Film- und Bewegtbild auf der Venedig Biennale 2022

Lynn Hershman Leeson, “Logic Paralyzes the Heart,” 2022 ©Courtesy of the artist; Altman Siegel, San Francisco; and Bridget Donahue, New York. Photograph by Andrea Rossetti

 

Eine der wichtigsten und größten Kunstausstellungen weltweit ist die Biennale in Venedig. Die 59. Ausgabe der „Esposizione Internazionale d’Arte della Biennale di Venezia“ findet vom 23. April bis 27. November statt. Kuratiert wurde sie von Cecilia Alemani, die unter dem Motto Il Latte dei Sogni (Die Milch der Träume) besondere Akzente setzte, die sich deutlich von früheren Ausgaben unterscheiden. Mit Bezug zum Surrealismus von Leonora Carrington – The Milk of Dreams ist der Titel eines Kinderbuchs von ihr – konzentriert sich die Biennale auf drei Themen: die Darstellung von Körpern und ihre Metamorphosen, die Beziehung zwischen Individuum und Technologie und die Verbindung zwischen Körpern und der Erde.

 

Bemerkenswert ist, dass unter den mehr als 200 ausgewählten KünstlerInnen nur knapp 30 männlich sind und mehr als 180 noch nie auf der Biennale vertreten waren. Nur in den „Time Capsules“ genannten Ausstellungen in der Ausstellung, die der Kunst des letzten Jahrhunderts gewidmet sind, findet man im Kunstkanon bekannte Namen. Dies gilt auch für die Beteiligung der KünstlerInnen von Filmen und Bewegtbildern. Aber auch von etablierten KünstlerInnen wurden weniger bekannte Arbeiten ausgewählt.

 

Zu solchen älteren Filmen gehören der selten gezeigte Kurzfilm von Maya Deren „The Witch’s Cradle“ aus dem Jahr 1943 mit Pajoretta Matta und Marcel Duchamp. An der Schnittstelle zum 21. Jahrhundert liegen die Arbeiten von Künstlerinnen, die nicht nur auf sogenannten neuen Medien entstanden sind, sondern zugleich auch die Beziehung menschlicher Körper zur Technologie analysieren.

So ist Lynn Hershman Leeson mit Porträts von Personen, die nicht wirklich existieren, und der Video-Erzählung einer Cyborg in der Mid-Life-Crisis vertreten („Logic Paralyzes the Heart“, 13:35 Min., USA 2022), die von der Biennale Jury eine Special Mention erhielt.

In einer großartigen Wiederentdeckung zeigt die Biennale auch kurze Filme der Digitalfilm-Pionierin Lillian F. Schwarz (geb. 1927). Sie ist eine der ersten Künstlerinnen, die den Computer als Instrument zur Schaffung künstlerischer Werke nutzte und zugleich bahnbrechende Beiträge zur Forschung in den Bereichen Computergrafik, Video und 3D-Animation leistete. » Die kurzen Filme (…) wie „Googolplex“, „Enigma“ oder „Mis-Takes“ (alle 1972), zeigen ständig mutierende Formen, die von treibender Musik begleitet werden, um ein seltsames, mystisches, fast spirituelles Gefühl der Desorientierung zu erzeugen«, heißt es im Ausstellungskatalog[1].

 

Eine Überraschung ist die Premiere des ersten Films der Fotokünstlerin Nan Goldin (»I always wanted to be a filmmaker«[2]). Ihr 16-minütiger Kurzfilm „Sirens“ ist eine Found-Footage-Arbeit zum Thema Sucht mit Szenen aus 30 Lieblingsfilmen von Filmemachern wie Kenneth Anger, Antonioni, Clouzot und Jack Smith. Der Film ist Donyale Luna gewidmet, dem ersten schwarzen Supermodel der Welt, das 1979 an einer Überdosis Heroin starb.

 

Zu den zeitgenössischen Bewegtbildarbeiten der Biennale gehören ein früherer Film von Akosua Adoma Owusu („Kwaku Ananse“ 2013), deren Arbeiten auch auf Kurzfilmfestivals wie Oberhausen, zu sehen waren, und die 3-Channel-Videoinstallation „Mary of ill Fame“ von Tourmaline (produziert von Keanu Reeves, USA 2021) über eine schwarze Transfrau.

Der belgische Pavillon wurde von dem kongolesischen Filmemacher und Künstler Francis Alÿs mit Videos zum Thema Covid-Pandemie in Afrika gestaltet. Der griechische Pavillon, der von Heinz Peter Schwerfel (Kino der Kunst) kuratiert wurde, wird mit einem 360 Grad-VR-Film von Loukia Alavanou bespielt, in dem Sophokles‘ Drama „Oedipus in Colonus“ in die Gegenwart einer Roma-Gemeinde in Athen übertragen wird.

 

Ebenfalls aus Griechenland kommt das 16-minütige Video „Lacerate“ von Janis Rafa, das im Rahmenprogramm von der Fondazione In Between Art Film vorgestellt wird. Unter dem Titel „Penumbra“ werden dort weitere Videoinstallationen, u.a. von Jonathas de Andrade (BR), He Xiangyu (Berlin), Emilija Škarnulytė (LT) und Ana Vaz (BR) gezeigt.

 

 

Insgesamt ist die Zahl der Filme, die auf der diesjährigen Biennale gezeigt werden, deutlich geringer als bei der letzten Ausgabe (s.a. unser Artikel[3]). Da im Jahr 2019 eher etablierte Namen oder zumindest in der Film- und Festivalwelt bekannte FilmemacherInnen teilnahmen, ist die diesjährige Auswahl, was Neu- und Wiederentdeckungen angeht, aber viel interessanter und auch überzeugender, was die Nähe zum künstlerischen Konzept angeht.

 

 

Fotonachweis: Lynn Hershman Leeson, “Logic Paralyzes the Heart,” 2022. Courtesy of the artist; Altman Siegel, San Francisco; and Bridget Donahue, New York. Photograph by Andrea Rossetti.

 

 

[1] https://www.labiennale.org/en/art/2022/milk-dreams/lillian-schwartz ; siehe auch die Internetseite von Lillian Schwartz mit Online-Filmen: http://lillian.com/films/

[2] Quelle: Moderna Museet Stockholm, das ab 19.10.2022 eine Retrospektive der Kameraarbeiten (Slide-Shows und Film) von Nan Goldin ausstellt. https://www.modernamuseet.se/stockholm/en/exhibitions/nan-goldin/

[3] Starke Filmemacher-Präsenz auf der Kunstausstellung Biennale di Venezia 2019

 

 

 

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