Kurzfilmfestivals und Video-on-Demand Teil 1 festivaleigene VoD-Initiativen

Video-on-Demand Pionier: Sundance Film Festival © Screenshot SundanceTV, 17.6.2019

 

Der Anteil von Video-on-Demand am audiovisuellen Markt ist im Vergleich zu anderen Distributionswegen wie Fernsehen, Kino oder die physische Verbreitung von Filmen noch relativ klein. Aber die Dynamik[1] liegt ganz eindeutig auf der Seite von VoD-Angeboten, denn die jährlichen Wachstumsraten sind hier den anderen Sektoren deutlich überlegen.

 

VoD-Dienste werden also in Zukunft ein wichtiger, weiterer Kanal sein, über den Filmliebhaber auf Inhalte zugreifen können. Versteht man VoD nicht als konkurrierenden, sondern als ergänzenden Verbreitungsweg, dann ist VoD auch für Filmfestivals interessant. Es erlaubt ihnen ihre Reichweite über örtliche wie zeitliche Grenzen hinweg zu erweitern. Den teilnehmenden Filmemachern kann VoD eine breitere Plattform anbieten als es die Präsenz auf einem Festivals erlaubt.

 

Die Einrichtung und der Betrieb eines Streaming-Dienstes ist jedoch aufwändiger als es zunächst erscheinen mag. Es macht daher Sinn über Plattformkooperationen nachzudenken und Verbündete zu suchen. Solche Kooperationen standen auch im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion[2], die ich im Rahmen der 65. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen moderierte und deren Ergebnisse in diesen Artikel einfließen. Die zentralen Fragen lauten: Welche Erfahrungen gibt es bereits? Welche Kooperationen sind denkbar? Welche Vorteile hätten Filmemacher?

 

 

Stand der Dinge: Kurzfilmfestivals mit eigenen Video-on-Demand-Aktivitäten

 

Die Zahl der deutschen Kurzfilmfestivals mit Streaming-Angeboten ist derzeit noch überschaubar. In der jüngsten Vergangenheit haben unter anderem die Festivals interfilm Berlin, die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen und das Kurzfilmfestival Köln Filme als Online-Streaming angeboten und dabei verschiedene, zum Teil auch mehrere, Dienste parallel in Anspruch genommen.

 

Interfilm Berlin hatte zeitweise eine VoD-Kooperation mit der SVoD-Plattform Realeyz (Berlin) und auf einem Partnerkanal Filme aus seinem Programm angeboten und auf 50/50 Basis abgerechnet. Die inzwischen schon etwas älteren Kurzfilme sind heute noch Teil des Realeyz Katalogs. Sie können unter dem Stichwort interfilm aufgerufen werden – wobei manche der Titel auch gleichzeitig zu anderen Festivals oder Sammlungen gehören (sixpack, Berlinale Shorts etc.).

Außerdem hatte interfilm 2014 auf Vimeo einen VoD-Kanal, dessen 67 Filme bis heute noch frei zugänglich sind.

 

Die Kurzfilmtage Oberhausen hatten 2017 eine Auswahl von sechs Filmen auf Flimmit (s.u.) und kooperieren inzwischen einmal jährlich mit MUBI. Ausgewählte Preisträger und Filme aus dem Programm sind nach dem Festival, für die MUBI-übliche Dauer von 30 Tagen, SVoD-Abonnenten zugänglich. Festivalgästen bietet MUBI ein einmonatiges Probeabo an, so dass die Besucher des Festivals zuhause Filme, die sie noch einmal sehen wollen oder verpasst haben, kurzzeitig kostenlos sehen können.

 

Das Kölner Kurzfilmfestival startete 2017 mit 50 Kurzfilmen das Bibliotheksprojekt AVA, an dem unter anderem auch interfilm Berlin und die Kurzfilmfestivals in Bristol, Leuven und Tampere teilnahmen. AVA („Audio Visual Access“) ist ein lokalisiertes VoD-Projekt, das öffentlichen Bibliotheken die nicht-physische Ausleihe von audio-visuellem Content ermöglicht. AVA wurde auf die B2B-Plattform Picture Pipe der reelport GmbH aufgesetzt und ist kein jedermann zugängliches VoD-Angebot.

 

Das Internationale Kurzfilmfestival Hamburg hat selbst keine VoD-Präsenz. Jedoch werden einzelne Filme kostenlos als „Film der Woche“ auf dem Kanal der Kurzfilmagentur auf YouTube. Außerdem verwaltet die Kurzfilmagentur einen Kanal bei Vimeo on Demand, der etwa monatlich um einen neuen Film ergänzt wird. Unter den derzeit 24 Filmen kann man unter anderem Filme wie „Watu Wote“ und „Das satanische Dickicht Eins“ gegen Gebühr sehen.

 

Kein Kurzfilmfestival in Deutschland hat bislang eine eigene, kontinuierliche VoD-Praxis entwickelt. Dies gilt auch für Kurzfilmfestivals in anderen Ländern und Kontinenten.

 

Die meisten VoD-Aktivitäten unter Kurzfilmfestivals gibt es in Asien, die Dienste des Anbieters Viddsee.com (Singapore) nutzen. Dort haben unter anderem VoD-Kanäle: das Asia Peace Film Festival (Pakistan), Chaktomuk Short Film Festival (Kambodscha), Cinemalaya – Philippine Independent Film Festival (Philippines), ifva (Honk Kong), Kaohsiung Film Festival International Short Film Competition Award (Taiwan), Sapporo International Short Film Festival (Japan), Singapore Short Cuts, Thai Short Film & Video Festival (Thailand) und weitere.

Bislang wird Viddsee in Europa zwar von manchen Festivals genutzt, jedoch kaum von Kurzfilmfestivals. Nur das Festival in Clermont-Ferrand kuratierte für Viddsee 2017 einmalig ein Programm mit chinesischen Kurzfilmen (“Chinese Delights”)

 

 

VoD-Aktivitäten großer Festivals mit Kurzfilmwettbewerben

 

Vorab sollte man wissen, dass es bei vielen VoD-Anbietern Festivalkanäle gibt, die zwar mit dem Logo der betreffenden Festivals werben, aber keine direkten Beziehungen zu ihnen pflegen. Oft sind dies einfach nur Zusammenstellungen von Filmen, die auf den betreffenden Festivals gezeigt wurden, sich aber unabhängig davon im Katalog der Anbieter, die mit den Festivalnamen werben, befinden.

 

Das erschwert die Recherche – insbesondere, wenn die selbe Plattform sowohl ihre Katalogfilme in Festivalkollektionen als auch kuratierte Programme in Kooperation mit Festivals anbieten. Ein Beispiel hierfür ist die VoD-Plattform des Österreichischen Rundfunks Flimmit. Dort gibt es, zum Beispiel, neben einer Cannes-Seite und einer Locarno-Playlist (mit einem Logo-Tiger von Shutterstock;-), auch von Festivals selbst kuratierte Angebote, wie zum Beispiel der Diagonale und Crossing Europe. Kurzfilme werden auf diesen Festivalkanälen jedoch nicht angeboten.

 

 

Festivals mit eigenen Plattformen

 

Ein Vorreiter von VoD-Angeboten ist das Sundance Festival, das seit 1996 Festivalfilme online streamt. Nach vielen Versuchen und diversen strategischen Partnerschaften, wurde VoD an das SundanceTV ausgelagert, ein Unternehmen, das dem börsennotierten Konzern AMC Networks gehört. Aktuell sind bei SundanceTV vier Kurzfilme aus dem Wettbewerb des Festivals 2019 und ältere Festivalfilme online, die aber aufgrund von Geocoding in vielen Ländern nicht abrufbar sind. Hierzulande hat Sundance vor kurzem die lokalisierte Plattform „Sundance Now“ gelauncht (SVoD ab € 4,99/Monat). Allerdings finde ich, dass der Bezug zum Festivals nur als Name aber kaum im Profil erkenntlich ist. ‚Sundance originals‘ spielen eine eher untergeordnete Rolle (»Unbeschränktes Streaming – Endlose Unterhaltung«). Anders als in den USA werden auf der deutschen Plattform (noch?) keine Kurzfilme angeboten.

 

 

Einzigartig: Rotterdam Festival gründet Standalone VoD-Plattform

 

Das International Film Festival Rotterdam ist sich schon lange im Distributionssektor aktiv – zuerst mit einem Videotape- und bis vor kurzem einem DVD-Vertrieb. 2005 stellte das Festival auf Tiger Online 50 lange Arthouse-Filme als TVoD ins Netz (in Kooperation mit Tiscali). 2015 hatte dann das Festival parallel zu seiner Initiative „IFFR Live!“, in der ein Teil des Festivalprogramms in 40 Kinos in 9 Ländern gezeigt wurde, unter dem alten DVD-Vertriebsnamen Tiger Releases eine VoD-Plattform für Wettbewerbsfilme gestartet. Host war die Infostrada Gruppe (Utrecht), die aber nach der Übernahme durch ein anderes Unternehmen und der Verschmelzung zu einem Sportkanal nicht mehr zur Verfügung stand.

 

Das IFFR sammelte auch Erfahrungen mit YouTube, iTunes und Google Play. Mit YouTube ließen sich hohe Views-Zahlen und eine große Sichtbarkeit der Filme erreichen, jedoch gab es ohne Werbung keine finanziellen Vorteile für die Filmemacher. iTunes und Google Play ermöglichten zwar Einnahmen für die Filmemacher, doch gab es technische Probleme und Beschränkungen, was die Inhalte, die Programmpolitik und die Darstellungsform anging.

“There was only one conclusion: if we didn’t want to be restricted by others, if we wanted to enjoy our freedom and occupy an online presence that was closely tied to our physical festival, we had to build our own service. That was the only way to stay in control. It was also a necessity if we wanted to let filmmakers share the anticipated revenues as much as possible.“ (Janneke Staarink, IFFR) [3]

Letztlich führten also all diese Erfahrungen zum Relaunch von Tiger Releases unter einem neuen Rahmen. Auf dem Festival 2018 wurde IFFR Unleashed vorgestellt. Betreiber der Plattform ist die IFFR Unleashed B.V. (vergleichbar mit einer deutschen GmbH oder britischen Ltd). Als Ziel nannte das Festival die Unterstützung unabhängiger Filmemacher durch einen ganzjährigen Zugang zu einem internationalen Arthouse-Publikum. Der Katalog wurde aus früheren Festivalfilmen und ausgewählten Autorenfilmen zusammengestellt. Abhängig vom Territorium werden die Filme als SVoD zwischen € 60 bis € 90 in BeNeLux und als TVoD zwischen € 4 und € 5 in Europa oder $ 5 außerhalb Europa angeboten. Kurzfilme kosten als Pay-per-View nur 1 €. Die Einnahmen werden 50/50 mit den Filmemachern bzw. Rechteinhaber geteilt.

 

Im September 2018 veröffentlichte IFFR Zahlen zum Betrieb der ersten sechs Monaten, was übrigens ungewöhnlich transparent ist, denn VoD-Plattformen veröffentlichen in der Regel nie ihre Nutzungsdaten. Nach diesem Bericht wurden bei Unleashed fast alle der 180 Filmtitel im Katalog mindestens einmal aufgerufen und 7.500 Views aus 39 Ländern gezählt.

 

Aktuell ist der Katalog von Unleashed auf etwa 300 Filme (geplant waren 400) angewachsen. Davon sind etwa 80 Titel Kurzfilme[4], die einzeln oder in Kollektionen aufgerufen werden können. Dabei sind die Kollektionen nicht wirklich kuratiert, sondern nur grob ’sortiert‘ – wie etwa narrative Filme in der Sammlung „Voices Short“ und experimentelle Filme in „Bright Future Short“. Das einzige Filmemacher-Programm, „Kevin Jerome Everson“, ragt als erratischer Block heraus. Aus Deutschland finden sich bei Unleashed bislang nur „Hollywood Movie“ von Volker Schreiner (2012) und „Hurdy Gurdy“ von Daniel Seideneder & Daniel Pfeiffer (2011).

 

 

Konzeption von Unleashed

 

Die inhaltliche Konzeption (und der Content) von Unleashed ähnelt der von Arthouse- und Independent-Anbietern wie MUBI. Das Marketingkonzept gleicht aber eher dem großer Anbieter wie Netflix – jedoch ohne Unterstützung durch ein ausgeklügeltes, Algorithmus gestütztes Empfehlungssystem, das bei Plattformen wie Netflix & Co anstelle kuratorischer Empfehlungen tritt.

 

Ursprünglich (Anfang 2018) waren noch redaktionelle und kommunikative Zusatzdienste, wie sie MUBI mit Erfolg und großer Beliebtheit in der Filmcommunity anbieten, vorgesehen. Mit einigen Verantwortlichen der Gründungsphase, die der neu gegründeten Firma nicht angehören, sind diese Projekte offenbar ebenso von Bord gegangen. Nach einem Jahr Onlinepraxis fällt es schwer bei Unleashed eine klare Strategie zu erkennen. Es ist in Teilen sowohl eine SVoD als auch eine PPV-Plattform. Filme werden sowohl ganzjährig (die meisten), gelegentlich aber auch in Programmen zeitlich beschränkt (30 Tage wie bei MUBI) angeboten. Manche Filme werden zuerst auf anderen Plattformen online gestartet und später übernommen. Neben Filmen im unkuratierten Gesamtkatalog stehen unvermittelt einige, wenige kuratierte Programme. Ich schätze, dass die Betreiber erst einmal verschiedene Strategien ausprobieren wollen und dann eine redaktionelle Linie entwickeln werden.

 

Die Darstellung der ursprünglichen Philosophie, die eng mit der Förderphilosophie des Festivals verbunden war, ist erst einmal auf vier Sätze (siehe About-Seite) geschrumpft. Das ambitionierte Ziel »IFFR Unleashed offers the opportunity to view IFFR films of previous festival editions in a carefully curated online environment[5]«, scheitert vermutlich an fehlenden Ressourcen bei den immensen Betriebskosten, die eine Streaming-Plattform schluckt. Als reine konsumentenorientierte Streaming-Alternative, die wie Netflix & Co auf ein Massenpublikum angewiesen ist, wäre Unleashed ein sehr couragiertes Projekt, dem ich nur Glück wünschen kann. Ein realisierbares Vorbild für Kurzfilmfestivals ist es aber sicher nicht.

 

 

– Ende des 1. Teil –

 

 

Im zweiten Teil, der in Kürze folgt, stelle ich die VoD-Initiative des Locarno Filmfestivals vor und geht es um Festivalkooperationen mit Anbietern wie MUBI und Festival Scope sowie um andere Optionen.

Reinhard W. Wolf

 

 

Glossar

 

SVoD (Subscription-Video-on-Demand): Abonnenten haben gegen eine regelmäßige Gebühr (monatlich oder jährlich) unbegrenzten Zugriff auf den gesamten Filmkatalog.

TVoD/PPV (Transactional-Video-on-Demand/pay-per-view): registrierte Nutzer erhalten gegen einmalige Zahlung Zugriff auf 1 ausgewählten Film.

FoD/FVoD (Free-Video-on-Demand): kostenloses Angebot ohne bzw. mit Registrierung

 

 

[1] »Representing in 2016 only 3% of the EUR 111,4 billion audiovisual market in the EU, on-demand pay services are still relatively small compared to other markets. BUT the dynamic is on their side as year-to-year growth rates are tremendously superior to the other AV markets, and this still for a foreseeable future with the launches of new on-demand services and increased consumer adoption.« (Overview – The EU VOD market Facts & Figures, Christian Grece, EUROVOD Venice September 2018, European Audiovisual Observatory)

[2] Podium: Video-on-Demand: Neue Chancen für Filmemacher und Festivals?, Internationale Kurzfilmtage Oberhausen 4.5.2019

[3] IFFR Blog ‘Not your everyday films, every day’, 02 March 2018

https://iffr.com/en/blog/%E2%80%98not-your-everyday-films-every-day%E2%80%99

[4] https://www.iffrunleashed.com/films/1?mood=Shorts

[5] https://iffr.com/en/iffr-unleashed, Zugriff Juni 2019

 

 

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