Zufällige (Kurz-)Filmbildung

Report

Auftakt zur filmpolitischen Diskussionsreihe zum Thema Kurzfilm und Schule

 

Fishbowl „Kurzfilm in der Schule ist machbar“ © AG Kurzfilm

 

Die diesjährigen Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen waren für die AG Kurzfilm nicht nur Anlass für eine Feier zum 20. Geburtstag, sondern boten auch den Rahmen für den Auftakt einer filmpolitischen Veranstaltungsreihe zum Thema „Kurzfilm und Schule“, die das Jubiläumsjahr begleiten soll. Reichhaltigen Anlass zu Diskussionen bietet das Thema auf jeden Fall – und eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie es gelingt, Kurzfilme im schulischen Kontext einzusetzen, ist längst überfällig. Die Nachfrage besteht, wie Vermittler:innen und Lehrkräfte bundesweit bestätigen werden, denn schlicht schon durch die Länge ist ein Kurzfilm prädestiniert, in einer zeitlich begrenzten Schulstunde behandelt zu werden. Ob im Fremdsprachenunterricht, zur thematischen Vertiefung oder für die ästhetische Bildung – die Einsatzmöglichkeiten sind so vielfältig wie die Form an sich. Doch die Realität in deutschen Klassenzimmern sieht anders aus. Hier spielt der Kurzfilm als eigenständige künstlerische Form, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle.

Während die Filmbildung an sich um einen festen Platz in den Lehrplänen und Curricula kämpft, scheitert der explizite Einsatz von Kurzfilmen neben der eingeschränkten Verfügbarkeit an einem mangelnden Bewusstsein, wie viele Potentiale für eine kreative und nachhaltige Unterrichtsgestaltung sie bieten könnten. Dabei geht es um die Ausbildung der Lehrkräfte, den Ausbau der Schulmediatheken und der technischen Infrastrukturen, denn es ist ein großflächiges und strukturelles Problem, mit dem Lehrkräfte, Vermittler:innen und Institutionen bei der Vermittlung von kurzen Filmen konfrontiert sind.

 

Kurzfilm in der Schule ist machbar

 

Dr. Barbara Kamp moderierte die Fishbowl „Kurzfilm in der Schule ist machbar“ © AG Kurzfilm

 

Unter dem Titel „Kurzfilm in der Schule ist machbar – Standortbestimmungen und Wege zum Ziel“ fand nun in Oberhausen eine Fishbowl-Diskussion statt. Ein partizipatives Format, das den Kreis der Gesprächsgäste für die Teilnehmer:innen öffnet und diese einlädt, auch ihre persönlichen Fragen und Anregungen in den Verlauf einfließen zu lassen. Die Runde selbst war mit Akteur:innen aus verschiedenen Themenbereichen der Filmbildung in NRW besetzt. Es sollten weniger internationale Leuchtturmprojekte vorgestellt werden, sondern durch den regionalen Fokus mögliche Impulse für das Land gesetzt werden. Doch auch wenn die bildungspolitischen Strukturen, die finanzielle und technische Ausstattung und beteiligten Institutionen zwischen den Bundesländern divergieren, gaben die unterschiedlichen Perspektiven, die hier zusammenkamen, einen Einblick in die komplexen Herausforderungen der schulischen (Kurz-)Filmbildung.

 

Eva Schwert (Medienzentrum Düsseldorf), Fishbowl „Kurzfilm in der Schule ist machbar“ © AG Kurzfilm

 

Die Moderation wurde von der Erziehungswissenschaftlerin Dr. Barbara Kamp übernommen, die mit der von ihr gegründeten Firma „Methode Film“ seit über 18 Jahren internationale  Kurzfilme für Schulen und andere Bildungskontexte verlegt und in diesem Rahmen Workshops und Fortbildungen anbietet. Ihre Gesprächpartner:innen repräsentierten verschiedene Themenfelder der Filmvermittlung. So wurden die Filmfestivals von Samina Gul, der diesjährigen Leiterin des Oberhausener Kinder- und Jugendprogramms vertreten. Die Kölner Gymnasiallehrerin Claudia Gockel arbeitet nicht nur in ihrem Unterricht mit Film, sondern entwickelt auch Fortbildungen für Lehrkräfte, während Filmcoach Reiner Gischus in Essen Referendar:innen in der Ausbildung betreut. Die Rolle der Medienzentren wurde von der Düsseldorferin Eva Schwert vorgestellt und Uwe Leonhardt sprach als Geschäftsführer der Landesagentur FILM+SCHULE NRW und Veranstalter der ansässigen SchulKinoWochen über die systematische Verankerung der Filmbildung in den Schulen.

 

Zwischen Kunst und Kompetenz

 

Gymnasiallehrerin Claudia Gockel, Fishbowl „Kurzfilm in der Schule ist machbar“ © AG Kurzfilm

 

Eröffnet wurde die Runde mit der Frage, warum gerade der Kurzfilm gut in den Schulunterricht passt. Film ist wichtiger Bestandteil der Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen, dient der Identifikation und prägt die Meinungsbildung, wie Uwe Leonhardt ausführt. Entsprechend ist die Vermittlung einer Bewegtbildkompetenz für ihn essenziell in der schulischen Bildung, und kurze Filme bieten sich gut für den Aufbau einer Lerneinheit an. Jedoch sollte der Kurzfilm nicht rein pragmatisch auf seine Länge reduziert werden, betont Reiner Gischus, denn so besteht das Risiko, dass die Auseinandersetzung oberflächig bleibt. Er beobachtet, dass an Schulen die Filmbildung häufig auf die Analyse der filmsprachlichen Mittel wie Einstellungsgrößen, Musik und Farbe heruntergebrochen wird. Die Qualitäten eines Kurzfilms liegen für ihn an anderer Stelle: Anders als bei einem Langfilm, der eine Fokussierung auf die Handlung erfordert, erlaubt die Verdichtung eines Kurzfilms ebendiese filmsprachlichen Mittel besser in ein Verhältnis zur Erzählung zu stellen und so den Wahrnehmungshorizont zu erweitern. Ein wichtiger Aspekt, den auch Claudia Gockel unterstreicht. Für sie ist es die mit der Verdichtung einhergehende dramaturgische Reduktion, die Leerstellen entstehen lässt und so zum Gespräch und Austausch anregt. In Anlehnung an Alain Bergala und das Verständnis von Film als Kunst geht es ihr darum, die ästhetische Wahrnehmung zu sensibilisieren und durch eine Verbindung von Produktion und Rezeption ein Denken in Bildern zu stärken.

Tatsächlich ist es gerade dieser künstlerische und wahrnehmungsbezogene Ansatz der Filmvermittlung, der von dem Einsatz von Kurzfilmen profitieren könnte. Einerseits erlaubt die Kürze eine Wiederholbarkeit im Abspiel, die eine vertiefende Auseinandersetzung mit dem Werk selbst ermöglicht, anderseits können auch mehrere filmische Arbeiten zu einem Thema geschaut werden. Diese Gegenüberstellung erlaubt, wie Jutta Wille (AG Kurzfilm) in der Fishbowl ausführt, verschiedene, teils gegensätzliche Herangehensweisen zu behandeln. So entsteht ein wichtiger Perspektivwechsel, der in der aktuellen Zeit besonders relevant und essenziell ist.

Doch macht dieser Aspekt eines der großen Probleme im Umgang mit Filmen im Unterricht auf: die Frage nach den Zielen der Vermittlung. Denn häufig sind es klare Kompetenzbereiche und definierbares Wissen, die ergebnisorientiert unterrichtet werden müssen. Ein wahrnehmungsästhetischer, künstlerischer Ansatz widerstrebt in seiner Offenheit diesen Auflagen, und in der schulischen Stundentafel findet sich selten ausreichend Zeit für eine kreative und kritische Auseinandersetzung mit dem Gesehenen.

 

Zufällige Wege zum Kurzfilm

 

Uwe Leonhardt (Landesagentur FILM+SCHULE NRW), Reiner Gischus (Filmcoach), Fishbowl „Kurzfilm in der Schule ist machbar“ © AG Kurzfilm

 

Woran liegt es, dass trotz der Fülle von produzierten kurzen Filmen nur die wenigsten ihren Weg in die Klassenzimmer finden? Die Antwort auf diese Frage ist vielschichtig. Während es früher vielleicht zu aufwändig erschien, einen Filmprojektor nur für einen Kurzfilm aufzubauen, hat sich die technische Ausstattung spätestens seit der Pandemie deutlich verbessert – die meisten Klassenräume verfügen mittlerweile über Whiteboards, Projektoren und Internetzugang. Jedoch auch wenn die technischen Hürden der Vorführung überwunden sind, besteht Unklarheit was eigentlich gezeigt werden kann und soll.

Hier macht Eva Schwert, die durch ihre Arbeit mit den Medienzentren auch für die Ausstattung der Bildungsmediatheken zuständig ist, auf ein grundlegendes Problem aufmerksam: die Begriffsschwammigkeit „Kurzfilm“. Denn bei der Suche in den Mediatheken tauchen unter diesem Begriff zunächst Erklärvideos und andere Bildungsmedien auf, die schulische Standardthemen wie das Atom visuell darstellen oder einen spezifischen historischen Kontext abbilden. Der Kurzfilm als eigenständige Kunstform ist ohne informierte Suche kaum zu finden – obwohl auch Landeslizenzen erworben werden, und sich die generelle Verfügbarkeit von (künstlerischen) Kurzfilmen so deutlich erhöht hat.

Ob und wie Kurzfilme im Unterricht eingesetzt werden, hängt stark von einzelnen Lehrkräften ab. Reiner Gischus bezeichnet dies als „zufällige Filmbildung“, denn ob Schüler:innen in ihren Schulzeit Filmbildung erfahren, ist meist einzig und allein abhängig davon, ob sie zufällig von den filmbegeisterten Lehrpersonen an ihrer Schule unterrichtet werden. Diese haben sich ihr Filmwissen meist selbstständig angeeignet, denn in keiner Phase der Ausbildung, sei es an den Universitäten oder im Referendariat, ist eine Auseinandersetzung mit (Kurz-)Film verpflichtend, sondern wenn überhaupt fakultativ. Dies führt dazu, dass sich Viele nicht befähigt fühlen, das Thema im Unterricht zu behandeln. Verstärkt wird diese Hemmschwelle durch die Tatsache, dass viele Jugendliche, deren Alltag von bewegten Bildern dominiert ist, wahre Expert:innen für die Vielfalt visueller Ausdrucksformen sind. Die Diskrepanz im Vorwissen führt zu einer Verschiebung des Rollenverständnisses und erfordert von den Lehrkräften Mut, sich auf den offenen Austausch und das Gespräch miteinander einzulassen, wofür Claudia Gockel ausdrücklich plädiert. Schlussendlich muss das Thema Film nicht nur fest in den Curricula untergebracht werden, um so einen Bedarf an Weiterbildung zu schaffen, sondern es muss bereits in der Ausbildung eine Verankerung finden. Nur so kann nachhaltige Filmbildung in den Schulen etabliert werden, die sowohl Bewegtbildkompetenzen als auch (ästhetische) Wahrnehmungsfähigkeit und deren Reflektion vermittelt.

 

Kurzfilm kann mehr

 

Samina Gul (Leiterin Kinder- und Jugendprogramms Kurzfilmtage Oberhausen), Fishbowl „Kurzfilm in der Schule ist machbar“ © AG Kurzfilm

 

Einigkeit besteht beim Ansatz, das sinnliche Erleben von (Kurz-)Filmen als Teil der Auseinandersetzung zu betrachten. Hierbei stellt das Kino den wichtigsten außerschulischen Lernort dar. Das Kino eröffnet nicht nur einen besonderen Wahrnehmungsraum, sondern ermöglicht eine andere Dynamik im Austausch innerhalb der Lerngruppe und auch zwischen den anwesenden Klassen und Gruppen. Leider haben es Kurzfilmprogramme im regulären Kinobetrieb schwer, und auch die Nachfrage nach Schulvorstellungen mit Kurzfilmen ist, anders als bei Langfilmen, gering. So kommen Kurzfilmprogramme hauptsächlich im Rahmen von Filmfestivals und, abhängig vom Bundesland, auch bei den SchulKinoWochen als jährliches Event zum Einsatz.

Samina Gul unterstreicht die Beobachtung, dass ein Fokus auf der besonderen Präsentationsform der Programme während eines Festivals liegt. Es ist der gemeinsame Kinobesuch selbst, der auch in Oberhausen bei den Schulvorstellungen zentral ist, auch wenn die hier gezeigten Programme mit bestehenden Sehgewohnheiten brechen, Irritationen auslösen und künstlerisch vielfältige Perspektiven eröffnen. Besonders wichtig ist bei Festivals jedoch die Chance, mit Filmschaffenden ins Gespräch über ihre Arbeit zu kommen. Diese Diskussionen werden dabei zum Erlebnis selbst und erweitern das Verständnis von Film und seinen Produktionsbedingungen. Ähnliches lässt sich auch in der filmpraktischen Arbeit beobachten. Alexandra Gramatke (Kurzfilm Agentur Hamburg) berichtet vom Projekt KurzFilmSchule, das Workshops für Schulklassen anbietet. Die Anleitenden sind keine Medienpädagog:innen, sondern selber Filmschaffende und Künstler:innen, die mit ihren persönlichen Erfahrungen einen anderen Zugang zu Film vermitteln können.

Die zunehmende Digitalisierung von Schulen und die Erfahrungen der Pandemie eröffnen neue Optionen, wie kuratierte Kurzfilme zum Einsatz kommen können. So wurde von den Oberhausener Kurzfilmtagen auch dieses Jahr wieder ein Onlineprogramm für Schulen angeboten, um die Kontakte aus den Vorjahren zu halten. Die teilnehmenden Klassen kommen hier nicht nur aus der Region, sondern es gibt bundesweites Interesse an den Filmen, die nicht im Block geschaut werden müssen, sondern auch auf verschiedene Schulstunden verteilt werden können. Es gibt im digitalen Raum ein noch unausgeschöpftes Potential der Vermittlung, das von den Kulturinstitutionen und den Akteur:innen der Filmbildung zunehmend entdeckt wird. So entwickelt zurzeit Interfilm mit dem KUKI in Zusammenarbeit mit Berliner Lehrkräften ein Onlineangebot für den Fachunterricht, in dem alle Filme mit zusätzlichem Begleitmaterial für die Vor- und Nachbereitung abgerufen werden können.

Ein Fazit, das viele Beteiligte ziehen, die regelmäßig mit Schulen arbeiten, ist erfreulich: wenn die Lehrkräfte einmal vom Kurzfilm überzeugt sind, dann kommen sie wieder. Es ist eine langjährige Vertrauensarbeit und ein langer Atem, sowie die regelmäßige Zusammenarbeit mit Partnerschulen erforderlich, damit sich Lehrkräfte in ihrer Unterrichtsgestaltung auf ihnen im Vorfeld meist unbekannte Filme und das Abenteuer „Kurzfilm“ einlassen.