Welcome oder Stay at Home? Einstellung des Kinoprogramms beim SFMOMA

Report

Erste Protestaktion am 24.07.21 vor dem Eingang zum SFMOMA   c c Petition/change.org

– We assemble unparalleled collections, create exhilarating exhibitions, and develop engaging public programs that connect with our community. Welcome![1]

 

Am 15. Juli kündigte die Leitung des San Francisco Museum of Modern Art (SFMOMA) Kürzungen seiner Aktivitäten bekannt. Neben der Online-Publikation Open Space, der Artists Gallery mit Arbeiten lokaler KünstlerInnen und dem Modern Art Council soll auch das Filmprogramm eingestellt werden. Inzwischen formiert sich in der Film- und Kunstszene heftiger Protest. Ende Juli wurde eine Petition auf Change.org online gestellt[2] und für den 5. August ist eine große Protestaktion geplant.

 

Zuerst schlugen MitarbeiterInnen und Freunde des Museums auf einer Sitzung des Stiftungsrates Alarm. Sie beklagten, dass die Entscheidungen einsam von der Spitze des Hauses getroffen wurden, und, dass damit alle Programme eingestellt werden, die eine Partizipation der Bürgerschaft (‚community‘) ermöglichen.

 

Bereits letztes Jahr machte das SFMOMA, größter Arbeitgeber im Kultursektor der Stadt, negative Schlagzeilen, als das Museum gleich am Anfang der Pandemie 135 Hilfskräfte entließ und weitere 200 MitarbeiterInnen beurlaubte. Im Rahmen der aktuellen Kürzungen wurde weiteren sieben Festangestellten, darunter der langjährigen Leiterin des Filmprogramms Gina Basso, gekündigt.

 

Es gibt offenbar nicht nur finanzielle, sondern auch konzeptionelle Gründe für diese Maßnahmen. In einer hausinternen E-Mail, schrieb SFMOMA Direktor Neal Benezra, dass die finanziellen Einsparungen sogar eher minimal seien und es um eine ’strategische Erneuerung‘ gehe[3]. Was das Filmprogramm im hauseigenen Kino, dem Phyllis Wattis Theater, angeht, wurde die Schließung mit zurückgehenden Besucherzahlen begründet.

 

 

Die Bedeutung des Kinos im SFMOMA

 

Das SFMOMA zeigte bereits im Gründungsjahr 1937 Filme. Es war vielleicht das erste Kunstmuseum überhaupt, das den Film als künstlerisches Medium anerkannte. Ab 1946 bot das Museum ein regelmäßiges Filmprogramm an. Damals waren dies überwiegend Kurzfilme der Avantgarde. »Das einflussreiche Programm ‚Art in Cinema‘ des SFMOMA«, so Canyon Cinema in ihrem Protestbrief gegen die Schließung, »bildete die Grundlage für einen Großteil der aufkommenden Avantgarde-Kino- und Bewegtbildkultur in der Bay Area«[4]. In den folgenden Jahren trugen die Aktivitäten des Museums dazu bei, dass sich San Francisco zu einem filmkünstlerischen Gegenpol zu Hollywood und Los Angeles entwickelte. San Francisco wurde zu einer Art Kulturhauptstadt des Bundesstaates Kalifornien, die viele KünstlerInnen und Kreative, nicht nur aus dem fernen New York, sondern auch aus Europa und Asien anzog.

 

Das Auditorium des Museums wurde im Rahmen der Renovierung und Erweiterung des SFMOMA 2016 zum modernsten und bestausgestatteten Kino der Bay Area ausgebaut. Seitdem ist es das einzige Kino, das regelmäßig sorgfältig vorbereitete Filmreihen, insbesondere zum internationalen Autorenfilm, anbietet und sich in der Filmvermittlung engagiert. Im Zentrum von San Francisco gibt es zwar über 20 Kinos, die aber, bis auf das kleine Programmkino Roxie[5], fast ausschließlich Mainstream zeigen.

 

Wenn es bei der Entscheidung bleibt, wird das Kino zwar nicht unbespielt bleiben, weil es weiterhin für Filmfestivals benötigt wird. Doch wird die Streichung eines eigenen Programms nachhaltig negative Auswirkungen für die ganzjährige Filmkultur in der Region haben.

 

 

Widersprüche im konzeptionellen Selbstverständnis einer Kulturinstitution

 

Während in der Vergangenheit die Einbindung der ‚community‘ durch öffentliche Programme noch als wichtiges Ziel des Museums genannt wurde, werden jetzt gerade diese Aktivitäten eingestellt. Die Artists Gallery diente bisher lokalen KünstlerInnen als Plattform und den BürgerInnen als Artothek. Der Modern Art Council war ein Forum für Kunstbildung und eine öffentliche Schnittstelle für Partizipation und Diskussion zu Kunstthemen. Der Open Space war eine wichtige Online-Plattform für den Austausch von Meinungen für KünstlerInnen und insbesondere diskriminierte Minderheiten. Und den Verlust des SFMOMA Kinos bedauerte Filmsammler und Archivar Rick Prelinger, wie viele andere, auch deshalb, weil es einem diversen Publikum gedient habe[6]. »Jedes andere Museum versucht herauszufinden, wie man gastfreundlich sein und sich öffnen kann, und dieser Ort tut das Gegenteil«[7], kommentierte Prelinger.

 

Nach 18 Monaten pandemie-bedingten Einschränkungen sinkende Zuschauerzahlen als Argument für einen Richtungswechsel ins Feld zu führen[8], ist noch nicht einmal unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten überzeugend. Die von Museumsdirektor Neal Benezra angekündigte ’strategische Erneuerung‘ und seine Argumentation im offiziellen Statement[9] vom 23. Juli erinnern im Duktus eher an einen Bericht auf einer Aktionärsversammlung als an das Konzept für eine kulturelle Institution. Das sei »eine Auswirkung der Geschäftslogik (‚business logic‘) des überdimensionierten SFMOMA«, meint der ehemalige Kurator für ‚Education and Public Practice‘, Dominic Willsdon dazu.

 

Bleibt abzuwarten, ob die Welle des Protests Wirkung zeigt und Film als Kunst und die Kulturpraxis Kino einem der größten Kunstmuseen der Vereinigten Staaten in Zukunft doch erhalten bleiben.

 

 

URLs:

SFMOMA       

SFMOMA Film          

Artists Gallery          

Open Space 

Modern Art Council 

Petition „Oppose the program cuts at SFMOMA“        

 

Beitragsbild: San Francisco Museum of Modern Art  © Henrik Kam/SFMOMA Presse

Nachtrag/Leseempfehlung: zwei Tage nach unserem Artikel veröffentlichte Sarah Hotchkiss bei KQED zum gleichen Thema einen ausführlichen Artikel, in dem sie die Schließung zum Anlaß für eine Bestandsaufnahme der Filmcommunity in San Francisco, ihrer alternativen Orte und Akteure und ihrer Beziehungen zur institutionalisierten Kultur nimmt. „There’s Nothing Like Seeing Moving Images in the Dark“

 

[1] About SFMOMA  (Zugriff 01.08.2021)   

[2] „Oppose the program cuts at SFMOMA“ change.org           

[3] »Yet in an internal email sent to the staff, SFMOMA director Neal Benezra wrote that financial savings from the cuts are „minimal at best,“ explaining that „the strategic refresh reflects our need to shift current capacity and resources towards the programs and activities that will attract and engage a broader range of audiences to the museum.“« KQED in „SFMOMA’s Cuts to Film, Other Programs Prompt Widespread Outrage“, 22.07.2021

[4] Quelle: Canyon Cinema Response to the Elimination of SFMOMA’s Film Program, 23.07.2021 

Als lokale FilmemacherInnen nennt Canyon Cinema: Bruce Conner, Sara Kathryn Arledge, Sidney Peterson, Gunvor Nelson, Chick Strand, Lawrence Jordan, George Kuchar, Barbara Hammer, Robert Nelson, Theresa Hak Kyung Cha, Jordan Belson, James Broughton, Dorothy Wiley, Al Wong, Bruce Baillie, Trinh T. Minh-ha, Will Hindle, Janis Crystal Lipzin, Mike Henderson, Kerry Laitala, Craig Baldwin, Greta Snider, Paul Clipson.

[5] Das Roxie ist ein Nonprofit Cinema im Mission District, in dem regelmäßig von Partnern kuratierte Programme – oft Kurzfilme – zu sehen sind.  Es war auch Spielort für das Satelliten-Programm des Sundance Festivals in San Francisco. Canyon Cinema (ohne eigene Leinwand) hat gerade die Partnerschaft „Canyon at The Roxie“ mit einer Serie von 16mm-Filmen aus der Bay Area ankündigt (erstes Programm in Memoriam Bruce Baillie). Kuratorischer Stammgast im Roxie ist auch der immer noch umtriebige Craig Baldwin (Other Cinema), der jeweils samstags andernorts internationale Kurz- und Avantgarde-Programme und Live Performances kuratiert – zuletzt im Juli u.a. mit Filmen von Kerry Laitala (SF), Sylvia Schedelbauer (D), Thomas Draschan (A) u.a.

[6] zitiert aus  „Help reinstate SFMOMA’s film program“ Millenium Filmjournal, 29.07.2021 

[7] zitiert aus einer E-Mail an den lokalen Fernsehsender KQED in: SFMOMA Cuts Several Programs and Staff Positions, Citing Declining Attendance, 15.07.2021 

[8] »The reality is that the pandemic has had a major impact on our operations, exacerbating existing challenges such as reduced attendance, growing expenses, and constrained budgets.« SFMOMA Stellungnahme auf Fragen von KQED, 15.07.2021

[9] Statement On Strategic Goals, SFMOMA, 23.07.2021 

 

Auch interessant: „50 Jahre Canyon Cinema“ shortfilm.de, 02.09.2017