Streaming Video – Die Reformatierung von Film- und Videokunst im Netz

Streaming-Video-Techniken werden für Filmemacher und Videokünstler immer wichtiger und nützlicher. Technische Verbesserung und Weiterentwicklungen wie Cloud Computing, größere Datenspeicher und bessere Codecs für hochauflösende Wiedergabe erweitern die Verbreitungsmöglichkeiten bewegter Bilder. Gleichzeitig verändern sie die ökonomischen Bedingungen unter denen Filme verbreitet und gehandelt werden können. Nicht zuletzt aber beeinflussen und verändern sie die Rezeptionssituationen für Filme und das Nutzungsverhalten ihrer Zuschauer. Die Veränderungen geschehen eher schleichend und graduell als revolutionär und in großen Sprüngen. Dennoch sind die Veränderungen gravierend und folgenreich. Sie reformatieren, im doppelten Wortsinne, auch die Rezeption von Filmen.

 

Filmlager in der Wolke

Zu den vielen Buzzwords rund um das Internet ist mit der „šcloud‘ ein weiteres hinzu gekommen. Wie bei vielen aktuellen Entwicklungen im Internet, ist auch hieran nichts revolutionär neu. Das Auslagern von Daten gibt es schon so lange, wie es das Internet und Server, auf denen die Daten bereitgestellt werden, gibt. Die neue Dimension liegt eher in der Größe der verfügbaren Server, den sinkenden Preisen für Massenspeicher und in der Beschleunigung der Netzwerkverbindungen, die den Transport großer Datenmengen, wie sie bei Bewegtbildern anfallen, ermöglichen. Wobei letzteres, also die Bandbreite und Geschwindigkeit der Netze das Nadelöhr bilden und das gegenwärtig größte Hindernis für die Online-Verbreitung von Bewegtbildern hoher Qualität darstellen.

Die einfachste Nutzung des Cloud Computing ist die Auslagerung digitaler Filme als Files auf großen Netzwerkspeichern. Von solchen Depots können Filme per Freigabe und durch die Übermittlung von Links individuell zur Verfügung gestellt werden – zum Beispiel, um eine Ansichtskopie an Interessenten weiterzuleiten oder nach Abschluss eines Verkaufs das Werk zu liefern. Vorteil dieses Verbreitungsweges ist ein hoher Grad an Kontrolle und zwar nicht nur bezüglich der rechtmäßigen Nutzung, sondern auch bezüglich der technischen Qualität. Anders als beim Online-Streaming gibt es, wenn man Zeit hat, keine Mindestanforderungen an Bandbreite und Geschwindigkeit. Digitale Filme können sogar als Original oder Master gespeichert werden, während Streaming Videos immer einen Komprimierungsprozess durchlaufen müssen.

 

Streaming-Video – stetige Verbesserung der Wiedergabequalität

Der wesentliche Unterschied von Streaming Video gegenüber der reinen Speicherung von Filmdateien besteht in der Notwendigkeit eines besonderen Interfaces, das ein Abspiel und die Betrachtung auf einem Bildschirm oder die Wiedergabe auf einer anderen Hardware ermöglicht. Gerade diesbezüglich hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan. Bereits vor Jahren war es möglich via Internet Filme an fast jeden Ort der Welt zu liefern und ein weltweites Publikum zu erreichen. Die Qualität von eingebetteten Quicktime-Movies oder von Flash-Filmen der ersten Generation war jedoch so dürftig, dass man allenfalls von einem billigen Abklatsch der Originalfilme sprechen konnte. Selbst als Trailer und Teaser zu Promotionszwecken waren sie eher kontraproduktiv – insbesondere für visuell komplexe, künstlerische Arbeiten. Die technischen Limits bewirkten, dass vorübergehend Genre und Filmformen entwickelt wurden, die spielerisch mit den begrenzten Möglichkeiten umgingen oder mit den Einschränkungen gut zurecht kamen, wie etwa soap-ähnliche Webisodes oder grobflächige Animationen. Solche reduziert formatierten Filme bilden heute noch die Mehrheit auf Videosharing-Plattformen.

Inzwischen bieten aber sogar Videosharing-Plattformen, die sich ja vor allem an Amateure richten, schon High Definition-Qualität an. Eine Auflösung von 720p ist bei Plattformen wie YouTube längst Standard. Seit einigen Jahren ist dort und natürlich auf exklusiveren Plattformen sogar Full-HD möglich. Als letzte hat Anfang dieses Jahres Apple nachgezogen und auch das Angebot auf iTunes auf 1080p erweitert.
Eine Auflösung von 1080p für Streaming Videos ist – einmal abgesehen von der viel niedrigeren Bitrate – schon fast die Abspielqualität von BluRay-Disks. Also eine Qualität, die durchaus auf kleineren Kinoleinwänden als Wiedergabeformat akzeptabel ist. Insofern wird das gewichtige Argument der Qualität gegen eine Online-Verbreitung von Bewegtbildern schrittweise entkräftet. Dennoch sind insbesondere Filmemacher aus dem Kunstsektor weiterhin sehr zurückhaltend ihre Arbeiten online zu stellen.

 

Das Establishment hält sich zurück

Obwohl alle großen Museen zeitgenössischer Kunst inzwischen ihre Sammlungen und Ausstellungen online dokumentieren oder virtuelle Rundgänge anbieten, finden sich im Internet so gut wie keine Arbeiten von arrivierten Videokünstlern. Im Unterschied zu Abbildungen von Gemälden und Skulpturen oder Mitschnitten von Performances, liegt das Problem natürlich daran, dass bei Videokunst das Werk als Medium genau dasselbe ist, das die Kunsthändler und natürlich auch die Künstler verkaufen wollen. Zumindest, insofern es sich nicht um Installationen handelt oder um Single-Channel-Arbeiten, die eine große Leinwand erfordern, wäre die gestreamte digitale Kopie zwar dem Original nicht identisch, aber immerhin – so wird befürchtet – zu ähnlich, um letzteres noch verkaufen zu können.

Kurioserweise findet man auf seriösen Seiten im Internet zwar so gut wie keine autorisierten Arbeiten von Videokünstlern wie Gary Hill, Bill Viola, Gillian Wearing, Jane und Louise Wilson oder Steve McQueen, während es auf YouTube aber dann doch fast alle Arbeiten gibt – jedoch „šillegal‘ in Ausstellungen abgefilmt und das leider oft nur mit einer Handykamera!

Eine große Ausnahme bildet lediglich die Plattform Ubuweb, die ein großes Repertoire an Videokunst bekannter Künstler in oft hervorragender Qualität und ohne Kopierschutz für jedermann zugänglich anbietet. Dies ist aber ein Einzelfall und ein ganz besonderes Phänomen. Es handelt sich ja streng genommen um Raubkopien. Die Veröffentlichung ist nur möglich, wenn und weil die betreffenden Urheber, die sich vielleicht sogar geehrt fühlen Teil dieser Sammlung zu sein, keinen Widerspruch einlegen.

In einem Artikel zum Thema Online-Verbreitung von Videokunst in The Guardian machte Jemima Rellie (The Tate) neben den Händlern, auch die Kuratoren für die Knappheit von Videokunst im Internet verantwortlich. Sie äußerte den Verdacht, dass sich Kuratoren sperren und ihren Einfluss gegen die Online-Verbreitung geltend machen, weil sie Angst hätten ihr (Live-)Publikum zu verlieren. Viele Kuratoren befürchten auch, dass ein Online-Publikum nicht die Geduld aufbringt und sich durch Online-Ausstellungen zappen würde.

Auch aus Sicht von Kuratoren könnten sich jetzt aber die Parameter verändern. Immer mehr Kuratoren entdecken das Internet als Arbeitsplattform. Der Hype um die Kuratorentätigkeit führt natürlich auch dazu, dass sich selbsternannte Webkuratoren in den Vordergrund spielen (s.a. Artikel). Aber es sind nicht immer berufsunerfahrene oder arbeitslose Kuratoren, wie man vermuten könnte, die das online Kuratieren entdecken. Ein gutes Beispiel ist die Website tank.tv. Die vom gleichnamigen Lifestyle Magazin gegründete Plattform versteht sich als Online-Museum und bietet seit 2003 regelmäßig kuratierte Videokunstausstellungen an. Hierfür konnte tank.tv so namhafte Kuratoren und Künstler wie Ken Jacobs, Pipilotti Rist, Vito Acconci, Kutlug Ataman, Guy Maddin, LUX, John Smith, John Latham, Stuart Comer, Mark Webber und Sophie Fiennes gewinnen. Sogar Hans Ulrich Obrist und Philippe Parreno, deren ausgeprägt „site specific“ orientierte Ausstellung in der Serpentine Gallery wir in einer früheren Ausgabe würdigten, ließen sich darauf ein!

Es gibt zwar eine ganze Reihe virtueller Galerien – prominente und weniger prominente von Saatchi bis zu Websites lokaler Künstlergemeinschaften, doch meist ist es der Nachwuchs, der sich so präsentieren lässt. Viel häufiger sind eigene Websites von Filmemachern oder Künstlern, die sich im Internet selbst promoten, indem sie ihre Portfolios dokumentieren und Trailer ihrer Arbeiten online vorstellen. Auch dort ist es eher der Nachwuchs, der komplette Videos streamed. Doch auch bekanntere Künstler veröffentlichen gelegentlich Streaming Videos ihrer Arbeiten. Interessanterweise nutzen sie dabei die Dienste von Plattformen wie YouTube oder Vimeo.

Für ihren Artikel „Video Art Distribution in the Era of Online Video“ recherchierte Sandra Fauconnier (Netherlands Media Art Institute) die Internetpräsenz von 72 Künstlern, deren Arbeiten zwischen 2005 und 2010 in die Sammlung des NiMk aufgenommen wurde. Sie stellte fest, dass von diesen 81% eine eigene Website haben. 17% hatten einen YouTube-Account und 15% von ihnen nutzten Vimeo, um Arbeiten in voller Länge online zu stellen – meist nur, um sie dann in ihre eigenen Websites einzubetten. Nur ganz wenige von ihnen – Fauconnier nennt Semiconductor als Beispiel – waren aber auf den genannten Host-Plattformen selbst aktiv um ihre Arbeiten zu promoten.

Vermutlich ist das soziale und visuelle Umfeld solcher Netzplattformen unattraktiv. Ein Grund für den Abstand, den Filmemacher und Videokünstler von den großen Video-Plattformen nehmen, ist sicherlich aber ganz praktisch: nämlich das Fehlen von Möglichkeiten sich und sein Portfolio ergänzend in Texten vorzustellen oder Informationen zum Download anzubieten.

 

Technische Aspekte

Viele Filmemacher und Künstler nutzen Plattformen wie YouTube oder Vimeo schlicht und ergreifend nur, um ihre Filme nach dem Hochladen in gerenderter Form wieder herunterzuladen. Allerdings ist die Qualität dieser kostenlosen Konvertierung nicht gleichbleibend. Der Prozess ist vor allem weder transparent noch kontrollierbar. Zu diesem Thema und wie man den automatischen Prozess zu seinen Gunsten austrickst, gibt es dutzende Internetforen. Bei Plattformen wie Vimeo sind auch Konvertierungen höherer Qualität möglich, diese kosten jedoch Gebühren (Vimeo+ oder Vimeo Pro).

Wer eine größere Kontrolle sowohl über die Render-Qualität als auch über Zugang und Verbreitung seiner Filme in Netz sucht, muss allerdings die Dienstleistungen spezialisierter Unternehmen in Anspruch nehmen. Dies hat meist zusätzlich den Vorteil, dass weitere Features – etwa Kommunikationskanäle für B2B-Kontakte oder wasserzeichen-geschützte Screener – zum Leistungsumfang gehören. So genannte White-Label-Dienste ermöglichen zusätzlich die gestalterisch neutrale Einbettung von Filmen in eigene oder fremde Websites ohne, dass der eigentliche Host erkennbar ist. Und selbstverständlich bleiben die gehosteten Filme, anders als bei Plattformen wie YouTube, vor nicht-autorisierten oder fremden Augen geschützt. Erst kürzlich hat zum Beispiel die Einreichplattform Reelport mit PicturePipe einen solchen Dienst eingerichtet.

Dennoch lassen sich nach dem gegenwärtigen technischen Stand nur Low-Resolution-Filme ohne Qualitätsverlust als Streaming Video verbreiten. Es ist wichtig sich der technischen Hintergründe bewusst zu sein. So stimmt es zwar, dass mit digitalen Techniken identische Kopien binär codierter Systeme auf anderen Medien erstellt werden können, jedoch trifft dies auf jeden weiteren Prozess des Codieren und Komprimierung von Filmen eben nicht zu. Diese führen je nach Aufwand und Verfahren zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Letztendlich entscheidet aber nicht die Qualität des Codierens, sondern das letzte Glied in der Kette, also die Leistungsfähigkeit des Displays des Zuschauers beziehungsweise „šEndverbrauchers‘ über die Qualität der Wiedergabe.

 

Kontrollverlust – Interfaces bestimmen die Rezeptionsform

Je mehr Video Libraries und Filmplattformen mit immer neuen Features online gehen, desto komplexer und letztlich unkontrollierbarer wird die Rezeption der einmal hochgeladenen Filme. Die Art und Weise, auch die Umstände unter denen ein Film betrachtet wird, also das Rezeptionsdispositiv oder schlicht das Konsumverhalten, wird nicht mehr vom Trägermedium oder seiner Herkunftsplattform definiert. Vielmehr sind es die Verbreitungswege und insbesondere Interfaces der Apparate des Konsumenten, die darüber entscheiden. Im Unterschied dazu definiert zum Beispiel ein Film als 35mm-Kopie weitgehend alle Aspekte seiner Rezeption: er kann eigentlich nur in einem Kino vorgeführt und auf einer mehr oder weniger großen Leinwand in einem dunklen Raum gesehen werden. Und Eingriffe in die Integrität des Werks – etwa in die Farben und Kontraste oder die Laufgeschwindigkeit und die Bildfolge – sind so gut wie ausgeschlossen.

Völlig anders ist dies bei digitalen Filmen, die im Internet zum Streaming bereitgestellt werden. Je besser die Qualität des Ausgangsmaterials und je ausgefeilter die Interfaces, desto flexibler, aber auch unkontrollierbarer werden Verwendung und Rezeption der Filme. So ist es denkbar, dass ein und derselbe Film mit einem Videoprojektor auf eine Kinoleinwand oder eine weiße Wand im White Cube gebeamt wird, auf einem TV-Monitor in einer Wohnstube beim Bügeln gesehen wird, auf einem Computerbildschirm in einem Büro in der Mittagspause abläuft oder als Re-Mix auf einem Handy-Display von jemand, der an einer Bushaltestelle wartet, aufflackert.

Die Einflussmöglichkeiten des Urhebers, also Filmemachers oder Künstlers, der sich auf eine solche digitale Verbreitung einlässt, schwinden gegen Null. Eine werkgetreue Wiedergabe kann technisch nicht erzwungen und rechtlich kaum durchgesetzt werden.
Sicherlich, im Mainstream-Digitalkino wird dies versucht. Insbesondere durch Verschlüsselung und interaktive, zeitlich limitierte Entschlüsselung. Der Aufwand, um dies zu erreichen, ist aber geradezu absurd. Dies belegt auch den Raum, den Sicherheits- und Verschlüsselungsfragen in den DCI-Spezifikationen einnehmen: es sind etwa 50 von 150 Seiten! Diese Maßnahmen dienen selbstverständlich der Verteidigung und Aufrechterhaltung eines bestimmten ökonomischen Systems der Verwertung von Filmen: der Monetarisierung der zeitlich und örtlich begrenzten Aufführungsrechte eines Werks. Dies hat zur Folge, dass ein beträchtlicher Teil des erzielten Umsatzes in Kontrollmechanismen investiert werden muss und auch ein großer Teil der Kosten der digitalen Umrüstung der Kinos nur diesem Umstand geschuldet ist.

Ohne solche Kontrollsysteme bestimmen und entscheiden die Konsumenten, abhängig von ihren eigenen, verwendeten technischen Interfaces, über die Art und Weise der Verwertung und der Rezeption. Es ist eine offene Frage, ob unter solchen Voraussetzungen überhaupt noch der klassische Werkbegriff aufrechterhalten werden kann. Rückschliessend wird damit auch die Autorenschaft des Künstlersubjekts fundamental in Frage gestellt. Dies ist sicher auch ein Grund, weshalb so wenige Filmemacher und noch seltener Video- und Medienkünstler, die ja den digitalen Medien noch näher stehen, Innovationen wie die des Web 2.0, die noch weitergehende Eingriffe ermöglichen, bei der Verbreitung ihrer Arbeiten einbinden.

Es wird deshalb sicherlich auch in Zukunft noch die klassische Kinoprojektion geben und auch beim Publikum geschätzt bleiben, ebenso wie sowohl Bildende Künstler als auch die meisten Video- und Medienkünstler Galerien und Ausstellungshallen im „šwirklichen Leben‘ vorziehen und in Anspruch nehmen werden. Dasselbe gilt aber auch für die Rezipienten, die sich für verschiedene Erlebnis- und Erfahrungssituationen entscheiden können. Nachdem bereits die Aura der Kunstwerke auf technischen Trägermedien verloren ging, kann so vielleicht noch die Aura der Film- und Kunstrezeption erhalten bleiben. Zu dieser Aura gehört auch die örtliche und zeitliche Verankerung, die zumindest den Anschein einer unmittelbaren Begegnung mit dem Film oder Kunstwerk bewirkt.

Bei Streaming Videos wird aber das Dispositiv der Filmrezeption zeitlich, räumlich, sozial und ästhetisch nicht von einem Autor oder Kurator bestimmt, sondern von den Interfaces definiert. Insofern sich diese stetig weiterentwickeln und immer wieder ändern, ist es auch kaum möglich über Parameter-Stellschrauben in der Bildproduktion bestimmte Nutzungen auszuschließen oder zu beeinflussen. Der digital gestreamte Film, der beim Zuschauer ankommt, ist in jedem Fall nicht derselbe wie das ursprüngliche Master. Er ist vor allem auch kein künstlerisches Original, sondern ein hybrides, reformatiertes Werk, das auf dem Weg mehrfach transformiert wurde.

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