Warten auf die Welle 4 – Hoffen auf Normalität

Report

 

Diagramm 1: Festivalvarianten im Verlauf des Jahres 2020.  Symbole: Haus=vor Ort; Mobil=nur online; Punkt+2 Wellen= hybrid (vor Ort und online oder Open Air); vertikale Linie=heute (links davon vergangene Festivals, rechts Planungen)

 

Inzwischen sind zwei Monate vergangen seit ich zuletzt über die Reaktionen von Filmfestivals auf die Stilllegung von Kinos berichtet habe. Die Lockerungen, die in vielen Ländern Mitte Juni für Kinos begonnen haben, hatten im Juli erwartungsgemäß noch keine Folgen. Im Juli erreichte die Veranstaltungsdichte den Tiefstand des Jahres.

 

Die Ankündigungen von Kinoöffnungen hatten jedoch große Auswirkung auf die Planungen für den Spätsommer und den Herbst. Der rasche Anstieg von Festivalveranstaltungen im August und September – als großer Sprung im Diagramm erkennbar – ist dennoch erstaunlich.

 

Viele Festivals schätzen oder hoffen spätestens im Herbst wieder vor Ort im Kino stattfinden zu können. Allerdings unter Auflagen, so dass in der Regel nur 20 bis 30 Prozent der Platzkapazitäten ausgenutzt werden können. Deshalb haben sich die meisten Festivals mit Planungen für die nahe Zukunft entschieden mehrgleisig zu fahren. Hierfür etabliert sich gerade das Wort ‚hybrid‘ als fester Begriff.

 

 

Hybride Strategien

 

In der nördlichen Hemisphäre macht sich in der Festivallandschaft der Sommer bemerkbar und öffnet, statt dem Ausweichen ins Internet, den Weg ins Freie. Der Anstieg der Festivalzahlen im August ist vor allem auf zusätzliche Open-Air-Veranstaltungen zurückzuführen. Insbesondere Festivals im nördlichen und östlichen Mittelmeerraum gehen diesen Weg. Dort gibt es ohnehin eine gute Infrastruktur für Veranstaltungen im Freien, wie Plätze oder Freiluftbühnen, die auch früher schon für Filmvorführungen genutzt wurden – wie etwa in Italien oder Ländern des Balkans.

 

Seit kurzem lässt sich eine andere, ganz neue Strategie beobachten. Angesichts der Wiedereröffnung von Kinos, die nur einen kleinen Teil ihrer Plätze anbieten können, beginnen Festivals sich geographisch auszudehnen. Die Duisburger Filmwoche plant zusätzlich Programmauslesen in sechs Kinos in Deutschland, Österreich und der Schweiz[1]. Das heißt, es wird versucht den erwarteten Besucher entgegen zu gehen beziehungsweise sie in der Fläche zu verteilen.

Das bekannteste Beispiel ist das Sundance Film Festival. Ende Juni verkündete die Festivalleiterin, das Festivalprogramm werde auf Kinos im ganzen Bundesstaat Utah verteilt. Weitere Veranstaltungen sollen in Großstädten auf dem ganzen amerikanischen Kontinent stattfinden. „The nucleus“, so gab das Festival bekannt, werde aber eine brandneue Online-Plattform sein[2].

 

So bleibt die Alternative, Teile des Festivalprogramms ins Internet zu verlagern, weiterhin spannend zu beobachten. In den ersten Wochen der Pandemie war ‚online zu gehen‘ die Wahl der Stunde, um nicht ganz absagen zu müssen. Bemerkenswert ist, dass seitdem die Bereitschaft dafür sinkt. In den aktuell bevorstehenden Monaten August und September spielen Online-Aktivitäten noch eine gewisse, in Relation zu Festivals, die im physischen Raum stattfinden wollen, aber relativ geringe Rolle.

 

Diagramm 2: Zahl der Festivals online und hybrid im Zeitverlauf – Symbole: Mobil=nur online; Punkt + 2Wellen=hybrid (vor Ort und online und/oder Open Air); vertikale Linie=heute

Einige Festivals haben nach der ersten Erfahrung angekündigt einen Teil ihrer Online-Aktivitäten auch in pandemiefreien Zeiten beizubehalten und in der Branche wird diesbezüglich vom neuen Normalen gesprochen. Die jetzt vorliegenden Zahlen, die auf neuen Ankündigungen beruhen, sprechen aber nicht dafür. Offenbar wird von Online-Optionen schnell Abstand genommen, sobald sich eine positivere Aussicht auf das Pandemie-Geschehen eröffnet.

 

 

Weiterhin alles im Fluss

 

Wegen des zeitlichen Planungsvorlaufs müssen die Festivals mit Prognosen arbeiten. Das führt notwendigerweise zu Fehleinschätzungen. Dutzende Festivals haben bereits unterwegs ihre Strategie revidieren müssen. Manche Festivals lösen das Dilemma inzwischen, indem sie erst kurz vor dem Termin mit ihrer Strategie an die Öffentlichkeit gehen. Nicht wenige Festivals haben ihre Website seit Beginn der Pandemie einfach nicht mehr erneuert, lassen aber ihre Calls stehen …

 

Wie dynamisch die Situation ist, lässt sich daran erkennen (vgl. unsere Diagramme), wie sich Planungen oder Ankündigungen im Lauf der Zeit ändern. In den ersten Wochen und Monaten der Pandemie haben viele Veranstalter ihren Termin in den Herbst verschoben. Doch die Zahl der Festivals, die weiterhin an einem Termin im Herbst festhalten, ist gesunken. Inzwischen wurden fast so viele Festivals abgesagt wie aus dem Frühjahr verschobene hinzukamen. Die Welle wurde flacher beziehungsweise schiebt ihren Berg weiter in die Zukunft vor sich her.

 

 

 

Teil 1 vom 2.4.20: Warten auf die Welle – Filmfestivals zwischen Stilllegung und Hoffnung

Teil 2 vom 5.5.20: Warten auf die Welle 2 – Filmfestivals zwischen Stilllegung und Hoffnung

Teil 3 vom 9.6.20: Warten auf die Welle 3 – Lockerungen

 

 

[1] https://www.duisburger-filmwoche.de/festival/index.php?option=com_acymailing&ctrl=archive&task=view&mailid=129&key=fNHFWZDa&subid=390-nyGlVAe28IzdST&tmpl=component

[2] https://www.sundance.org/blogs/festival/2021-sundance-film-festival-approach-tabitha-jackson