KURZFILM-REMIXING IM INTERNET Teil 2 – Collaborative Remixability

Thema

Die Ära des klassischen Found-Footage-Film ist zu Ende. Was eine wichtige, aber dennoch marginale, in jedem Fall aber sehr spezielle filmische Methode war, ist im Zeitalter der globalen Massenproduktion und digitalen Verfügbarkeit von Tönen und Bildern selbstverständlich geworden. Die Nachfolger des Found-Footage-Films bewegen sich als Film-ReMixes und Video-Mashups im Internet in einem Spannungsfeld zwischen populärer Banalität, Kommerzialisierung und hohen künstlerischen Ansprüchen.

Die wichtigsten Impulse für ReMixes im Internet kommen nicht aus der Filmszene, sondern aus der Musikproduktion – ein Vorsprung, der vor allem technische Ursachen hat. Längst werden aber in der Musikszene nicht nur Töne, sondern auch Bilder gesampelt. Die Arbeiten aus der Clubszene, in der VJs und ihre ‚Live-Filme’ eine immer wichtigere Rolle spielen, sind deshalb formal und ästhetisch oft anspruchsvoller und interessanter als die Do-it-yourself-Arbeiten aus der Kino-Fanszene, in der inzwischen das Nachspielen von Kultfilmen und das Remixen von Kinotrailern im Mittelpunkt steht. Die Filmbranche im engeren Sinn ist erst aus Angst vor Copyright-Verletzungen auf die neuen Entwicklungen aufmerksam geworden, hat es aber schnell verstanden in einer Art Umarmungs-Offensive hieraus Kapital zu schlagen und ihre marktbeherrschende Position auch in den ‚Social Networks’ zu stärken. Dazwischen gibt es aber spannende Initiativen, die versuchen in kooperativen Remixing-Projekten Film, Internet und Kunst sinnvoll miteinander zu verbinden.

 

VJ-Remixes: Beispiel „Emergency Broadcast Network“ (EBN)

1992 entwickelte Brian Kane die Videoschnitt-Software VuJak, die als erstes VJ-Tool gilt. VuJak war eine Übertragung bereits entwickelte digitaler Tontechniken, die eine MIDI-Steuerung von Videos in Echtzeit ermöglichte. Die Software wurde zwar nach 1995 nicht mehr weiterentwickelt, aber in Apples Quicktime integriert. Mit VuJak war Scratching erstmals auch mit Videos möglich. Sein Erfinder Brian Kane gründete zusammen mit zwei Kommilitonen von Rhode Island School of Design, Joshua Pearson und Gardner Post, die Multimedia-Gruppe Emergency Broadcast Network. Ihre erste Arbeit war ein Remix-Projekt zum Golfkrieg, das unter anderem auch eine Cover-Version von „We Rock You“ (Queen) mit George Bush enthielt.

Die inzwischen aufgelöste Gruppe ist auch insofern einflussreich geblieben als viele ihrer Mitglieder bis heute in anderen Zusammenhängen – auch in der Industrie – maßgeblich an der Weiterentwicklung von Video im Internet bis zu aktuellen Web 2.0 – Anwendungen beteiligt sind. Diese biografischen Schnittstellen zwischen künstlerischer Ambition, kreativer Software-Entwicklung und der New Economy sind charakteristisch für die neuesten Entwicklungen insbesondere in den USA. Ein weiteres Mitglied von EBN, Greg Deocampo, war zum Beispiel an der Entwicklung von Adobe After Effects beteiligt und war Gründer des Internet-Portals iFilm.

Das Motto von EBN lautete: »Don’t just watch TV, use it!« Aus mitgeschnittenen Sendungen stellte EBN Remixes – meist mit funky Beats unterlegt – mit kritischen Aussagen zur Mediengesellschaft oder aktuellen politischen Themen her. Ein schönes Beispiel, das viele Parallelen zu weiter unten erwähnten Remixes aufweist, ist „Electronic Behaviour Control System“. Der Remix stammt aus der Zeit der letzten Präsidentenwahl und reflektiert die Positionen der damaligen Kandidaten. Die Titelworte werden in einer schnellen Montage aus Fernsehreden nacheinander von Ross Perot, George Bush, Ted Koppel und Bill Clinton gesprochen beziehungsweise gesungen.

Im Unterschied hierzu wirkt das jetzt, Ende März 2007, in den USA heiß diskutierte, anonym verbreitete Remix-Video „Hillary 1984“ zu den Vorwahlen der Democrats, nicht nur völlig harmlos, sondern auch gestalterisch fantasielos: In dem anonym über YouTube verbreiteten Video hat ein, wie inzwischen eine Journalistin aufdeckte, nicht ganz unbekannter Barack Obama-Anhänger eine Rede von Hillary Clinton in den berühmten Big-Brother-Werbeclip von Apple montiert (Hintergrund-Info hierzu mit YouTube-Link: www.huffingtonpost.com/arianna-huffington/who-created-hillary-1984_b_43978.html).

Urheberrechtsprobleme: Das Fake-Musikvideo „The Grey Album“

Ein interessantes Beispiel für ein Musik-Video-Remix, das seit vielen Jahren im Internet kursiert, ist „The Grey Album“ aus dem Jahr 2004. Wie die meisten guten Remixes verwendet „The Grey Album“ geschickt mehrere Quellen und hat eine dementsprechend komplizierte Herkunftsgeschichte. Titel und Inhalt nehmen Bezug auf „The White Album“ der Beatles (1968) und „The Black Album“ des Hip-Hop-Musikers Jay-Z (2003) unter Verwendung von Beatles-Musik. Um Urheberrechtsfragen zum umgehen, brachte Jay-Z kurz darauf eine A-Cappella-Version herausbrachte, die aber regelrecht zum Sampeln einlud. Prompt veröffentlichte DJ Danger Mouse „The Grey Album“, das nur kurz auf dem Markt war, weil der Beatles-Rechteinhaber EMI rechtlich intervenierte. Die Kontroverse führte am 24. Februar 2004 zu einem weltweiten Protest, an dem sich mehr als 170 Websites durch illegales Posten von „The Grey Album“ 24 Stunden lang beteiligten. Der Tag ging als The Grey Tuesday in die Annalen der Internetgeschichte ein (siehe auch: www.greytuesday.org/.)

Anschließend tauchte ein Video mit dem Titel“The Grey Album“auf. Als anonym hergestelltes und verbreitetes Video ist es eines der ersten ‚viral videos’. Formal ist der Remix ein Musikclip, jedoch kein offizielles Music Promo, zumal es sowohl auf der Bild- wie auf der Tonebene verschiedene Quellen verwendet und miteinander kombiniert, für die jeweils keine Rechte eingeholt wurden.

Die Filmaufnahmen des durchgehend schwarz-weißen Videos stammen überwiegend aus dem Beatles-Film „A hard day’s night“. Sie werden von Showszenen aus Auftritten von Jay-Z und DJ Danger Mouse ergänzt. Der Soundtrack stammt sowohl von The Beatles als auch dem erwähnten A-Capella-Song von Jay-Z sowie Samplings von DJ Danger Mouse.

Der knapp dreiminütige Remix beginnt in Bild und Ton mit den Beatles und endet mit dem Auftritt von DJ Danger Mouse. In seinem Verlauf vollzieht das Video durch eine geschickte Montage und Computerbearbeitung diesen Wandel beinahe unmerklich als Bild- und Tonblende. Zu sehen sind wie Paul McCartney in einem Monitorbild plötzlich gegen Jay-Z ausgetauscht wird. Ringo Starr beginnt zum Sound von „Glass Onion“ zu trommeln, während John noch „Oh yeah!“ singt. Schließlich scheint Ringo zu Jay-Z’s Rap-Beat zu trommeln und John Lennon beginnt einen Breakdance. Paul und George werden von zwei Tänzerinnen abgelöst. Zum Schluss verschwindet auch DJ Ringo von der Bühne und der Blick wird frei für eine Videoprojektion mit den Initialen „R+P“, vermutlich die Abkürzung für den Künstlernamen der Londoner Musikvideomacher Ramon&Pedro.

Der Remix „The Grey Video“ ist heute noch im Netz und wird immer wieder auf Servern von Fans gespiegelt (hier eine Linkliste: http://waxy.org/2004/11/the_grey_video/).

 

„Imagine This“ – Populärmusik + Politik remixed

Auch das Remix-Video „Imagine This“ von John Gallagher (2006) nimmt Musik von The Beatles zum Ausgangspunkt, die selbst wiederum ein Audio-Sampling eines anderen Künstlers ist. Im Unterschied zu den meisten Remix-Videos, die nur im Internet zu sehen sind, fand es auch auf Festivals und im Kino Verbreitung.

Die Erfolgsgeschichte dieses Remix beginnt mit einem Audio-Sample des australischen Musikers Tom Compagnoni, der Anfang 2005 eine CD mit dem Titel „Mediacracy“ herausbrachte. Einer der Tracks dieser CD wurde weltweit bekannt: „Imagine This“. Für diesen Track hat Tom Compagnoni aus TV-Aufnahmen Reden von George W. Bush gesammelt, um sie Wort für Wort auseinander zu nehmen und nach dem kompletten Text des John Lennon Songs „Imagine“ zu kompilieren Entsprechend getuned und von (eigener) Musik begleitet, verwendet das Sampling die Originalstimme von George W. Bush, die im weiteren Verlauf mit Lennon’s „Give Peace a Chance“, sozusagen als Kommentar oder Chor, kontrastiert wird (ähnlich wie die Überblendungen in „The Grey Video“!).

Seine irrwitzige Sysiphos-Arbeit stellte Tom Compagnoni als MP3-Datei ins Netz. Bereits nach zwei Tagen wurde die Datei mehr als 1000mal heruntergeladen und bald darauf wurde sie weltweit von Radiostationen gespielt. Zuletzt schaffte es der Track unter anderem in so exotische Hitparaden wie die Top 40 in Lettland, aber auch in die, vom legendären John Peel gegründete, BBC-Hitparade von Radio 1! Die ganze Geschichte lässt sich auf der Website von Tom Compagnoni nachlesen: www.waxaudio.com.au

Im Februar 2006 veröffentliche dann der irische Videokünstler, DJ und Filmproduzent John Gallagher das Remix-Video zu Compagnoni’s „Imagine This“, für das er analog zu dessen Audio-Vorarbeit aus über 40 verschiedenen Filmquellen den gesampelten Soundtrack ‚bebilderte’. Wie der Audiotrack fand auch das Video „Imagine This“ in kürzester Zeit weltweite Verbreitung und wurde bald auf Videoplattformen wie YouTube unter den beliebtesten Videos gelistet. Im Oktober 2006 eröffnete der Film dann das Cork Film Festival, wo er mit einer lobenden Erwähnung und einer Nominierung zum Prix UIP ausgezeichnet wurde.

Obwohl „Imagine This“ auf den ersten Blick wie ein simples Agit-Prop-Video aussieht, unterscheidet es sich von Vorläufern, die Found-Footage-Material – etwa Reden von Politikern – meist nur in der Montage agitatorisch verdichteten oder simple Ersetzung der Tonspur konterkarierten. Viel mehr als an frühere Agit-Prop- und Found-Footage-Filme, erinnert „Imagine This“ an die Arbeiten von EBN. Allerdings sind Tempo und Montage weniger abstrakt-rhythmisch und stärker narrativ-filmisch gestaltet. Neu ist das beinahe lippensynchron an den Ton angelegte Bild.

Bemerkenswert im Falle von „Imagine This“ ist, dass Remixes selbst wieder Gegenstand von Weiterbearbeitungen werden, wobei die Möglichkeit im Internet digital auf das Material zugreifen zu können dabei eine globale Weitergabe beziehungsweise Verarbeitung zulässt, was tendenziell auch die bewusste und verabredete Zusammenarbeit an gemeinsamen, globalen Remixes nahe legt (wie im Beispiel MOD Film weiter unten).

 

Kino, Kultfilme, Remixes, DIY und kommerzielle Web 2.0 Verwertung

Ein zweiter Remixing-Entwicklungsstrang hat nicht in der audio-basierten VJ-Szene, sondern in der film-orientierten Kino-Fankultur ihren Ursprung. Auf den einschlägigen Videosharing-Websites gibt es unzählige Beispiele für Videos, die sich an einem Kult- oder Lieblingsfilm orientieren. Die Palette reicht von simplen Montagen von Szenen aus Originalfilmen über Nachinszenierungen als Animationsfilm bis zu zum Originalfilmton nachgestellten Spielfilmzenen. Gegenstand dieser Remixes sind meist populäre Kinofilme, das heißt in der Regel Boxoffice-Hits aus Hollywood. Zu einzelnen, besonders populären Filmen oder Serien, die einen Kultstatus erreicht haben, wie etwa die Star-Wars-Trilogie, gibt es sogar eigene Remix-Communities. Besonders beliebt sind auch Remixes, in denen die Helden des einen gegen Helden eines anderen Kultfilms antreten – wie zum Beispiel „Star Wars Kid vs. Teletubies“, „Star Wars: The One – Matrix“, „Vader vs. Shatner“ oder „Godzilla Versus Disco Lando“ (http://www.evanmather.com). Allein eine Stichwortsuche nach „Star Wars Video“ mit der Film-Suchmaschine blinkx liefert unglaubliche 480.000 Einträge!

Jenseits der echten Fan-Communities, die sich mehr oder weniger fantasievoll – oft aber völlig distanzlos – mit ihren Kultfilmen auseinandersetzen, hat auch die Filmindustrie längst erkannt, dass hieraus (Werbe-)Kapital geschlagen werden kann. Während die Branche anfangs noch die illegale Verwendung geißelte und sogar strafrechtlich verfolgte, gehen inzwischen auch Major Players – allen voran, die zum Time-Warner-Konzern gehörenden Studios – in die Gegenoffensive und bieten aktiv Filmausschnitte speziell zum Remix an. Dabei beschränken sie sich meistens auf die Bereitstellung von Trailern, was einerseits die kreativen Möglichkeiten der Remixer stark einschränkt, aber andererseits den Werbeeffekt für den betreffenden Film erhöht.

So haben zum Beispiel Paramount Pictures auf Veoh, zu dessen Anteilseigner Michael Eisner und Time Warner gehören, einen eigenen Channel eingerichtet, auf dem die Trailer der neuesten Paramount-Filme zum Download angeboten werden.

Zu dieser Marketingstrategie gehören auch Remix-Wettbewerbe wie der „Scanner Darkly Remix Contest“ des RES-Magazins in Kooperation mit Warner, die sich dabei noch ein kulturelles Mäntelchen umlegen ließen (»Hopefully this will be a catalyst in even bolder ideas of remixing movies, music and culture«).

Ein weiteres Beispiel ist der aktuelle „Disturbia Mashup Contest“ von Paramount. Beim Wettbewerb zu „Disturbia“ gibt es auf der betreffenden Veoh-Seite sogar einen Link auf eine Sonderseite der Mixer-Website Eyespot (siehe Teil 1 dieses Artikels), auf der man sofort eine Online-Bearbeitung des Trailers starten kann.

Noch einen Schritt weiter ging die Warner-Tochter New Line Cinema. Für ihre Produktionen „Snakes on a Plane“ und „Take the Lead“ hat das Studio sogar Remixes ihrer eigenen offiziellen Trailer bei Profis bestellt! Dabei begaben sie sich sozusagen in die Höhle des Löwen, denn beauftragt wurde Addictive TV – eine Londoner Produktions- und Künstlergruppe, die sich mit Media Mashes und Bootleg-Remixes einen Namen gemacht hat und von den Lesern des internationalen DJMag bereits zweimal als #1 VJs gewählt wurden.

Mit Addictive TV schließt sich wieder Kreis zur VJ-Szene und der eingangs erwähnten Gruppe Emergency Broadcast Network, deren Mitgründer Brian Kane jetzt mit Addictive TV zusammenarbeitet. Zugleich bildet Addictive TV eine Schnittstelle zur Kunstszene, wie Ausstellungen und Auftritte in renommierten Institutionen – wie etwa Centre Pompidou (Paris), Kabuki Theater (S.F.), Ageha (Tokyo) oder National Film Theatre (London), belegen.

Diese Vernetzung zwischen Kunst, der VJ- und Remix-Filmszene mit der kommerziellen Unterhaltungsindustrie begründet und beschreibt Addictive TV wie folgt:

»Today, AV artists are finding new avenues opening up, away from the alternative art and club worlds into more commercial arenas. Predictably there are a few misguided cries about selling out to the corporate beast, but we’d say that if experimental filmmaker Oskar Fischinger, that early genius of visual music, could work for Disney on Fantasia, then it’s OK for others to follow suit. With us, whether it’s art for art’s sake or commercial entertainment, we still make things the way we want. With our recent movie remix, used to promote New Line’s Antonio Bandaras vehicle Take The Lead, we were given total creative freedom–remixing five hours of rushes into a three minute AV track, a dream job as we’re really into work where what you see is what you hear and vice-versa.« (NY Arts Magazine 8/06)

URL des Viral-Video-Remix „Take the lead“: http://www.addictive.com/clipViewer.php?movie_url=videos/TAKE_THE_LEAD_ADDICTIVE_TV_REMIX.mp4

 

Kollaborative Filmprojekte

Abgesehen von den rudimentären Anfängen auf Websites mit Online-Schnitt-Software (siehe Teil 1 dieses Artikels), die im Wesentlichen auf passiven Angeboten beruhen, also lediglich die Videos der registrierten Mitglieder zur Weiterbearbeitung bereitstellen, gibt es bislang nur wenige organisierte kollaborative Remix-Projekte.

Ein sehr anspruchsvolles Re-Mixing-Projekt wird seit Jahren von der Australierin Michela Ledwidge (MOD Films, London) verfolgt. Seit den 90er Jahren arbeitete Ledwidge in Sydney als Webdesigner, Informatiker und Filmemacher. Mit ihrem interaktiven Kurzfilm „Horses for Courses“ gewann sie 2001 den Web3D Art Prize bei der SIGGRAPH. Selbst zwischen verschiedenen Bereichen arbeitend, sucht Ledwidge nach »einer künstlerischen Brücke zwischen Film und interaktiver Unterhaltung, die es ermöglicht Filmgeschichten wie mit einem Musikinstrument zu gestalten«. Vor dem Hintergrund einer sich drastisch ändernden Produktions-, Vertriebs- und Rezeptionsumgebung für Film und Kino verfolgt Ledwidge dabei sowohl ästhetische, technische als auch ökonomische Aspekte. Im Jahr 2004 gründete sie zu diesem Zweck in London die Produktionsfirma MOD Films (MOD wie „modification“). MOD Films konzipiert und realisiert ‚re-mixable films’ sowie die dazu gehörenden Software-Tools. Für das Vorhaben stellte das britische Innovationsförderprogramm NESTA eine finanzielle Unterstützung von Ł 125.000 zur Verfügung.

Als erstes realisierte MOD Film „The Sanctuary“ – ein Kurzspielfilm mit 3D-Animationselementen und einem Science-Fiction-Plot, der als Prequel für einen abendfüllenden Film konzipiert wurde. Zugleich ist „The Sanctuary“ aber auch ein – noch nicht abgeschlossenes – Pilotprojekt, in dem die Voraussetzungen für einen ‚re-mixable Film’ inhaltlich, rechtlich, organisatorisch und produktionstechnisch erarbeitet und getestet werden. So wurde parallel zu den Dreharbeiten an Software-Tools gearbeitet, die ein Re-Mixen des Films, aber auch die effiziente Online-Verwaltung einer solchen Produktion selbst und deren Distribution ermöglichen. Letzteres könnte auch für die Branche von Interesse sein und das Fundament für einen tragfähigen Geschäftsplan von MOD Film bilden. Als Schnittstelle zur Öffentlichkeit entstand außerdem ein Internetforum zum Thema.

Zum Anspruch von MOD Film gehört eine hohe Produktionsqualität und die Zusammenarbeit mit Profis aus der Filmbranche. Eine erste Hürde war diesbezüglich bereits bei den Dreharbeiten in Australien zu nehmen, denn die Behörden wollten keine Ausnahmegenehmigung für die, bei diesem Vorhaben immanent notwendige, Verletzung gewerkschaftlicher und urheberrechtlicher Auflagen, erteilen. MOD Films insistierte auf „Some Rights Reserved“ statt „All Rights Reserved“ und berief sich dabei auf Creative-Commons-Regelungen. Den Schauspielern wurde als Entschädigung eine Gage über Tarif angeboten. Im Jahr 2005 konnte schließlich eine erste, lineare Fassung als 35mm-Kurzfilm fertiggestellt und 2006 in Cannes der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Während MOD Film eine weitere, vorläufige Version erstellt, die Ledwidge live – mit Hilfe von Echtzeit-Programmen ähnlich den VJ-Tools – als Performance oder Installation auf Tour präsentiert, wird noch an dem eigentlichen Online-Projekt weitergearbeitet.

Die öffentliche, interaktive Version ist derzeit im Stadium der digitalen Postproduktion. MOD Film arbeitet dafür an einer Internet-Plattform mit einem geeigneten Application Programming Interface (API). Diese Version wird eine Struktur haben, wie sie bereits von einigen Online-Videospielen und virtuellen Umgebungen erprobt wurde. In den Worten von MOD Film ist es ein „massively multiplayer movie format“. MOD Film hofft dabei auf Partizipation von Professionellen, aber auch von erfahrenen, kreativen Amateuren.

Die große inhaltlich-konzeptionelle Herausforderung besteht letztlich darin, eine offene Struktur anzubieten, die dem Nutzer möglichst viele frei verknüpfbare Elemente anbietet ohne etwa Erzählpfade vorzudefinieren, die dann – wie frühere, gescheiterte interaktive Filmprojekte – nur ein Multiple Choice ermöglichen würden. Ledwidge vermutet, dass deshalb beim Re-Mixen von The Sanctuary weniger auf die narrativen Elemente und Plot-Strukturen als auf die eher abstrakten Elemente wie 3D-Modelle, Animationen oder Hintergründe zurückgegriffen werden. Das Ergebnis soll im Laufe dieses Jahres auf www.modfilms.net online gestellt werden.

 

Was ist die Zukunft des (Remix-)Films im Internet?

Es ist fraglich, ob und wie lange unter den gegenwärtigen kommerziellen Rahmenbedingungen echte Community-Aktivitäten und nicht-gewerbliche Video Blogs oder Video-Sharing-Websites überhaupt noch Bestand haben. Derzeit wandelt sich ‚user-generated-content’ rapide in (billige) virale Werbung, die dann auch noch dazu beiträgt, dass am Ende der Marketing-Spirale nur noch die ohnehin mit großen Werbeetats beworbenen Filme zirkulieren.

Gleichwohl ändert sich das Verhältnis zwischen Produktion und Zuschauer in eine Richtung, die dem Zuschauer mehr Kontrolle über die filmische Erfahrung überäßt als Fernsehen und Kino. Die internetbasierte Filmrezeption kann insofern auch nicht als eine Weiterentwicklung von Fernsehen und Kino verstanden werden, sondern ist eine Eigenentwicklung, die – neben den oben aufgezeigten Aspekten – viel mehr Parallelen zum Heimkino aufweist, in dem bereits der Videorecorder dem Konsumenten ein Stück Souveränität zurückgab – einschließlich der Möglichkeit der Unterbrechung, des Fast-Forward und der eigenen ‚Montage’ des Bildmaterials. Eine Erfahrung und eine Entwicklung, die mit DVD-Brennern und erst recht der Festplatte als Speichermedium noch verstärkt werden. Insofern stoßen auch Argumente aus der Kinoerfahrung ins Leere, nach denen der neuen Entwicklung kein Erfolg beschieden wird, weil die Bilder zu klein oder zu ruckelig seien.

Auch wird die Attraktivität der Partizipation in kollaborativen virtuellen Umgebungen unterschätzt. Warum sonst halten sich binnen kürzester Zeit Millionen von Menschen in Second Life auf, obwohl die Animationen und Grafiken nur krude Bauklötzchen-Qualität haben?

Ebenso unterschätzt wird die Attraktivität sich aus der Rolle eines passiven Konsumenten in die eines ‚Produzenten’ verwandeln zu können, und sei es nur bei der Demontage eines (teuren) Hollywood-Kinotrailers auf dem heimischen Desktop. Auch sollte man die Fan- und Do-it-yourself-Kultur nicht nur abschätzig beurteilen, da in ihrer Umwidmung zu eigenen Fiktionen ein Stück Rück-Aneignung privatisierten geistigen Eigentums zum Ausdruck kommt.

Ermutigend ist, dass es außer Amateurfilmen allerdings inzwischen eine ganze Reihe künstlerisch interessanter Re-Mix-Filme und Projekte im Internet gibt. Sicherlich wird diese Entwicklung auch auf die Ästhetik des Kurzfilms im Kino und auf Festivals Einfluss nehmen. Ob sie aber auch auf der Leinwand gezeigt werden (können), ist noch offen!

Weitere Links und Quellen:

MOD Film + Collaberative Remixability Projekte

MashUp + Remix-Listen

Remixing Quellen

Remixed Videos von VJs

Viral Videos + Fan Sites

VJing Resources

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