TV als Alternative für abgesagte Festivals – ein Überblick

Screenshot: Annecy Kurzfilme auf ARTE 2020

 

Der Zuwachs, den Online-Filmplattformen wie Netflix in diesen ‚Stay-at-Home‘-Zeiten verzeichnen ist in aller Munde. Unter dem Radar der medialen Aufmerksamkeit, gewinnt aber auch das gute alte Fernsehen zunehmend an Boden. Man könnte fast von einer Renaissance des Fernsehens sprechen. Da wäre es eigentlich naheliegend, dass Festivals jetzt, statt auf kommerzielle VoD- und Social-Media-Plattformen angewiesen zu sein, von öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern aufgenommen werden. Auch vor dem Hintergrund, dass Fernsehsender wegen der Produktionseinschränkungen immer häufiger auf Wiederholungen zurückgreifen müssen, wäre dies ein erwartbarer Schritt im gemeinsamen Interesse. Leider gibt es aber weltweit nur wenige solche Kooperationen. Einige Beispiele stellen wir im Folgenden vor.

 

 

Hot Docs bei CBC zuhause

 

In Kanada arbeitet CBS mit dem Festival Hot Doc zusammen. Jeweils Donnerstags zeigt der Fernsehsender – in der Prime-Time (!) – abendfüllende Dokumentarfilme aus dem Festivalprogramm.

 

Auf der Online-Plattform des Senders, „CBC Gem“, stellt Hot Docs auch Kurzfilme vor. Die Playlist enthält aktuelle Wettbewerbsbeiträge wie „Hollie’s Dress“ (Annie Sakkab, CAN 2020) oder „Nancy’s Workshop“ (Aïcha Diop, CAN 2019) und Publikumsfavoriten der letzten Festivals.

 

Das Programm von CBC Gem wird kostenlos verbreitet. Es ist aber nur mit einer kanadischen IP zugänglich. Hot Docs on CBC ist nicht das einzige Online-Angebot des Festivals. Für den öffentlich-rechtlichen Sender sind dokumentarische Kurzfilme im Programm aber kein ‚Neuland‘. CBS zeigt schon seit längerem ganzjährig, auch unabhängig von Hot Docs, in der Reihe ShortDocs dokumentarische Kurzfilme.

 

 

cellu l’art beim Lokalfernsehen JenaTV auf Sendung

 

Das 21. cellu l’art Kurzfilmfestival sollte eigentlich am 21. April im (Freiluft-)Kino starten. Während der ursprünglichen Festivalwoche ging cellu l’art jeweils ab 21 Uhr mit Kurzfilmprogrammen beim privaten, lokalen Sender JenaTV auf Sendung.

JenaTV ist über Kabel, das Internet, SmartTV und Mobiltelefone in Jena und Ostthüringen empfangbar.

 

 

Annecy und ARTE

 

Nicht das erste Mal, aber umfangreicher als in den Jahren zuvor, begleitete ARTE dieses Jahr das Festival international du film d’animation d’Annecy (15. bis 30. Juni online). Zusätzlich zu einer Sonderausgabe von Court-circuit am 20. Juni (nicht mehr verfügbar), sendete der deutsch-französische Kulturkanal in einer Vorschau sieben Kurzfilme aus dem Programm des Festivals – darunter „Something to remember„, der neue Animationsfilm von Niki Lindroth von Bahr (S, 2019).

Außerdem wurden auf ARTE drei Web-VR-Projekte aus dem Programm des Festivals ausgestrahlt.

 

 

KiKA bringt Filme von vier deutschen Kinderfilmfestivals

 

In einer einmaligen Kooperation zwischen dem Deutschen Kinder Medien Festival Goldener Spatz, dem Internationalen Filmfestival Schlingel sowie dem Internationalen Filmfestival für junge Filmfans Lucas und dem Kinder & Jugend Filmfest Michel zeigt KiKA 19 nominierte oder ausgezeichnete Filme. Das „KiKA KINO Festival“ startet am 1. August und endet am 30. August. Die Filme werden an den Wochenenden gezeigt.

 

 

Taiwan International Children’s Film Festival und PTS+

 

Vom 25. Mai bis 5. August zeigt das Kinderfilmfestival in zwei Etappen mehr als 100 Beiträge auf der Streaming-Plattform PTS+ des taiwanesischen Public Television Service. Die Programme sind nach kindgerechten Themen kuratiert. Der Beitrag der Fernsehanstalt ist dabei vorbildlich und zeigt welches Potential in einer Kooperation mit einem öffentlich-rechtlichen Sender stecken kann .

 

In Ergänzung zu den kostenlos gestreamten Filmen des Festivals haben die Organisatoren Arbeitsblätter für LehrerInnen und Eltern entwickelt, damit sie die Filme gemeinsam mit ihren Kindern ansehen und diskutieren können. Gezeigt werden außerdem Filme von Kindern des Workshops „Kids as Directors“, der dieses Jahr ausfallen musste. Abgerundet wird das Ganze mit Kinderfernsehprogrammen des PTS, die mit internationalen Partnern koproduziert wurden.

 

Mit Rücksicht auf FilmemacherInnen und ProduzentInnen wird nur ein Teil der neuen Wettbwerbsfilme online gestellt und können die Filme außerhalb Taiwan nicht abgerufen werden. Im Programm ist übrigens Deutschland mit „Boje“ von Andreas Cordes und Robert Kohler (2019) vertreten.

 

 

Sydney Film Festival und SBS

 

Ähnlich wie in Taiwan kooperiert das komplett ausgefallene Sydney Film Festival mit der Online-Plattform eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders. Im Fokus stehen 40 abendfüllende ältere Filme aus der Geschichte des Festivals. Aus dem ursprünglich geplanten Festivalprogramm werden aber auch zehn Finalisten des Kurzfilmwettbewerbs Dendy Awards gezeigt.

 

SBS wurde urprünglich gegründet um nicht englisch-sprachigen Einwohnern 1975 ein neues nationales Gesundheitssystem nahe zu bringen und ist bis heute ein mehrsprachiger, diverser und multikultureller Sender. SBS war der erste Fernsehsender mit einem eigenen Kurzfilmprogramm. Ab 1989 zeigte SBS in dem legendären einstündigen Magazin „Eat Carpet“ jede Samstagnacht internationale Kurzfilme. Das avantgardistische, weltweit einzigartige und renommierte Programm wurde 2005 im Rahmen von Einsparungen und Umstrukturierungen leider eingestellt.

 

Die Beispiele zeigen nebenbei, dass fast alle Kooperationen nur gelungen sind, weil es bereits zuvor gemeinsame Projekt gab. Die meisten öffentlich-rechtlichen Fernsehsender sind konzeptionell offenbar zu unbeweglich, um die Chance ergreifen zu können, angemessen auf Situationen wie jetzt reagieren zu können. Damit ist allerdings absehbar, dass nach der Krise auch der Zuschauerzuspruch wieder zum ‚old normal‘ zurückkehrt.

 

 

 

Beitragsbild: Kurzfilm „Nancy’s Workshop“ von Aïcha Diop (CAN 2019)

 

Hot Docs at Home on CBC

CBC ShortDocs

KIKA zuhauseumdiewelt

Taiwan International Children’s Film Festival

Sydney Film Festival

Sydney Film Festival Selects auf SBS on Demand

Kurzfilmwettbewerb Dendy Awards