Die Dinge ändern sich: Animationsfilm-Archive im digitalen Zeitalter

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Traditionell enthalten (Animationsfilm-) Filmarchive in Kühlzellen gestapelte Filmrollen. Aber auch Produktionsmaterialien wie Requisiten, Puppen, Bauten, Drehbücher, Storyboards und andere schriftliche und visuelle Dokumente sowie der Nachlass von Studios und Filmemachern gehören zu den Beständen von Animationsfilmarchiven. In der breiten Öffentlichkeit haftet Archiven (zu Unrecht) ein angestaubtes Image an, sie gelten zunächst als nicht besonders sexy. Mit der Digitalisierung, vor allem der Allgegenwärtigkeit und Überall-Verfügbarkeit des Internets und Web 2.0, haben sich die Arbeitsweise (neue Werkzeuge etc.) und die öffentliche Wahrnehmung von Archiven verändert und tun es weiterhin, ein Ende ist nicht abzusehen.

Gleichzeitig führen sinkende Etats im Bereich der staatlichen Kulturförderung immer wieder zur Kürzung und Schließung von langjährigen und gut ausgestatteten Institutionen oder auch Studios. Hier besteht die Gefahr, dass die laufenden Diskurse und Ergebnisse dieser Institutionen abbrechen und verloren gehen wie diese selbst.

Auch noch aus anderer Ecke droht Gefahr: Im März 2012 gab die Encyclopedia Britannica bekannt, dass sie nach 244 Jahren ihre Print-Ausgabe einstellen würde und nur noch als kostenpflichtiges Online-Angebot erscheinen würde. [vgl. dazu Abbildung Infografik von Open Site ]. Verantwortlich dafür sind vermutlich sowohl die hohen Druckkosten und die langsame Erscheinungsweise des traditionsreichen Nachschlagewerks, als auch, dass viele Nutzer und Studierende erwarten, dass sie alles im Internet finden, nur noch im Internet und in der Wikipedia recherchieren und nur schwer dazu zu bewegen sind, andere Quellen überhaupt nur zu konsultieren. Wissensbestände, für deren Sichtung man physisch einen bestimmten Ort aufsuchen muss, werden daher von vielen von Vornherein nicht mehr in Erwägung gezogen. „If It Doesn’t Exist on the Internet, It Doesn’t Exist“ formulierte es schon 2005 programmatisch Kenneth Goldsmith, der Betreiber des Avantgarde-Portals Ubuweb. Was Google nicht findet, gibt es eben für viele also auch nicht (mehr). Alte, d.h. nur analog verfügbare Inhalte und Wissensbestände drohen so verloren zu gehen, weil sie schlichtweg ignoriert werden.

Dieses Beispiel macht unmissverständlich klar, welche Bedeutung das Internet/WWW gegenüber Büchern, Kino und Fernsehen in der Bildung und der Unterhaltung mittlerweile einnimmt und es verweist auf das Spannungsfeld, in dem Archive (wie auch andere Institutionen) stehen.

Wie reagieren Animationsfilmsarchive auf diese neue Situation? Letztendlich wird auch die Frage, wer, was, wie und warum archiviert, durch das Netz neu gestellt, auch die Machtverhältnisse verschieben sich.

Digitalisierung verspricht allzeitige und allgegenwärtige Verfügbarkeit und unendliche Lagerfläche. Dass man alles aufheben kann und nichts mehr aussortieren und wegschmeißen muss, klingt erst mal toll. Es birgt aber auch erhebliche Nachteile, wie man nirgends so deutlich wie bei Youtube sieht. Die Video-Plattform ist in gewisser Weise ein kulturelles (Welt-) Gedächtnis und damit das weltweit größte Filmarchiv. Hier gibt es fast alles und man findet trotzdem nichts. Ein Video, das heute für Aufsehen sorgt, gibt es morgen vielleicht nicht mehr. Aufgrund seiner Größe, Unübersichtlichkeit und rechtlichen Probleme entzieht sich Youtube systematischer Forschung. Menschliche und technisch gestützte Selektionsinstanzen sind mehr denn je gefordert.

Durchgängig zu beobachten ist, dass sich mit der Digitalisierung bisher weitgehend getrennte Institutionen und Konzepte wie Archiv, Museum, Gallerie, Festival, Bibliothek, Vertrieb, Shop, Onlinefilm-Datenbank und Community einander annähern oder sich in neuen Partner-Konstellationen oder Allianzen vermischen. Hierbei zeigen sich vielfältige und teils gegensätzliche Lösungsansätze von Archiven, mit diesen Chancen und Herausforderungen umzugehen. Manche ergeben sich spontan und eher chaotisch, andere wachsen organisch, wieder andere sind von langer Hand geplant.

Archive durchlaufen einen radikalen Funktionswandel und eine Funktionserweiterung: Konkret bedeutet das, dass für sie daher nicht länger nur die sichere und ordentliche Aufbewahrung von aktuell nicht mehr gebrauchten Material, sondern auch die Sichtbarmachung, Verfügbarmachung und Neukontextualisierung auch alten Materials für die Gegenwart auf dem Programm steht. Ein damit verbundenes Ziel ist das Erschließen neuer Zielgruppen, um so auch die Notwendigkeit des Archivs auf Dauer zu sichern.

Bis jetzt war es so, dass viele Filme nach einer Festivalauswertung schon (fast) das Ende der Verwertungskette erreicht hatten. (1) Aber: „Films are made to be seen“ erklärt der Dokumentarfilmvertrieb Onlinefilm.org (2) fröhlich-trotzig. Er begreift es als einer seiner Missionen, Dokumentarfilme, die die übliche Verwertungskette (Festivals, Fernsehen etc.) bereits durchlaufen haben, wiederzuentdecken und wiederherauszubringen. Ausgewählte Filme der Kurzfilmtage Oberhausen werden seit 2011 auf dem Kulturserver gehostet  und von Onlinefilm.org verwaltet. Bei der sogenannten Videothek (3) handelt es sich um eine Datenbank, in der Filme, die im Oberhausener Festivalprogramm gelaufen sind, online angeschaut werden können. Die Filmemacher entscheiden selbst, ob sie die Filme als Stream oder Download anbieten und welchen Preis sie für eine Sichtung verlangen. Mit dieser strategischen Allianz zwischen Filmemachern, Festival, und Online-Plattform werden unterschiedliche Ziele verfolgt: Für Filmemacher ist es eine zusätzliche Einnahmequelle, für das Festival trägt es zur Markenbildung bei und ist ein „ganzjähriger Filmmarkt“ (4).

Auch das Internationale Trickfilmfestival Stuttgart (ITFS) begann vorausschauend schon früh damit, bei den Einreichformularen für die jährliche Festivalausgabe nicht-exklusive Rechte für die digitale Auswertung mitabzufragen. In Kooperation mit Reelport und der Stadtbibliothek Stuttgart stellt das ITFS sukzessive die von der Auswahlkommission selektierten (mehr oder weniger kompletten) Festivaljahrgänge in der Online Animation Library (5) zur Verfügung. Akkreditierte Festivalgäste haben noch drei Monate mit ihrem Festival-Log-In Online-Zugang von überall her. Für die Branche ist die Online Animation Library also quasi ein zeitlich erweiterter Filmmarkt. Stuttgarter Bürger mit Bibliotheksausweis hingegen können von öffentlichen Sichtungsplätzen in der Stadtbibliothek eine spezielle Auswahl an Filmen sehen. Weitere Impressionen vom Festival liefern die Video-Podcasts im eigenen Youtube-Kanal (6).

Das tschechische Animationsfilmfestival Anifest (7) hat zwar keine Filmdatenbank, archiviert dafür aber u.a. Lectures, die Filme der Internet Competitions, Spots, Festivalberichte. Ähnliche Ansätze, Festivaleindrücke zu dokumentieren, gibt es auch von zahlreichen anderen Animations- und Kurzfilmfestivals, z.B. dem Filmfest Dresden (8).

Mit neuen Ästhetiken und neuen Abspielgeräten für Animation (9) hat sich auch der Gegenstandsbereich von Archiven erweitert. Neue Formen und Ästhetiken erfordern andere Art der Archivierung.
Es geht zum einen darum, analoge Filme und ihre begleitenden Materialien in digitale zu verwandeln und die Bestände langfristig und nachhaltig zu erschließen (Datenbank, Metadaten), aber auch darum, sogenannte „born digital“ Filme adäquat zu archivieren.
Für die digitale Archivierung haben sich  zwei Strategien herausgebildet – die Migration und die Emulation. Bei der Migration werden Daten in regelmäßigen Abständen auf neuen Datenträgern abgespeichert, wobei regelmäßig Daten verloren gehen – für Archivare ein unhaltbarer Zustand. Bei der Emulation, die vor allem bei komplizierteren digitalen Objekten Anwendung findet, wird die ursprüngliche Abspielumgebung an neueren Geräten nachgestellt (10).

Wie man von der Archivierung von Computerspielen schon lange weiß, müssen bei Computerspielen nicht nur deren Datenträger (Disketten, CDs, DVDs etc.) aufgehoben und regelmäßig migriert werden, sondern auch die zum Abspielen verwendete Hardware wie Spielekonsolen etc. Da diese Geräte aber auch bei sorgfältiger Wartung und Lagerung verschleißen und nicht ewig halten, ist es zwingend erforderlich, diese quasi in Form einer Software „aufzuheben“, die das Originalgerät auch auf anderen (gewöhnlich schnelleren und leistungsstärkeren) Abspielgeräten simuliert (auch als Emulation bezeichnet). Das Dilemma ist, dass die Archivare Daten dafür kopieren müssen, was allerdings nach gängigem europäischen Urheberrecht verboten ist (11).

So wurden frühe Computerspiele häufig von Fans wieder zugänglich gemacht, indem sie die veraltete Hardware oder Betriebssysteme emulierten, um die Lieblinge der Vergangenheit auch auf modernen, schnellen und leistungsstarken Rechnern spielen zu können. Spieleklassiker wurden in Adobe Flash nachgebaut. Die Erzeugnisse von Fans sind wertvolle Ressourcen, besonders für Perioden, in denen Computerspiele noch nicht als Kulturgut angesehen wurden.

Diese Probleme verschärfen sich bei von vornherein transmedial angelegten oder sich im Verlauf zu solchen entwickelnden Projekten. Hier stellt sich tatsächlich die Frage, in welchem Medium ein bestimmtes Projekt zu verorten ist und wo/wann es anfängt und endet.
Ein traditionell denkendes Filmarchiv stößt nämlich schnell an seine Grenzen, wenn es ein als Universum konzipiertes oder ein sich als solches entwickelndes Projekt konservieren müsste, was folgendes Beispiel illustriert: Die „Matrix“-Trilogie (Andy und Larry Wachowski) war eines der vielversprechendsten Spielfilm-Projekte, das im ersten Teil 1999 verheißungsvoll begann, aber im dritten Teil „Matrix Revolutions“ eher tragisch endete. Der erste Teil führte eindrucksvoll damals noch ungewöhnliche Möglichkeiten der Computeranimation vor Augen. Verfahren wie Motion-Capture und Bullet-Time wurden so einem breiten Publikum bekannt.

Aus archivarischer Perspektive reicht es nur auf den allerersten Blick aus, sich über die Archivierung von drei Kinofilmen Gedanken zu machen. Denn näher betrachtet, war die Kinofilm-Trilogie „The Matrix“ erst der Anfang: Zum „Matrix“-Kosmos gehörten auch eine „Animatrix“-DVD mit neun animierten Kurzfilmen diverser, vor allem asiatischer Filmemacher, die von den Wachowski-Brüdern aufgefordert worden waren, Kurzfilme zu machen, die thematisch und stilistisch an „The Matrix“ anschließen.

Aber damit nicht genug: Das kommerziell erfolgreiche, aber auf Grund seiner zahlreichen Bugs (Programmfehler) in Computerspiel-Kreisen kontrovers und negativ bewertete Action-Computerspiel „Enter the Matrix“ bildete inhaltlich den Link zwischen „Matrix Reloaded“ und „Matrix Revolutions“ und enthielt als Cut-Scenes (Zwischensequenzen) ausgelassene Szenen aus „The Matrix“. Der aus „Animatrix“ ausgekoppelte Kurzfilm „Final Flight of the Osiris“ lief in Deutschland vor dem Science-Fiction-Film „Dreamcatcher“ als Vorfilm und erstaunte 2003 durch den Hyperrealismus der virtuellen Charaktere. Diverse Webauftritte (12, 13) bündelten den (pseudo-)philosophischen Diskurs, den der Film angeregt hatte. Eine ganze Generation kleidete sich in lange Matrix-Mäntel. Zwischen allen medialen Ausprägungen und Events gab es vielfältige Bezüge und Referenzen. Sie inspirierten Parodien im Internet wie z. B. „The Meatrix“ (14). So entstand ein komplexer narrativer Kosmos, der nicht länger sich in einem Medium abspielte, sondern in einem Medium begann und dann zwischen mehreren hin und her wanderte.

Transmediale Projekte, wo ein Stoff erst im Zusammenspiel mehrerer Medien sein volles Potenzial ausschöpft, sind kein Einzelfall mehr, sondern werden mehr und mehr zur kalkulierten Norm. Im Kurzfilmbereich stehen solche Entwicklungen zwar noch am Anfang. Aber ein Beispiel ist z. B. „iPLOK!“, eine interaktive Serie für Tablets und Smartphones (15). Hier ist der User aufgefordert, durch gezieltes Berühren bestimmter Flächen des Touch-Screens die Figur Plok (und somit schrittweise die Handlung) der einzelnen Episoden voranzutreiben. Das Format ist jedoch nicht neu, denn es wurde ursprünglich für das Web konzipiert. Die 58 linearen Versionen bestehend aus zwölf Sets mit jeweils vier Teilen und zehn weitere zum Thema Weihnachten werden von Schöpfer David Berlioz in einem Youtube-Kanal archiviert und generieren dort weitere Einnahmen (16). Während man mit den interaktiven Episoden einige Minuten verbringen kann, sind die linearen Clips nur ca. eine halbe Minute lang. Die Originalversion gewann viele Preise, u. a. den Grand Jury Prize Best Internet Animation Project bei der MIFA in Annecy 2001 und den Preis für Best Internet Animation SICAF in Seoul 2001 (17). Wollte man „iPLOK!“ aufheben, müsste man die verschiedenen linearen und nichtlinearen Fassungen in den verschiedenen Medien und entsprechende Endgeräte aufbewahren.

Auch „Tom und das Erdbeermarmeladebrot mit Honig“, dessen Synchronsprecher Dirk Bach am 1.10.12 überraschend verstarb, ist mit TV-Serie, Webauftritt, App, Facebook-Auftritt, gelegentlichen Live-Events nicht nur in einem Medium zuhause, sondern entfaltet sich zwischen diesen. Wer sich durch diese Überlegungen inspiriert fühlt, möge als Hausaufgabe durchexerzieren, wie man etwa das Werk der virtuellen Band Gorillaz (18) aufbewahrt.

Das Internet hat seine eigenen Animationen hervorgebracht oder zumindest befördert. Solche „born digital“-Webanimationen und Echtzeit-Animationen benötigen für ihre originalgetreue Archivierung eine Bewahrung von Software auch zum Abspielen. So gibt es den ersten Machinima-Film „Diary of a Camper“ (1996) im Internet Archive (19) zum einen im Original-Demo-Dateiformat, das allerdings das Computerspiel „Quake 2“ als Player benötigt. Um nicht all diejenigen, die keine Kopie des Spiels besitzen, von vornherein auszuschließen, steht das Video auch in gängigen Videostandards zur Verfügung. Wie man von der Geschichte von Computerspielen lernen kann, sind oft Fans und Sammler die ersten, die ein neues Medium archivieren.

Bei Live- und Performance-Animationen und Live-Visuals – z. B. Pierre Hébert (20), usaginingen, Friedrich Kirschner – ist typisch, dass sie in gewisser Weise einmalig und jedes Mal einzigartig und ohne die Anwesenheit des Filmemachers nicht denkbar sind. Bei ihnen ist nicht mehr nur der fertige Film, sondern auch der Prozess des Aufführens/Filmemachens – ggf. unter Beteiligung des Publikums oder weiterer Akteure- das Ziel. Dies gilt auch für Live-Projektionen, wie sie von „A Wall is a Screen“ (21) gemacht werden. Bei dieser ungewöhnlichen Präsentation aus Kurzfilmen und Stadtspaziergang sind die ausgewählten Kurzfilme jeweils auf den konkreten Ort der Aufführung abgestimmt, es besteht ein enges Zusammenspiel zwischen ausgewählten Filmen, Projektion und der jeweiligen Stadt als Projektionsort. Auch hier muss auch neu darüber nachgedacht werden, was Archivierung bedeutet. All diese Formen können bestenfalls auf Video dokumentiert werden. Diese Form wird oft von den Künstlern selbst gewählt und dann anschließend im Web veröffentlicht.

Schon lange aktiv im Online-Bereich tätig, und einen Schritt voraus sind die folgenden drei Archive: Das „Internet Archive“ (22) in San Francisco durchkämmt seit 1996 in regelmäßigen Abständen das World Wide Web und speichert den Stand von Webseiten. Seit 2001 stehen die vom Internet Archive gesammelten Schnappschüsse durch die „Wayback-Machine“ online zur Verfügung. Zwar sind die Speicherungen fehlerhaft und unvollständig, da häufig z. B. Bild- und Filme nicht mitgespeichert werden oder die Besitzer der Domains aus unterschiedlichen Gründen eine Speicherung untersagen. Nichtsdestotrotz ist die Wayback-Machine eine bemerkenswerte Ressource für die Geschichte des World Wide Web.

Seit 2002 sammelt das Internet Archive auch Filme und stellt sie online zur Verfügung. Zum Angebot gehören u. a. Filme, die nach US-amerikanischen Recht in der Public Domain sind, z. B. Lehr-, Bildungs- und Propagandafilme aus dem Prelinger Archive, Cartoons, sowie Amateur-Filme in verschiedenen Formaten und Qualitäten.
Alle Filme des Internet Archive sollen Forschern in hoher Qualität zur Verfügung gestellt werden, aber auch zu weiterer Forschung anregen, und werden daher unter einer Creative Commons Lizenz veröffentlicht. Mittels Rankings und einer Anzahl der Downloads lässt sich ein bisschen Ordnung in das riesige Archiv durchstöbern.

Sehr früh bemühte sich auch schon das National Film Board (23), Kanada, eigene alte Inhalte neu zu beleben und u.a. für die Bildung zugänglich zu machen. Es ist eine Fundgrube für vom NFB geförderte Produktionen. Zahllose Animationen und Dokumentarfilme können als Stream angesehen und als Download und/oder auf DVD ab 1,95$ gekauft werden. Das NFB förderte aber auch immer schon multimediale und internet-basierte Projekte.

UbuWeb (24) ist eine spannende Ressource, die schwer zu findendes und vergriffenes Avant-Garde Material online zur Verfügung stellt. UbuWeb ist komplett unabhängig und funktioniert ohne finanzielle Unterstützung, sondern basiert auf Schenkungen, ehrenamtlicher Arbeit und nutzt die Bandbreitenspenden diverser Partner. Ursprünglich sammelte das von dem Dichter Kenneth Goldsmith gegründete Portal nur textbasierte Formen wie Gedichte und visuelle Poesie. Mit der zunehmenden Visualisierung des Netzes lag es auf der Hand (und war es sogar fast natürlich), auch allmählich abfotografierte Gedichte, später auch Audio-Dateien und Filme hinzuzunehmen. UbuWeb listet ein überaus buntes Konglomerat an interessanten Funden, darunter auch zahlreiche Experimentalfilme von z. B. Rosa von Praunheim, Clemens von Wedemeyer, und Richard Kentridge, aber auch frühe Rockshows von Patti Smith, Beuys und Medienkunst von Jodi. Vom Ansatz her ist UbuWeb eher an den Rändern künstlerischer Produktion als an ihrer „gefühlten“ oder kommerziellen Mitte interessiert.
Die Seite wächst und wächst, und kokettiert und warnt gleichzeitig aber auch davor, wegen ihres anarchischen Ansatzes, möglicherweise über Nacht schließen zu müssen.

Initiativen, Filmmaterial auf Youtube oder Vimeo online zu stellen und ihren Bestand zu präsentieren, gibt es auch von Filmemachern (z. B. PES), Firmen und Studios (z. B. Aardman (25), Studio Filmbilder (26) und Filmarchiven wie dem British Film Institute (27), andere binden Inhalte auf ihren Websites über Vimeo ein. Überdies kann dies eine ertragreiche Möglichkeit sein, über das Youtube-Partnerprogramm zusätzliche Einnahmen für Filme, die bereits die Festivalauswertung durchlaufen haben, zu generieren.

Auch Amateur-Communities, die von der Mainstream-Kultur nicht wahrgenommen werden oder sich als Subkulturen verstehen und sich häufig von der Mainstream-Kultur bewusst abgrenzen wollen, archivieren ihre Filme meistens selbst. Beispiele dafür sind Skateboard Filme (28), Brickfilms und die Demo-Szene.
Auch andere unterbelichtete Animationsgenres, die nur selten in Ausstellungen oder auf Festivals präsentiert werden, wurden erst im Netz in ihrer schillernden Vielfalt aufbereitet. Die französische Seite Flipbook.info von Pascal Fouché präsentiert aktuell (2.10.2012) 6930 Daumenkinos seit 1892 bis heute (29). Wie vielseitig das Genre der animierten Kino-Filmvorspännen ist, wird in der Sammlung „Forget the Film, Watch the Titles“ (30) deutlich.

Die hier vorgestellten Projekte sind alle Versuche, Animationen aus dem Netz und im Netz zu archivieren. Sie repräsentieren nur einen winzigen Ausschnitt aus der Fülle an dessen, was möglich ist. Sie sollten jedoch den Blick dafür schärfen, vor welchen Umwälzungen Filmarchive stehen und wie reichhaltig und divers die Strategien ausfallen können.

Auch wenn die Technik und Softwareentwicklung nicht aufhört, mit neuen verführerischen Versprechen (z. B. 3D Scanner, visuelle Suche, Bildersuche) zu locken, heißt das jedoch nicht, dass alle Archive mit Volldampf Digitalisierung auf allen Ebenen betreiben: Manche Archive drehen nämlich den Spieß um und betreiben Digitalisierung ihrer Exponate nur auf Sparflamme. Sie sind online nur sehr reduziert präsent. Stattdessen veranstalten sie Sonderprogramme und Ausstellungen auf Festivals und werben mit dem Exklusivitätscharakter des von ihnen verwalteten Materials: Bestimmte Filme gibt es eben nur hier und jetzt zu sehen. Sie verweisen damit indirekt auf die auratischen Qualitäten eines Kunstwerks.

Für alle Archive gilt: Die finanzielle Situation wird nicht besser werden. Genau wie bei der Filmfinanzierung müssen Archive kreative Wege beschreiten, um ihren Bestand zu sichern und ein loyales Publikum aufzubauen (31).
Woher könnten sich Animationsarchive Anregungen, wie sie künftig mit Material, wie es hier beschrieben wurde, umgehen sollten, holen? Gefragt ist eine interdisziplinäre Kollaboration, die verschiedene Disziplinen und Institutionen an einen Tisch holt, so dass nicht jeder bei Null anfängt, sondern von den Erfahrungen der anderen profitieren kann. Hier wären insbesondere ein Blick in Richtung Medienkunst und Computerspiele (32) zu empfehlen, die alle diese Probleme schon sehr viel länger und in potenzierter Form haben.

Fußnoten
(1) Auch stellt die Zahl der jährlichen Einreichungen (Videos, DVDs) ab einer bestimmten Größe und nach mehreren Ausgaben räumlich begrenzte Festivalbüros vor Herausforderungen (Oberhausen hat jährlich ca. 6.000 Einreichungen). Das Filmfest Dresden ist in der glücklichen Lage, einen Teil seiner Bestände beim Deutschen Institut für Animationsfilm auslagern zu können.
(2) www.onlinefilm.org
(3) www.kurzfilmtage.de/videothek.html
(4) www.shortfilm.de/das-kurzfilmmagazin/archiv/themen/internationale-kurzfilmtage-oberhausen-starten-oberhausen-films-online-23032011.html?print=1&cHash=1b3390d50748410af9ec1c90133f1230
(5) www.onlineanimationlibrary.de
(6) www.youtube.com/user/FilmfestivalITFS/featured?feature=context-chf
(7) www.youtube.com/anifest
(8) www.youtube.com/user/FilmfestDresden
(9) Zu neuen Ästhetiken im Animationsfilm vgl. auch den Artikel „Animation on the Move“ in Short Report 2012 (AG Kurzfilm e.V.)
(10) Vgl. Astrid Herbold: Die ewige Aufbewahrung des Internets. http://www.zeit.de/digital/internet/2012-08/internet-archivierung/komplettansicht
(11) Vgl. dazu die Texte von Andreas Lange, Direktor des Computerspielemuseums Berlin. „Pacman im Archiv: Computerspiele als Kulturgut“. In: http://www.zeithistorische-forschungen.de/site/40209296/default.aspxoder ein Interview mit ihm
„Why Preserving Video Games is Illegal“. thenextwebcom/insider/2012/04/22/saving-the-game-why-preserving-video-games-is-illegal/
(12) Animatrix. www.intothematrix.com
(13) 2012 führt der Aufruf der Matrix-Website der Kinofilme ins virtuelle Nichts (www.warnerbros.com/landing/). Man kann nur hoffen, dass Warner Bros. diese Materialien aufgehoben hat.
(14) http://www.themeatrix.com/
(15) http://www.iplok.com/
(16) http://www.youtube.com/user/MrDbtoons
(17) http://davidberlioz.com/plok.htm
(18) http://www.gorillaz.de/
(19) http://archive.org/details/DiaryOfACamper
(20) http://pierrehebert.com/
(21) www.awallisascreen.com/
(22) www.archive.org
(23) www.nfb.ca
(24) www.ubuweb.org
(25) https://www.youtube.com/user/aardman?feature=results_main
(26) https://www.youtube.com/user/filmbilder?feature=results_main
(27) https://www.youtube.com/user/bfifilms?feature=results_main
(28) http://www.skatevideosonline.net/
(29) www.flipbook.info
(30) www.watchthetitles.com/
(31) Der Züricher Medienwissenschaftlerin Barbara Flückiger gelang es bspw. mit einer Crowdfunding-Kampagne auf Indiegogo am 21.7.12, fast 20% mehr als die angestrebten 10.000$ für das Projekt „Database of Historical Filmcolors“ zu akquirieren. Bis dahin hatte sie das Projekt ausschließlich aus eigenen Mitteln finanziert. Ihre Datenbank, die mehr als 200 historische Farbprozesse beinhaltet, soll der Ausgangspunkt für weitere Forschung sein.
(32) Vgl. z. B. Andreas Lange: Strategy Paper. Results from the KEEP workshop Joining Forces. International Expert Workshop About Digital Preservation (Berlin Feb, 1st 2012). Das Papier wurde der Autorin freundlicherweise von Andreas Lange zur Verfügung gestellt. Nähere Infos zu KEEP hier: http://www.keep-project.eu/

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