Kurzfilmfestivals und Video-on-Demand Teil 2 Kooperationen mit VoD-Anbietern

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VoD-Podium Oberhausen 4.5.19, vlnr: Margo Cayla (Festival Scope), Anaïs Lebrun (MUBI), Reinhard W. Wolf (Moderation), Giacomo Hug (Locarno Film Festival) © Kurzfilmtage / Daniel Gasenzer

Video-on-Demand ist eine Option für Filmfestivals, die ihre Reichweite orts- und zeitungebunden im Internet erweitern wollen. In diesem zweiten Teil des Artikels über „Kurzfilmfestivals und Video-on-Demand“ geht es um Kooperationen mit Anbietern wie MUBI und Festival Scope, die speziell auf Festivals abgestimmte Modelle entwickelt und bereits Erfahrungen mit Kurzfilmprogrammen von Festivals gesammelt haben.

 

Der Betrieb einer Streaming-Plattform ist sehr aufwändig und extrem teuer. Multimediale Daten lassen sich nicht einfach wie ein PDF auf die eigene Website stellen und verbreiten. Verkürzt dargestellt sind drei technische Systeme erforderlich, um ein Video in angemessener Qualität vorzubereiten, bereitzustellen und zu verbreiten: ein Inhaltsanbietersystem (CPS), ein Diensteanbietersystem (SPS) und das Endbenutzersystem (SCS)[1].

 

Technisch und organisatorisch nehmen deshalb Plattformen wie Festival Scope und MUBI Filmfestivals, die sich und ihr Filmprogramm online präsentieren wollen, eine ganze Menge Arbeit[2] ab.

 

 

Festival Scope

 

Nach eigenen Angaben ist Festival Scope[3] die größte europäische Plattform für Filmfestivals. Zu ihr gehört die B2B-Plattform Festival Scope Pro und die B2C-Plattform Festival Scope. Von den etwa 3000 Filmen im Katalog beider Plattformen sind 30 bis 40 % Kurzfilme[4]. Die nicht öffentlich zugängliche Pro-Plattform dient dem Handel und der Promotion von Filmen. Registrierte Filmprofis können Filme ansehen, neue Talente entdecken, Rechteinhaber und Filmemacher kontaktieren und exklusive Inhalte von Festivals und Koproduktionsmärkten ansehen.

Während Festival Scope Pro sich an die Branche richtet, ist Festival Scope eine Streaming-Plattform, die sich mit Filmen internationaler Festivals direkt an das Publikum wendet. Der Zugang[5] zur professionellen Plattform ist gebührenpflichtig, während die Anmeldung zur öffentlichen Plattform kostenlos ist.

 

Screenshot Festival Scope 26.08.2019

Festival Scope unterhält Partnerschaften mit mehr als 90 renommierten Filmfestivals, darunter auch Kurzfilm-Festivals wie Clermont-Ferrand, Curtas Vila do Conde oder Premiers Plans Angers. Im Unterschied zu klassischen Video-on-Demand-Plattformen werden die Filme nur während eines relativ kurzen Zeitraums angeboten. In der Regel werden sie wenige Tage nach der Festivalaufführung etwa zwei Wochen lang gezeigt.

 

Festival Scope limitiert das Streaming-Angebot auch quantitativ. In Analogie zur begrenzten Sitzkapazität eines Kinos, wird von vornherein nur ein bestimmtes Kontingent an virtuellen Eintrittskarten zur Verfügung gestellt. So kommen nur 200 bis 500 Leute weltweit innerhalb des Zeitfensters in den Genuss eines Zugang.

 

Festival Scope versteht diesen Dienst, statt Video-on-Demand, deshalb eher als ‚Festival-on-Demand‘[6]. Der Metapher folgend werden Merkmale eines Festivals virtuell repliziert. Dem entspricht auch, dass Festival Scope keinen großen Katalog an Filmtiteln zur freien Auswahl vorhält, sondern nur Filme in kuratierten Programme. Genau genommen sind die Streaming-Angebote dann doppelt kuratiert, denn aus dem Pool an Filmen, den die Programmjury des Festivals aus den Einreichungen programmiert hat, treffen das Festival und Festival Scope in einem nächsten Schritt eine zweite, engere Auswahl, die online angeboten wird.

 

 

MUBI

 

MUBI gibt es schon etwas länger als Festival Scope. Der Vorläufer „The Auteurs“ wurde 2007 als Netzwerk für Cinephile gegründet[7]. In den ersten Jahren folgte „The Auteurs“ dem Mediathek-Modell. Das heißt, es wurde eine Library an Filmen aufgebaut, um wichtige und interessante Filme, darunter auch Filmklassiker, der Öffentlichkeit online zugänglich zu machen. In vielen Fällen handelte es sich um Titel, die auf dem Verleihmarkt nicht mehr zur Verfügung standen. Dieses Mediathek-Modell war aber ökonomisch nicht tragfähig und wurde von einem Rotationsmodell abgelöst.

 

Mit dem geänderten Geschäftsmodell ist MUBI ein Pionier des kuratierten VoD-Angebots. Das Programm ähnelt dem eines Programmkinos. Nur dass es jeden Tag einen neuen Film gibt, der zeit- und ortsungebunden 30 Tage lang zu sehen ist bevor er ersetzt wird. Das Programm wird von MUBI publizistisch vom Magazin „Notebook“ und kommunikativ von Kommentarfunktionen für die Community begleitet.

 

In seinen Specials bietet MUBI auch Filmfestivals eine Plattform. Wie in der Vergangenheit etwa den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen, obwohl Kurzfilm bei MUBI nicht im Mittelpunkt steht.

 

Die Programme werden bei MUBI in enger Kooperation mit dem jeweiligen Festival abgesprochen. Neben kuratorischen Aspekten, spielt bei der Auswahl auch noch eine Rolle, dass man einem Film, der vielleicht gerade erst seine Premiere hatte, eine zukünftige ‚Festivalkarriere‘ nicht durch eine frühe Online-Veröffentlichung verbauen möchte. Dieser Aspekt wird auch von Festival Scope beachtet. Aus dem gleichen Grund hat auch das Locarno-Filmfestival 2019 für seine Online-„Shorts Weeks“ ältere Filme ausgewählt, die bereits 2017 ihre Festivalpremiere hatten.

 

Screenshot MUBI Special 26.8.2019

Die Online-Präsenz ist bei MUBI, wie für alle anderen Angebote, auch für Festivalfilme auf 30 Tage begrenzt. Die Filme werden bzw. müssen nicht unmittelbar nach der Festivalpremiere online gestellt werden. So wurden, zum Beispiel, die Filme aus dem Wettbewerb der Kurzfilmtage Oberhausen im Mai 2019 ab Mitte Juni auf MUBI veröffentlicht.[8]

 

Festivalprogramme sind für MUBI mit einem besonderen Aufwand verbunden, weil sie nicht so recht in die bestehende Struktur passen. Als Besucher der Website merkt man das auch, wenn man versucht das Oberhausen-Programm oder die Filme eines bestimmten Festivaljahres mit Hilfe der MUBI Benutzerschnittstellen zu finden.

 

MUBI müsste dafür Rubriken oder spezielle Kanäle einrichten. Solche Überlegungen werden bei MUBI derzeit angestellt, wie Anaïs Lebrun[9] auf dem VoD-Panel in Oberhausen erwähnte. Damit könnten zum Beispiel Collections aus dem vorhandenen Repertoire zusammengestellt werden oder spezielle Channels, die Filmgattungen wie zum Beispiel Kurzfilm gewidmet sind, angeboten werden.

 

Auf jeden Fall ist MUBI an weiteren Kooperationen mit Festivals interessiert. Das hat auch einen ganz praktischen Grund. Da MUBI eine kuratierte Streaming-Plattform ist, sind Vorschläge und Erfahrungen der Festivals willkommen. Im Kurzfilmsektor ist – im Unterschied zum Umfeld langer Spielfilme – die Expertise der Programmmacher von Festivals besonders gefragt. Das liegt an der enormen Vielfalt der kurzen Form und nicht zuletzt auch an der schieren Menge an Filmen. Beides kann von Mitarbeitern der VoD-Plattform nicht alleine bewältigt werden.[10]

 

 

Vorteile einer Kooperation mit VoD-Plattformen

 

Da sind zunächst einmal die Kosten zu nennen. Investitionen in eigene Asset-Management-Software und Server-Strukturen sowie deren Wartung entfallen. Die Nutzung der Dienstleistungen von VoD-Plattformen müssen aber natürlich bezahlt werden. Zu den Positionen gehören Marketing- und Technikkosten. Hinzukommen noch Kosten für Untertitelungen, die von der geografischen Reichweite, also der Zahl der Sprachen und Länder, in denen die Plattform präsent ist, abhängen. Der Mitteleinsatz ist für Filmfestivals aber unvergleichlich niedriger als die Kosten einer eigenen Plattform-Architektur, die sich mit großer Wahrscheinlichkeit nie amortisieren lassen.

 

Jede Streaming-Plattform hat außerdem einen eigenen Kundenstamm, der auf die Festivals und die Filme aufmerksam gemacht wird. Damit vervielfacht sich die Reichweite geografisch wie soziokulturell gegenüber der üblichen Reichweite eines ortsgebundenen Filmfestivals und seiner Anhängerschaft.

 

 

Video on Recommand[11]

 

Natürlich ist es möglich, wie es das Locarno Film Festival mit den „Shorts Weeks“[12] beispielhaft gezeigt hat, in Eigenregie auf der eigenen Website Festivalfilme, die auf einem Streaming-Dienstleister gehostet sind, einzubetten. Das ist aber nur als Gratisdienst, ohne Zugangsbeschränkung und ohne Feedback möglich. Und man erreicht nur den Personenkreis, der die Website besucht, sich also bereits für das Festival interessiert hat. Der Programmleiter des Kurzfilmwettbewerbs Pardi di domani, Giacomo Hug, wies aber darauf hin[13], dass so immerhin nicht nur die Filme und Filmemacher eine größere Sichtbarkeit erfahren haben, sondern auch das Festival davon profitierte, insofern sowohl potentielle Einreicher als auch potentielle Besucher sich ein Bild vom Profil des Festivals machen können und einen Eindruck vom Programm erhalten. Nicht zuletzt ist dies auch ein kleiner Ersatz für Interessierte, die selbst nicht zum Festival fahren können.

 

Dennoch, die Empfehlung für Festivals lautet mehrgleisig zu fahren und auf mehreren Plattformen präsent zu sein. Diese können ein jeweils anderes Klientel und Profil haben oder andere Territorien bedienen. Nicht ohne Grund ist auch das Locarno Film Festival sowohl bei MUBI (Special, expired) und bei Festival Scope (9. bis 31. August) präsent.

 

Ohnehin ergänzen sich die kuratierenden Plattformen eher als sie gegeneinander konkurrieren. Mit klassischen VoD-Plattformen, die Exklusivität verlangen und Filme passiv zum Abruf aus einer Videothek mit Tausenden von Titeln anbieten, sind solche Kooperationen schlecht möglich.

 

 

Verknappung erhöht Aufmerksamkeit

 

Eigentlich ist es paradox, wenn ausgerechnet im Internet, dessen Vorteile ja die dauerhafte Speicherung und ständige Verfügbarkeit sind, der Zugang zu Filmen künstlich eingeschränkt wird. Aber genau dies ist nach übereinstimmender Meinung der Panel-Teilnehmer in Oberhausen der Schlüssel zum Erfolg.

 

Die zeitliche Beschränkung auf eine relativ kurze Periode des Angebots und die künstliche Teilnehmerbeschränkung wirkt sozialpsychologisch motivierend. Sie unterstützt ein Social-Media-Phänomen, das als „Fear of Missing Out“ (FOMO) bezeichnet wird. Und die Verknappung des Angebots wirkt, wie auch sonst in der Ökonomie, wertsteigernd.

 

Folglich erfüllen aber solche befristeten Modelle nicht den Wunsch von Filmfestivals nach ganzjähriger Erweiterung und Präsenz im Internet. Gleichwohl sind kuratierte VoD-Kooperation für Festivals (und Filmemacher) sehr nützlich. Sie generieren Aufmerksamkeit weit über die eigenen sozio-kulturellen und geografischen Grenzen hinaus. Filmfestival können so ihr Profil und den Wert ihrer Arbeit weit über die eigene Reichweite hinaus verbreiten und vermitteln.

 

 

Erfolg

 

Das Erfreuliche ist, und das war für mich das überraschendste Ergebnis der Podiumsdiskussion, dass auf diesen Plattformen der Kurzfilm, anders als vielleicht im Kino oder im Fernsehen, wirklich sehr erfolgreich ist. Nach übereinstimmender Meinung, und die Zahlen belegen dies, sind Kurzfilme in kuratierten Online-Programmen sogar erfolgreicher als Filme anderer Gattungen. Dies liegt in diesem Fall nicht nur an der kürzeren Laufzeit. Wie man vermuten darf, haben kurze Filme, angesichts der Bequemlichkeit der Nutzer und der Flüchtigkeit des Konsums von Medieninhalten auf mobilen Endgeräten, einen Vorteil gegenüber langen Filmen.

Der Erfolg basiert jedoch eher auf der Vermittlungsform. Kuratierte Programme sind attraktiver und vertrauenswürdiger als ein Katalogangebot meist unbekannter einzelner Titel. Das Renommee der Festivals, die als Programmanbieter in der sonst üblichen Verwertungskette den anonymen Aggregator vorteilhaft ersetzen, spielt dabei ebenso eine Rolle wie die fachliche Qualifizierung der Kuratoren, die hinter der Programmauswahl stehen. Die kooperierenden Plattformen tragen dann mit ihren speziellen Erfahrungen im Bereich Audience Building und mit ihrem technischem Support zum gemeinsamen Erfolg bei.

 

Reinhard W. Wolf

 

 

Anregung und Anstoß für den Artikel gab eine Panel-Diskussion bei den Internationalen Kurzfilmtagen 2019[14]

Siehe auch Teil 1 „Festivaleigene VoD-Initiativen

 

Ein Mitschnitt der Diskussion kann als Podcast (Indiefilmtalk) nachgehört werden

 

 

 

 

[1] Im Content Provider System (CPS) werden multimediale Daten und Anwendungen generiert, wie zum Beispiel das Encoding und Transcoding, interaktive Abspiel-Features oder mehrsprachige Untertitelungen. Das Service Provider System (SPS) umfasst die Speicherung der Inhalte und die Bereitstellung auf Anfrage der Endbenutzer. Da für jeden VoD-Benutzer in geographischer Nähe ein eigener Kanal bereitgestellt werden muss, ist ein Content Delivery Network, d.h. ein Netzwerk leistungsstarker Server erforderlich (CDN). Das Service Consumer System (SCS) liefert schließlich Content-Management-Funktionen, die auf das Endgerät des Benutzers abgestimmt sind und dort ausgeführt werden. Hierzu gehören u.a. Zugangs- und Abrechnungsysteme, das Digital Rights Management, Feedback-Kanäle und die Auswertung von Nutzerdaten.

 

[2] Auch VoD-Plattformen verwalten in der Regel nur den inhaltsbezogenen Bereich (CPS) selbst. Sie haben aber Verträge mit weiteren hochspezialisierten Unternehmen, bei denen sie die übrigen Systemleistungen (SPS, SCS) anmieten.

 

[3] Festival Scope gehört der Moving Scope SAS mit Sitz in Paris, die 2010 von Alessandro Raja, Mathilde Henrot and Lucie Kalmar gegründet wurde, um die B2B-Plattform Festival Scope Pro zu betreiben.

 

[4] nach Auskunft von Margo Cayla, Oberhausen 4.5.19

 

[5] Anmeldung https://pro.festivalscope.com/join

 

[6] Margo Cayla, ditto

 

[7] ursprünglich in Großbritannien gestartet, hat MUBI Inc. seinen Geschäftssitz inzwischen in den USA (Palo Alto, CA). Geschäftsführer ist Efe Çakarel, der Gründer des Vorgängers „The Auteurs“

 

[8] siehe auch „Competing at Oberhausen“ https://mubi.com/de/specials/oberhausen

 

[9] Anaïs Lebrun, MUBI International Programming Director

 

[10] »I need help and cannot do everything by myself. So I need that network of people and festivals to help me to choose what would be the best film to show on the platform«, Anaïs Lebrun, Oberhausen 4.5.19

 

[11] »recommand is like a recommendation but you have no choice« (Urban Dictionary;-)

 

[12] Das Filmfestival von Locarno hatte Anfang 2019 einen Monat lang auf seiner Website jeden Tag einen neuen Film aus dem Kurzfilmprogramm Pardi di domani des Jahres 2017 angeboten. Die insgesamt 27 Filme blieben je eine Woche lang kostenlos verfügbar

Locarno Shorts Weeks 14.2. bis 12.3.2019: https://www.locarnofestival.ch/pardo/festival-del-film-locarno/section-and-awards/sections/pardi-di-domani/shorts-weeks/shorts-weeks

s.a. Kurzfilmmagazin News vom 1.3.19: https://www.shortfilm.de/locarno-film-festival-startet-shorts-weeks-online/

 

[13] [14] „Video-on-Demand: Neue Chancen für Filmemacher und Festivals?“, Oberhausen 4. Mai 2019; Teilnehmer: Margo Cayla (Festival Scope, Project Manger), Giacomo Hug (Locarno Film Festival, Pardi di domani Programming Office), Anaïs Lebrun (MUBI, Director of International Programming); Moderation: Reinhard W. Wolf

 

 

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