Vom Book Trailer zum Vook – über eine neue Kurzfilm-Nische

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Zu den vielen Nischen, die der Kurzfilm ausfüllt, ist eine weitere hinzugekommen. Die sogenannten Buchtrailer. Buchtrailer dienen dem Online-Marketing von Büchern. Sie sollen einen Eindruck vom Inhalt und der Stimmung eines Buches textlos kommunizieren. Sie sind eine Art visueller Klappentext und Buchcover in Einem. Die besten unter ihnen sind zugleich auch gute Kurzfilme.

Als der Begriff „book trailers“ vor einigen Jahren aufkam, gab es nur einen kurzlebigen Hype. Danach galten sie lange Zeit als zu teuer und die eher konservativen Buchverlegern hielten sie für überflüssig. Diese Haltung hat sich wegen der gewachsenen Bedeutung des Online-Vertriebs von Bücher inzwischen geändert. Seit der Einführung von E-Books und der steigenden Verbreitung von Tablet Computer und anderen multimedialen mobilen Displays gibt es weitere Gründe anzunehmen, dass Buchtrailer in Zukunft sogar noch weiter an Bedeutung gewinnen.

Der Funktion nach sind Buchtrailer schlicht Werbefilme. Jedoch entfalten sie sich zu einer eigenen kleinen Kunstform, ähnlich der Entwicklung bei den Musikvideos, die es zunächst nur gab, um Musik zu verkaufen.

Die Formenpalette der Buchtrailer ist breit. Sie beginnt bei Literaturfilmen, die oft nicht mehr sind als die Dokumentation einer Lesung oder das abgefilmte Interview mit einem Schriftsteller. Am anderen Ende der Skala stehen aufwändige Kurzspielfilme, die mit großem Budget produziert sind und manchmal wie Trailer für große Kinofilme aussehen. Das Feld dazwischen ist am Spannendsten – die Palette reicht von abstrakten typographischen Arbeiten mit dem Buchtext über lowbudget Animationen, die Plots und Textpassagen illustrieren bis zu visuellen Experimenten, die eine crossmediale Übertragung versuchen .

Der Zweck von Buchtrailern ist aus Sicht von Verlegern und Händlern das emotionale Überzeugung potentieller Kunden, die im Internet oder auf mobilen Displays ungern Klappentexte oder Rezensionen lesen. Mit einem kurzen Video zwischen 30 Sekunden bis 3 Minuten soll sich attraktiv Thema und Stimmung eines Buches vermitteln lassen. Im Bereich Belletristik könne ein Leser sich so schneller mit einer Romanfigur, die in einem Buchtrailer inszeniert wird, identifizieren. Dies ist aber zugleich das Problem der Booktrailer – zumindest jener, die nicht abstrakt arbeiten, sondern als eine Art ultrakurze Literaturverfilmung oder Pseudo-Filmtrailer daherkommen.

Anders als beim Filmtrailer oder Musikvideo gibt es zwischen Trailer und Buchtext keine direkte Verbindung und keine mediale Schnittmenge. Filmtrailer werden immerhin aus Ausschnitten des beworbenen Films gesampelt. Und beim Musikvideo ist die Beziehung noch enger, da die Tonspur immer authentisch ist. Inszenierte Buchtrailer hingegen produzieren ein Wahrnehmungserlebnis, das nie dem Leseerlebnis entsprechen kann. Im Gegenteil steht die akustische und visuelle Konkretisierung eines Lesestoffs dem Wesen des Lesegenuss entgegen. Denn zum Leseerlebnis gehört die individuelle Entfaltung einer eigenen Vorstellungswelt des Lesenden aus dem Text heraus, der diesbezüglich ein offenes Kunstwerk ist.

Doch es gibt nicht nur kommerzielle Motive den Medienwechsel zu wagen. Aus pädagogischen Motiven arbeiten einige amerikanische Universitäten an Buchtrailern als Leseförderung. Man hofft Nicht-Leser, die viel Zeit mit multimedialen Inhalten verbringen, mit Trailern für das Bücherlesen gewinnen zu können. So hat zum Beispiel die University of Dakota „Book Trailers – Movies for Literacy“ für verschiedene Altersgruppen ins Netz gestellt. Eine ähnliche Strategie verfolgt die University of Florida, die auf der Website „Digital Booktalk“ mehr als einhundert Book Trailer gepostet hat.

Obwohl laut einer Veröffentlichung des Börsenblatts, das vom deutschen Börsenverein des Buchhandels herausgegeben wird, eine Umfrage ergeben habe, dass die Buchtrailer verkaufsfördernd wirken, sind an der Wirksamkeit doch Zweifel anzumelden. Gleichwohl sind Buchtrailer aber im Internet, vermutlich auch unter Nichtlesern, populär und hat sich eine kleine Industrie um deren Herstellung und Verbreitung entwickelt.

Buchtrailer werden auf Videoplattformen zum Download angeboten oder kommen auf Verlagsseiten und Verkaufsplattformen zum Einsatz. Die noch immer überwiegend skeptischen Buchhändler versuchen die Verlage mit off-line Versionen zu erreichen. Ihnen werden Digital Signage Displays und Touchscreens für die Präsentation von Buchtrailern in den Ladenlokalen angeboten.

Einer der deutschen Marktführer auf diesem Gebiet, LitVideo, baut gerade eine Trailer-Datenbank auf, mit deren Hilfe Internetseiten, auch von Buchhändlern, automatisch beliefert werden können. Ein zentraler Videoserver kann die von Verlagen gelieferten Buchtrailer, per EAN-Produktcode referenziert, direkt in die jeweiligen Shopsysteme der Buchanbieter übertragen.

Inzwischen gibt es nicht nur Produzenten und Vertriebe, sondern auch schon Wettbewerbe und Festivals für Buchtrailer. In den USA und Canada wird zum Beispiel das Moving Stories Film Festival veranstaltet. Gründer ist die in Toronto ansässige Firma Bookshorts Inc., deren Filme übrigens auf einer eigenen WebTV-Plattform online stehen.

In Deutschland und Frankreich hat bis zum Jahr 2009 Bertelsmann Wettbewerbe für Buchtrailer veranstaltet, die sich insbesondere an Filmstudenten richteten. Die Seite ist inzwischen abgeschaltet, aber der YouTube-Kanal existiert noch.

Ein anderer Wettbewerb, die Moby Awards, wird vom Melville House Publishing (New York) ausgerichtet. Sympathisch ist bei diesem Wettbewerb, dass mit einer gewissen Selbstironie auch Preise für die nervigste Musik und für den besten Trailer, der am wenigsten geeignet erscheint Bücher zu verkaufen, ausgeschrieben sind.

Book Trailer lassen sich selbstverständlich auch über Suchmaschinen oder direkt bei YouTube oder Vimeo finden. Da die Produktion aber doch schon recht unüberschaubar ist, hier noch ein paar Tipps.

  • „No One Belongs Here More than You“ ist eine Kurzgeschichten-Sammlung von Miranda July, für die Lea Becker vom Central Saint Martins College of Art and Design London einen Book Trailer hergestellt hat.
  • ein gutes Beispiel für eine lowbudget Animation ist „Little Things“ , die Vance Reeser für einen kleinen Verlag, der Kurzgeschichten veröffentlicht (Electric Literature), gezeichnet hat
  • Comic-Freunden könnte „Be A Nose! – Art Spiegelman“ von Alex Pawlowski gefallen – drei Animationsfilme zum Roman „Tomas“ von James Palumbo (Ministry of Sound) entstanden nach Zeichnungen von Neal Murren
  • ein Beispiel für aufwändige Kurzspielfilme ist der Buchtrailer für den Mash-up-Roman „Sense and Sensibility and Sea Monsters“ von Seth Graham-Smith
  • Marc Thümmler, der 2009 mit „Radfahrer“ für den Deutschen Kurzfilmpreis nominiert war, wagte sich an Beaudelaire’s „Die Blumen des Bösen“
  • politisch aktuell und ein Beispiel für einen Booktrailer für ein Sachbuch ist der Trailer zu „Tweets from Tahrir“ von Nadia Idle und Alex Nunns
  • gleich eine ganze Liste der besten und schlechtesten Buchtrailer kann bei der Huffington Post finden.

Es wird spannend werden zu verfolgen, ob und wie sich das Format weiterentwickelt. Bereits jetzt wird an akustischen und visuellen Effekten, zum Beispiel beim virtuellen Umblättern von E-Books, gearbeitet. Die multimediale Ausstattung mobiler Displays, insbesondere von Tablets und E-Books-Lesegeräten, eröffnet aber noch viel mehr Möglichkeiten, um audiovisuell zu ergänzen.

Inzwischen sind die sogenannten Enhanced E-Books in aller Munde und der neueste Hype auf dem Buchmarkt. Es gibt zwar bereits eine griffige Bezeichnung – „Vook“ (Video + Book) – doch gesichtet wurden bislang noch nicht viele überzeugende Beispiele. Ob ein solches Hybrid-Medium Erfolg haben wird, bleibt also abzuwarten. Ebenso, ob Vooks mehr anbieten als bebilderte Yoga-Kurse und Kochrezepte. Zumindest eine Ausnahme gibt es schon: „Best of Times“, eine um Filme ergänzte Sammlung von Blog-Beiträgen bei der New York Times des Filmemachers und Malers Jeff Scher. Allerdings könnte den Vooks das gleiche Schicksal widerfahren, wie den mit Hypercard erstellten interaktiven CD-ROMs in den 90er Jahren, die bald verschwanden und heute nur noch abspielen kann, wer seine alten Rechner aufgehoben hat.