Die Filmfestivals von Übermorgen

Report

© Anne Isensee

New York City – die Stadt, in der Katastrophen globalen Ausmaßes in rekordverdächtiger Häufigkeit ihren Höhepunkt finden. In der Causa COVID-19 konnte New York ihren Titel definitiv auf dramatische Weise verteidigen.

 

Für mich wurde dieses Hollywood-Klischee Realität, als ich im März beim New York International Children‘s Film Festival zu Gast war. Dass dies das vorerst letzte Festival gewesen sein sollte, das ich auf konventionelle Art besuchen würde, konnte ich bei meiner Anreise am 6. März noch nicht ahnen – man könnte mir jetzt vorwerfen, ich hätte die Warnungen relevanter Quellen, wie der TV- Serie „Die Simpsons“ nicht ausreichend ernst genommen – aber hinterher ist man eben immer schlauer.

 

Nach einer reichlich turbulenten Heimreise lebe ich hier nun also am Day After Tomorrow – dem Tag nach morgen, in einer Welt der virtuellen Onlinefilmfestivals.

 

Das erste Festival, an dem ich in dieser neuen Weltordnung teilnehmen durfte, war das Ann Arbor Film Festival. Das AAFF wurde in diesem Jahr 58 Jahre alt, und zählt somit nicht gerade in die Generation der sogenannten Digital Natives, sprich junger Menschen, die mit digitaler Kommunikationstechnik sozialisiert worden sind. Umso beeindruckender, wie gut und vor allem wie schnell das Festival eine komplett digitale Version aus dem Boden gestampft hat.

Die Filmemacher*innengespräche fanden als Zoom-Konferenzen statt. Was heute wohl kaum mehr einer Erklärung bedarf, war für mich zu diesem Zeitpunkt noch eine völlig neue Erfahrung. [1]

Der Name „Zoom“ macht, wie ich bald feststellen konnte, seinem Namen alle Ehre. Jedenfalls habe ich in den letzten Monaten mehr Nasenlöcher genauer unter die Lupe nehmen können, als ich es als 1,80 m große Person normalerweise gewöhnt bin.

Bei unserem Zoom Meeting zum Kurzfilmwettbewerb waren Filmemacher*innen aus der Türkei, Japan, Korea, Deutschland und den USA dabei. Es waren tatsächlich alle Filmemacher*innen aus diesem Block anwesend, egal, wie früh oder spät es zu diesem Zeitpunkt an ihrem Aufenthaltsort war. Das war eine einzigartige Begebenheit, die in Michigan wohl sehr viel unwahrscheinlicher gewesen wäre. Ich jedenfalls wäre nicht dort gewesen.

Die Moderatorin hatte uns zuvor eine leicht verständliche Einweisung und die Gelegenheit zum gegenseitigen Kennenlernen gegeben. Das war nett. Außerdem hatte das Festival die Filme zuvor per Live-Stream (kuratiert und mit festen Zeiten) online gestellt und Fragen von Zuschauer*innen gesammelt, die dann während der Zoom-Konferenz weitergeleitet wurden. Es war natürlich schade, die Moderatorin und die anderen Filmemacher*innen nicht persönlich kennenzulernen und nicht mit ihnen ins Gespräch kommen zu können. Andererseits konnte ich mir im Anschluss an das Screening ihre Webseiten und weiteren Arbeiten konzentriert anschauen, was man im Trubel eines Festivals ja sonst leicht vergisst. Außerdem haben mich einige Online-Gäste nach dem Screening über Plattformen wie facebook oder vimeo kontaktiert, sodass sich immerhin mein digitales Netzwerk erweitert hat.

Ich will nicht behaupten, dass das besser wäre als zwischenmenschlicher Kontakt. Es ist anders. Aber es ist ein, wie ich finde, netter und ehrlich interessierter Versuch gewesen, unter den gegebenen Umständen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln in Kontakt zu treten.

Außerdem hat das Ann Arbor Festival allen eingeladenen Filmemacher*innen von diesem Jahr stark vergünstigte Einreichgebühren für die kommende Ausgabe angeboten. Das empfinde ich als eine kulante und gemeinschaftsstärkende Geste.

 

 

Es folgte das FiSH – Festival im Stadthafen Rostock, bei dem ich die Ehre hatte, mich als Jurymitglied an weiteren Video-Konferenzen zu beteiligen. Das FiSH hatte verschiedene Kommunikationsplattformen getestet, wie z.B. Jitsy oder Discord. Allerdings hat sich Zoom als die stabilste herausgestellt. Veranstaltungen wie die Eröffnung und die Preisverleihung wurden über Youtube live ausgestrahlt, wobei es keinerlei Anmeldung bedurfte. Ich persönlich wäre dankbar, wenn ich mich in Zukunft bei so wenigen weiteren Plattformen wie möglich anmelden müsste. Das FiSH kam auf beeindruckende internationale Zuschauerzahlen, was hoffentlich zu einem breiteren Bekanntheitsgrad geführt hat.

 

Auch das VIS Vienna Shorts, das Internationale Trickfilm Festival Stuttgart sowie das Annecy International Animation Film Festival haben eigene Onlineplattformen aufgebaut, über die man mit einer Akkreditierung die Filme, Rahmenprogramme und Kurse vom heimischen Endgerät aus ansehen konnte. Ich will ein paar Aspekte nennen, die mir positiv aufgefallen sind: Beim VIS Vienna Shorts hat mir gefallen, dass mir für einen Film, der für das Rahmenprogramm ausgewählt wurde, proaktiv eine Vorführgebühr angeboten und gezahlt wurde (das sollte natürlich selbstverständlich sein, aber da ich in der Hinsicht auch andere Erfahrungen gehört habe, will ich es an dieser Stelle positiv hervorheben). Auch gut fand ich, dass nicht das gesamte Programm von Anfang an zu sehen war, sondern erst an den Tagen, an denen es auch tatsächlich im Kino stattgefunden hätte. Somit konnte ich mich als Zuschauerin dafür entscheiden, die Kurzfilme kuratiert und zeitgleich mit anderen Zuschauer*innen zu sehen, was mir zumindest das Gefühl gibt, ein gemeinsames Erlebnis gehabt zu haben. Trotzdem hatte man danach ja Gelegenheit, die Filme noch zu schauen, falls man sie verpasst haben sollte.

 

Ein weiterer sehr positiver Effekt der Onlineveranstaltungen ist, dass ich viel mehr Masterclasses und Gesprächsrunden hören konnte, als es sonst möglich gewesen wäre. Besonders beim Annecy International Animation Film Festival ist der Andrang zu Veranstaltungen mit illustren Gästen oder populären Themen häufig so enorm, dass man selten noch einen Zugang dazu erhält. Ganz zu schweigen von Menschen, die aus verschiedenen Gründen gar nicht erst zum Festival reisen können.

 

Und schließlich, ich kann uns nicht davor verschonen: Anders als in den letzten Jahren bin ich im Jahr 2020 mal nicht kreuz und quer über den Globus geflogen, als gäbe es kein Morgen mehr. Ich hatte es im letzten Jahr bereits verstärkt vermieden, in Flugzeuge zu steigen, doch es besteht in der Filmszene immer ein gewisser Druck, immer und überall dabei zu sein, um seine Filme möglichst gut zu repräsentieren und möglichst viele Hände zu schütteln. Und das wird vermutlich auch weiterhin wichtig sein. Aber wir sollten alle versuchen, unsere Aufenthalte nachhaltiger und bewusster zu gestalten und uns gut überlegen, welche Reisen wirklich nötig und wichtig sind – zum einen für unsere persönliche Karriere, zum anderen aber auch zum Wohle der Weltbevölkerung. Das mag jetzt pathetisch klingen. Aber ich setze trotzdem noch einen drauf: Wenn wir das nicht tun, dann gibt es auch kein Morgen mehr.

 

Eine ganz besondere Erfahrung war das Corona Short Film Festival, das „erste und hoffentlich letzte“, wie es sympathischerweise in der Selbstbeschreibung heißt. Dieses Festival hat sich auf Initiative des Schauspielers Dejan Bućin als Reaktion auf die internationale Isolation gegründet. Filmemacher*innen und Enthusiast*innen waren aufgerufen, Filme einzureichen, die sie unter Einhaltung der Kontaktbeschränkunen erstellt hatten. 36 Filme wurden online gestellt, das Onlinepublikum konnte seinen Favoriten wählen und eine illustre Jury vergab den Hauptpreis. Dem Festival war in kurzer Zeit eine erstaunliche Reichweite gelungen. Diese nutzten die Organisator*innen, um auf die Arbeit der Ärzte ohne Grenzen aufmerksam zu machen und zu Spenden aufzurufen. Gute Sache.

 

Was können Onlinefestivals nicht? Nun, sie können nicht das wunderbare Erlebnis reproduzieren, mit dutzenden von Menschen aus allen möglichen Kulturen in einem dunklen Raum zu sitzen, während sie denselben luziden Traum durchleben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich irgendjemand ernsthaft wünscht, dass Filmfestivals nachhaltig auf Onlineformate umgestellt werden. Was wir aus der Erfahrung der Pandemie, die fürs Erste zu unserem Leben dazugehören wird, mitnehmen können, sind die Möglichkeiten, Veranstaltungen für alle Interessierten zugänglicher zu machen.

 

Die digitale Kommunikation kann Filmemacher*innen die Chance geben, sich mit dem Publikum über ihre Filme auszutauschen, ohne dem Druck ausgesetzt zu sein, immer zwingend vor Ort anwesend zu sein. Das bezieht sich auch auf die Chance (für alleinerziehende Mütter, Künstler*innen mit geringem Einkommen, Menschen mit limitierter Reiseerlaubnis, Filmemacher*innen mit Behinderungen etc.), Preise zu erhalten. Das könnte für größere Chancengleichheit sorgen. Die Filmfestivalwelt von Übermorgen könnte eine smarte Verbindung aus Internet und realer Welt sein – was auch immer Letzteres sein mag.

 

[1] Ich gebe trotzdem eine ab: Zoom ist ein Online-Startup aus den USA, das Video Konferenzen anbietet, an denen gleichzeitig eine Vielzahl an Leuten mit digitalen Endgeräten teilnehmen kann. Diese Plattform ist seit März 2020 zum internationalen Marktführer aufgestiegen. Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass es auch Alternativen gibt, die man zum Vergleich heranziehen sollte, wenn man sich für Datenschutz interessiert.

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