YouTube-Sperre – zwei typische Beispiele

Zeitweise gesperrt: Viral Video „Not Heidis Girls“ © Markus Abele, Pinkstinks

Während auf europäischer Ebene die umstrittene Verpflichtung zu Upload-Filtern noch weiter diskutiert und immer noch nicht vom Tisch ist, hat die größte Plattform für Online-Videos, YouTube, schon längst ihr eigenes Rechtesystem, oder vielleicht besser ‚Rechtssystem‘, installiert und verfeinert es stetig. Angesichts von Fakenews und Hetze im Internet gibt es sicherlich gute, ethische Gründe bestimmte Videos zu blockieren. Bei den Sperrmaßnahmen großer Internetunternehmen stehen aber meist ökonomische Gründe im Vordergrund. Und die implementierten Systeme zur Filterung unerwünschter Inhalte führt viel zu oft zu bizarren Entscheidungen. Hier je ein Beispiel aus dem Gebiet sozialer Kampagnen und medienreflexiver Kunst.

 

Not Heidis Girl (not me)

 

Im Februar drehten Schülerinnen zusammen mit Pinkstinks einen feministischen Clip gegen Schönheitswahn und Bodyshaming. Zielscheibe ihrer Aktion war die TV-Sendung Germany’s Next Topmodel mit Heidi Klum. Das dreiminütige Musikvideo stellten sie auf YouTube und wurde binnen kurzer Zeit 700.000 mal angeklickt. Doch kurz darauf verschwand das Video aus dem Netz. Die Algorithmen im Filtersystem von Google, das Unternehmen zu dem YouTube gehört, hatten einen Copyright-Verstoß errechnet und dafür gesorgt, dass das Video automatisch geblockt wurde und die virale Kampagne still stand. Erst auf Intervention von Pinkstinks und dem vermeintlichen Rechteinhaber (RTL) wurde die Blockade wieder aufgehoben. Das Filtersystem hatte sich ‚geirrt‘!

 

Petra Cortright’s VVEBCAM restauriert und wiederveröffentlicht

 

Dies ist ein alter Fall: Im Jahr 2007 stelle die Künstlerin Petra Cortright ihre medienreflexive Arbeit VVEBCAM bei YouTube online. Das Video zeigt die Künstlerin, beim Betrachten von Online-Videos auf ihrem heimischen Bildschirm – aufgenommen von einer Webcam. Die Videos selbst sind nicht zu sehen. Stattdessen überlagerte Cortright das Bild mit Animationen aus einem gängigen Clipart-Repertoire. Mit diesem medialen ‚closed circuit‘ spricht sie Fragen der medialen Spiegelung, dem passiven Konsumieren von Online-Videos, der Streaming-Technik und der Präsentation von Kunstwerken im Internet an. Um YouTube-User aufmerksam machen und anzulocken, versah sie das Video mit einer langen Liste von Tags. Genau diese Schlagworte, die absichtlich spam-ähnlich aus dem Online-Kosmos stammen, wie etwa #Paris Hilton Nude, wurden der Künstlerin zum Verhängnis. Denn, YouTube identifizierte in Folge von User-Beschwerden unangemessene ‚pornografische‘ Schlagworte und sperrte im Jahr 2010 das Video. Ihr Widerspruch mit Verweis auf die künstlerische Bedeutung unter Berufung auf die Kunstfreiheit wurde binnen vier Stunden abgelehnt. Seitdem war VVEBCAM verschwunden und konnte zwar 2011 von Rhizome provisorisch rekonstruiert archiviert werden, aber erst kürzlich mit Hilfe spezieller Restaurierungssoftware fast vollständig wiederhergestellt werden.

Die Restaurierungsgeschichte ist für sich interessant. Der Slogan „das Internet vergisst nichts“ stimmt erst seit wenigen Jahren und viele frühe Net-Art-Arbeiten wären verloren, wenn es nicht Initiativen wie Net Art Anthology von Rhizome gäbe, die nicht nur rekonstruieren und archivieren, sondern auch jedermann Werkzeuge wie den Webrecorder zur Archivierung zur Verfügung stellen (s. Links unten).

 

Die beiden Beispiele, die keineswegs Einzelfälle sind, werfen aber andere Fragen auf. Wer kontrolliert, was in die Öffentlichkeit darf? Wer moderiert nach welchem Recht Verbotsinitiativen von Nutzern? Und vor allem: Darf man solche Entscheidungsprozesse unveröffentlichen Algorithmen privater Unternehmen mit Monopolstellung überlassen?

 

URL "Not Heidis Girls" 
Restaurierte Fassung von Petra Cortright's VVEBCAM
Erläuterung und Ankündigung des Archivierungs-Werkzeugs von Rhizome 
Download Webrecorder 

 

 

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