The Art of Coding – Demos sind jetzt UNESCO Kulturerbe

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Demoparty © Darya Gulyamova / Deutsche UNESCO

 

Die Demoszene gibt es schon so lange, wie es Personal Computer gibt. In einer Zeit, in der Computergehäuse noch nicht verschweißt waren und man Software tweaken konnte, experimentierten Laien mit dem Schreiben von Codes, die kameralose kurze Filme am Bildschirm ausgeben.

 

Im März nahm die Kultusministerkonferenz nun 18 weitere, lebendige Traditionen ins Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulterbes auf[1]. Neben dem Uhrmacherhandwerk oder der Weinkultur gehören jetzt auch „Demos“ dazu. Die Aufnahme in das Verzeichnis dient dem Schutz und Erhalt lebendiger, traditioneller Kulturformen[2].

 

Beantragt wurde die Anerkennung als Kulturerbe bereits 2019 von der Initiative Art-of-Coding. Der Antrag wurde unter der Federführung von Tobias Kopka (Digitale Kultur e.V.), einem Veranstalter von internationalen Game-Konferenzen und Kurator von Demo-Partys, aus der Szene heraus gemeinsam geschrieben[3].

 

Die Demoszene agiert international, organisiert sich dezentral und ist nicht-kommerziell. Sie hat sich der Produktion von digitalen audiovisuellen Werken verschrieben. Die Demos sind üblicherweise mehrere Minuten lange, durch Software generierte Animationssequenzen, einer Kombination aus Musik, Videos, Text-, Pixel- und 3D-Grafiken. Die Festivals der Demoszene heißen Demo Partys. Jedes Demo kann nur an einem Wettbewerb teilnehmen.

 

 

Die Kunst der Codierung

 

Demos ähneln Animationsfilmen. Bezüglich der Herstellung sind sie aber keine, da Animationen eine Folge zuvor erstellter Standbilder sind. Die Bilder der Demos hingegen werden von einem, vom Autor selbst geschriebenen Programm erstellt, die, während das Programm läuft, in Echtzeit erscheinen. Die Kunst besteht in der Eleganz der Kodierung. Dies zu demonstrieren – daher der Name – ist ebenso wichtig wie das grafische Ergebnis.

 

Demos kommen aus einer Zeit, in der auf Heimcomputern Speicherplatz knapp und teuer war. Und erst viel später gab es schnelle Grafikkarten. Es ist deshalb nicht nur eine Frage des Stolzes, Demos auf minimale Dateigrößen zu trimmen. So gibt es auf Demopartys Wettbewerbssektionen nach Dateigröße – zum Beispiel für Demos bis maximal 64 Kb oder Intros von nur 4K. Verbreitet werden sie als ausführbare Dateien.

 

 

Partys, Stile und Archive

 

Obwohl von der allgemeinen Öffentlichkeit eher selten wahrgenommen, finden auch heute noch fast jede Woche irgendwo auf der Welt große Demopartys, also festivalähnliche Treffen mit Wettbewerben, statt. Die Demoszene ist zwar international verbreitet, doch eher eine europäische Erscheinung mit einem Schwerpunkt im Norden (Dänemark, Finnland, Norwegen). Eines der größten Events in Deutschland ist die Evoque in Köln. Wie alle Publikumsveranstaltungen ist auch die Demoszene von der Pandemie betroffen. So fand die Evoque 2020 im August unter der angepassten Bezeichnung „Novoque“ als sechsstündiges Live-Ereignis mit knapp 3000 ‚Besuchern‘ auf Twitch.tv statt.

 

Screenshot des Trailers zum Start der „Novoque“ (Köln 2021)

 

Auch die legendäre Assembly konnte nicht, wie gewöhnlich, in Helsinki vor Ort stattfinden. Stattdessen gab es eine deutlich verlängerte Online-Ausgabe (8. – 28.3.21). Anders als bei den anderen Demopartys gibt es bei der Assembly sogar einen eigenen Wettbewerb für Kurzfilme. In der Kategorie „Shortfilm Compo“ werden eher szene-untypische, narrative Beiträge gezeigt. Eine Retrospektive von Filmen aus den Shortfilm-Compo-Programmen der letzten Jahre wurde auf der diesjährigen Assembly gezeigt und steht online[4].

 

Die Stilvielfalt unter den Demos ist, wie beim Kurzfilm allgemein, aber ohnehin sehr groß. Die Bandbreite reicht von rein grafischen bis zu fotorealistischen Arbeiten und von abstrakten Formen bis zu Demos mit einem Plot und einer Message. Traditionelle Kurzfilmfestivals haben sich dieser Filmform bisher kaum angenommen. Künstlerische Demos sind und waren aber schon immer auf Medienkunstfestivals präsent.

 

Möglicherweise liegt es am Echtzeit-Charakter der Demos oder am Trägerformat, dass es so wenig Austausch zwischen den beiden Welten gibt. Doch selbst Vintage-Demos, die nur auf alten Ataris oder Amigas laufen, sind längst auch als MPEG-Videos verfügbar. Diese sind eigentlich nur Dokumentationen des Originals, die live von Screengrabbern aufgezeichnet wurden.

 

Die Archivlage ist hervorragend. Es gibt etliche Websites, die Generationen von Demos in verschiedenen Datenformaten pflegen. Da die Demoszene nie kommerziell orientiert war, stehen sie auch frei, das heißt ohne Lizenzgebühren oder Zugangsbeschränkungen, zur Verfügung. Geld verdienen konnten Coder in der Vergangenheit allenfalls in der Konzert- und Musikbranche, zu der es eine große technische und sozio-kulturelle Affinität gibt.

 

Die Websites der Demoszene, die bewusst auf visuellen Schnickschnack verzichten, sehen oft aus wie Bulletin Boards aus dem letzten Jahrhundert als das Internet noch nicht durchkapitalisiert war. Eine Zukunft könnten die Demoszene und ihre Macher, dank ihrer Kenntnisse und Fertigkeiten, trotzdem haben. Nämlich als eine große Quelle der Innovation – zum Beispiel bei der Gestaltung und beim Coding schneller, ressourcenschonender 3D-Webanwendungen und VR-Umgebungen im Internet.

 

 

Ausgewählte Beispiele

 

Eine gute Einführung in die Frühzeit gibt das Doku-Demo „XAYAX – Bang!“, das vom Museum of Electronic Games & Art (MEGA in Alsbach-Hähnlein) als Video online gestellt wurde (8 Min., 2014).

„XAYAX – Bang!“ (Graphics: Deft, Titus, Veto, Svolli, Music: Skyrunner) © MEGA – Museum of Electronic Games & Art

 

 

 

„State of the Art“ von Spaceballs (1992)

Ein frühes Beispiel für eine grafische Arbeit mit typischen Tanzmotiven ist „State of the Art“ von Spaceballs (Code: Lone Starr & Major Asshole, 1992, Amiga 50 B/sec, 4:12)

Original im Archiv von pouet

Videodokument auf YouTube

 

 

 

Für alle, die nicht genug bekommen und sich nicht von einer gewissen Monotonie abstossen lassen, gibt es mit „Jesus on E’s“ einen ungewöhnlich langen Remix-Sampler der Leeds Spreading Division (LSD). Das Werk mit einer Laufzeit von 30 Minuten wurde 1992 auf dem Digital Symposium in Rotherham (UK) auf nur – unfassbar – zwei 880 KB Floppy Disks herausgebracht. »The demo captured the style of visuals that would have been played at raves of the time«, schreibt dipswitch auf Demozoo.

„Jesus on E’s“ von LSD, Code: Shagratt. Music: Echo. Graphics: Shagratt, Watchman, Pazza, Polo (UK 1992).

Im Archiv von pouet

Als Video auf YouTube

 

 

Ein Beispiel für ein Musikvideo im Animationsfilmstil: „Wir sind Einstein“ von United Force & Digital Dynamite (Code: Barna Buza aka BoyC, Graphics/Music: András Kövér aka slyspy, Ungarn 2010, 4:06), 4. Platz im PC-Demo-Wettbewerb von Breakpoint 2010.

„Wir sind Einstein“ FullHD Video auf YouTube

 

 

Kreatives Coding: „fr-093: Technology“ von Farbrausch, Benjamin Rosseaux aka BerRo (64k Intro für Evoke 2019, D 2019, 2:30 min.)

Website des Autors: https://www.rosseaux.net/

Als Video auf YouTube

 

 

Demos können auch fotografische Aufnahmen als ‚found footage‘ inkorporieren, wie dieses Breakbeat-Musikvideo zeigt, das auf der Evoke 2020 einen ersten Preis gewann:

„Bitbendaz (feat. Daytripper)“ von Mikael Stalvik aka Laevitas (S 2020, 4:25 min).

Original im Archiv: pouet

„Bitbendaz“ als Video auf YouTube

 

 

„Achtung!“ Kunst Kollektiv Wuppertal

Schließlich noch ein aktuelles Echtzeit-Demo aus Deutschland: Die TikTok-Parodie „Achtung!“ vom Kunst Kollektiv Wuppertal (2020, 1:32 min)

Auf Demozoo

Im Archiv von pouet

Als Video auf YouTube

 

 

 

 

 

LINKS

URL der Assembly 2021

Liste auf demoparty.net Upcoming parties 2021

URL des Vereins Digitale Kultur e.V.

 

 

[1] Pressemitteilung der KMK: https://www.kmk.org/presse/pressearchiv/mitteilung/20-neueintraege-ins-bundesweite-verzeichnis-des-immateriellen-kulturerbes-gebaerdensprache-demoszene.html

[2] Zum Immateriellen Kulturerbe zählen lebendige Traditionen aus den Bereichen Tanz, Theater, Musik, mündliche Überlieferungen, Naturwissen und Handwerkstechniken. Seit 2003 unterstützt die UNESCO den Schutz, die Dokumentation und den Erhalt dieser Kulturformen

[3] Antrag: http://demoscene-the-art-of-coding.net/wp-content/uploads/2020/01/AoC_German_appliaction_Oct2019_pub.pdf

[4] Short Compo Retrospektive der Assembly 2021 auf twitch.tv: https://www.twitch.tv/videos/952822225?filter=archives&sort=time