China Mobil-TV: iQiyi setzt in großem Stil auf vertikale Kurzdramen

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Vertikale Formate, zufällige Suchergebnisse (Screenshot 11.11.19)

 

Videos für mobile Endgeräte, insbesondere für Smartphones, sind nichts Neues, aber mobilspezifischer Content als eigenes Genre mit eigenen Bildformaten schon.

Alleinstellungsmerkmal ist das Hochformat, im Englischen ‚portrait‘ oder ‚vertical‘ genannt, das im Unterschied zum Querformat (‚landscape‘) nicht auf herkömmlichen Monitoren oder Fernsehbildschirmen funktioniert.

 

Den Durchbruch für das vertikale Format schaffte wohl Facebook mit seinen vertikalen Ads und dann Instagram mit dem Launch von IGTV im Jahr 2018. Neben dem traditionellen Landscape-Format (1,91:1) führte die Photo-Plattform ‚Square‘ (1:1=quadratisch) und ‚Portrait‘ (4:5 / 9:16 ohne Rahmen) als Standards ein.

Kleinere Plattformen waren schon früher dabei (Meerkat, Periscope, FiftyThree, TikTok) und die größeren folgten bald. So gibt es heute bei Netflix vertikale Previews, bei Spotify vertikale Musikvideos und seit diesem Herbst auf Snapchat vertikale TV- Shows (‚Snap Originals‘ auf der Discover-Seite).

 

Bemerkenswerterweise tauchen auch immer mehr Kurzfilme, die für eine Leinwand – zum Beispiel auf Festivals – konzipiert sind, zwar selten im Hochformat, doch immer häufiger im quadratischen Instagram-Format auf. Das Hochformat als Filmprojektion wurde zwar zwischenzeitlich gehyped, hatte aber als Vertical Cinema – im Scope-Format mit speziellen 35mm-Projektoren – nur einen relativ kurzen Auftritt auf speziellen Events, in Kirchen, Museen und auf Festivals (s.a. Vertical Video Retrospective 2007-2016[1]).

 

Ausschlaggebend für den Boom der Vertikalformate auf mobilen Endgeräten war vermutlich die Werbewirtschaft, die sich sehr schnell davon überzeugen ließ, dass Werbefilme auf Handys im Hochformat wesentlich erfolgreicher sind, also häufiger und länger betrachtet werden. Der Grund ist ganz simpel: mehr als 90% aller Mobiltelefon-Nutzer halten ihr Handy normalerweise, mit einer Hand, hochkant[2].

 

Der weltweit größte Markt für mobile Videos ist China. Der Umsatz der explosiv expandierenden Short Video Industry erreichte 2017 5,73 Milliarden Yuan (0.743 Mrd. €). Das ist eine Steierung von 184% gegenüber dem Vorjahr. Damit haben auch vertikale Videos als Serien von Mini-Dramen, in China ’shùpíngjù‘ genannt, richtig Fahrt aufgenommen.

 

2018 tauchte beim chinesischen Internetriesen Tencent zum ersten Mal die Kategorie für Vertikaldramen ’shùpíngjù‘ auf. Inhaltlich waren es geskriptete Kurzromantikserien mit Titeln wie „My boyfriendish Sister“ oder „My idiot Boyfriend“. Kleinere Plattformen begannen in Nischen-Programmen wie Manman mit der schwulen Romantikserie „Herr Yan Dong, don’t come over!“ das Vertikaldrama als Genre zu etablieren.

 

Am Erfolgreichsten war dieses Jahr aber die Sitcom-Serie „Ugh! Leben!“ der Plattform iQiyi[3]. Die Plattform, die Elemente von YouTube (user generated content) mit VoD-Angeboten wie Netflix verbindet, gehört zum Medienkonzern Baidu[4] (chinesischer Marktführer im Bereich Suchmaschinen).

 

Die erste Staffel von „Ugh! Leben!“ umfasste 48 Episoden von 3 bis 4 Minuten Länge und war so begeistert aufgenommen worden, dass sie bald in den Rankings die Spitzenposition unter allen iQuiyi-Originals einnahm.

Im Mittelpunkt der Serie steht eine junge Frau, Lamuyangzi (Li Jiaqi), die als satirisch-peinliche Figur konzipiert, Alltagssituationen in der Familie, auf der Arbeit oder bei Blind Dates zu bewältigen hat.

Nach Angaben des Unternehmens machten Zuschauer unter 30 Jahren mehr als 75 Prozent des Publikums der Show aus, wobei 89 Prozent des Publikums die Show über ein mobiles Gerät sahen.

 

Während iQiyi zuvor bereits fertigproduzierte Videos für das Vertikalformat einfach adaptierte, wurde für die aktuellen Vertikalvideos ein eigener, spezifischer Stil entworfen, der stetig in Richtung eines eigenen Genre weiterentwickelt wird. Split-Screens (horizontal geteilte Bilder), Swipes für Schauplatzwechsel und Quick Cuts für Perspektivwechsel dominieren die Bildsprache und ersetzen filmische Konventionen wie Schwenks oder Schuß-Gegenschuß für Dialoge, Schauplatz- oder Perspektivwechsel. Dieser Stil kommt wohl den kurzen Aufmerksamkeitsspannen entgegen. Anderseits werden die Geschichten fragmentiert, stark verdichtet und in hohem Tempo erzählt, um den Betrachter zu bannen.

 

iQiyi bietet inzwischen 25 vertikale Online-TV-Serien an, die aber nur zum Teil selbst produziert sind. Nach dem großen Erfolg des Originals „Ugh! Leben!“ plant das Unternehmen jetzt aber massiv in die Produktion weitere, eigener Kurzdramen zu investieren.

 

[1] by David Neal: http://exit109.com/~dnn/vertical/

[2] siehe auch: „Are Vertical Videos the Future of Marketing?“ https://breadnbeyond.com/articles/vertical-videos-marketing/

[3] https://www.iqiyi.com/v_19rvec25sg.html?src=frbdaldjunest&vfm=bdvtx&pay=0&frp=v.baidu.com%2Ftv_intro%2F&kwid=29314

[4] about: http://ir.baidu.com/

 

Bildnachweis Beitragsbild: Chronophotographie du retournement d’un chat par Étienne-Jules Marey parue dans la revue Nature en 1894 (gemeinfrei)