Neue Anti-Piraterie-Maßnahmen – epochaler Wandel des Internets
Teil 2 EU-Urheberrichtlinien, Upload-Filter und Content ID

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MEME @ rww CC-BY 2.0

Meme: EU-Richtlinien-Entwurf sieht Copyright-Filter vor @ rww CC-BY 2.0

Die Urhebergesetze der EU hinken seit Jahren der digitalen Realität hinterher. Eine neue Richtlinie „Directive on Copyright in the Digital Single Market (Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt)“ soll diesen Missstand beheben. Während die Gremien der EU und Vertreter der Mitgliedsstaaten für große Teile des komplexen Themas übereingekommen sind, ist um Regelungen des Verleger-Leistungsschutzrechts (Artikel 11 und 12) und Maßnahmen gegen Online-Urheberrechtsverletzungen (Art. 13) eine heftige Kontroverse ausgebrochen. Die bereits mehrfach angekündigte Schlussabstimmung über das Urheberrechtpaket wurde im Dezember erneut vertagt. Damit besteht auch die Chance noch bis zum neuen Termin am 25. Januar 2018 Einfluss zu nehmen.

 

Für alle, die mit Filmen und anderen audio-visuellen Medien arbeiten, ist Artikel 13 von besonderer Bedeutung. Darin sieht der Entwurf vor, Betreiber von Online-Diensten zu Maßnahmen zu verpflichten, die das Hochladen urheberrechtlich geschützten Materials (Töne, Bilder, Grafiken etc.) verhindern. Das bedeutet, dass Dienstanbieter von YouTube, Facebook, Dropbox über Wikipedia bis zu alternativen Plattformen verpflichtet werden vor Veröffentlichung Rechte zu prüfen und Uploads von Usern, die nicht lizenziertes, geschütztes Material enthalten, zu sperren. Wie sie das machen ist den Betreibern überlassen. In der Branche und in der Szene wird von automatischen Upload-Filtern gesprochen.

 

Eine ganze Reihe von Verbänden, Initiativen, Akademiker und andere Gruppen haben sich inzwischen gegen solche „Zensur-Filter“ (#censorshipmachine) ausgesprochen. So hat unter anderem die Bürgerrechtsvereinigung European Digital Rights (EDRi) gemeinsam mit 56 anderen Organisationen aus Europa in einen offenen Brief an die EU-Entscheidungsträger die Streichung des Artikels 13 aus dem Richtlinien-Entwurf gefordert. Mit einer solchen Regelung würden fundamentale Bürgerrechte, wie die freie Meinungsäußerung, von Internet-Nutzern weltweit eingeschränkt. Außerdem wird beklagt, dass damit die Verantwortung für juristische Entscheidungen und Verfolgung von Rechtsverletzungen auf Wirtschaftsunternehmen übertragen wird.

 

Von solchen Upload-Filtern wären nicht nur Werke von individuellen Nutzern betroffen, die zum Beispiel Meme, Re-Mixe oder Mashups online stellen, sondern auch die nichtkommerzielle Nutzung durch Bildungseinrichtungen und Archive. Darüberhinaus würden Startups und kleinere europäische Unternehmen benachteiligt, die sich die teure Technik zur Inhalte-Erkennung mit Abgleich von Lizenzrechten nicht leisten können (Google soll $60 Millionen in sein „Content ID“-System investiert haben). Es wird auch bezweifelt, ob Algorithmen überhaupt zuverlässig unterscheiden können, ob eine Urheberrechtsverletzung oder eine erlaubte Nutzung (Zitat, Parodie, Kunst etc.) vorliegt.

 

Bislang gibt es solche automatischen Prüftechniken erst in Ansätzen und schon gar keine umfassende Rechte-Datenbanken. Technisch am Weitesten fortgeschritten ist das 2013 von Google (heute Alphabet Inc.) begonnene System „Content ID“, das zumindest am Anfang zu dramatisch vielen Fehlentscheidungen führte (siehe Forbes-Bericht).

„Content ID“ scannt automatisch hochgeladenes Material und vergleicht das Ergebnis mit Einträgen in einer eigenen Datenbank. In dieser Datenbank sind aber ausschließlich Rechte verzeichnet, die von Rechteinhabern selbst bei Google/YouTube eingetragen wurden. Wird ein Verstoß bemerkt, entscheidet der Rechteinhaber wie weiter verfahren wird. Da es kein anderes System gibt, führt dies unter anderem dazu, dass viele Inhalte von Rechteinhabern nur noch auf YouTube zur Verfügung gestellt werden. Auch User, die keine Abmahnungen riskieren wollen, sind nach erfolgreichem Upload bei YouTube ‚besser aufgehoben‘ als sonst irgendwo, ja sogar besser als auf ihrer eigenen Seite, wo sie dem allgemeinen Urheberrecht ausgesetzt sind. Dieses ‚Google-Recht‘ (siehe Artikel von netzpolitik.org) ist aber keine Lösung, da die Nutzung widerrufen werden kann und dies nur innerhalb des Ökosystems von Google gilt.

 

Derzeit zeichnet sich noch eine andere Strategie großer, global aufgestellter Konzerne ab, um das Copyright-Problem ‚proaktiv‘ zu bereinigen. Kurz vor Weihnachten ging durch die Presse, dass Facebook eine Lizenzvereinbarung mit der Universal Music Group geschlossen hat, die es ermöglicht, dass Facebook-Nutzer (inkl. Instagram und Oculus) unter bestimmten Umständen Musik von UMG nutzen dürfen. In diesem Zusammenhang kam auch heraus, dass Facebook ein eigene, „Content ID“ von Google vergleichbare, Software entwickelt. Darüberhinaus ist Facebook mit den anderen großen Playern im Musikgeschäft, Warner Music Group und Sony Music Group, im Gespräch – mit dem Ziel ähnlicher Vereinbarungen.

YouTube/Alphabet ist aber auch diesbezüglich einen Tick schneller und hat im Dezember nach einer ersten Vereinbarung mit Warner Music auch schon Deals mit Universal Music und Sony Music geschlossen. Im Paket ist auch ein neue Musikplattform auf Subskriptionsbasis zur direkten Vermarktung von Musiktiteln. Die Plattform soll 2018 parodoxerweise unter dem Namen „Remix“ (mit echten Re-Mixes ist dann Schluss;-) online gehen.

 

Wie stark große Privatunternehmen bereits sind und wie mächtig – mit hoheitlichen Aufgaben – sie durch Maßnahmen wie die EU-Richtlinie werden, zeigt ein Beispiel aus Frankreich (das zusammen mit Spanien und Portugal zu den Befürwortern des Upload-Filters gehört). Dort hat die Behörde gegen Piraterie ALPA unter der Schirmherrschaft des Nationalen Filmzentrums CNC vor kurzem mit Google ein Abkommen geschlossen, nach dem YouTube ALPA die Nutzung des Erkennungstool Content ID gestattet, um Anfragen zu Inhalten zu zentralisieren und zu blocken (siehe Artikel des Magazins LesEchos).

 

Weitere Informationen und Petitionsplattformen

„Directive on Copyright in the Digital Single Market (Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt)“: all language versions

Info in Animationsfilm-Form: #FixCopyright von Copyright4Creativity
Erläuterungen von Censorship Machine: Busting the myths
Aktuelle Nachrichten und Info der „initiative urheberrecht – Kreativität ist was wert“
Leaked documents zur Urheberrechts-Novelle auf Statewatch (u.a. kritische Fragen von 6 Mitgliedsländern, darunter Deutschland)

Offener Brief an die EU von 80 Organisationen und Institutionen (pdf)
Kampagne von EDRi mit Kontakten zu EU-Ansprechpartnern: Time to stop the #CensorshipMachine: Now!
Mehrsprachige Kampagne von Mozilla: deutsch, english
Mehrsprachige Kampagne „Save the Meme

siehe auch Teil 1  (Browser-Kopierschutz)

 

 

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