Die Kunst, Filme zu zeigen (09/09)

Report

Die Kunst, Filme zu zeigen oder: Ein gutes (Kurz)filmprogramm ist wie eine gute Party

„Prepare your series of courses with subtle attention to sequencing (including appetizers, hearty dishes, palate cleansers, bitter greens and desert); this is the curating. Invite your guests with some care to provide conversation partners for the works; this is the audience. Then let the party happen, don’t try to control it, and trust that something interesting and satisfying will happen in the course of the evening. The dinner-party-model is performative in that it depends on the unfolding of unforeseen events. „

[„Legen Sie bei der Planung Ihres Menüs besonderen Wert auf die Reihenfolge (einschließlich Vorspeise, herzhafte Speisen, etwas zur Neutralisierung des Gaumens, bitteres Gemüse und Dessert); dies ist das Kuratieren. Achten Sie bei der Auswahl Ihrer Gäste darauf, das Gespräche über Ihre Arbeit entstehen können; dies ist das Publikum. Dann lassen Sie die Party in Gang kommen; versuchen Sie nicht, sie zu kontrollieren und vertrauen Sie darauf, dass im Laufe des Abends etwas Interessantes und Zufriedenstellendes passieren wird. Das Dinnerparty-Modell ist als Vergleich geeignet, da es von der Entfaltung unvorhergesehener Ereignisse abhängt.“]
– Laura Marks –

Die erfahrene Kulturwissenschaftlerin und Kuratorin Laura Marks beschreibt den Prozess des Kuratierens als Analogie zur Ausrichtung einer perfekten Dinnerparty. Nicht von ungefähr fühlt man sich dabei an die literarischen Salons des 18. Jahrhunderts erinnert. Damals firmierten die Gastgeber, besser gesagt: die Gastgeberinnen (zum Großteil wohlhabende und gebildete Frauen aus der Oberschicht) jedoch noch nicht unter dem Label „Kurator“, sondern verstanden sich schlicht und einfach als Gesellschafterinnen.

Wie die legendären Salonières setzen Kuratoren Kunstwerke miteinander und mit dem Publikum in Beziehung. Sie wählen aus dem reichen, vielfach für den Zuschauer kaum zu überblickenden künstlerischen Angebot einzelne Kunstwerke aus und kombinieren sie mit anderen. Dieses „Programm“, diese persönliche Auswahl, vermitteln Kuratoren – oft persönlich – dem Publikum.
Auch wenn das Berufsbild des Kurators noch relativ jung ist, die Idee, die dahintersteht, ist es nicht. Und seit der Trend zu großangelegten, thematischen Ausstellungen geht, rücken die Kuratoren immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Aus Vermittlern zwischen Künstlern und Publikum sind selbst kleine Stars geworden. So wird den Kuratoren der Documenta inzwischen von Publikum und Feuilleton eine fast hymnische Verehrung entgegen gebracht, die allerdings bei Nichtgefallen sofort in nicht minder große Verachtung umschlagen kann. Kurz gesagt: Der Beruf des Kurators ist im kulturellen Mainstream angelangt. Mit allen Vor- und allen Nachteilen.

Auch in der Filmszene schießen die Kuratoren nur so aus dem Boden. Sei es als Programmgestalter in Programm- oder Arthauskinos oder als Urheber großangelegter Retrospektiven und thematischer Sonderprogramme auf Festivals. Sogar die Tätigkeit der Filmauswahl für Wettbewerbe wird vielerorts schon als kuratorische Tätigkeit begriffen. Es ist kaum verwunderlich, dass es besonders häufig Kurzfilme sind, die die Zuschauer in „kuratierter Form“ erreichen. Schließlich kommen Kurzfilme in der aktuellen Kinolandschaft nur selten als „Einzelfilme“, z.B. als Vorfilme vor, sondern vor allem in Form von Kurzfilmprogrammen. Und die muss immer jemand zusammen stellen.

Grund genug, sich mit der Tätigkeit des Kuratierens einmal genauer auseinander zu setzen. Ziemlich zeitgleich sind zu diesem Thema im letzten Jahr zwei Bücher erschienen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten.

Der auf Englisch herausgegebene Band „Film Curatorship: Archives, Museums, and the Digital Marketplace: Museums, Curatorship and the Moving Image“ protokolliert Gespräche zwischen vier aktiven Filmkuratoren und -archivaren. Den Mittelpunkt des Quartetts bildet sicher Alexander Horwath, der umtriebige Direktor des österreichischen Filmmuseums und Kurators des Filmprogramms der Documenta 12. Seine Gespräche mit Paolo Cherchi Usai, einem der Gründer des renommierten Stummfilmfestivals in Pordenone, heute Direktor des National Film and Sound Archive of Australia und David Francis , der sowohl das British Film Archive als auch für die Filmabteilung der Library of Congress in prägender Weise verantwortlich war, sowie Michael Loebenstein, der jüngste im Bunde, der ebenfalls am österreichischen Filmmuseum als Kurator tätig ist, sind in dem Band enthalten.

Im Vorwort schreiben die Herausgeber, sie hätten sich bewusst gegen die klassische Form eines Essaybands entschieden und zögen das Chaos der direkten Diskussion der höflichen Sterilität des Konsens vor. Tatsächlich offenbaren die transkribierten Gespräche demjenigen, der sich darauf einlasst, diese Bleiwüste von über 200 dicht bedruckten Seiten zu durchmessen, viele spannende Kontroversen und Gedankengänge. Allein: der Weg dorthin ist ausgesprochen beschwerlich. Das liegt nicht mal daran, dass der Band auf Englisch erschienen ist, sondern vor allem an der inhaltlichen und formalen Gestaltung.

Wer hier die durchaus vorhandenen gedanklichen Perlen finden will, ist gezwungen, das Buch von hinten bis vorne durchzulesen, inklusive aller Redundanzen, die ein Gespräch, das sich über Jahre hinweg zwischen vier Personen entwickelt hat, eben mit sich bringt. Mit kargen und wenig informativen Überschriften und ohne ein einziges Bild (in einem Buch über die Präsentation von Filmen!) macht es „Film Curatorship“ seinen Lesern wirklich nicht leicht. Da können die Diskussionen noch so kenntnisreich sein, die Lektüre gestaltet sich anstrengend. Eine maßvolle redaktionelle Bearbeitung der Gedankenströme hätte die Lesbarkeit des Textes sicher verbessert, nicht zuletzt deshalb, weil ein erfahrener (außenstehender!) Redakteur vielleicht den einen oder anderen Exkurs in Richtung des eigenen Bauchnabels verhindert hätte.

Einen anderen, und zwar den ganz klassischen Weg, beschreitet die zweite Publikation zum Thema, Heike Klippels Aufsatzsammlung „The Art of Programming. Film, Programm, und Kontext“. Klippel, die als Professorin an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig lehrt, hat eine ganze Reihe von Filmkuratoren und -wissenschaftlern versammelt, die das Thema aus historischer, theoretischer und praktischer Sicht umkreisen. Vor allem die historischen Ursprünge des Programmierens werden sehr kenntnisreich beleuchtet. Eine hervorragende Einführung bietet auch der Artikel von Christian Hüls, der sich mit der Entwicklung der Filmprogramme seit den 60er Jahren auseinander setzt und ganz nebenbei einen guten Überblick über die bisherige Diskussion zum Thema liefert.
Eine gute Ergänzung zu dieser wissenschaftlichen Herangehensweise bieten die zahlreichen Interviews mit aktiven Filmkuratoren wie Florian Wüst, Karola Gramann, Stefanie Schulte Strathaus und Birgit Hein, die auf sehr unterschiedliche, aber immer unterhaltsame Weise die eigene Praxis reflektieren. Neben den Kuratoren kommen dankenswerterweise auch Filmemacher zu Wort, die die „andere Seite“ beleuchten, nämlich die des Künstlers, dessen Filme durch den Kurator programmiert werden – und damit eben in einen ganz speziellen Zusammenhang gestellt werden, ob er will, oder nicht. Sehr erfrischend liest sich dazu das Interview mit Karl Kels, dessen Experimentalfilm FLUSSPFERDE einmal von den Organisatoren eines Frankfurter Open Air Kinos gemietet wurde, die ihn ungesehen – weil er kurz vorher einen Preis gewonnen hatte – vor PULP FICTION zeigten. Eine Kombination, die beim Publikum weniger gut ankam.

Heike Klippels Band kommt das zu Gute, was auch ein gutes Kurzfilmprogramm ausmacht: die verschiedenen Texte ergänzen einander, beleuchten das Thema von ganz unterschiedliche Seiten und bieten dem Leser viele Möglichkeiten gedanklich anzudocken. Dieser Einstieg fällt beim „Film Curatorship“, dem Gespräch der kuratorischen Viererbande, deutlich schwerer. Bedenkt man, dass ein guter Kurator beim Zusammenstellen seiner Programme immer auch ans Publikum denken sollte, dann hat Klippel mit ihrem Band mehr Umsicht bewiesen. Für ausgewiesene Fachleute hält auch der intellektuelle Brainstorm zwischen Alexander Horwath und seinen Kollegen eine ganze Reihe spannender Gedanken bereit, alle anderen Filminteressierten dürften mit „The Art of Programming“ erstmal besser bedient sein.

Luc-Carolin Ziemann

„Film Curatorship: Archives, Museums, and the Digital Marketplace: Museums, Curatorship and the Moving Image“ hrsg. von Paolo Cherchi Usai, David Francis, Alexander Horwath, Michael Loebenstein, Wien: Synama 2008

„The Art of Programming: Film, Programm und Kontext“ hrsg. von Heike Klippel, Münster: Lit Verlag 2008

 

 

 

 

 

 

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