25 Jahre Metrópolis

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In unserer schnelllebigen Zeit ist es schon etwas außergewöhnlich, dass ein Fernsehprogramm sein 25-jähriges Jubiläum feiert. Wenn es sich dabei – wie im Fall von Metrópolis – noch dazu um ein Kulturprogramm handelt, können die Kandidaten europaweit sicherlich an einer Hand abgezählt werden.

TVE, das spanische öffentlich-rechtliche Fernsehen, kann mit solch einem seltenen Jubiläum aufwarten: am 21. April feierte Metrópolis, das wöchentliche Programm zu aktueller Kunst und Kultur mit Schwerpunkt auf audiovisuellen Arbeiten wie Videokunst, Experimental-, Animations- und Kurzfilm, Musikvideos und innovativen  Werbespots, seinen 25. Geburtstag.

Metrópolis hat in den vergangenen 25 Jahren stetig die spanische und internationale Szene begleitet. So entstanden unter anderem Beiträge über Künstler wie Nam June Paik, Bill Viola, Jenny Holzer, Michel Gondry, Vito Acconci, Marina Abramovic, Stelarc, Tony Oursler, Pipilotti Rist, William Kentridge, Nan Goldin, Francis Alí¿s, Jorge Macchi, AES+F, Björn Melhus, Corinna Schnitt, Candice Breitz, Shirin Neshat, Mona Hatoum, Zilla Leutenegger, Marina Níºñez, Pilar Albarrací­n, Jon-Mikel Euba o Sergio Prego, Ana Laura Alaez, Itziar Okariz u.v.a.

Neben Beiträgen über Künstler werden aber insbesondere auch Kurzfilme von Filmemachern, die im gleichen kreativen Umfeld arbeiten, ausgestrahlt – von der Computeranimation über Performance-Videos bis zu fiktionalen Dokumentarfilmen. Außerdem berichtet Metrópolis regelmäßig über Festivals und Ereignisse wie die Biennale in Venedig, Sónar, das Festival Zemos98 oder das internationale Video und Digitalkunstfestival VAD in Girona. Und selbstverständlich ist Metrópolis auch im Internet präsent.
 

Die Anfänge
Metrópolis wurde erstmals an jenem Apriltag des Jahres 1985 auf La 2, dem zweiten Kanal von TVE, nach Mitternacht als letztes Programm vor Sendeschluss ausgestrahlt. Das Magazin war zu Beginn als „Schaufenster“ für die weltweite kreative Innovation in den Metropolen konzipiert. Vor allem in den ersten fünf Jahren wurde alles von Design und Architektur, über Film und Musik, Tanz und Theater, bis hin zu bildender Kunst, Fotografie und Videokunst thematisiert.

Entstanden im Sog des Videokunst-Booms, der die spanische Kunstszene Mitte der 80er Jahre erreicht hatte, war es jedoch vor allem dieses neue Genre der Videokunst, das zusammen mit den ebenfalls neuen Musikvideos und Computeranimationen die Hauptinhalte des Programms bildete.

Erst seit Mitte der 90er Jahre wurden verstärkt auch Experimental- und Kurzfilme ausgestrahlt. Diese Verspätung hängt mit dem Umstand zusammen, dass solche Filme bis in diese Zeit in Spanien kaum produziert wurden. Daran hat sich in den letzten 20 Jahren sehr viel geändert, vor allem was den spanischen Kurzspielfilm betrifft. Diese neue Tendenz lässt sich in letzter Zeit auch auf internationalen Festivals beobachten, an denen zunehmend spanische Kurzspielfilme teilnehmen. Experimentellere Arbeiten sind in Spanien aber nach wie vor rar, was die Beobachtung bestätigt, dass das Fehlen einer Tradition und die Unterbindung einer Entwicklung (40 Jahre Franco-Diktatur!) langfristige Auswirkungen haben.

Man könnte sagen, dass sich Metrópolis über die Jahre hin seinen Anfängen getreu entwickelt, aber zunehmend spezialisiert hat und heute fast ausnahmslos audiovisuelle und Bildende Kunst zeigt. Diese Spezialisierung war natürlich auch eine Reaktion auf das sich ändernde Umfeld der Fernsehlandschaft, in der sich allmählich eigene Schwerpunktprogramme etwa zu Musik, darstellender Kunst, oder Architektur etablierten.

Absolut treu geblieben ist Metrópolis letztlich – nach bereits lange zurückliegenden und wieder verworfenen Änderungsversuchen – seinem ursprünglichen Format: die Sendung hat eine Dauer von 25 Minuten und erscheint jede Woche an einem für Spanien durchaus akzeptablem Sendeplatz kurz nach Mitternacht (wenn auch nicht mehr als Schlusslicht des Sendetags wie früher); die Sendung ist thematisch kuratiert, kommt aber ohne Moderation aus.
 

Alleinstellungsmerkmale – die besondere Qualität
Das Format und vor allem die Zusammenstellung der gezeigten Arbeiten nach Themen sind, abgesehen von deren eigener Qualität,  sicherlich die Grundlage für den anhaltenden Erfolg. Inzwischen hat Metrópolis einen Kultstatus erreicht, der es zu einem Objekt für Sammler gemacht hat, und findet seine Verwendung sogar als Lehrmaterial im – nicht nur fachbezogenen – Unterricht.

In den ersten Jahren hatte das Programm in Spanien immense Bedeutung als Informationsquelle für Kulturinteressierte und Kunststudenten, da an den Universitäten noch immer die Nachwirkungen der Isolation während der Zeit des Franco-Regimes zu spüren waren und es entsprechend einen enormen Aufholbedarf gab. Viele spanische  Künstler, die in den 60er und 70er Jahren geboren wurden, verweisen immer wieder darauf, dass sie sich mehr über und an Metrópolis bildeten und orientierten als an Schulen und Universitäten.

Vor Anbruch der Ära des Internets war das Programm somit tatsächlich ein Schaufenster und einziger Zugang zur internationalen Kunstszene für diejenigen, die sich keine Reisen zu Kunstbiennalen und Film- oder Medienkunstfestivals leisten konnten. Dass Metrópolis auch heute noch im Unterricht verwendet wird, ist auf die ausgewählten Inhalte und die themenorientierte Form zurückzuführen. Die Kontextualisierung der künstlerischen Arbeiten und deren Kondensierung in 25 Minuten Länge machen es zu einem beliebten Unterrichts- und Schulungsmaterial. Nicht umsonst ist Metrópolis mehrfach als „geführter Besuch durch eine Ausstellung“ beschrieben worden. Und ein solcher ist eben nicht dem selben Alterungsprozess ausgesetzt wie ein herkömmliches Fernsehmagazin.
 

Arbeitsweise der Redaktion
Eine andere, häufig zu hörende Definition ist die des „einzigen kuratierten Fernsehprogramms in Spanien“. Das hat sicher mit dem kunst- und/oder filmhistorischen Hintergrund vieler der über die Jahre redaktionell verantwortlichen RedakteurInnen, vor allem der freien MitarbeiterInnen, und ihrer Arbeitsmethode zu tun. Jedes Programm basiert auf einer Recherche, die sich vor allem im Fall der Künstlerporträts über längere Zeiträume hinwegziehen kann: ein Künstler wird „entdeckt“, „beobachtet“ und schließlich „gefeatured“. Nur bei Themen wie „Neue Welle in der Video-Performance“ („Performers“, 1996) oder „Andalusische Künstler zur afrikanischen Einwanderungswelle über die Meerenge von Gibraltar“ („Estrecho“, 2000) reagiert die Redaktion natürlich aufgrund der Aktualität etwas schneller. Doch auch hier wird zuerst einmal abgewartet und werden die entsprechenden Arbeiten sorgfältig ausgewählt.

Programme, die nicht Künstler- oder Genre-bezogen, sondern thematisch orientiert sind, setzen sich oftmals aus einer Kombination von Arbeiten aller in der audiovisuellen Kunst existierenden Disziplinen zusammen: von der Malerei, Bildhauerei, Fotografie, Performance, Soundarbeiten, Videos bis hin zum Animations-, Experimental- oder Kurzspielfilm.

Daneben gibt es aber auch spezielle Animations- oder Kurzspielfilmprogramme. Diese greifen meist Themen auf, die sich gleichzeitig auch in der aktuellen internationalen oder spanischen Produktion finden. Beispiele für solche Themenprogramme sind: Zukunftsalbträume („Pesadillas del futuro“, 2006), Gewalt in der Familie („Violencia familiar“, 2006), Identitätsprobleme („Bichos raros“, 2008),  die Frau in der Berufswelt heute („Trabajadoras“, 2008/2009), Ausgrenzung „Anderer“ („Diferendo“, 2009) oder Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf das Leben des Einzelnen („La crí­sis en corto“, 2009).
 

Auswahl der Filme
Auch in Zeiten von YouTube erfolgt die Auswahl der Kurzfilme bei Metrópolis nach wie vor hauptsächlich über Festivalbesuche und die Sichtung von Material, das von Vertrieben oder  Hochschulen zur Verfügung gestellt wird, also in Zusammenarbeit mit Institutionen, die von der Programmredaktion als qualitätsbewußte Vermittler geschätzt werden.

Den vielen Vorteilen des thematisch geprägten 25-Minuten-Formats stehen aber auch Nachteile gegenüber. Insbesondere bei Kurzspielfilmprogrammen muß oftmals vom Ankauf und Ausstrahlung herausragender Produktionen Abstand genommen werden, weil sie einfach zu lang sind. Oder ein hervorragender Film passt gerade nicht zu den sich herauskristallisierenden und recherchierten Themen.

Da ein Programm immer aus mindestens zwei oder mehr Filmen besteht, die verschiedene Perspektiven bieten sollen, kommen fast ausschließlich Arbeiten mit einer Laufzeit von maximal 15 Minuten in die engere Wahl. Thematisch alleinstehende gute Arbeiten werden aber, unter Umständen über Jahre, dennoch im Auge behalten.
 

Zuschauer und Akzeptanz des Programms

Kurzfilmprogramme erreichen bei Metrópolis in der Regel hohe Zuschauerquoten. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass diese nicht nur von eingeschworenen Metrópolis-Fans gesehen werden, sondern auch eine breitere Masse ansprechen. Die sehr heterogene, aber auch sehr treue Fangemeinde kann ausgehend von den Einschaltquoten auf 150.000 Zuschauer geschätzt werden. Das ist der Durchschnitt für die 42 zwischen September 2009 und Juni 2010 ausgestrahlten Sendungen. Diese Zahl mag für Fernsehverhältnisse gering erscheinen, steht aber im Vergleich mit Besucherzahlen von Museen für eine ungleich größere Reichweite.

Insgesamt mussten alle Programme von TVE nach dem Fall des öffentlich-rechtlichen Fernseh-Monopols im Jahr 1990 starke Zuschauerrückgänge verzeichnen. Von diesem Quotensturz war auch Metrópolis betroffen, doch bald stellte sich wieder Stabilität ein und im letzten Jahr war sogar ein gewisser Anstieg der Fernsehzuschauerzahlen zu beobachten. Und dies obwohl seit 2008 die Programme auch im Internet gesehen werden können.
 

Internetpräsenz als Plattform für die Interaktion mit dem Publikum
Seit 1999 ist Metrópolis mit einer eigenen Webseite im Internet vertreten (www.metropolis.tve.es). Auf der Website wurden vor allem ausführliche Hintergrundinformationen und auch Abbildungen zu den Programmen angeboten. Außerdem wird, in Intervallen aktualisiert, Netzkunst veröffentlicht und archiviert.
Seit Juni 2008 kann auf der Website sogar jedes letztausgestrahlte Programm im Internet gesehen werden. Die Sendungen stehen sieben Tage ab der Fernsehausstrahlung in voller Länge als Streaming Video zur Verfügung.

An der Internetpräsenz wird kontinuierlich gearbeitet und das Online-Angebot wird ständig inhaltlich erweitert. Seit November 2009 wird ein 14-tägig aktualisierter Kalender mit einer Auswahl an Ausstellungen, Festivals und Events veröffentlicht. Außerdem gibt es eine Seite mit Informationen zu Ausschreibungen und eine Seite mit Literaturempfehlungen. Seit dieser Erweiterung ist Metrópolis außerdem auf Facebook anzutreffen und erfreut sich einer weitgestreuten Fangemeinde, vor allem in Spanien und Lateinamerika. Der Metrópolis-Blog dient außerdem der Kommunikation zwischen der Redaktion und den Zuschauern.

Anlässlich des 25. Jubiläums im April und des im Februar ausgestrahlten 1001. Programms („1001 noches con Metrópolis“, 2010) wurde eine Umfrage unter den Zuschauern gestartet, die unter anderem ihre persönlichen Beziehungen zu Metrópolis darstellen und ihrer Lieblingsprogramme benennen konnten. Eine Auswahl der eingegangenen Texte flossen in die Sendung „1001 noches“ ein. Außerdem wurden die vier Programme mit den meisten Stimmen im April nochmals gesendet.

Als Geschenk an die Fangemeinde und all jene Museen und Bildungseinrichtungen, die sich schon lange die gesammelten Metrópolis Programme gewünscht hatten, wird jetzt auch ein Web-Archiv aufgebaut, in dem bisher schon 50 historische Ausgaben gesichtet werden können. Das Archiv soll vierteljährlich um 25 weitere Sendungen ergänzt werden.
 

Zwischenzeitliche Krise
Die ursprünglich geplante Geburtstagsfeier musste aufgrund der gegenwärtigen Wirtschaftskrise und der darauf folgenden Budgetkürzungen beim Sender abgesagt werden. Die Situation wurde zusätzlich durch eine rundfunkpolitische Änderung verschärft. In Spanien trat Anfang des Jahres eine Gesetzesänderung in Kraft, die ähnlich wie in Frankreich, die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten von Werbeeinnahmen abkoppelt. In dieser Zeit war sogar die Einstellung des Metrópolis-Programms im Gespräch.

Zur Zeit sieht es so aus als hätte Metrópolis wieder einmal ein Krise überlebt, wenn auch um den Preis von Kompromissen –  so mußten zum Beispiel die gezahlten Preise für Ankäufe von Filmen gesenkt werden (100 statt wie bisher 150 €/Minute). In der Metrópolis-Redaktion gibt man sich aber realistisch bis optimistisch. Nach der Zukunft befragt, antwortete die Leiterin der Redaktion Marí­a Pallier: „Zur Zeit kann niemand sagen, welches Programm diese schwierige Zeit überleben und wie TVE in Zukunft aussehen wird. Wir planen jedenfalls, den 27. Geburtstag richtig groß zu feiern, eine Zahl, die uns sowieso besser gefällt und die auch besser zur Eigenwilligkeit und zum Außenseiterstatus von Metrópolis passt.“


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