Lorbeeren für Kohle – in einer blühenden Festivallandschaft mit Kurzfilmen Geld verdienen

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Film Festival Banner Meme – CC-BY-SA (sources: diverse CC0 + Theodor Heuss Brücke CC-BY-SA The Last 99)

Film Festival Banner Meme – CC-BY-SA (sources: diverse CC0 + CC-BY-SA The Last 99)

Vor ein paar Jahren habe ich bereits von einem ‚Filmfestival‘ berichtet das nie stattfand, für das aber ein anonymer Veranstalter Einreichgebühren kassierte. Damals hielt ich das für einen Einzelfall, aber heute habe ich beim Blick auf Ankündigungen auf Einreichplattformen den Eindruck, dass es ungeheuer viele ‚Festivals‘ gibt, bei denen zumindest eine Sache nicht stimmt: sie entsprechen nicht den klassischen Vorstellungen eines richtigen Filmfestivals.

 

Das Ergebnis meiner Recherche: auf Einreichplattformen tummeln sich hunderte sogenannter Festivals mit schwer durchschaubaren Absichten und Verbindungen untereinander. Da die Datenlage so bodenlos ist, wie das Internet, habe ich mich auf ein Veranstaltungskonzept konzentriert und das konkrete Beispiel eines international operierenden Akteurs für eine Fallstudie ausgewählt, um die Strukturen verständlich zu machen und die Hintergründe solcher Geschäftsmodelle aufzuklären.

 

 

First Contact: Alaska

 

Vor ein paar Jahren hatte ich schon einmal von einem Vorfall berichtet, den Steve Aufrecht (emeritierter Professor an der University of Alaska) 2010 in seinem Blog „whatdoino“ aufdeckte: Ein „Alaska International Film Festival“ lud mit einem wunderbaren Landschaftspanorama verschneiter Berge und einem Eisbären im Logo FilmemacherInnen gegen eine Gebühr von $30 bis $55 zur Filmeinreichung und Teilnahme an einem Wettbewerb ein. Tatsächlich fand dieses Festival nie statt und der Sitz des Festivals erwies sich als ein Postfach in Anchorage (nicht zu verwechseln mit dem echten Anchorage International Film Festival). Den 65 Preisträgern des Festivals wurden per E-Mail Zertifikate zugesandt und das Recht zum Kauf einer Kristall-Trophäe eingeräumt (siehe: whatdoino-steve.blogspot).

 

Durch Zufall fand ich heraus, dass der selbe unbekannte Veranstalter noch weitere Festivals mit der gleichen Masche betrieb. Auf der Homepage des Festivals in Alaska stand ganz unten die Copyright-Angabe „© 2006 La Jolla Film Festival“ – ein Fehler des Webseiten-Gestalters, der sich kurioserweise schneeballartig fortsetzte. Denn auf der Website des La-Jolla-Festivals, die abgesehen von Bildern aus Kalifornien mit einem Surfer anstelle des Eisbären im Logo ähnlich aussah, stand unter der Überschrift „About The La Jolla Film Festival“ ein Text, der mit den Worten begann, „The Amsterdam International Film Festival is renowned for …“.

 

Damals hielt ich das für einen Einzelfall, aber heute weiß ich durch Recherchen auf Einreichplattformen und Festival-Webseiten, dass es eine unüberschaubare Vielzahl solcher Unternehmungen und Netzwerke mit ähnlichen Merkmalen gibt.

Zu den typischen Merkmalen gehören: Bilder von schönem Landschaften oder markanten Gebäuden (Eiffelturm, Brandenburger Tor, Tower Bridge etc.), endlose Listen von Kategorien und Auszeichnungen, monatelange Einreichfristen, hohe Anmeldegebühren, aber keine Geldpreise. Keine Informationen über den Veranstalter, geschweige denn Auswahlverfahren oder Jurys. Die Ähnlichkeit mancher Festivalauftritte lässt die Vermutung zu, dass es sich um Netzwerke einzelner Veranstalter handelt.

 

Möglicherweise sind noch die selben Veranstalter wie damals vor Jahren unterwegs. So fand ich bei Filmfreeway die „California Film Awards“ deren Bannerbild kurioserweise den Dateinamen lajolla_filmakers.jpg  trägt – wie auf der vor mehr als 10 Jahren abgeschalteten La Jolla Film Festivalseite! Falls es die selben Veranstalter sind, dann haben sie sich allerdings inzwischen ‚ehrlich gemacht‘: FilmemacherInnen, die nicht an einem Zertifikat mit Lorbeeren, sondern an einer öffentlichen Filmvorführung interessiert sind, werden im Gegensatz zu früher im Reglement offen informiert beziehungsweise gewarnt: „Awarded films are not screened for the public“!

 

Beim Durchforsten der Festivalankündigungen auf Einreichplattformen ist mir aber aufgefallen, dass sich noch mehr geändert hat. Heute macht sich ein neues und anderes Festivalkonzept massiv breit: Ausschreibungen für Film Awards ohne Filmvorführungen, aber mit Preisverleihungen bei einem Gala-Diner. Bei Filmfreeway kann man diese ‚Festivals‘ heraus suchen, denn es gibt dort den Filter „Online Festivals / Awards Event“. Beim letzten Zugriff fand ich 1.212 Einträge, darunter auch viele dubiose alte Bekannte! Auch, wenn nicht alle so gefundenen Einträge ausschließlich Award-Events sind, so sind darunter immer noch erstaunlich viele, wenn man sich vor Augen führt, dass im Vergleich dazu Withoutabox derzeit ’nur‘ 1380 Festivals insgesamt verzeichnet.

 

Ein weiteres aktuell weit verbreitetes Modell sind internationale Festivals, die von einem Veranstalter nach gleichem Muster in mehreren Städten nicht in Kinos, sondern in Hotels mit je anderem Programm ausgerichtet werden, bei denen die Preisverleihung im Mittelpunkt steht. Um solche ‚Festivals‘ soll es im Folgenden gehen …

 

 

Von Madrid nach Berlin

 

Im September stieß ich im Blog von Ismail Martin auf eine Spur, die nach Deutschland führte. Ismail, der Madrid en Corto organisiert und Kurzfilme aus der Region Madrid distribuiert, schrieb aus Anlass des „Madrid International Film Festival“ in einem Artikel über ‚pseudo festivales‘ , die vom Veranstalter Film Fest International außer in Madrid auch in London, Amsterdam, Nizza, Mailand und Berlin organisiert werden.

 

Das Madrider Festival fand im Juli 2017 im Novotel Madrid Center statt. Auf der Webseite wurden Programme in Hotelräumen zwischen 10 und 13 Uhr angekündigt. Die Filme wurden nur mit ihrem Titel und der Laufzeit genannt. Durch einen Anruf im Hotel erfuhr Ismail Martin, dass an diesem Tag keine Filme gezeigt würden, es aber eine feierliche Preisverleihung gäbe. Den roten Faden von Ismail Martin, mit seinen Hinweisen auf den Veranstalter und Festivals in anderen europäischen Städten nahm ich auf und entdeckte eine Art Paralleluniversum internationaler Festivals, von denen ich noch nie gehört hatte.

 

In Berlin fand nach dem gleichen Muster vom 30. September bis 7. Oktober das „International Filmmaker Festival of World Cinema“ statt. Veranstaltungsort war das Holiday Inn – City West in der Siemensstadt, also weit vom Zentrum, aber nahe zum Flughafen Tegel. Wie in Madrid waren auf der Website Wettbewerbsprogramme in Konferenzräumen des Hotels angekündigt.

(Anm.: Die Website des Berliner Festivals im Oktober 2017 ist während ich dies recherchierte teilweise verschwunden bzw. dysfunktional geworden, da ein Relaunch im Gange ist. Hier angegebene Links führen deshalb u.U. nicht zum gleichen Ziel)

 

Ob die in Berlin angekündigten Projektionen stattfanden, weiß ich nicht. Auf Fotos der Facebook-Seite sind kleine Beamer und Leinwände in nicht richtig verdunkelten Sälen erkennbar und man sieht, dass relativ wenige Menschen anwesend waren – vermutlich sind es die preisgekrönten FilmemacherInnen. Auf jeden Fall, hat es aber zum Abschluss – wie in Madrid – eine glamouröse Preisverleihung gegeben, an der alle in Abendkleid und Smoking à la Oscar-Verleihung teilnahmen. Wobei die Bilder auf Facebook, der Festivalwebsite und dem Porträt auf Filmfreeway jeweils andere glückliche Preisträger aus aller Welt zeigen; immer aber auf einem roten Teppich vor einer ähnlichen Fotowand die gleichen Trophäen schwingend. Nur die Bilder auf Facebook können ohne Ortskenntnisse zugeordnet werden. (s. http://filmmakerfestivalberlin.com/, Nizza? und https://www.facebook.com/FilmFestInt/ Berlin?). Dass das Banner der neuen Berliner Internetseite die Preisträger von Nizza zeigt, kann man als Oberflächlichkeit oder Nachlässigkeit des Veranstalters interpretieren.

Im Facebook-Post vom 7. Oktober sieht man die Trophäen in Reih‘ und Glied auf einem Tisch stehen – 4 Reihen à 15 Statuetten.

 

 

Aufschlussreiches Engagement einer Filmemacherin …

 

Ein Facebook-Eintrag vom Tag vor der Preisverleihung in Berlin lobt, dass die Filmemacherin Christina Kim, die mit ihren Kurzfilmen „Chasing Birdie“ und „Extramaritals“ nominiert war, Gastgeberin einer After-Screening-Party war, die sie (meine Vermutung) wohl selbst bezahlte. Fotos von der Party zeigen Christina Kim vor Roll-ups, die ihre Filme bewerben, auf denen bereits die goldenen Lorbeeren, mit denen sie am nächsten Tag ausgezeichnet wurde, eingedruckt sind!

 

Charakteristisch für dieses Festival scheint auch zu sein, dass der Kurzfilm „Chasing Birdie“, den man im Internet kaum findet, noch auf keinem ‚richtigen‘ Festival gezeigt wurde. Andere Lorbeeren auf dem Werbematerial zum Film belegen hingegen die Teilnahme beim „Silicon Valley International Film Festival“, das von der Produktionsfirma des Films veranstaltet wurde, und beim „Marina Del Rey International Film Festival“. Letzteres ist eines von mehreren Festivals, die von Film Marketing Services Inc. veranstaltet wird – einer Firma mit einer Briefkasten-Adresse (postal suite) in einem Virtual Office in Nevada. Aber das ist eine andere interessante Geschichte …

 

 

Weitere Festivals der gleichen Veranstalter-Gruppe: Mailand, London, Nizza, Amsterdam …

Von Berlin ist die International-Filmmaker-Karawane weitergezogen und macht, während ich dies schreibe, in Saal 1 bis 3 des  Novotel Milano Nord Ca Granda Station, wo das International Filmmaker Festival of World Cinema Milan stattfindet (2018 als Lombardy International Film Festival).

Vom 10. bis 17. Februar folgt London und vom 5. bis 12. Mai Nizza. Das „Nice International Film Festival“ findet als einziges Festival dieser Gruppe nicht in einer Metropole statt, kann aber durch seine Nähe zu Cannes glänzen. Anschließend ist wieder Madrid an der Reihe und zwar mit dem „Madrid Asia International Film Festival“. Auf der Facebook-Seite von Madrid Asia kann man übrigens das Preisträgerfoto aus Berlin sehen;-). Im Sommer folgt dann das Amsterdam International Filmmaker Festival und im Juli erneut das „Madrid International Film Festival“. Berlin ist 2018 erst im Dezember wieder an der Reihe …

 

 

Firmeninformationen zu den Veranstaltern

 

Auf der inzwischen alten, gemeinsamen Internetseite der Festivals konnte man unter Terms & Conditions lesen, dass die Film Festival International Ltd. der Dachname für eine Gruppe Internationaler Festivals sei. Dort sind noch weitere Festival-Unternehmen genannt, die zur Zeit aber offenbar ruhen. Film Festival International Ltd. ist aber keine Holding. Vielmehr hat jedes Festival eine eigene Limited Company als Träger. Diese Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit Einlagen, die meist nur 1£ betragen, haben alle ihren Sitz in Margate, Kent (UK). Als Vorstandsvorsitzender (‚director‘), Schriftführer (’secretary‘) und Eigentümer (’shareholder‘) wechselten sich in den letzten Jahren immer die gleichen vier oder fünf Personen ab. Als Firmensitz werden zwei bis drei Straßenanschriften und ein Postfach genannt. Im Mittelpunkt steht Carl Tooney oder Carl Lee Tooney. Tooney ist Director von etwa 20 Limited Companies, die bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Tooneys Baked Potato Ltd.) mit Filmfestivals oder der Filmbranche verbunden sind. Carl Tooney kommt ursprünglich aus der Werbebranche. Er und seine Mitgesellschafter und sein Freundeskreis werden auf den Festivalseiten von Einreichplattformen wie Filmfreeway und Withoutabox namentlich in verschiedenen Funktionen genannt.

 

Im Unterschied zu der eingangs beschriebenen Festivalgruppe arbeitet die Tooney-Gruppe also transparent und veranstaltet Events ‚in real life‘. Die Konditionen für die Teilnahme werden in den Reglements offen genannt. Die teilnehmenden Gewinner einer Trophäe, von denen übers Jahr hunderte verliehen werden (siehe Foto), waren offensichtlich glücklich oder zumindest stolz für ein Glamour-Foto auf dem roten Teppich der Tooneys zu posieren.

 

 

Konzept und Struktur – am Beispiel des Festivals in Berlin

 

Die Anmeldungen zum Festival laufen über Filmfreeway, Withoutabox und neuerdings über Worldfilmpresentation. Die Anmeldefristen sind im Vergleich zu ‚richtigen‘ Festivals außerordentlich lang. So kann man sich schon seit dem 1. Juli 2017 für das nächste „Berlin International Filmmaker Festival“, das im Dezember 2018 stattfinden wird, anmelden. Es sind 18 (!) verschiedene Kategorien vom Animation Short über Drone Filming bis zum Best Television Drama für Auszeichnungen ausgeschrieben. Die Filme dürfen bis zu vier Jahre alt sein. Die Anmeldegebühr für einen Kurzfilm zur regulären Deadline beträgt bei Filmfreeway stolze $65, also mehr als die Gebühr für Sundance. Die Kosten für die Teilnahme am Gala-Diner (Preisverleihung) sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht. 2017 kostete das Ticket 180 Pfund Sterling. Die Veranstalter bieten einen unbezifferten Paketpreis an, in dem auch die Hotelkosten inbegriffen sind.

 

Von den Screenings in den Konferenzräumen des Holiday Inn gibt es nur wenige Bilder. Es ist nicht erkennbar, dass dort Filme mit professioneller Kinotechnik gezeigt wurden. Man sieht viele leere Stühle und Personen aus aller Welt, die wahrscheinlich allesamt Preisträger sind. Das heißt, man blieb unter sich. Gleichwohl wirbt das Festival mit Kontakten zur internationalen Presse sowie Filmeinkäufern und Verleihern. Da nirgendwo außerhalb der eigenen Internetpublikationen für die Veranstaltungen geworben wurde, weder Presse noch Branche informiert wurden und es keine Infos zu den genannten Filmtiteln gab, ist es nicht verwunderlich, dass keine bekannten Branchenvertreter aus Deutschland teilnahmen und die Fachpresse nicht über das Ereignis berichtete.

 

Für Presse sorgt Carl Tooney vielmehr selbst mit einer Publikation, die von seiner Firma Film the Magazine Ltd. herausgegeben und von Team-Mitglied Steve Grossmith geschrieben wird, der am Stammsitz Margate die Firma Movie Media and Marketing Ltd. betreibt. Auch die Filmexperten und Berater mit denen zur Festivalteilnahme geworben wird, sind keine unabhängigen Fachleute, sondern Team-Mitglieder mit vielfältig verknüpften Branchen-Aktivitäten. Wie zum Beispiel Ray Davis, der gegen eine Mitgliedsgebühr die Dienste seines Unternehmens „The Film Industry Network“ anbietet. Im kleinen Portfolio betreuter Filme finden sich dort Preisträger der Tooney-Festivals wieder. Oder Adam Tinnion, Tooneys Sohn und Mitinhaber einiger seiner Ltds, der sich den Festivalgästen als Marketing-Experte für Social Media empfiehlt. Schließlich nicht zu vergessen, die bei allen Festivals anwesende, Hollywood-schicke Awards Hostess Chelsey Baker, die ein Mentoren-Programme für Start-ups anbietet und Unternehmen wie „The Business Model Ltd.“ und „Success Media Ltd.“ vorsteht. So generieren die Festivals für das Veranstalter-Team wohl einen kleinen ‚Mehrwert‘.

 

 

„15 minutes of fame“

 

Was nach einem großen Firmen-Imperium klingt, entpuppt sich näher betrachtet eher als eine große Familie und es ist anzunehmen, dass die teilnehmenden FilmemacherInnen es ähnlich (positiv) sehen. Allen Beteiligten geht es offenbar nur um etwas Aufmerksamkeit, die ‚Lorbeeren‘, kleine Vorteile („we offer the benefits that come from having a winning Rosette on your DVD cover“) und das eine, großartige Abschlussfoto. Hierfür putzen sich die Teilnehmer so heraus als seien sie Celebrities, die durch das Blitzlichtgewitter auf der Croisette laufen sollen. Wobei die Menschen auf dem Berliner Foto noch bescheiden aussehen, jedenfalls im Vergleich zu den Preisträgern in Nizza, die im Flughafen-Hotel – mit Aussicht auf die Landebahn – so ‚over-the-top‘ gekleidet sind, dass man sie für eine Laienspielgruppe vom Carnaval de Nice halten könnte  – Bild auf facebook.

 

Bei all diesem Getue darf es auch nicht überraschen, dass es keine Hinweise gibt, ob, wie und von wem die Einreichungen gesichtet werden, wie die Nominierungsliste zustande kommt und wer über die Auszeichnungen entscheidet. Es handelt sich also um ‚Festivals‘ ohne Kinovorführung, ohne Öffentlichkeit, ohne Jury und ohne Preisgelder. Gäste und Teilnehmer dieser Events werden dies wohl nicht hinterfragen, da sie ja alle ‚Winner‘ sind. Erstaunlich ist nur, wie viele FilmemacherInnen es gibt, die bereit sind für den selbstgemachten Jubel die Kosten – Anmeldegebühr, Reisekosten, Garderobe und schließlich noch eine Eintrittsgebühr zur eigenen Preisverleihung – zu tragen. Allerdings könnte es sein, dass es zu den Tooney-Festivals nicht sehr viele Anmeldungen gibt. Darauf deuten zumindest Rabattaktionen kurz vor der letzten Deadline hin.

 

Nach eigenen Angaben hatten die Veranstalter in den letzten 32 Events 11704 Filme im Programm. Das wären knapp 370 pro Event, was nicht stimmen kann, da die veröffentlichten Filmtitel in etwa der Zahl der Awards (lt. Eigenangabe 463 auf 32 Veranstaltungen) entsprechen. Falls es sich also um die Zahl der Einreichungen handeln sollte, wären dies zum Tarif der Regular Deadline etwa $24.000 USD Einnahmen pro Festival. Wie viele Filme wirklich eingereicht werden, lässt sich aber nicht ermitteln. Ich vermute aber, dass in diesem Fall die Einnahmen der Veranstalter nach Abzug der Kosten, nicht so hoch sind, dass ein Festival-Team von fast 10 Personen reich werden kann.

 

 

Alle verdienen Geld, nur die FilmemacherInnen nicht …

 

Dennoch, dies ist ein System an dem alle außer den FilmemacherInnen Geld verdienen. Bislang gingen wir davon aus, dass Kurzfilme ohnehin kein Geschäft sind. Vertrieb und Verleih bilden nur einen kleinen Markt und ansonsten sind allenfalls noch Micro-Erlöse aus Werbeeinnahmen im Onlinesektor zu erwirtschaften. Doch je weiter man auf Einreichplattformen forscht und je genauer man sich die Webseiten von Veranstaltern anschaut und sie untereinander vergleicht, desto stärker wird der Eindruck, dass ein riesiges Paralleluniversum selbst ernannter Festivals entstanden ist, die mit relativ kleinen, aber vielen Beträgen in der Summe doch einen riesigen Umsatz machen. Richtigen Profit machen in diesem Long Tail des Kurzfilmmarktes aber nur Fake-Festivals, die nur online ‚existieren‘ … und natürlich die Einreichplattformen!

 

Diese Entwicklung in der Festivallandschaft erklärt vielleicht die enorme Steigerung der Anzahl von Festivals in den letzten Jahren. Niemand weiß wie viele Festivals es gibt und kann es auch nicht wissen, wenn unklar ist, was ein (richtiges) Festival ist. Die Explosion der Festival-Neugründungen ist zeitlich und ursächlich eng verbunden mit der Gründung und Verbreitung von Einreichplattformen. Im Jahr 2006 hatte Withoutabox – damals noch als Monopolist – nach eigenen Angaben 500 aktive Festivals unter Vertrag. Nur zehn Jahre später behauptet Filmfreeway mehr als 5000 Festivals registriert zu haben. Etwa 3/4 davon nehmen übrigens Einreichgebühren …

 

 

Der Wert von Festivalteilnahmen und Filmpreisen in Zeiten der Inflation

 

Selbstverständlich verdienen FilmemacherInnen auch bei den großen seriösen Filmfestivals kein Geld. Jedoch besteht immerhin die Aussicht auf einen dotierten Preis und verspricht die Teilnahme geldwerte Vorteile für die eigene Karriere. Auch unterstützen einige große Festivals die Teilnahme von Filmemacher etwa bei den Reisekosten. Und ist zumindest in Europa die Filmeinreichung in der Regel gebührenfrei. Kleinere, regionale Festivals, die oft von gemeinnützigen Organisationen veranstaltet werden, bieten gelegentlich sogar Screening Fees an. Diesbezüglich sind allerdings Kurzfilme wieder einmal benachteiligt. Für abendfüllende Spiel- und Dokumentarfilme, die einen Verleih haben, kann durchaus durchgesetzt werden, dass kleine Festivals mit nur lokaler Reichweite Verleihmieten zahlen, während dies beim Kurzfilm ’nicht üblich‘ ist.

 

Was aber bewegt FilmemacherInnen ihre Arbeiten auf ‚Festivals‘ anzumelden, die praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden? Und was bewegt sie persönlich zu Veranstaltungen zu reisen, die erhebliche Kosten verursachen? Der Boom an ‚Festivals‘ ohne Filmvorführungen, aber mit glamourösen Preisverleihungen, auf denen nur Zertifikate oder billige Trophäen von der Stange verliehen werden, lässt sich nicht allein mit Naivität und Dummheit der einen Seite und Täuschung oder gar Betrug der Anbieterseite erklären. Dann gäbe es viel öfter enttäuschte Stimmen und Klagen in den sozialen Medien. Vielmehr befriedigen Veranstaltungen, wie die oben genannten Filmmaker Festivals, offenbar eine Nachfrage und decken einen Bedarf. Das reicht von der Freude wie Hollywood-Stars gekleidet auf einem roten Teppich zu posieren über pure Eitelkeit bis zur Hoffnung mit den so erworbenen (hier: erkauften) Auszeichnungen auf sich aufmerksam zu machen und anderswo den Durchbruch zu schaffen.

 

Doch das ist eine Fehlkalkulation, denn bei der gegenwärtigen Inflation fragwürdiger Auszeichnungen lassen sich Branchenprofis, seien es Einkäufer oder Produzenten und inzwischen sogar potentielle Kinobesucher, längst nicht mehr von seitenlangen „Official Selections“ in CVs beeindrucken oder mit goldenen Lorbeeren auf Postern und Flyern bluffen. Im Gegenteil: einen geradezu nachteiligen Effekt haben solche Laurels, wenn sie bei Festivaleinreichungen dem Sichtungsvideo als ‚Pre-Roll‘ vorgeklebt sind. Da schalten die meisten Festivalsichter schon ab!

 

Auch eine Ökonomie, in der Aufmerksamkeit als Währung Geld ersetzt, kennt die Inflation. Eigentlich wäre es preiswerter, sich bei einem der vielen Versandhändler eine Trophäe mit individueller Gravur oder ein schönes Zertifikat zu bestellen, aber dann fehlt doch das Event und das Bild in Siegerpose vor der Fotowand für die eigene Facebook-Seite.

 

Wer es darauf abgesehen, für den habe ich unten noch ein paar Adressen und Tipps!

 

Reinhard W. Wolf

Mit Dank für Hinweise und Kommentare an: Dave Lojek, Denis Demmerle und Ismail Martin.

 

Fortsetzung folgt:

In Teil 2 der Recherche geht es um ein anderes, neues Festivalmodell – mit öffentlichen Filmvorführungen in Innenstadt-Kinos –  das sich ebenfalls rasant verbreitet. Dabei soll auch der Frage nachgegangen werden, welche Auswirkungen dies auf das Kurzfilmabspiel und auf richtige Festivals hat, die an ihren lokalen Standorten dieser, oft international organisierter, Konkurrenz ausgesetzt sind. Im dritten Teil der Artikelserie geht es um die Folgen dieser Entwicklung für die bestehende Film- und Festivallandschaft, die von einer Filmflut und Festivalschwemme gekennzeichnet ist.

 

 

ANHANG

 

Empfehlungen (ausgewählte Beispiele ohne Gewähr)

Festivals der Magic Productions Group (Firmensitz unbekannt)
Online Festivals, teilweise mit Award-Zeremonien (Festivalleiter/Organisator: Roy Zafrani) mit monatlichen Ausschreibungen und Preisen in über 40 Kategorien. Alle Gewinner erhalten kostenlos ein Zertifikat (jpg/pdf) per E-Mail und haben Anspruch für $290 eine Trophäe zu erwerben. Nicht Oscar- aber „IMDb qualifying“!

 

 

Die Festivalwelt der Film Festivals Group (die Brasilien Connection)
Festivaldirektor/Organisator: José Claudio Silva (Rio de Janeiro) https://www.filmfestivalsgroup.com/

  • „Canada Independent Film Festival“, „Brazil International Film Festival“, „Portugal International Film Festival“ und „Germany International Film Festival“ (München mit Brandenburger Tor mit ganzjähriger Einreichfrist auf FilmFreeWay mit Neuwschwanstein)
  • aus dem gleichen Haus: Hollywood Independent Film Festival in Los Angeles
  • Große Chancen auf Preise gibt es auch bei „Action on Film“ (Las Vegas) und „Hollywood Dreamz (L.A.) siehe https://www.actiononfilmfest.com/

 

 

Fait divers

Verwirrung und Kuriositäten in Toronto

Das „Toronto Independent Festival“ mit der Domain „torontoshort.com“ hat (z.Zt. noch?) ein Banner-Bild mit einer Hintergrundgrafik eines Festivals in Mailand (Anleitung: mit Firefox Toronto-Bild anklicken und rechter Maustaste Hintergrundgrafik anzeigen lassen)

Vom gleichen Veranstalter: „Toronto Short Film Festival“
… nicht zu verwechseln mit „Toronto Shorts International Film Festival“ mit der Domain „lashortsfest.com“ in der URL, dessen Festivaldirektor (vermutlich R. A.) ohne seinen eigenen Namen zu nennen zum Boykott des Festivaldirektors von „Toronto Short“ unter Nennung dessen Anschrift aufruft und das gleiche Festival-Logo auch hier https://filmfreeway.com/TORONTONXTFILMFEST verwendet …

Global Film Awards mit preiswürdigem Weblayout Global Independent Film Awards verspricht nicht nur ein Dutzend Auszeichnungen und ‚electronic laurels‘, sondern auch Bronze-, Silber- und Goldmedaillen für $40 USD. Motto: „You need credibility. We’ve got awards … Groovy, right?“

 

Nützliche Links

 

 

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