Warten auf die Welle – Filmfestivals zwischen Stilllegung und Hoffnung

Verteilung der Zahl angekündigter Festivaltermine auf das Jahr 2020 (per 31.3.20, Datenbasis: eigener Festivalkalender).
Aufgestockte Säulen=neue Termine (die Farbe verweist auf den ursprünglich geplanten Monat), grau=ohne festen Termin in den Herbst verlegt (als Prognose gleichmässig auf 4 Monate verteilt)

Spätestens seit Mitte März befindet sich das kulturelle Leben, insofern es auf menschlichen Begegnungen beruht, im Stillstand. Veranstaltern von Filmfestivals, die für eine unbestimmbar nahe Zukunft geplant waren, wurde von heute auf morgen der Boden unter den Füßen weggezogen. Viele Veranstalter von Festivals, die kurz nach dem Ausbruch der Pandemie hätten stattfinden sollen, haben bis zu einem Jahr vergeblich gearbeitet.

 

Die von heute auf morgen verordneten Kinoschließungen hat Festivals, die Mitte März stattfanden, keine Alternativen gelassen. Das Festival international de films de femmes in Créteil musste am Eröffnungstag aufhören. Das Regard Festival im kanadischen Saguenay und Tricky Women in Wien traf es am zweiten beziehungsweise dritten Tag. Die Regensburger Kurzfilmwoche musste abbrechen und schloss mit einer virtuellen Preisverleihung.

 

Wenige Tage später stellten einige Festivals bewundernswert schnell behelfsmäßig Online-Angebote auf die Beine. Etwa das Internationale Frauenfilmfestival in Köln, CPH:Dox in Kopenhagen oder die Filmfestivals in Aspen und Ann Arbor.

 

 

Die zeitlich nachfolgenden Festivals können überlegter reagieren. Doch auch für sie ist der Spielraum sehr gering. Letztlich bleiben nur zwei Optionen: Absagen oder Verschieben. Denn, auf die Präsenz von Menschen verzichten und Programme online anzubieten, ist für ein Festival keine echte Alternative. Was noch möglich ist, hängt sehr stark vom verbleibenden Planungszeitraum, der Größe des Festivals und vom Standort ab. Drei Szenarien sind denkbar …

 

 

Szenario 1: Shutdown

 

Eine harte Schließung bleibt für Festivals an Hotspots wie die Hong Kong Independent Short Film & Video Awards (ifva) und Festivals, die kurz nach Bekanntgabe von Versammlungsverboten starten wollten, wie zum Beispiel das Festival international de films de femmes in Créteil, die einzige Möglichkeit.

In diesen Fällen hatten die Veranstalter keine Wahl und mussten alternativlos mit Absagen reagieren.

 

 

Szenario 2: ersatzlose Absage

 

Kaum Handlungsspielraum haben auch Festivals, die in eine Periode fallen, für die bereits von den Behörden Mindestzeiträume für das Versammlungsverbot genannt wurden. Einige Festivals haben mit der Absage gleich auf das nächste Festivals 2021 verwiesen. Zählt man zu dieser Gruppe auch jene Festivals, die Online-Angebote machen, aber nicht wirklich stattfinden können, so sind dies bislang 50 Festivals.

 

Die Gründe für eine ersatzlose Absage hängen mit der Größe der Festivals zusammen. Kleine und regionale Festivals, die entweder ohne große internationale Beteiligung stattfinden (Reisebeschränkungen) und/oder nicht auf einen großen Mitarbeiter- und Helferstab angewiesen sind, haben einen größeren Handlungsspielraum und einen anderen Zeithorizont.

 

Größere Festivals haben das Problem, dass sie bereits in der Vorbereitungsphase von Verboten und gebotenen Schutzmaßnahmen betroffen sind, also ohne dringend benötigtes, anwesendes Personal dastehen. Das gilt nicht nur für eventuell ganzjährig angestelltes Personal, sondern insbesondere für kurzfristig Beschäftigte (etwa Techniker), Praktikanten oder ehrenamtliche Helfer, die erst in die Arbeit eingewiesen werden müssen. Weder ist das Einarbeiten online möglich, noch können Aufgaben in Bereichen wie Logistik oder Kopien-Handling vom Home Office geleistet werden.

 

Zu diesen Festivals, die bereits abgesagt haben, gehören die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen und das Internationale Trickfilm Festival Stuttgart (Mai)1 sowie das Internationale Kurzfilm Festival Hamburg (Juni).

 

 

Szenario 3: Verschiebung auf einen späteren Festivaltermin

 

Die Verschiebung auf einen späteren Termin ist zumindest aus der Perspektive der FilmemacherInnen die freundlichste Lösung, da sie dann ihre Filme im Kino unmittelbar vor Publikum zeigen können, und sie von der persönlichen sozialen Vernetzung, die ja das Fundament der Kulturpraxis Festival/Kino ist, profitieren.

 

Für die Veranstalter hat eine Verschiebung anstelle der Absage den Vorteil präsent zu bleiben und sich gegebenenfalls bestimmte Vorleistungen, wie Sichtungen und Auswahlprozesse oder vertraglich vereinbarte Leistungen, etwa für Kuratoren oder Referenten, amortisieren. Je weiter jedoch ein Festivaltermin nach hinten verschoben wird, desto höher steigt der Anteil an Kosten für doppelt auszuführende Leistungen.

 

Große Festivals müssen aber bei einer Terminverschiebung mit möglicherweise untragbaren Folgen rechnen. Das fängt bei zweimal zu leistenden Aufgaben an, geht über Besucherausfälle wegen anderer Termin- und Reiseplanungen bei Gästen und Fachpublikum bis zum Verlust von Projektmitteln für zeit- und ortsgebundene Vorhaben und hört bei fehlenden Hotelkapazitäten und Konkurrenz mit anderen Veranstaltungen noch nicht auf.

 

 

Stand der Verschiebungen (per 31.3.20)

 

Die große Mehrheit der Festivals, die in unserem Terminkalender stehen, hat sich bereits für eine Verschiebung entschieden. Etwa 50 Festivals haben bereits mitgeteilt, dass sie  später als ursprünglich geplant stattfinden. Weitere folgen sicher und zwar kumulativ so lange bis die Behörden ein Ende der Ausnahmezustände ankündigen.

 

Die Verschiebungen reichen inzwischen bis in den November hinein. Unter den großen Kurzfilmfestivals war Curtas Vila do Conde (P) am pessimistischsten. Das Festival ist von Mitte Juli auf Anfang Oktober verschoben. Am optimistischsten waren die Rencontres du Moyen Métrage in Brive (Paris), die von Anfang April auf Anfang Juni wechselten.

 

 

Erdrutsch und Staus im Festivalkalender

 

Etwa die Hälfte aller Festivals, die im Mai und Juni stattfinden wollten, haben eine Verschiebung, aber noch keinen neuen Termin angekündigt. Die bisher bekannten Verschiebungen konzentrieren sich auf September/Oktober. In diesen Monaten, die auch unter normalen Umständen traditionell zu den festivalstärksten im Jahr gehören, wird es also extreme Verdichtungen geben (siehe Diagramm oben). Filmemacher und Fachbesucher werden in Terminentscheidungsnöte kommen und alle werden mit weniger Besuchern rechnen müssen.

Eigentlich wären Absprachen sinnvoll, aber das ist wohl illusorisch, da die Organisationen, die zentral koordinieren könnten, zu schwach oder noch zu neu sind, beziehungsweise keine etablierten Arbeitsstrukturen haben (zum Beispiel die internationale Short Film Conference oder die deutsche AG Filmfestival).

 

 

Empfehlungen zum Klärungsbedarf für Festivalplanungen in der Krise

 

  • realistische Schätzungen der mindestens notwendigen Vorbereitungszeiten für jede Phase der Festivalproduktion
  • wann, wie schnell und im welchem Umfang stehen später Personal bzw. Helfer zur Verfügung
  • frühzeitige Kommunikation und Absprachen mit Förderern, Sponsoren, Behörden
  • Abstimmung neuer Festivaltermine mit äußeren Faktoren (Saison, Ferien, konkurrierende Veranstaltungen, Reisefreiheit)

 

 

Unwägbarkeiten – womit man rechnen sollte …

 

Es ist derzeit nicht absehbar, wann sich die Situation verbessert und wann die Einschränkungen aufgehoben werden. Die sicherste Strategie wäre es, erst an dem Tag neue Termine festzulegen, an dem offiziell mitgeteilt wird, dass Kinos wieder öffnen dürfen.

 

Für die Zeit nach dem ‚Exit‘ sollte man vorbereitet sein, Sicherheitsauflagen erfüllen zu können (Hygieneregeln, Abstandsregeln in Versammlungsräumen und andere Schutzmaßnahmen, wie wir sie derzeit beobachten können).

 

Leider nicht kalkulierbar ist das eventuelle Auftreten weiterer Infektionswellen. Schwierig vorher zu sagen, aber ziemlich wahrscheinlich, ist ein Einbruch der Produktion von Filmen, was sich im nächsten Jahr auf das Programm der Festivals auswirken wird.

 

 

 

Links

1Dr. Lars Henrik Gass (Festivaldirektor der Internationalen Kurzfilmtage Oerhausen im Gespräch mit Prof. Ulrich Wegenast (Künstlerischer Geschäftsführer des Internationalen Trickfilm-Festivals Stuttgart) sprechen über den Umgang von Festivals mit Absagen und der Suche nach Lösungen.

Statement der AG Filmfestival: News – AG Filmfestival.webloc

Weitere Informationen: www.german-films.de/corona-updates/index.html

Über Online-Aktivitäten (auch von Festivals) informieren wir hier

Außerdem gibt es Kurzhinweise in unserem Festivalkalender

 

 

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