Neue Festivaltypen als Verwerter der Filmflut

Thema

Filmfestivals im Kinoalltag / Bild: Pixabay CC0 (bearbeitet)

In den ersten beiden Artikeln zum Thema Filmfestivals ging es um Abzock-, Pseudo-Festivals und einem neuen Festivaltyp in Innenstadt-Kinos . In diesem dritten Teil geht es um die Folgen dieser Entwicklung für die bestehende Film- und Festivallandschaft, die von einer Filmflut und Festivalschwemme gekennzeichnet ist. Daraus sind Schlussfolgerungen zu ziehen, die alle Beteiligten zu neuen Antworten herausfordern: Filme-, Festival- und KinomacherInnen und die Filmförderpolitik.

 

 

Festivalthemen in der aktuellen Diskussion

 

Das Thema Filmfestival ist gegenwärtig offenbar virulent. Es gab in den letzten Monaten auf fast allen Filmfestivals Diskussionen zum Thema – zuletzt in Berlin, Dresden, Frankfurt, Oberhausen, Hamburg und in München. Das Fachmagazin für die Filmwirtschaft Blickpunkt:Film veröffentlichte im Mai ein Sonderheft zum Thema Festivals. Akademische Publikationen oder Fachartikel zum Thema gibt es schon seit mindestens zehn Jahren, wie zum Beispiel auf der Plattform Filmfestivalresearch.org[1].

 

An Universitäten wird das Spezialgebiet ‚Festival Studies‘ als Fach etabliert. Im Fokus der Untersuchungen standen bisher große Events wie die Festivals in Cannes, Berlin oder Sundance – mit Themen, die den Kurzfilm nicht betreffen, weil sie für den abendfüllenden Film spezifisch sind. Insbesondere Untersuchungsergebnisse zu wirtschaftlichen Aspekten sind nicht auf den Kurzfilmsektor anwendbar. Ein weiterer aktueller Untersuchungsgegenstand, der eingeschränkt für Kurzfilmfestivals relevant ist, ist die zunehmende Spezialisierung von Festivals für Special-Interest-Themen und Zielgruppen. Das Phänomen der sogenannten Publikumsfestivals und die Schwemme der Pseudo-Festivals ist in der Forschung noch nicht angekommen.

 

 

Filmfestivals als neuer Verwertungs- und Verbreitungskanal

 

Filmfestivals nehmen zunehmend die Rolle eines alternativen Verbreitungskanals für Autorenfilme, Independent-Produktionen und künstlerische Filme ein. Dieser Aussage wird heute wohl fast jeder zustimmen. Manche FestivalmacherInnen äußern, dass sie diese neue Rolle nicht gesucht hätten – sie wäre ihnen aufgedrängt worden und sei letztlich von Defiziten der Kinostruktur verursacht. Begründet wird dies mit Hinweisen auf sinkende Kinozuschauerzahlen und Schließungen im Programmkino- und Arthouse-Segment.

 

So plausibel die Argumentationskette klingen mag, richtig ist sie deshalb nicht. Es lohnt sich genauer hinzuschauen. Ja, es stimmt, dass es kaum noch Programmkinos im klassischen Sinne[2], also Kinos mit häufigem Programmwechsel und einem festen Monatsprogramm, gibt. Doch das ist, sieht man von nicht-gewerblichen Kommunalen Kinos ab, schon lange der Fall. Sicherlich befinden sich auch die Nachfolger der 70er Jahre Programmkinos, die heutigen Arthouse-Kinos, die im Unterschied Filme nach Erfolg und Wochenendzahlen prolongieren[3], in wirtschaftlichen Nöten. Hierfür gibt es aber viele Gründe, von denen der wichtigste, nämlich die Zuwendung zu Online-Medien, nicht nur dem Kino, sondern allen Veranstaltern schadet.

Doch ja, auch das stimmt: Die Zuschauerzahlen für ‚anspruchsvolle‘ Filme gehen zurück. Das gilt aber auch für Filme, die auf Festivals gezeigt werden und dort erfolgreich waren. Kinos, die wirtschaftlich und gewinnorientiert arbeiten, bemerken dies natürlich und richten ihre Programmierung entsprechend aus.

 

Die meisten der aktuell hergestellten Filme kommen heute nur noch im Rahmen von Filmfestivals auf eine Kinoleinwand. Das ist für Produzenten von abendfüllenden Filmen eine neue Erfahrung, die wir im Kurzfilmsektor aber schon lange kennen. Es sind die sogenannten Festival-Filme, die im internationalen Festival-Circuit rotieren und danach nie mehr eine Leinwand sehen. Wenn es sich um Kinoproduktionen handelt, deren Herstellung, sagen wir, mehr als 1 Mio. Euro verschlungen hat, ist das bitter. Und, wenn es sich außerdem auch noch um einen guten Film handelt, dann ist es umso schlimmer!

 

 

In jeder Stadt und an jedem Tag ein Festival = Verfall alter Hegemonien

 

Noch vor zwanzig Jahren gab es Festivals, die eine Meinungsführerschaft innehielten. Sie errangen eine Marktmacht, die über die Filmkritik und die Öffentlichkeit hinaus weit in die Filmindustrie und Kinowirtschaft hineinreichte. Dies galt insbesondere für Cannes. Thomas Elsaesser nannte dies „under the rule of Cannes“ und sprach von einem „Gold Standard“, den das Festival für sich etablieren konnte. Weltweit hatten nur einige wenige Festivals die Definitionsmacht zu bestimmen, was ein guter Film ist. Folglich rissen sich Filmhändler und Verleihe um die Wettbewerbsfilme dieser fünf, sechs großen Festivals. Und damals waren die Gewinner einer Goldenen Palme nicht nur in den Medien, sondern auch an der Kinokasse erfolgreich. Heute jedoch gibt es kein Festival, das einen ‚Goldstandard‘ setzen könnte. Selbst Cannes-Preisträger finden inzwischen oft keinen Verleih außerhalb ihres Produktionslandes.

 

Den alten Hegemonien möchte ich nicht nachtrauern. Doch, wenn in diesem Zusammenhang schon von einer Krise gesprochen wird, dann sollte sie nicht auf eine Krise des Kinos reduziert werden – vielmehr von einer Krise des Systems Filmkunst (Cinéma d’art) insgesamt gesprochen werden. Und das umfasst eben nicht nur das Abspiel, sondern auch den Vertrieb, die Produktion, die Festivals, die Kritik und die Filmförderung.

 

 

Festivalfilme und Kinofestivals – ein neues Ökosystem[4]

 

Neben dem Verfall der Hegemonien lässt sich das Zusammenbrechen der einst erfolgreichen Zirkulation von Filmen von Festivals über die Transmissionsriemen der Filmkritik und der Medien in die Verleihe und die Kinos zum Publikum konstatieren.

Eine wichtige Ursache hierfür ist die Menge der jährlich produzierten Filme und die Zahl der Filmfestivals, die beide in den letzten Jahren exponentiell gestiegen sind.

 

Da Festivals in der Konkurrenz um renommierte Premieren die öffentliche Aufmerksamkeit immer weiter mit anderen teilen müssen, kann kein einzelnes Festival so richtungsweisend in die Branche wirken, wie das früher der Fall war. Und aus der Addition der örtlich eng nebeneinander und zeitlich dicht aufeinanderfolgenden Festivals erwächst kein nachhaltiger Einfluss auf den Filmhandel, die Medien, den Kinomarkt und Kinobesucher, wie dies einzelne Festivals mit ihrer geballten Definitionsmacht früher noch – für eine überschaubare Zahl an Filmen – vermochten.

 

An dieser Stelle muss auch über Qualität gesprochen werden. Zu viele Festivals versuchen, in dem Spiel um Aufmerksamkeit und Exklusivität mitzuhalten und wählen Filme nicht nach ihrer ästhetischen Qualität, sondern opportun nach Premierenstatus oder bekannten Namen aus. Dies trägt dazu bei, den Festivalfilm als Genre zu begründen, den Pool solcher Filme zu vergrößern und qualitativ negativ zu prägen.

 

Die Folgen sind auf der symbolischen Ebene augenfällig. Die Unzahl an Auszeichnungen, die sich Hunderte von Filmen jedes Jahr auf Festivals verdienen (oder auf Pseudo-Festivals erkaufen), führt zu einer Entwertung. Die auf Filmplakaten, Flyern oder in Trailern abgebildeten Lorbeeren werden nicht mehr als Indikator für Qualität gelesen und locken kaum noch Zuschauer ins Kino.

 

 

Die Festivalflut nimmt Kinos den Wind aus den Segeln

 

Es gibt einen kausalen Zusammenhang zwischen der Festivalschwemme und dem Einbruch der Zuschauerzahlen für Independent-Produktionen und künstlerischen Autorenfilmen im Kino: Wenn in jeder Stadt ein Festival, so klein und unbedeutend es im größeren Branchenkontext sein möge, ein Dutzend neuer Filme zeigt, sind diese für die lokalen Kinos in der Regel ‚verbrannt‘. Kein Kinobetreiber will das Risiko eingehen, einen Filmtitel nach einer Festivalteilnahme in der gleichen Stadt im Nachspiel zu disponieren. Die meisten Filmhändler und zunehmend auch Verleiher sehen das übrigens genauso und meiden deshalb die Teilnahme an sogenannten Publikumsfestivals. In diesem Kontext wird der Begriff Publikum unter Sales Agents sogar negativ konnotiert, wie Mark Peranson[5] bemerkte.

 

Der Kurzfilmsektor kennt mangels Markt kaum Sales Agents, die in der klassischen Verwertungskette als ‚middle man‘ von Erlösen im Abspiel profitieren. Trotzdem gibt es Mittelsmänner. Hier wurden sie durch Agentur-Plattformen ersetzt, die sich ihre Erlöse nicht aus dem Markt, sondern von den FilmemacherInnen holen.

 

Obwohl die Konfliktlinien anders verlaufen, gibt es beim Kurzfilm vergleichbare Kampfzonen zum Spielfilmmarkt. Etwa, wenn große Open-Air-Events in einer einzigen Vorstellung Tausende von Zuschauern in einer Stadt haben, aber keine oder nur die kinoübliche Leihmiete zahlen. Ähnlich problematisch sind einzelne Kurzfilm-Events und Mini-Festivals, wenn sie nichts zum Audience Building für Kinos beitragen und qualitätssenkend auf das Rezeptionsniveau wirken, falls ihre Programme nur den Bedarf an oberflächlicher, belangloser Unterhaltung bedienen.

 

Auch dann, wenn Qualität gezeigt wird, können Festivals für Programmkinos und kulturelle Kinos nachteilig wirken, insofern sie nicht nur Publikum, sondern auch jene Filme absaugen, die im regulären Kinoprogramm eine Chance auf mehr als nur zwei Wettbewerbsvorstellungen eines Festivals gehabt hätten.

 

 

Festivals und Kinos – zwischen übergriffiger Umarmung und Kooperation

 

Nach einer Studie[6] aus Österreich finden dort 60 % aller Filmfestivals ausschließlich in Kinosälen, die anderen 40 % der Festivals finden teilweise aber nicht ausschließlich im Kino statt. Daraus leiten die Verfasser die These ab, dass Filmfestivals einen Beitrag zum Erhalt von Kinos leisten. Nämlich, weil Festivals die administrative Arbeit der Programmierung und der Bewerbung des Programms leisten, für eine bessere Auslastung durch höhere Zuschauerzahlen sorgen und neue Publikumsschichten erschließen. Ersteres ist sicherlich nur bei größeren, seriösen Festivals richtig und Letzteres nicht belegt.

 

Ich will nicht abstreiten, dass das Tauziehen zwischen Kinos und Festivals um Filme und Zuschauer auch zu Win-Win-Situationen führen kann, doch über die Form der Kooperationen müsste nachgedacht und dringend daran gearbeitet werden, damit sie nicht einseitig zulasten ganzjährig geöffneter kultureller Kinos geht und im Fall von Abzock- und Pseudo-Festivals nicht die ProduzentInnen und RegisseurInnen ‚die Zeche zahlen‘ lassen.

 

Große gewerbliche Kinos können sich Festivals über längere Perioden meist nicht leisten, da sie damit die Geschäftsbeziehungen mit den großen Verleihen verderben, die auf den Einsatz ihrer gesamten Blockbuster-Staffel pochen. Interessanterweise gibt es aber auch hier Bewegung, wenn zum Beispiel Kinoketten eigene Filmfestivals gründen, wie in Deutschland die Fünf Seen Filmfestival GmbH eines regionalen Kinounternehmers.

 

Ökonomisch sinnvoll ist dies bei Unternehmen, die vertikal strukturiert sind. In Australien veranstaltet eine Kinokette, Palace Cinemas, die einen eigenen Verleih betreibt, ganzjährig Dutzende von Festivals an verschiedenen Standorten im Land. Die Festivals sind, wie bei uns die neuen Festivaltypen, themenbezogen: French, German, Scandinavian, Human Rights and Arts, Young at Heart, Football, Turkish, American Essentials and Great British Film Festivals. Diese ‚exhibitor-driven festivals‘ machen inzwischen den nichtgewerblichen ‚curator-driven festivals‘ den Rang streitig, wie Lauren Carroll Harris in einer Studie[7] schrieb. Außerdem ist bemerkenswert, wie die Zunahme der Festivals mit der Schließung von Independent-Kinos korreliert. Zu Recht fragt Harris an anderer Stelle[8]: »Warum fördern wir (australische) Filme, aber nicht die Kinos, um sie zu zeigen«.

 

Und in der Tat, eine weitere Kampfzone ist die Konkurrenz um öffentliche Förderungen. Es ist einfacher, von den Städten und Ländern in Deutschland Mittel für ein ‚Festival‘ zu erhalten, als für kontinuierliche Filmkulturarbeit (Stichwort Eventisierung der Kulturpolitik). Ohne angemessene Förderung von Institutionen und Kinos, die nachhaltig zeitgenössische Filmkunst und das kulturelle Erbe pflegen, bricht aber die Basis für eine breite öffentliche Filmkultur und die Vermittlung filmästhetischer Werte flächendeckend, übrigens auch für Festivals, zusammen.

 

Auch möchte ich hinterfragen, ob diese Festivals zukünftig noch das Versprechen halten können, ein Publikum für anspruchsvolle Filme zu generieren. Viele, besonders jüngere BesucherInnen, nehmen lokale und regionale Festivalevents eher als Gelegenheit zum einmaligen ‚film binging‘ wahr. Eine nachhaltige (kulturelle) Bindung sieht anders aus!

 

 

… aber irgendwo muss das Zeug ja hin!

 

Der neue Festivaltyp als ein- bis dreitägiges Kurzfilmprogramm in Großstadtkinos floriert nur deshalb, weil so viele Filme entstehen, die (um jeden Preis) gezeigt werden wollen. Der Drang, Aufmerksamkeit zu erreichen, ist so groß, dass FilmemacherInnen bereit sind, für einen kurzen Auftritt auf Festivals, die den Namen nicht verdienen, Geld auf den Tisch zu legen. Allein für die Chance ausgewählt zu werden, sind KurzfilmemacherInnen bereit, Einreichgebühren von mehreren Hundert Euro pro Jahr zu zahlen[9]. Wenn es klappt, verursacht die Teilnahme oft noch weitere Kosten, denn solche Events unterstützen die FilmemacherInnen meist nicht und lassen sich im Extremfall sogar die Trophäen bezahlen. In der Verlagsbranche gibt es hierfür einen Fachausdruck: Vanity Publishing!

 

Die schiere Menge an neuen Kurzfilmproduktionen (weltweit 10.000?), die jährlich auf Festivals drängen, kann von ‚richtigen Festivals‘, die sich Qualitätsstandards und den Luxus von Sichtungskomitees leisten, nicht mehr vernünftig bewältigt werden und bürdet diesen nicht nur höhere Personalaufwände, sondern auch Investitionen in IT-Strukturen auf.

 

 

Auftritt Staubsauger – der zweite Markt

 

Nutznießer der Festivalschwemme sind gewerbliche Einreichplattformen und neuerdings Festivalagenturen, die als Mittelmänner zwischen Einreichplattformen und FilmemacherInnen einerseits und Veranstaltern andererseits auftreten. Im Unterschied zu fast allen anderen Akteuren im Kurzfilmsektor verdienen diese Unternehmen Geld. So entstand im Kurzfilmsektor ein zweiter Markt ohne die Existenz eines entwickelten ersten Marktes, der üblicherweise die Produktion und das Werk finanziert.

 

Agenturen nehmen dabei eine ähnliche Rolle ein, wie in der Zirkulation von abendfüllenden Produktionen die Sales Agents, deren wachsender Einfluss auf die Programme von Filmfestivals äußerst kritisch betrachtet wird[10]. Im Kurzfilmsektor lassen diese Mittelsmänner ihre Dienstleistungen von den FilmemacherInnen bezahlen – unter der Hand hört man, dass manche Agenturen sogar Erfolgsprovisionen von Preisgeldern abziehen. Diese Agenturen werden zunehmend in ihrer Auswahl ‚picky‘. Populäre Kurzfilme, die bereits Erfolge wie Festivalteilnahmen und Auszeichnungen im ersten Markt aufweisen können, nehmen sie auf wie Staubsauger, andere bleiben hingegen – gegen Gebühr versteht sich – liegen.

 

Der zweite Markt erlaubt es, Veranstaltern von Publikumsfestivals ihr Programm aus Agentur-Portfolios zu bestücken, und sich gleichzeitig ihre Veranstaltung, und das finde ich besonders perfide, aus Gebühren von Einreichern zu finanzieren, deren Filme sie vermutlich gar nicht sichten.

 

Eine weitere Folge: Ähnlich wie im Spielfilmmarkt sind Interessenskonflikte mit Verleihern und Vertrieben vorprogrammiert, die im kaum entwickelten ersten Markt für Kurzfilm beinahe noch als Einzige dafür sorgen, dass RegisseurInnen und ProduzentInnen wenigstens ein bescheidenes Entgelt für ihre Leistung erhalten.

 

 

Platform ESC

 

Gewerbliche Plattformen ziehen Geschäftsmodelle auf, die auf Formen der Monetarisierung zurückgreifen, wie sie für seriöse, kulturell orientierte Festivals nicht mehr akzeptabel oder schlicht unbrauchbar sind. Dazu zählen beispielweise Portale, die sowohl Einreichplattform, Festivalagentur und Festivalveranstalter oder VoD-Anbieter zugleich sind oder Plattformen, an deren Angebot technische Dienstleistungen, wie die DCP-Herstellung[11], angedockt sind. Ebenso kritisch sind Firmen zu betrachten,, die einen Full Service für die Abwicklung von „One-off-Screenings“[12] anbieten oder gar solche, die nur vordergründig der Distribution dienen, tatsächlich aber lediglich an Nutzerdaten interessiert sind.

 

Wenn solche Plattformen zweifelhafte Geschäftspraktiken (Datenhandel, Querfinanzierung durch Werbung) ausüben, könnte dies ein ‚Platform Escape‘[13] verursachen, wie es aktuell Social-Media-Creators und Blogger diskutieren. Dies hätte allerdings den positiven Nebeneffekt, dass schon an der Wahl der Plattform erkennbar ist, welches Festival seriös ist, und welches nicht. Auch bezüglich der Filmqualität könnte sich die Spreu vom Weizen trennen.

 

Viele größere Kurzfilmfestivals haben bereits von Einreichplattformen Abstand genommen, teilweise aufgrund schlechter Erfahrungen mit der Handhabbarkeit, teilweise aber auch, um die Einreichflut einzudämmen und Einreichungen besser auf ihre programmatischen Bedürfnisse hin kanalisieren zu können. Ich nehme an, dass nach und nach weitere, seriöse Kurzfilmfestivals nachziehen werden, und sich von den gewerblichen Plattformen zurückziehen.

 

 

Was tun?

 

Zunächst wäre es wichtig, Analysen und Forschungen zu ermöglichen und voranzutreiben. Hierfür fehlen belastbare Zahlen über Kinobesuche im Rahmen von Filmfestivals und ihre Rolle in der Medienlandschaft[14]. Marktforschungsinstitute, Behörden und Verwaltungen sollten deshalb, wie beim Kinobesuch und anderen Mediennutzungen, Daten über Filmfestivals erheben.

 

Gute Filme, die auf internationalen Festivals ihr Publikum suchen, wird es weiterhin geben. Ebenso ZuschauerInnen, die Filme gemeinsam im Kino auf einer Leinwand und nicht ‚alone together‘ sehen wollen. Wichtig ist, dass FilmemacherInnen und ZuschauerInnen dabei von Filmfestivals unterstützt werden, indem sie eine soziale Struktur für sinnvolle Begegnungen und Diskurse anbieten. Hierfür benötigen die Veranstalter Kompetenzen, die weit über das Programmmachen hinausgehen, und erlernt wie gepflegt werden müssen.

 

Da der Begriff Filmfestival bereits stark verwässert ist, sollten Anstrengungen unternommen werden, ihn wieder mit Qualitätsmerkmalen auszustatten. Hierzu müssten sich ähnlich konzipierte Festivals verbünden, und soziale und kulturelle Werte als Alleinstellungsmerkmale herausstellen, um sich gemeinsam von Pseudo-Festivals abzugrenzen.

 

Wichtig wäre eine stärkere Einbindung von FilmemacherInnen in Festivalstrukturen. Festivalpolitisch ist das kein leichtes Unterfangen, da sie im Kurzfilmsektor leider nicht organisiert, also nicht auf einer Verbandsebene, angesprochen werden können. Mit Partizipationsangeboten, die über die Festivalperiode hinausgehen, könnten FilmemacherInnen eingebunden werden. Hierzu könnten auch Dienstleistungen für FilmemacherInnen, die bislang nur von gewerblichen Unternehmen angeboten werden, gehören, die von mehreren Festivals gemeinsam organisiert werden (z.B. eine Portfolio-Plattform oder eine Filmdatenbank).

 

Auch die Beziehungen zu Festivalkinos sollten neu aufgestellt und anders konzipiert werden. Statt einer kurzen, jährlichen ‚Invasion‘ könnten kontinuierliche Arbeitszusammenhänge mit Kinos gebildet werden. Die Kooperationen sollten so gestaltet werden, dass sie über geschäftliche Aspekte hinaus für beide Seiten auch von einem ideellen Vorteil sind, der positiv in die Öffentlichkeit wirkt. Audience Building über den Festivaltag hinaus wäre so ein wichtiges Ziel, über das sich Festivals wie Kinos gut verständigen könnten. Beide könnten so gemeinsam ihre kulturellen Alleinstellungsmerkmale besser in die Öffentlichkeit tragen als bisher.

Kinos sollten nur an seriöse Festivalveranstalter vermieten. Es sollte zu ihrer Sorgfaltspflicht gehören, vor Vertragsabschluss zu prüfen, dass die Geschäftspraktiken ihrer Partner ethisch vertretbar und seriös sind (wie und woran man Abzock-Festivals erkennt, habe ich in Teil 1 und 2 der Artikelreihe dargestellt). Auch Sponsoren und Förderer sollten dies tun, damit keine Veranstaltung, die sich Filmfestival nennt, aber diese Bezeichnung nicht seriös verdient, unwissentlich unterstützt wird.

 

Die Kultur- und Wirtschaftspolitik muss für Qualitätsfragen sensibilisiert und besser über die aktuellen strukturellen Veränderungen im Film- und Festivalsektor informiert werden. Die Bedeutung einer nachhaltigen Filmkulturarbeit – im Unterschied zu Red-Carpet- und Schein-Events – sollte besser anerkannt werden. Dazu gehört auch eine stärkere Förderung lokaler, kultureller Kinos. So wie im Bereich der Kunst Galerien und Museen gefördert, für Musik und Theater Opernhäuser und Konzerthallen gebaut werden, ist auch im Filmbereich eine Förderung von Räumen und Institutionen notwendig, um Film als Kunst zugänglich zu machen.

 

Die neuen technischen Möglichkeiten der Vernetzung und der vertikalen Integration von Filmherstellung, Verbreitung bis zum Filmabspiel auf Festivals und in Kinos darf nicht dem Modell kommerzieller Start-ups überlassen werden. Auch für die Verwaltung von Festivals gibt es Alternativen, die eine bessere Integration der Einreichprozesse in Sichtungsverfahren bis zur Verwaltung aller Bereiche eines Festivals ermöglichen.

Im Sinne eines ‚Public Open Space‘ wären dafür öffentliche Online-Plattformen erforderlich: Platform Cooperativism[15] wie genossenschaftliche oder öffentlich-rechtliche Formen als Modell – als Ergänzung zur zurzeit alles beherrschenden Plattform-Ökonomie, die das Soziale und Kulturelle zum Produkt macht.

 

So wie der Begriff Filmfestival ungeschützt ist, ist es auch der des Filmschaffenden. Wer das Filmemachen als Hobby versteht, soll natürlich zur Befriedigung seiner Eitelkeit Festivalteilnahmen selbst bezahlen dürfen. Alle anderen sollten aber kritischer und bewusster entscheiden, welchen Akteuren sie vertrauen und wem sie ihre Werke und ihr Geld anvertrauen.

 

 

 

[1] Film Festival Research 1-1-film-festival-studies

[2] oft mit Themenprogrammen, die in einem gedruckten Programmheft veröffentlicht wurden

[3] prolongieren (ökon.) ein Termingeschäft verlängern, Fachausdruck der Kinobranche für die Verlängerung eines Filmeinsatzes, um eine weitere Kinowoche

[4] siehe hierzu auch: „Filmfestivals als neue Player auf dem Markt“, Tanja Krainhöfer: Blickpunkt:Film, August 2018

[5] »In this economy, the term ‘audience’ only matters to a sales agent as a negative: meaning, the more people have seen the film in a territory, the less they can charge to a potential distributor. (Some distributors also have this policy – the alternative argument when it comes to distributors has to do with festivals generating good word of mouth)«, Mark Peranson: First you get the power, then you get the money: Two models of film festivals; Cineaste 33, S. 31., Juni 2008

[6] URL: http://film-festivals.at/media/presse/Filmfestivalreport_Oesterrei.pdf

[7] Lauren Carroll Harris (2017), Theorising film festivals as distributors and investigating the post-festival distribution of Australian films, Studies in Australasian Cinema, 11:2, 46-58.

[8] URL: www.theguardian.com/film/2016/mar/22/why-do-we-fund-australian-films-but-not-the-arthouse-cinemas-to-screen-them-in

[9] Short-of-the-Week machte eine Umfrage unter Filmemachern und fand heraus, dass die Befragten durchschnittlich $1537 für Einreichgebühren ausgeben, Andrew Allen (Juli 2018)

[10] siehe Peranson (oben 5)

[11] zum Beispiel World Film Presentation 

[12] zu diesem Thema siehe auch: https://www.tribecafilm.com/stories/racking-focus-one-off-screenings-movie-theaters

[13] in Anlehnung an „Platform Escape“ von Bertram Gugel, Vortrag auf der re:publica 2018 https://www.gugelproductions.de/blog/2017/platform-escape.html

[14] Darauf weist Tanja Krainhöfer in hin; Krainhöfer, Tanja (2017): Der deutsche Filmfestivalmarkt 2016. Eine quantitative Studie der deutschen Filmfestivals

[15] „Platform Cooperativism vs. the Sharing Economy“, Trebor Scholz, New School professor, NYC., Dec 5, 2014

siehe auch Artikel 1: https://www.shortfilm.de/lorbeeren-fuer-kohle-in-einer-bluehenden-festivallandschaft-mit-kurzfilmen-geld-verdienen/

Artikel 2: https://www.shortfilm.de/filmfestivals-im-kinoprogramm-grosser-staedte-ein-neues-globales-geschaeftsmodell/

 

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