich – und weltweit – nur sehr wenige Filmarchive und Verleihe, die sich für experimentelle Arbeiten überhaupt öffneten. Zwar gründete sich mehr oder weniger zeitgleich mit Light Cone auch die Agence du court métrage (ACM), doch trotz dieser Koinzidenz gab es zwischen beiden Institutionen nur wenige Überschneidungen. Zu unterschiedlich waren die vertretenen Filme, das Zielpublikum und auch die Arbeitsweisen. Während die Agence du court métrage sich vor allem als Hort des kinotauglichen französischen Kurzfilms versteht, versammelt Light Cone in seinem Programm internationale Experimentalfilme aller Längen, darunter viele strukturelle, nicht-narrative Arbeiten. Während die ACM mit verschiedenen Programmen versucht, den Kurzfilm wieder im normalen Kino- und TV-Programm zu verankern, zielt Light Cone weniger auf das klassische Massenpublikum, sondern eher auf eine spezialisierte, internationale Klientel. Das unterschiedliche Selbstverständnis spiegelt sich auch im Verhältnis zu den Filmemachern. Während die ACM dem Rechteinhaber 15% der Einnahmen jeder Ausleihe zubilligt, lag der Satz bei Light Cone wie bereits erwähnt lange Jahre bei spektakulären 70% für den Filmemacher.

Die gleiche Tendenz zeigt auch die Wahl der Organisationsform als Kooperative: Light Cone versteht sich als Initiative von Filmemachern für Filmemacher und erst in zweiter oder dritter Linie als wirtschaftliches Unternehmen. Leider sind es gerade die demokratischen Entscheidungsstrukturen, die eine angemessene Reaktion auf neue Entwicklungen manches Mal erschweren – eine Erfahrung, die Light Cone nicht zuletzt angesichts der immer dramatischer werdenden Finanzsituation machen musste.

 

Archiv und Verleih

Light Cone verfügt heute über ein Archiv von über 3.000 Experimentalfilmen, entstanden zwischen 1905 und heute. Mehr als 90% dieser Filme sind Kurzfilme, die zum großen Teil als 16mm Kopien hier lagern. Die Kooperative hat von Beginn an großen Wert darauf gelegt, in der Filmakquise keine Schule, Region oder Entstehungsperiode zu bevorzugen und mit der Sammlung einen umfassenden Blick auf die internationale (Experimental-)Filmgeschichte zu ermöglichen. Von dieser Möglichkeit machen vor allem europäische Museen, Festivals, Universitäten und Kinos Gebrauch. Pro Jahr werden ungefähr 2.000 Filme und Videos ausgeliehen.

Kernstücke der Sammlung bilden die Arbeiten der filmischen Avantgarde der 20er und 30er Jahre (Adrian Brunel, Jean Cocteau, Marcel Duchamp, Oskar Fischinger, Fernand Léger, Len Lye, Laszlo Moholy-Nagy, Hans Richter, Walter Ruttmann, etc.), die Filme der Nachkriegsavantgarde (von Isidore Isou, Maurice Lemaí®tre, Maya Deren, Jean Genet, James and John Whitney) und eine umfassende Sammlung von sogenannten „Künstlerfilmen“ aus den 60er/70er Jahren (Patrick Bokanowski, Christian Boltanski, Daniel Buren, Paolo Gioli, Gordon Matta-Clark, José Antonio Sistiaga, Nancy Holt, Robert Smithson, Unglee, Richard Serra, etc.), die innerhalb der letzten zehn Jahre akquiriert wurden.

Ebenfalls aus dieser Zeit stammen eine Reihe von „diary films“, z.B. von Jonas Mekas, Jerome Hill, Jakobois oder Jan Peters. Einen weiteren Sammelschwerpunkt bilden Found-Footage Filme ( z.B. von Adrian Brunel, Henri Storck oder Jürgen Reble) und Praktiken des cineastischen Samplings, dessen bekannteste Vertreter Matthias Müller und Martin Arnold sein dürften. Filme von Barbara Hammer, Jack Smith, James Watson & Melville Webber und anderen ermöglichen einen historisch fundierten Überblick über die Produktionen der Queerfilmszene.

Der strukturelle Film und das Abstract Cinema sind mit Filmen ihrer wichtigsten Protagonisten wie Hy Hirsh, Peter Kubelka, Paul Sharits und Michael Snow vertreten. Stan Brakhage, Len Lye, Cécile Fontaine, Carl Brown und Jürgen Reble sollen nur stellvertretend für weitere Künstler, die direkt auf dem Filmstreifen arbeiten, erwähnt werden.

Auch das „Expanded cinema“ findet sich wieder. Light Cone verleiht neben Filmen und Videos auch Installationen, Multi-Screen Projektionen und Body-Art-Filme, bzw. Performance-Dokumentationen (z.B. von Kurt Kren, Maria Klonaris & Katerina Thomadaki, Carolee Schneemann und Valie Export).

Insgesamt stehen die Filme von mehr als 360 Künstlern im Archiv zur Verfügung – darunter eine ganze Reihe „rarer“ Arbeiten, von denen weltweit keine andere Kopie verfügbar ist. So wird Light Cone inzwischen seinem ambitionierten Anspruch, mit der eigenen Kollektion einen Blick auf die „alternative Geschichte“ des Films zu bieten, durchaus gerecht. Sollte die Arbeit von Light Cone durch eine weitere Reduktion der öffentlichen Unterstützung nicht mehr möglich sein, steht damit auch der Zugang zu einem wichtigen Teil der Filmgeschichte zur Disposition.

 

Scratch Projection und Preview Show

Light Cone verstand sich von Anfang an nicht in erster Linie als Archiv, das seine Schätze in der Asservatenkammer für die Zukunft konservieren möchte, sondern vor allem als Präsentations- und Gesprächsraum. Zu diesem Zweck wurde 1983 der Filmclub Scratch Projection ins Leben gerufen. In regelmäßigen Abständen (zu Spitzenzeiten einmal wöchentlich!) wurden Filmabende veranstaltet, in denen sowohl historische als auch aktuelle Arbeiten gezeigt wurden. Aus Mangel an einem festen Veranstaltungsort wanderten die Scratch Projections lange Zeit durch verschiedene Räume und Stadtteile in Paris – was zwar viel Organisationsaufwand bedeutete, aber den angenehmen Nebeneffekt hatte, dass auf diese Weise immer wieder neue Zuschauer erreicht werden konnten. Später fanden die Filmabende eine temporäre Heimat im Kulturzentrum Wallonie-Bruxelles und im Centre Georges Pompidou. Im Zuge der Neustrukturierung Anfang des Jahres fand ein erneuter Ortswechsel in die Bar und Galerie Confluences statt.

Die Scratch Projections wurden vor allem durch die Arbeit Yann Beauvais‘ geprägt, der die Programme lange Jahre kuratierte und damit grundsätzlich neue Maßstäbe für die Filmprogrammgestaltung setzte. In Kooperation mit Institutionen wie dem Musée National d’Art Moderne, dem Museum of Modern Art, New York und der Cinémathèque Franí§aise wurden umfassende thematische Filmreihen, Künstlerpräsentationen und Retrospektiven organisiert, zu denen häufig auch umfassende Publikationen erschienen.

Neben diesen thematischen Veröffentlichungen erscheint jährlich ein aktualisierter Katalog (der inzwischen natürlich auch zur direkten Suche im Internet verfügbar ist) mit allgemeinen Filminformationen, Inhaltsangaben und Informationen über den Filmemacher. Ergänzend dazu findet einmal jährlich eine Preview Show statt, in der die Neuzugänge des Verleihs dem Fachpublikum an 3-4 Tagen vorgestellt werden. Zu diesem Ereignis pilgern jährlich um die 100 Besucher, darunter Kuratoren, Festival- und Kinomacher, Kritiker, Hochschuldozenten und Künstler. In diesem Jahr wird neben den täglichen Vorführungen für die Fachbesucher erstmalig ein öffentlich zugängliches Abendprogramm organisiert.

 

Finanzierung

Light Cone finanzierte sich in den letzten Jahren ungefähr zu 50% aus Zuschüssen der öffentlichen Hand. Der Löwenanteil des Geldes stammt vom CNC, außerdem unterstützte die Stadt Paris und die Region Ile-de-France die Initiative. Die andere Hälfte des Budgets stammt direkt aus den Einnahmen aus dem Filmverleih. Diese ausgeglichene Bilanz geriet durch die Kürzungen der Zuschüsse aus dem Gleichgewicht. Vor allem der Abbau der Fördergelder des CNC um 20% brachte die Kooperative in ernste Schwierigkeiten. Erschwerend kam die Tatsache hinzu, dass genau zu diesem Zeitpunkt ein Programm auslief, mit dem es Light Cone (und vielen anderen französischen Unternehmen in Kultursektor) seit 1999 erfolgreich gelungen war, 3 ihrer 5 festen Stellen zu finanzieren.

Durch das Programm „Emplois-jeunes“, das 1997 startete, wurden Arbeitgeber, die junge Leute unter 26 einstellten, finanziell unterstützt. Das Ziel der auf jeweils 5 Jahre angelegten, degressiven Maßnahme war es, die Nachwuchskräfte vor der Beendigung der staatlichen Unterstützung so gut ins Berufsleben zu integrieren, dass sie auch nach dem Auslaufen der Zahlungen weiter beschäftigt werden. Auf diese Weise soll die hohe Jugendarbeitslosigkeit gesenkt werden.

Light Cone ging es mit diesem Programm wie vielen anderen Unternehmen, die im Non-Profit-Bereich tätig sind: einerseits profitierte die Kooperative enorm von dieser Beschäftigungsmaßnahme, andererseits führte die parallel stattfindende stetige Kürzung der kulturellen Förderungssummen jedoch dazu, dass unter dem Strich gar nicht viel mehr Bewegungsspielraum übrig blieb. Die größte Veränderung bestand letztlich darin, dass die staatlichen Gelder jetzt direkter in die Löhne flossen und es gleichzeitig immer schwieriger wurde, Fördergelder für notwendige Projekte wie die Archivierung der Filme, regelmäßige Veranstaltungen, etc. zu akquirieren.

 

Ausblick

Trotz der immer noch schwierigen Finanzsituation scheint sich Light Cone in den ersten fünf Monaten des Jahres 2007 wieder aufgerappelt zu haben. Die Kooperative plant trotz aller Schwierigkeiten bereits die Veranstaltungen zur Feier des 25-jährigen Jubiläums im Herbst und die nächste Preview Show ist für Mitte September geplant.
Neben vielen ehrenamtlich engagierten langjährigen Weggefährten des Verleihs arbeiten momentan 4 Personen in bezahlten Positionen bei Light Cone. Perspektivisch soll das feste Team wieder erweitert werden, sobald sich die finanzielle Lage entspannt hat. Bis zum Ende des Jahres plant Light Cone, sein Quartier im 20. Arrondissement aufzugeben und sich nach einer günstigeren Unterkunft umzusehen.

Entscheidend für den Fortbestand von Light Cone wird es sein, dass die staatlichen Förderinstitutionen ein explizites Bekenntnis zur Förderung des Experimentalfilms abgeben und den Verleih mit einer Förderungssumme unterstützen, die ihm eine gewisse Planungssicherheit gibt – nicht zuletzt um sich langfristig nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten umzusehen.

Luc-Carolin Ziemann

URL Light Cone: http://www.lightcone.org/

Petition: http://www.lightcone.org/petition/appel.php

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