Content-Qualität im Web 2.0 – Werbewirtschaft stellt Videohoster vor schwierige Fragen

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Es ist schon beinahe rührend, wie naiv sich die up-and-coming Generation im Web 2.0 neuerdings unfreiwillig dem Thema Content-Qualität annähert. Unfreiwillig, weil ihnen die Diskussion von der Werbewirtschaft aufgedrängt wird. In Erwartung guter Ratschläge werden nun erstmal prominente Experten aus der traditionellen (off-line) Filmkultur eingeladen. So auch kürzlich zum Mobile World Congress 2008 in Barcelona. Anläßlich einer Kurzfilminitiative des Mobiltelefon-Weltverbands GSMA wurde Robert Redford vom Sundance Institute bemüht. Redford schien nicht besonders beeindruckt von der Möglichkeit Filme auf den neuen innovativen 2.4 inch Handy-Displays zu betrachten. Er betonte hingegen, wie wichtig es jetzt sei bei den Inhalten die Spreu vom Weizen zu trennen. Diplomatisch meinte Redford, „YouTube und ähnliche Werkzeuge finden wunderbare Wege um Filme darzustellen, doch Sie müssen das Thema Qualität angehen.“

Denkwürdig ist hier natürlich nicht, dass jemand wie Robert Redford filmische Qualität einfordert, sondern, dass die Frage nach der Qualität von Inhalten den Vertretern des Web 2.0-Business wie ein neues, noch unentdecktes Terrain vorkommt.

 

Qualitätssuche auf Videosharing-Plattformen – ein hoffnungsloser Fall?

Millionen von Videoclips kursieren inzwischen im Internet bei YouTube & Co. Es gehört zum Grundprinzip der Videohoster, dass sie eine Plattform zur Veröffentlichung nahezu beliebiger Inhalte ungeachtet ihrer Qualität bieten. Abgesehen von bestimmten ethischen und rechtlichen Regeln, gibt es keinerlei Einschränkung, insbesondere nicht bezüglich der formalen und ästhetischen Qualität der Filme, die von den Nutzern hochgeladen werden. Da es keine Filter und Bewertungskriterien bei der Eingabe und Verwaltung der Inhalte gibt, ist auch umgekehrt bei der Sichtung und Wiedergabe keine Auswahl der Filme nach Qualitätskriterien möglich.

Das einzige Bewertungskriterium, das Videosharing-Plattformen kennen, ist rein quantitativ-statistisch ermittelt: in Ranking-Listen werden die hochgeladenen Videos nur nach der Häufigkeit ihres Abspiels sortiert. Diese Rankings geben den Grad der Beliebtheit einzelner Filme wieder. Beliebtheit ist aber eine psychologisch-soziale Kategorie, die keine Rückschlüsse auf inhaltliche, formale oder gar ästhetische Qualitäten der Inhalte erlaubt. Rankings nach Beliebtheit geben Qualitätssuchenden nur scheinbar eine Orientierung. Sie lenken die Neugier der Besucher der Website nur auf das, was andere vor ihnen gesehen haben. Und selbst in der Messung der Beliebtheit sind sie nicht besonders zuverlässig, denn Rankings bewirken – ähnlich einer sich selbst erfüllenden Vorhersage – einen zirkulären Verstärkereffekt. Für die Videohoster selbst haben diese statistischen Auswertungen ohnehin eine ganz andere, ökonomisch relevante Funktion.

 

Rankings – die Einschaltquoten des Internets

Rankings auf Videoplattformen sind den Einschaltquoten beim Fernsehen vergleichbar. Das ursprüngliche Motiv für die Ermittlung von Einschaltquoten war die Messung des Marktanteils eines Senders und die Feststellung der Reichweite von Sendungen als Kennzahl für die Werbewirtschaft. Die Ergebnisse wurden bald aber auch als – eigentlich falscher – Maßstab für die inhaltliche Qualität herangezogen. Inzwischen dienen Einschaltquoten sogar Programmverantwortlichen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Orientierung bei der Programmgestaltung und als Argument bei inhaltlichen Entscheidungen. Die quantitative Messung von Beliebtheit ersetzt also beim Fernsehen tendenziell die qualitative Bewertung als Beurteilungskriterium.

Diese „Gefahr“ besteht bei den Videohostern „sozialer Medien“ zunächst eigentlich nicht, da sie selbst kein Programm gestalten und kaum Einfluß auf die Inhalte und deren Qualität nehmen. Rankingstatistiken sind nur wichtig um in Verhandlungen mit Werbefirmen handfeste Nachweise für Werbekontakte liefern zu können und die Preisgestaltung für Werbemaßnahmen objektivierbar zu machen.

Dies dürfte sich jetzt ändern. Interessanterweise hat ausgerechnet die Werbewirtschaft beziehungsweise haben ihre Auftraggeber eine Diskussion über die Qualität von Filmen auf Online-Plattformen losgetreten. Die reine Quantität, etwa der Zahl der Werbekontakte, genügt ihnen nicht mehr. Sie verlangen zunehmend ein qualitativ hochwertiges, zumindest anspruchsvolles Umfeld für ihre Produktwerbung. Damit stehen die Provider unter Druck sich Gedanken sowohl über die Qualitätssicherung als auch über die Messung von Qualität der verbreiteten Inhalte zu machen.

 

Qualitätssuche 1: Quantitativ-demografische Methoden und Statistik-Tools

Der erste Schritt zur Erfüllung der Erwartungen von Werbekunden bestand in der weiteren Verfeinerung der demografischen Analyseinstrumente und Auswertungsmethoden. Einige dieser Methoden und Strategien haben wir an anderer Stelle bereits ausführlich beschrieben, wie etwa das Analyse-Tool Insight in dem Artikel  „YouTube führt Tool zur Recherche und Auswertung von Zugriffen ein“. Diese neuen Tools können die Treffsicherheit der Werbemaßnahmen, also das Erreichen spezifischer Zielgruppen, zwar verbessern, eignen sich aber nur zur Bewertung der passiven Nutzer und nicht der Videos, die sie sich anschauen.

Der nächste Schritt war die Einrichtung von qualitativ anspruchsvolleren Channels und diente damit direkt der Qualitätssicherung, allerdings indirekt durch Mittler. Die Auswahl und Bewertung wird den Kooperationspartnern überlassen, die als externe Contentprovider für die Inhalte der Channels verantwortlich sind (siehe hierzu in unserem Archiv “ Kurzfilm online – The Golden Age of the Shorts? Teil 2″).
Auf Veranlassung der Werbewirtschaft und nichtzuletzt wegen der wirtschaftlichen Flaute im Online-Marketing stehen Qualitätsfragen jetzt auf der Agenda fast aller Fachkongresse. So auch bei der diesjährigen EconSM (Economics of Social Media). Es erwies sich dort, dass sich insbesondere der Marktführer YouTube mit der Lösung der Qualitätsfragen schwer tut. Die Probleme werden erkannt – die immer hektischer und in kürzeren Abständen ergriffenen Maßnahmen in diese Richtung belegen das. Die Maßnahmen selbst zeugen aber gleichzeitig davon, dass man meist nicht in der Lage ist über den Schatten der eigenen Firmenideologie zu springen. So wurde bei YouTube als großer Fortschritt die Entwicklung eines weiteren statistischen Algorithmus verkündigt. Mit diesem lässt sich frühzeitig erkennen, welche Videos in Zukunft die Chance haben in den Rankings beliebt zu werden. Sie können dann als „about-to-go-viral-videos“ den Werbepartnern angeboten werden. Hiermit wird aber nicht das Problem der Qualität der verbreiteten Inhalte gelöst. Auf der EconSM-Konferenz meinte YouTube’s Leiter der Partnerschaftsprogramme, Jordan Hoffner, die größte Herausforderung sei es Qualitätsvideos zu entdecken und nannte das Beispiel, dass es viel leichter sei im Internet einen brauchbare Reiseführer für Paris zu finden als eine „˜quality comedy“˜. Der Gedankengang blieb also auf der Problematik der Suche stecken (YouTube gehört schließlich der Suchmaschine Google :-). Als Abhilfe wußte er folglich nur die Empfehlung an die Content-Hersteller zu richten, das „˜metatagging“˜ ihrer Werke zu verbessern.

Auf dem gleichen Panel meinte auch der Veoh-Gründer Dmitry Shapiro Qualität sei wichtig und der ruckelnde Videoclip auf Videosharing-Plattformen werde nach und nach von unterhaltsamen Videos abgelöst, die man auch gerne ein zweites Mal anschaut. Und Ross Levinsohn von Velocity ging noch einen Schritt weiter. Er setzt statt auf User-Generated-Content („hardest to monetize“) auf sogenannten „˜prosumer content‘, also auf semiprofessionell hergestellte Filme …

Wenige Wochen nach der EconSM-Konferenz überraschte YouTube dann mit einer Neuerung, die direkt auf Qualitätssicherung abzielt und überhaupt nicht mehr zum Konzept einer Video-Sharing-Plattform passt. In einem sogenannten Screening Room präsentiert YouTube seit Juni 2008 anspruchsvolle Kurzfilme, die nicht auf anderen Seiten eingebettet werden können. Dabei handelt es sich überwiegend um bekannte Filme, die auf internationalen Festivals oder bei den Academy Awards ausgezeichnet wurden, aber ihre Festivalkarriere bereits hinter sich haben. Diese Filme wurden, ganz im Gegensatz zur üblichen Praxis, von YouTube aktiv akquiriert. Über die Vertragsverhältnisse mit den Urhebern und über Modalitäten der Auswahl schweigt sich YouTube aus. Die Pressemitteilungen zum Launch und ein Trailer betonen nur den Altruismus des Projekts: es diene der Vermittlung guter Filme an ein breites Publikum. Die Startseite des „Screening Room“  wird aber eher versteckt. Vielleicht, weil man zu viele Anfragen und Zuschriften fürchtet? Offenbar gibt es überhaupt kein Konzept wie und nach welchen Kriterien in Zukunft Filme für diesen Geschäftsbereich akquiriert werden sollen. Einem Interview mit der Leiterin der Filmabteilung, Sara Pollock, das am Rande der Launch-Feier aufgenommen wurde, kann man entnehmen wie zufällig dies bisher geschah. Einige der Filme, sagte Sara Pollock, habe sie auf Kurzfilmfestivals gesehen, andere wurden ihr von Freunden und Geschäftspartnern empfohlen …. ein ziemlich laxer, planlos wirkender Umgang mit Inhalten für ein großes Unternehmen, aus dem man schließen kann, dass es in diesem Bereich einfach an Wissen und Erfahrung mangelt!

Wenn es aber den Betreibern nicht gelingt statt immer raffinierteren Statistik-Algorithmen auch die Kernfrage der Qualität der Inhalte zu lösen, ist der Niedergang der werbefinanzierten Videosharing-Plattformen mit User-Generated-Content wohl vorprogrammiert. Einer amerikanischen Studie zur Online-Mediennutzung zufolge, kam überraschend zutage, dass auch das Publikum Qualität wünscht: 62% aller Online-Video-Betrachter bevorzugen Videos, die professionell produziert wurden – im Vergleich zu 19%, die Videos von Amateuren bevorzugen („Online Video“, PEW Internet & American Life Project).

 

Qualitätssuche 2: Semi-demografische Methoden setzen auf die „Weisheit des Publikums

Kommerzielle Videohoster, die gewohnt sind kostenlos überlassene Filme zu vermarkten, um damit Geld zu verdienen, werden auch in Zukunft nicht altruistisch handeln. Um die vom Markt verlangte Qualität zu erzielen,   versuchen sie, wenn es schon nöptig ist, erst einmal auch die hierfür erforderlichen Aufwände zu „sozialisieren“. Die einfachste Methode ist die Ausschreibung dotierter Wettbewerbe, bei denen die „šcommunity‘ als (unbezahlte) Publikumsjury eine Vorauswahl trifft und eine Redaktion, eine Fachjury oder ein prominenter Experte hieraus die Preisträger wühlt.

In einer Mischung aus Misstrauen in die eigene Urteilskraft, fehlendem Fachverstand und der Absicht die eigentliche Arbeit der Auswahl und Beurteilung möglichst kostenneutral auf andere abzuwälzen, entstehen derzeit aber immer neue, mehr oder weniger clevere Ideen.

Zu den schlaueren Ideen darunter gehört der Weg, den die Plattform B-Side jetzt einschlägt. Unter dem Motto „the audience is never wrong“ (*s. Fußnote) versteht sich B-Side als ein Unternehmen, das Publikumsmeinungen einfängt, um die besten Filme zu entdecken und sie dann einem weltweiten Publikum zuzuführen. Auch hier beruht die Auswahl auf Zuschauervoten, jedoch mit dem kleinen, aber bedeutenden Unterschied, dass es sich bei den zur Auswahl stehenden Filmen nicht um User-Generated-Content handelt, sondern um Filme in den Wettbewerbsprogrammen kooperierender Filmfestivals. Auf diese Weise wird das Fachwissen und die Vorarbeit der Auswahlgremien der betreffenden Festivals einbezogen – man könnte auch sagen einkassiert!

Ob dies erfolgreich ist, bleibt abzuwarten. Auf jeden Falls scheint sich in der Industrie, insbesondere in der Werbewirtschaft, die Einschätzung durchzusetzen, dass mit dem Repertoire von Videohostern wie YouTube kein Geld zu verdienen ist. Dies war jedenfalls die Meinung der auf der RBC Capital Markets Technology Conference versammelten Top-Manager der Online-Werbewirtschaft (San Francisco, August 2008). Zugleich wurde beklagt, dass das Repertoire der Plattformen mit professionellen Kurzfilmen, die es inzwischen ja ebenfalls gibt, zu klein sei, um die Nachfrage der Werbeagenturen und ihrer Auftraggeber, insbesondere anspruchsvoller Markenhersteller, nach Viral Videos zu bedienen.

Einer der renommierteren Anbieter von Qualitätsfilmen, die erst kürzlich gegründete Peer-to-Peer-Plattform Babelgum, hat aus diesem Dilemma bereits Konsequenzen gezogen – Konsequenzen, die eine komplette Kehrtwendung der bisherigen Strategie einleiten. Zuletzt trat Babelgum noch mit einem aufwendigen Filmwettbewerb und einer Fachjury, der Spike Lee vorstand, an die Filmszene, um Qualitätsfilme zu akquirieren. Aber noch bevor die Ergebnisse des Wettbewerbs veröffentlicht wurden, kündigte das Unternehmen seine Umwandlung in ein digitales Produktionsstudio an. Das ßt, in Zukunft wird Babelgum selbst die Filme produzieren, die sie für ihre Plattform benötigen! Konkret sollen zunächst 10 Millionen Euro in die Herstellung von 15-minütigen Kurzfilmen investiert werden.

 

Filmexpert on Demand – Ist das Web 2.0 eine kommerzielle Blase?

Zumindest Akteure mit rein ökonomischen Interessen scheinen sich gegenwärtig von Social Networking, User-generated Content und dem Web 2.0 abzuwenden. Nach all dem Hype überrascht es doch, dass die als innovativ gefeierten Strategien so schnell wieder von altbewährten Methoden aus dem Real Life abgelöst werden. Und es ist nicht die „šold economy‘ (die sich ja längst ins Web 2.0 eingekauft hat), sondern es sind gerade die jungen Gründer und Pioniere, die plötzlich nicht nur Qualität für sich neu entdecken, sondern auch bei deren Herstellung, Akquise und Verbreitung notgedrungen auf „šalte‘ Methoden, wie etwa folgende, zurückgreifen:

  • Filmwettbewerbe werden veranstaltet
  • Preisverleihungen finden unplugged und off-line statt
  • Fachjurys werden eingeladen
  • Filmemacher erhalten Drehbuch- oder Regieaufträge
  • Videohoster kaufen klassische Kurzfilme ein oder produzieren sie gleich selbst
  • Filmkuratoren und Festivals werden mit der Betreuung von Online-Channels beauftragt.

Und YouTube? YouTube kommt bald ins Museum! Es ist bereits jetzt Gegenstand von Kuratoren, die Veranstaltungen und Ausstellungen wie „Curating YouTube“ oder „Broadcast Yourself“ organisieren.

Das Cross-over zwischen Web 2.0 und der (alten) Filmszene – eigentlich ein inverser Wissenstransfer – beschäftigt langsam auch die Personalabteilungen der Start-up-Firmen und bietet vielleicht bald neue Berufsperspektiven für Filmveteranen. Zur Zeit sind allerdings erst einmal renommierte ehemalige Filmfestivalleiter gefragt: So hat kürzlich der Leiter des South by Southwest Festivals bei Cinetic Rights Management eine Führungsposition erhalten und wurde der ehemalige Festivaldirektor des AFI Festivals, Christian Gaines, bei Withoutabox zum Director of Festivals gekürt. Wenn man aktuell die Stellenangebote von Videohostern durchforstet, wird man aber leider feststellen, dass viele die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt haben. Sie suchen immer noch überwiegend Informatiker, während sie eigentlich Filmkritiker, erfahrene Filmsichter oder Kurzfilmemacher viel besser gebrauchen könnten 🙂

*Fußnote: Dieser berühmte Ausspruch stammt von Billy Wilder. Es lohnt sich aber das Zitat in seiner ganzen Länge zu goutieren: „An audience is never wrong. An individual member of it may be an imbecile, but a thousand imbeciles together in the dark – that is critical genius. „Dieses und weitere Zitate zum Stichwort „Audience“ siehe: URL http://www.brainyquote.com/quotes/keywords/audience.html

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