Gut und unter 10 Minuten

Gut und unter 10 Minuten – Kurzfilmverleih in Deutschland

von Cornelia Walter

Er mag ein Festivalliebling sein und seine Erfolgsgeschichte im Netz haben – eines ist der Kurzfilm sicher nicht, ein Kassenschlager. Von einigen wenigen Produktionen abgesehen ist mit ihm – zumindest im Kino – scheinbar kein Geld zu verdienen. Dennoch gibt es Verleihe in Deutschland, die den Kurzfilm nicht nur im Programm sondern sich zum Teil sogar auf ihn spezialisiert haben. Die Gründe dafür sind so unterschiedlich wie die wirtschaftlichen Strukturen der Verleiher.

Auf den ersten Blick ist Kurzfilmverleih nicht plausibel, denn er ist primär ein Verlustgeschäft und wer wissen will, wie er dennoch funktioniert, muss vor allem nach den anderen Standbeinen der Verleiher fragen. Denn es sind – neben den öffentlichen Fördermitteln – die übrigen Geschäftsfelder, die den Verleih ermöglichen. Dabei sieht jedes Modell ein wenig anders aus.

Die drei großen Kurzfilmverleihe in Deutschland sind nicht zufällig untrennbar verbunden mit den drei großen Festivals, den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen, interfilm Berlin und dem Internationalen Kurzfilm Festival Hamburg der KurzFilmAgentur (KFA). Bei allen Unterschieden verbindet diese drei Festivals mit ihren jeweiligen Verleihen die Tatsache, dass sie sich über das Format des Kurzfilms definieren. Bei fast allen übrigen Mitbewerbern ist das anders.

Für sie steht im Vordergrund der Arbeit häufig ein spezieller Bildungsauftrag, ein konfessioneller beispielsweise beim Katholischen Filmwerk oder dem Evangelischen Zentrum für entwicklungsbezogene Filmarbeit (EZEF). Auch Matthias Film wird von der Evangelischen Kirche getragen und bietet Filme für die Gemeindearbeit und darüber hinaus vor allem für die Bildungsarbeit im Schul- und Elementarbereich an.

Bei Arsenal – Institut für Film- und Videokunst e.V. taucht der Kurzfilm vor allem in der Verleih-Sparte „Arsenal experimental“ auf. Er stellt nur einen kleinen Teil der rund 2000 Titel im Verleihprogramm dar und in der Online-Filmdatenbank gibt es keine Möglichkeit, gezielt Kurzfilme zu finden. Kurzfilme finden ihren Weg dann in den Verleih, wenn sie dem Profil zwischen experimentellem Filmschaffen und Bildender Kunst entsprechen.

Nur noch sehr gelegentlich taucht der Kurzfilm im Programm von Langfilm-Verleihen auf. Lediglich W-Film bleibt seit zehn Jahren seinem Kurzfilmprogramm treu. Neben der Produktion von Dokumentar- und Spielfilmen verfügt W-Film über eine Verleihsparte, die den Kurzfilm als eigenes Genre präsentiert. Über dreißig Kurzfilmprogramme sind inzwischen unter dem Label „Night of the Shorts“ entstanden. Rollen wie „Erotic Tales“ waren ein Serienerfolg an den jetzt auch „Tapas Mixtas“, spanische Kurzfilme der letzten Jahre, anschließen. „Tapas Mixtas 2“ startet voraussichtlich im Herbst 2011.

Bleiben die Filmhochschulen, deren Studenten- und Absolventenfilme eine nicht unerhebliche Größe für die bundesweite Kurzfilmproduktion darstellen. Umso erstaunlicher, dass nur die HFF Potsdam und die Filmakademie Ludwigsburg sich einen eigenen Vertrieb leisten, der sich um die nationale und internationale Auswertung studentischer Produktionen kümmern. Die Online-Datenbank der HFF ermöglicht beispielsweise eine sehr ausdifferenzierte Suche nach Produktionen seit 1993, allerdings wird auch hier die Form des Kurzfilms nicht gesondert ausgewiesen. Alle übrigen Kunst- und Filmhochschulen bieten sehr eingeschränkte Möglichkeiten, einzelne Produktionen zu recherchieren, übernehmen jedoch keine Verleihtätigkeit.

Die Verbindung von Festival und Verleih dagegen ist naheliegend, denn zwischen 4000 und 6000 eingereichte Produktionen erreichen Oberhausen, Hamburg oder Berlin alljährlich zur Sichtung. Nur ein Teil von ihnen kann im Programm präsentiert werden, ein noch kleinerer Prozentsatz landet schließlich in ihrem Verleih. 50 bis 70 Filme werden beispielsweise bei interfilm oder in Oberhausen jährlich aus dem eigenen Festivalprogramm in den Verleih übernommen. Doch genügt es auch ihnen trotz der Fülle der Bewerbungen längst nicht, auf die Einsendung interessanter Filme zu warten. Die Auswahl der Kurzfilme geschieht oft bereits viel früher, überwiegend auf den internationalen Festivals von Clermont-Ferrand, Cannes oder Annecy – und nicht zuletzt in Oberhausen selbst, das eine eigene Vertriebsplattform entwickelt hat, indem es eingereichte Produktionen anderen Festivals für die Sichtung zur Verfügung stellt.

Doch gibt es auch zwischen den drei großen Festivals und ihrer Verleihpraxis große Unterschiede. Während sich interfilm und die KFA beide für den Vorfilm im Kino stark machen, lehnt Oberhausen diese Präsentationsform des Kurzfilms eher ab. Dort wird er primär „als abendfüllendes Programm“ gesehen. Die Priorität liegt auf kompletten, kuratierten Programmen die – und das ist noch ein wesentlicher Unterschied – vor allem nicht-gewerblich verliehen werden. An Kommunale Kinos, Festivals oder Goethe-Institute zum Beispiel.

Dabei ist die Unterscheidung zwischen kommerziellem und non-kommerziellem Verleih im Bereich des Kurzfilms eher eine akademische und etwas irreführend. Denn kommerziell ist jeder Verleih an Kinos, auch dann, wenn es sich um kleine Programmkinos handelt und auch dann, wenn das Abspiel gefördert wird. Nicht kommerziell hingegen werden Filme insbesondere in der Bildungsarbeit gezeigt oder beispielsweise in Goethe Instituten. Die für diese Präsentation durchaus Verleihgebühr bezahlen.

Je nachdem aber, ob der Verleih gewerblich oder nicht-gewerblich arbeitet (oder beides), setzen sich seine Einnahmen unterschiedlich zusammen. Non-kommerziell beispielsweise arbeitet Oberhausen, das Herzstück seiner Tätigkeit bildet das Archiv der Stadt Oberhausen. Stadt, Land und Bund fördern die Filmtage und ein Teil der städtischen Förderung ist für die Verwaltung dieses Archivs bestimmt: „Wir sind sehr, sehr stolz auf unser Archiv“, sagt Alexandra Hesse, verantwortlich für den Verleih. Immerhin bietet das Archiv aus der 57-jährigen Festivalgeschichte große Namen wie Roman Polanski, Werner Herzog oder Alexander Kluge, um nur einige wenige zu nennen. Rund 2400 Titel umfasst es derzeit, einen Schwerpunkt bilden neben den alljährlichen Preisträgerfilmen z.B. Filme aus Ex-Jugoslawien. Jedes Jahr werden rund 70 Titel aus den Wettbewerben und Sonderprogrammen des Festivals für den Verleih angekauft – nicht exklusiv übrigens. Der aktuelle Verleihkatalog von Oberhausen umfasst Filme aus den letzten fünf Jahren. Nach und nach wandern die Titel dann aus dem Verleih ins Archiv – wo sie jedoch weiterhin für den Verleih zur Verfügung stehen.

Sowohl kommerziell als auch non-kommerziell dagegen arbeiten die KFA und interfilm – allerdings mit sehr unterschiedlichen Anteilen an öffentlicher Förderung. Im Sommer 2010 haben die beiden Institutionen gemeinsam mit der AG Kurzfilm die von der Filmförderungsanstalt (FFA) geförderte Kampagne „Kurz vor Film“ initiiert. Seit 1.1.2009 fördert die FFA das Abspiel von Kurzfilm mit bis zu 80 %, eine Praxis, die dem Kurzfilm zwar zu mehr Präsenz auf den Leinwänden, dem Verleihgeschäft jedoch noch längst nicht in die schwarzen Zahlen verholfen hat. Im Gegenteil, Kurzfilm-Verleih ist ein Minusgeschäft. Michael Schwarz von der KFA erklärt warum: „Das Problem ist, dass wir nicht an den Einnahmen der Kinos pro Zuschauer beteiligt sind, sondern nur eine Pauschale für den Einsatz erhalten. Wenn der Kurzfilm wie der Langfilm abgerechnet würde, wäre das lukrativer.“ Doch die großen Verleihe haben kein Interesse an einer solchen Umverteilung der Gewinne. Auch bei der KFA fließt ein Teil ihrer institutionellen Förderung durch Hamburg und den Beauftragten für Kultur und Medien (BKM) in den Verleih.

„Wir versuchen immer stärker wirtschaftlich zu arbeiten“, sagt Michael Schwarz. Dabei ist das Selbstverständnis der KFA durchaus ein politisches. Sie sieht ihre Aufgabe darin, „den Kurzfilm stärker zu professionalisieren und alle Maßnahmen zu ergreifen, um ihn zu popularisieren“. Daneben arbeitet sie am Ausbau ihrer innovativen, digitalen Verleih-Plattform XKShorts, über die sie Digital Cinema Packages verleiht. Indem sie Drehbuchgutachten und Letters of intent als Hilfestellung für den Nachwuchs anbietet, hält sie engen Kontakt zu jungen Produzenten und nimmt gelungene Kurzfilme später in den eigenen Verleih auf.

Die Auswirkungen der gemeinsamen Kampagne „Kurz vor Film“ schätzt die KFA zurückhaltend ein. Es sei wichtig gewesen, dass sie gelaufen sei. Einige Kinos sind als neue Abspielstätten für den Kurzfilm dazu gekommen. Doch unterm Strich war die direkte Ansprache der Kinobetreiber ausschlaggebend. Das neue Filmfördergesetz nach dem die FFA einen erheblichen Teil der Vorführkosten übernimmt, sei wichtiger.

Neue Leinwände lassen sich hauptsächlich durch persönliche Akquise gewinnen, das bestätigt auch Christian Gesell von interfilm. Doch immerhin sind ca. 30 Kinos dazu gekommen und jetzt müssten sie dieser Steigerung auch wirklich nachkommen. Insgesamt versuchen 250 bis 300 Kinos in Deutschland ihr Programm mit dem Einsatz von Kurzfilmen attraktiver zu machen. Rund 100 von ihnen haben täglich Kurzfilme im Programm. Hauptsächlich in ganz kleinen Kinos werden sie gezeigt, oft in Kleinstädten, Dörfern und Kommunalen Kinos, mehr in Süddeutschland als im Norden. Immer mehr Abspielorte jenseits des Kinos kommen dazu. „Kinobetreiber“, so Michael Schwarz, „sind ein begrenzter Markt, der eher am Sterben ist“. Desto größer die Kinos werden, desto mehr organisatorische Probleme stehen dem Kurzfilmeinsatz im Weg. Das allerdings könnte mit der Digitalisierung besser werden und inzwischen gibt es auch schon kleine Kino-Ketten, die über den geförderten Kurzfilmeinsatz nachdenken.

Christian Gesell von interfilm glaubt daran, dass der Kurzfilmverleih durch die Digitalisierung der Kinos irgendwann schwarze Zahlen schreiben kann. „Es gibt immer mehr Leute, die sich den Vorfilm im Kino wünschen.“ Es gibt viel positives Feedback auf Festivals und die monatlich präsentierte, thematische interfilm-Rolle Shorts Attack ist in Berlin sehr erfolgreich. Dennoch spielt derzeit der Vertrieb von Kurzfilmen für TV, Online-Plattformen, Mobilfunk, digitale Monitore in Bussen und Bahnen oder Inflat Entertainment auf Schiffen und Flügen bei interfilm das Geld ein und finanziert den Verleih mit. „Dieser Markt ist relevant und wächst“, so Christian Gesell. Inzwischen wird über einen europäischen Verbund nachgedacht, erst kürzlich sind in Europa drei neue Vertriebe dazu gekommen. Neben kommerziell und non-kommerziell ist die Unterscheidung zwischen Verleih und Vertrieb eine weitere Trennung, die – im Bereich des Kurzfilms – nicht immer scharf vollzogen wird. Oft sind die Grenzen fließend und beides in einer Hand. Doch zunehmend trennen sich der Handel mit Lizenzen und der Verleih der Filmrollen, konstatiert Christian Gesell.

Gemeinsam ist allen drei Institutionen eines, der Kurzfilmverleih allein rechnet sich nicht. Er ist ein gefördertes Nullsummenspiel, das zu einem nicht unerheblichen Anteil auch Promotion darstellt. „Oberhausen on tour“ beispielsweise bietet acht fertig kuratierte Verleihprogramme mit Produktionen der letzten zwei Jahre. Sie werden intensiv beworben, dieses Jahr erstmals auch international, und sie sind bis zu einem bestimmten Zeitpunkt günstiger zu buchen. Die KFA dagegen erarbeitet thematische Rollen, möglichst eine im Jahr. Unter dem Titel „Das Grauen kommt um Mitternacht“ ist im April die Horrorrolle erschienen. Interfilms Shorts Attack gibt es bereits ab März an neuen Berliner Locations und in weiteren deutschen Städten – längst nicht nur in Kinos. Doch ist die Präsenz des Kurzfilms im Kino strategisch wichtig und der Verleih schon deshalb politisch wichtig, weil er eine Frage des Prestiges ist.

Nicht zuletzt weil interfilm im Gegensatz zu Oberhausen und der KFA mit wesentlich geringeren öffentlichen Fördermitteln leben muss, sind die Berliner ein Innovationsmotor wenn es um die Erschließung neuer Geschäftsfelder für den Kurzfilm geht. Eines der vielen Standbeine von interfilm ist neben den Kurzfilmfestivals die zunehmende Tätigkeit als Agentur. interfilm stellt Programme auch für kommerzielle Kunden zusammen wie René Lezard im Rahmen der letzten Fashionweek oder organisiert gelegentlich Ideen- und Skriptwettbewerbe für Auftraggeber wie Siemens. „Doch auch hier scheitern viele Ideen am Budget“, so Christian Gesell.

Was von all diesen Verbreitungsformen am Ende bei den Kurzfilmproduzenten hängen bleibt ist sehr, sehr unterschiedlich und in der Regel nicht der Rede wert. Die Einspielergebnisse liegen irgendwo zwischen 53 Cent und 3000 Euro im Jahr, doch ist Letzteres die seltene Ausnahme der schmalen Einnahmen-Regel. Im Vertrieb kann es selten auch mal einen fünfstelligen Betrag geben. Doch „ganz wenige Leute, die Kurzfilm machen, machen es um damit Geld zu verdienen. Die meisten Filmemacher sind überrascht, dass es überhaupt einen Verleih gibt“, sagt Christian Gesell. Es ist eine Auswertung, die eigentlich gar nicht nötig ist, denn in der Regel sind die Filme längst finanziert. Im Gegensatz zum Langfilm, für den Einspielergebnisse eine relevante Größe in der Kalkulation darstellen.
 
Die Abrechnung der Einnahmen ist ebenso unterschiedlich, wie die Laufzeiten der Verträge. Einige Produzenten werden pauschal, andere prozentual beteiligt. In der Regel laufen die Verträge bei interfilm 2-5 Jahre, von einigen älteren, unbegrenzten Verträgen abgesehen. Ein Großteil der insgesamt knapp über 300 Filme im Verleih von interfilm findet sich auch im Vertrieb wieder.  Die KFA hat etwa 400 Filme im nicht exklusiven, territorialen Verleih für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Für ca. 150 Kurzfilme dagegen hält sie die weltweiten Exklusivrechte. Auch sie schließt Verträge für durchschnittlich fünf Jahre ab. Oberhausen funktioniert anders, denn hier wandern die Kopien irgendwann ins Archiv der Stadt Oberhausen. Genau genommen verfügt allerdings auch die KFA über eine Art Archiv ihrer bisherigen Arbeit und führt 28.500 Titel in einer nicht öffentlichen Datenbank für Recherchezwecke.

Erstaunliche Einigkeit aber besteht zwischen allen Vertretern der Kurzfilmszene darin, was die Aufnahmekriterien für den Verleih betrifft. „Gut und unter 10 Minuten“ bringt es Michael Schwarz auf den Punkt, sonst lassen sich die Filme weder als Vorfilme gut auswerten, noch sind sie geeignet für abwechslungsreiche Programme. Desto länger der Film, desto höher sind außerdem auch die Overheadkosten für Kopien oder Transport. Denn interessanterweise sind 35 mm noch immer das zentrale Abspielformat. „Wir finden es schön, wenn die Filmemacher noch auf 35 mm drehen“, sagt Alexandra Hesse aus Oberhausen. Immer noch.

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