Einreichgebühren bei Kurzfilmfestivals

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Team 2019 © Kurzfilm Festival Hamburg

In der ersten Septemberwoche 2020 entschied das Kurzfilm Festival Hamburg, fortan Gebühren für jede Filmeinreichung zu erheben. Das ist besonders im Kurzfilmbereich ein Schritt, der wohlüberlegt sein will, denn gerade hier sind Festivals mit die wichtigste Plattform für Filmemacher*innen: Eine Kinoauswertung findet nahezu ausschließlich für Langfilme statt, zwar kaufen Fernsehsender wie Arte und einige dritte Programme (MDR, BR, SWR, rbb) auch Kurzfilme für eigens geschaffene Sendeslots, doch ist die Anzahl der jährlich so verwerteten Filme im Vergleich zu Langfilmen oder Serien marginal. Kurzfilmfestivals und Festivals mit Kurzfilmprogrammen tragen also eine nicht unwichtige Verantwortung gegenüber der Community, da aufgrund der geringen Vermarktungsoptionen kaum Geld verdient wird. Zudem sind Kurzfilme oft die erste Möglichkeit für junge Filmemacher*innen, sich zu präsentieren.

 

Das ist besonders im letzten Jahrzehnt durch die rasante Entwicklung digitaler Technik leichter und kostengünstiger geworden denn je. Wie alle Player müssen auch Festivals darauf reagieren und das betrifft nicht nur die Screeningmodalitäten, die mittlerweile von digitalen Formaten wie DCPs dominiert werden, sondern nahezu alle Bereiche der Festivalvorbereitung und -organisation – auch die Einreichungen.

 

So verwundert es nicht, dass die Anzahl der Kurzfilmeinreichungen in den letzten Jahren in die Höhe geschnellt sind. Besonders in Hamburg ist ein beinahe sprunghafter Anstieg zu verzeichnen: 2019 wurden 4.500 Filme eingereicht, 2020 bereits 6.000, ein Anstieg um ein Drittel. Aber auch bei den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen entwickelten sich die Zahlen kontinuierlich nach oben: Von noch 2.500 Einreichungen im Jahr 1998 trafen 2018 7.000 und 2019 7.600 Einreichungen beim Festival ein. Bei der Berlinale Shorts Sektion waren es kontinuierlich rund 400 Filme im Jahr mehr. Aktuell bewegen sich die Zahlen bei um die 4.000 Einreichungen.

 

© Kurzfilm Festival Hamburg

 

Hamburg ist bei weitem nicht das einzige Festival, das den Schritt hin zu Einreichgebühren geht. Vielmehr ist dies Ausdruck einer Entwicklung, die in Deutschland vor etwa zwei Jahren eingesetzt hat. Im Gespräch mit den Festivalmacher*innen ergibt sich ein recht vielfältiges Stimmungsbild, das zeigt, wie unterschiedlich die Gründe für und gegen Einreichgebühren sind – sie reichen von administrativen über ökonomische bis hin zu moralischen Überlegungen. Je nach Größe und Ausrichtung des Festivals fällt die Gewichtung der Gründe anders aus. Große Festivals wie die Berlinale Shorts und die Kurzfilmsektion des DOK Leipzig erheben schon immer Gebühren, kleinere wie das Kasseler Dokfest oder das Landshuter Kurzfilmfestival sind weiterhin gegen Einreichgebühren. Die Kurzfilmtage Oberhausen und die Internationale Kurzfilmwoche Regensburg setzen auf Gebühren für spezifische Einreichungen, um Masseneinreichungen bzw. Nachzüglern entgegenzuwirken.

 

Verlagerung des administrativen Aufwands auf die Festivals

 

Der Anstieg der Einreichungen bedeutet für die Festivals eine beträchtliche administrative Belastung. Hier ist eine Verschiebung des Aufwands von den Filmemacher*innen hin zu den Festivals zu verzeichnen. Das interfilm – Internationales Kurzfilmfestival Berlin sieht den Grund dafür in der Einführung digitaler Einreichplattformen: „Einst waren die Sendungen von DVDs an Festivals für den Einreicher kostenintensiv, seit der elektronischen Übermittlung von Sichtungsfiles aber ist der Verwaltungsaufwand für die Festivals gestiegen.“[i]

 

Diese Beobachtung lässt sich an eine übergreifende Entwicklung anknüpfen, denn es haben sich im Zuge der Digitalisierung zwei eigenständige Märkte entwickelt, die als Nutznießer des Festivalzirkus entstanden sind: Das sind einerseits Einreichplattformen, die Festivals helfen, sichtbar zu werden und die seit der Digitalisierung immer größer werdende Flut an Einreichungen allein organisatorisch zu bewältigen. Andererseits haben sich Agenturen darauf spezialisiert, sowohl Kurz- als auch Langfilme auf Festivals zu platzieren. Sie agieren damit als Spezialisten für Produktionsfirmen oder Weltvertriebe. [ii]

 

Diese beiden Phänomene haben die Zahlen der Einreichungen direkt beeinflusst und sogar noch potenziert, denn alle Festivalmacher*innen berichten von ungefilterten Masseneinreichungen durch einzelne Agenturen. Zum Teil werden ganze Kataloge über die Einreichplattformen hochgeladen und überschwemmen die Sichtungsteams mit Filmmaterial. In solchen Fällen setzen sich die Agenturen kaum oder gar nicht mit den Regularien oder gar der Ausrichtung des jeweiligen Festivals auseinander und verlagern zusätzlich die Sortierarbeit auf die Organisator*innen. „Das merkt man auch immer wieder daran, dass plötzlich Filme eingereicht werden, die wir schon im Vorjahr im Programm hatten.“ so Michael Orth, Leiter des Landshuter Kurzfilmfestivals.

 

Ethik und Geschäft

 

Dennoch wehrt sich Orth weiterhin gegen eine Einreichgebühr. Denn eigentlich arbeite er gerne mit Agenturen zusammen, so Orth, da er mit einigen seit geraumer Zeit gute Kontakte pflege und sich regelmäßig auf Filmmärkten mit deren Vertreter*innen trifft. „Die wissen sehr gut, welche Art von Filmen wir für das Festival suchen und helfen uns, aus den Katalogen die interessanten Titel herauszufiltern.“ Das passiert also noch vor den Einreichungen. Die Agenturen platzieren diese dann gezielt über die Plattform FilmFestivalLife, wo sie neben den frei eingereichten Filmen gesichtet werden. Michael Orth ist es wichtig, hier eine Mischung aus Einreichungen und Kontakten zu nutzen, um sein Programm zusammenzustellen. Daher kommt eine Einreichgebühr für ihn nicht infrage. „Es wäre schlicht unmöglich, all die Sonderfälle mit Waivern und Rabatten zu koordinieren und zu rechtfertigen. Einige der Filme kommen auf direkte Empfehlung zu uns oder wir laden sie ein, weil wir sie auf anderen Festivals gesehen haben. Da kann man doch keine Gebühr verlangen.“ so Orth.

 

Auf die Masseneinreichungen durch Agenturen reagierten die Kurzfilmtage Oberhausen ab der Einreichung für das Festival 2020 mit einer Gebühr, die ab dem fünften eingereichten Film greift, sowohl für Institutionen als auch einzelne Filmemacher*innen. Damit können Produktionsfirmen mehr als einen Film einreichen und Agenturen wiederum werden indirekt dazu angehalten, sich mit den Regularien und dem inhaltlichen Fokus des Festivals auseinanderzusetzen. Auf den ersten Blick scheint diese Strategie Wirkung gezeigt zu haben – im Vergleich zum Vorjahr sind knapp 1.000 Einreichungen weniger eingegangen. „Ob das direkt aus den Gebühren resultiert, sei dahingestellt“, so Festivalleiter Lars Henrik Gass, doch die Tendenz sei sichtbar. Eine einheitliche Gebühr für alle eingereichten Produktionen sieht Gass für Oberhausen nicht. Es sei in seinen Augen kaum zu rechtfertigen, alle Einreichenden bezahlen zu lassen, wenn nur ein Bruchteil der Filme dann auch auf dem Festival laufe. Ihm sei wichtig, dass weiterhin alle Filmemacher*innen bei den Kurzfilmtagen einreichen können, denn auch Künstler*innen ohne Geld müssten eine Chance haben, gesehen zu werden. Die inhaltlichen Folgen seien nicht absehbar: „Das würde unser Programm nachhaltig beeinflussen und am Ende hätten wir vermutlich einen ziemlichen Überhang an angelsächsischen und europäischen Produktionen. Als internationales Festival wollen wir jedoch auch Filme aus der ganzen Welt abbilden“ so Gass. Mit Waivern und Ausnahmen wolle er jedoch nicht arbeiten, das sei nicht leistbar.

 

Expertise und Selbstverteidigungsmechanismen

 

„Wir sind uns unserer Verantwortung den Filmemacher*innen gegenüber mehr als bewusst,“ so Maike Mia Höhne, die 2019 die künstlerische Leitung in Hamburg übernommen hat. „Doch gerade deshalb müssen wir sicherstellen, dass die Filme von Expert*innen gesichtet und ausgewählt werden.“ Das ginge natürlich nur, wenn die Arbeit auch entsprechend vergütet wird. Dass Festivalarbeiter*innen auf nahezu keiner Position gut verdienen, sei ihr bewusst, aber es gehe doch gerade deshalb darum, qualitativ hochwertige Arbeit angemessen zu bezahlen. Es sei ja ein Unterschied, ob sie mit einem gewachsenen Team auswähle, das das Filmgeschehen über mehrere Jahre beobachtet und begleitet hat, oder mit einem jährlich wechselnden Praktikant*innenteam, das sich den Job nur einmal leisten kann. Die Anzahl der Einreichungen sei in den letzten Jahren enorm angestiegen, was den Arbeitsaufwand nochmals erhöht habe. Intern sei das Thema immer wieder diskutiert worden, die neu eingeführte Gebühr sei nun die Reaktion auf diese Entwicklung. Ausnahmen oder Ermäßigungen für Einreichende, die kein Budget haben, seien sicherlich möglich, so Höhne, man wolle mit der Gebühr keinesfalls jemanden vom Festival ausschließen. Damit argumentiert das Kurz Film Festival Hamburg ähnlich wie DOK Leipzig, das laut seiner Einreichrichtlinien[iii] eine Gebühr berechnet – der Early Bird Tarif beträgt 40, der Late Entry Tarif 50 Euro. Filmstudent*innen und Filmemacher*innen aus einigen Ländern sind automatisch von der Gebühr befreit, damit stellt das Festival Chancengleichheit sicher. Mit den Einnahmen aus den Gebühren finanziert das Festival laut Kim Busch aus der Programmabteilung teilweise das Sichtungsteam, bestehend aus 3 Festangestellten und 12 Freiberufler*innen.

 

Bei den Berlinale Shorts verhält es sich ähnlich – das Festival erhebt schon immer eine Gebühr pro eingereichtem Projekt. Aktuell liegt diese bei 75 Euro. Hochschulen bekommen einen Rabatt und das Programmteam hat eine bestimmte Anzahl von Waivern, die etwa für vom Festival proaktiv angeforderte Filme eingesetzt werden. Sektionsleiterin Anna Henckel-Donnersmarck nennt die Gebühr daher auch bewusst eine Verwaltungsgebühr, denn es gehe ja tatsächlich darum, die rund 4.000 eingereichten Filme technisch zu prüfen, zu managen, zu sichten und in einem mehrstufigen Prozess auf ein Wettbewerbsprogramm von 25-30 Filme zu reduzieren. „Ich bin sehr froh mich dabei nicht nur auf die Infrastruktur der Berlinale, sondern auch auf mein eingespieltes, 8-köpfiges Sichtungsteam verlassen zu können, das das Profil der Sektion sehr gut kennt und mit Sorgfalt, Erfahrung und Expertise die vielen Einreichungen sichtet“ so Henckel-Donnersmarck.

 

Ähnliche Gründe bewegten auch das interfilm – Internationales Kurzfilmfestival Berlin dazu, eine Gebühr einzuführen. Das Festival erhebt seit diesem Jahr eine Einreichgebühr von pauschal 8 Euro pro Film. Das Festival erklärt die Entscheidung in einer Erklärung online damit, dass sich seit der Einführung digitaler Einreichplattformen der Aufwand von den Filmemacher*innen in Richtung der Festivals verschoben hat. Um die Qualität des Festivals in all seinen Facetten halten zu können, ohne dass diese Aufwandsteigerung zulasten der Mitarbeiter*innen ginge, müsste deren Mindestlohn nun mithilfe der Einnahmen durch die Einreichungen aufgestockt werden. „Wir freuen uns sehr über jede Einreichung und darüber, dass es in den vergangenen Jahren immer mehr geworden sind. Mehr Einreichungen bedeuten aber auch mehr administrative Arbeit auf unserer Seite. Dafür ist eine Einreichgebühr unerlässlich geworden. So stellen wir sicher, dass jeder Film mit Sorgfalt gesichtet und evaluiert wird.“ so das Team im Statement. Bei einer Anzahl von jährlich 6000 eingereichten Filmen entsteht ein durchaus beträchtlicher Arbeitsaufwand. Ein Drittel der über die Gebühren generierten Einnahmen sollen also in die Entlohnung der Mitarbeiter*innen fließen, ein Drittel in die Kuratierung und administrative Infrastruktur und ein Drittel in Screening Fees. Das Festival weitet die zuvor den Spezialprogrammen vorbehaltene Screening Fee von 50 Euro auf alle Festivalfilme aus.

 

Insa Wiese, Leiterin der Kurzfilmwoche Regensburg, hat ebenfalls eine Einreichgebühr von 10 Euro eingeführt – allerdings nur für Nachzügler. Damit will sie sicherstellen, dass auch Produktionen einreichen können, die kein Budget für Gebühren haben, aber auf der anderen Seite ein Großteil der Filme so früh vorliegt, dass sie und ihr Team beim Sichten nicht in zusätzliche Zeitnot geraten.

 

Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest 2019 © Kasseler Dokfest

 

Gerhard Wissner, Festivalleiter des Dokumentarfilmfestivals in Kassel, fährt weiterhin die Strategie ohne Einreichgebühren. „Solange wir in Deutschland öffentlich finanzierte Festivals haben, ist das eigentlich nicht notwendig.“ Er beugt ungefilterten Masseneinreichungen von Agenturen durch eine eigene Einreichplattform vor. „Bei uns muss jeder Film einzeln angelegt werden und allein diese fünf Minuten, in denen man sich mit unserem System auseinandersetzen muss, funktioniert für uns wie ein Selbstverteidigungsmechanismus.“ Wissner spricht hier einen wichtigen Punkt an – die Finanzierung von Festivals. Denn während etwa im angelsächsischen Raum nahezu alle Festivals privat finanziert werden, also über Sponsoren und Spenden, setzen sich die Festivalhaushalte in Deutschland aus kommunaler oder regionaler Förderung und Sponsorengeldern zusammen. D.h. die meisten Festivals müssen Einreichgebühren nicht fix in ihren Haushalt einkalkulieren.

 

Förderer und Sponsoren

 

Eine Auswirkung auf die Förder- und Sponsorengelder sehen die Festivalmacher*innen hingegen nicht. Kein Geldgeber habe Zuwendungen verringert oder zurückgezogen, weil durch die Gebühren Mehreinnahmen entstehen. Lars Henrik Gass erwähnt, dass dies einmal kurz diskutiert worden war, jedoch sei das nie ernsthaft zur Debatte gestanden. „Dafür sind die Summen, die wir mit der Gebühr einnehmen auch viel zu gering.“ 2020 zahlten nach dem Oberhauser System 170 Produktionen eine Gebühr.

 

Ähnlich argumentiert Insa Wiese: Ihre Einnahmen durch Gebühren belaufen sich auf etwa 2.000 Euro, die nicht fix im Haushalt eingeplant sind. „Das ist ein minimaler Betrag, den wir aber gerne für Reisekosten verwenden – das ist ein Gast mehr auf dem Festival, das ist ja im Sinne der Filmschaffenden und des Publikums.“

 

Das große Geschäft mit den Gebühren macht keines der Festivals. Die Höhe der Gebühren bewegt sich bei den kleineren Festivals immer unter 20 Euro pro eingereichtem Projekt. In Hamburg wird es im ersten Monat ab Ausschreibung eine Early Bird Gebühr von 6 Euro geben, im Anschluss sollen dann 8 Euro pro Projekt fällig werden.

 

 

[i] https://www.interfilm.de/service/filme-einreichen-interfilm/

[ii] Siehe auch: https://www.shortfilm.de/neue-festivaltypen-als-verwerter-der-filmflut/

[iii] https://www.dok-leipzig.de/faq-einreichung