Trend: Lifestyle-Magazine kuratieren Kurzfilme online

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Jovana Reisingers Film „Beauty is Life“ bei Nowness, Screenshot 12-12-2020

 

In der letzten Zeit treten immer häufiger die Herausgeber von Magazinen als Kuratoren von Kurzfilmen in Erscheinung. Wie im Fall von Aesthetica hat sich daraus sogar ein richtiges Kurzfilmfestival entwickelt. Es ist ein neues Phänomen, dass vor allem Mode-, Kunst- und Lifestyle-Magazine den Kurzfilm entdecken und kostenlos online stellen.

 

Einer der Pioniere ist das altehrwürdige Stadtmagazin The New Yorker. Zu seiner Online-Ausgabe gehört „The Screening Room“ mit dem Untertitel „Short films we love and the stories behind them“. Der Screening Room stellt seit 2014 von der Filmredaktion ausgewählte Kurzfilme auf dem eigenen Videokanal vor. Eine merkwürdige Besonderheit – vielleicht ein Vermächtnis aus der textbasierten Print-Ära des Magazins – sind die Transkripte. Unter jedem Film kann man den Filmdialog in einer Scrollbox mitlesen.

Leider kommen nur sporadisch neue Filme hinzu, der letzte als Episode 29 im Juli 2020. Und wegen Geoblocking kann man nicht alle Filme überall sehen.

 

Ein viel größeres Gewicht hat der Kurzfilm beim Magazin Nowness, das ebenfalls in New York seinen Sitz hat und 2010 von dem börsennotierten Unternehmenskonglomerat LVMH Moët Hennessy Louis Vuitton gegründet wurde. 2017 erwarb ein Joint Venture aus Chinas führendem Verlagshaus Modern Luxury Media und dem britischen Lifestyle-Medienunternehmen Dazed Mehrheitsanteile an Nowness. Die chinesischen Miteigentümer, eine einflußreiche Unternehmerfamilie, will das Magazin in Zukunft zu einem ‚Videozine‘ entwickeln.

Nowness versteht sich aktuell als eine »interaktive Luxus-Lifestyle-Website, die zeitgenössische Kultur durch Filme präsentiert. Die Website präsentiert Artikel über Kunst, Mode, Reisen, Kultur, Design, Film, Musik, Sport oder Gastronomie«. Dazu gehören Foto-Slideshows, Audio-Clips, interaktive Projekte, Interviews und eben auch Kurzfilme.

 

Nowness stellt jeden Tag ein exklusives Video ein und wählt außerdem einen Film aus dem Internet aus, von dem es glaubt, dass er sein Publikum anspricht, und stellt diesen auf die Website, insgesamt also 12 Videos pro Woche. Alle Videos sind in neun Sprachen übersetzt: Englisch, Chinesisch, Französisch, Deutsch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch, Japanisch und Russisch. Optisch ist die Website so elegant und ‚exklusiv‘ gestaltet wie die Luxusmarken, die hinter ihr stehen.

 

Nowness ist besonders in Asien stark vertreten. In China betreibt Nowness seit 2012 eine separate Plattform. Seit kurzem auch eine eigene Nowness Asia Website. In Europa kooperiert das Unternehmen gerne mit renommierten Kulturinstitutionen und Kunstmessen. Im April veranstaltete Nowness, zum Beispiel, zusammen mit den Serpentine Galleries eine digitale Schau mit Arbeiten ostasiatischer KünstlerInnen. Zu den Highlights der digitalen Ausstellung gehörte die chinesische Videokünstlerin Cao Fei.

Aus Deutschland zeigte Nowness vor kurzem BEAUTY IS LIFE von Jovana Reisinger (HFF München).

 

Für Nowness gibt es keine Einreichmöglichkeit. Die Redaktion wählt die Filme selbst aus und kuratiert sie häufig in Themenprogrammen.

 

Ein ganz anderes Beispiel mit einer besonderen Geschichte ist das Curve Magazine, das von einem Medien- und Veranstaltungsunternehmen herausgegeben wird. Das Magazin enstand durch die Übernahme und Aufkauf zweier traditionsreicher Publikationen für die lesbische Community: dem vor 30 Jahren von einem Verlagshaus in den USA gegründeten Printmagazin Curve und der Grassroots-Publikation Lesbians on the Loose in Sidney, Australien.

Curve ist heute ein typisches Mainstream Lifestyle-Magazin mit einer großen Bandbreite an Themen. Es unterhält neben einer Rubrik mit Filmbesprechungen auch einen Streamingkanal und veranstaltet das Curve Virtual LGBTQI Festival.

 

Bei Curve kann man sogar Filmstudios für eigene Produktionen mieten, seien es Paneldiskussionen zu LGBTQ-Themen oder Werbefilme, und sogar Livesstreams produzieren. Der Kurzfilm, für den es eine eigene Rubrik gibt, ist bei Curve aber eher Beiwerk – zumal dort Videos über Mode, Fitness oder Kochrezepte überwiegen.

 

Ein wichtigeres, prominentes Beispiel für kuratierte Programme ist das Magazin Aesthetica. Das Kulturmagazin Aesthetica wurde 2003 von zwei Studenten der Universität York als Printmagazin ihrer (bis heute) eigentümergeführten Limited Company gegründet. 2007 schrieb das Magazin einen Kunstpreis aus, der sich inzwischen zu einer Kunstausstellung in der York Art Gallery entwickelt hat. 2016 starteten die Herausgeber das „Future Now Symposium“ als Diskussions- und Vernetzungsplattform für die Kreativindustrie. Last not least wurde vor 10 Jahren das Aesthetica Short Film Festival gegründet.

 

Das Magazin erscheint nach wie vor gedruckt, aber vor allem aber auch als breiter angelegte Website online. Aesthetica veröffentlicht Beiträge zu Kunst, Design, Architektur, Mode, Film und Musik. In der Filmrubrik werden üblicherweise neue Filme rezensiert, wobei der Schwerpunkt auf künstlerischen Arbeiten und Preisträgern liegt. Die Filmsektion befasst sich auch häufig mit Filmfestivals und interviewt Festivalprogrammierer, Regisseure und Autoren. Seit 2011 verfügt Aesthetica über eine eigene Film Library.

 

Als in diesem November das Festival nicht wie üblich physisch in York stattfinden konnte, war es aufgrund der vorhergehenden Online-Aktivitäten, so gut wie kein anderes Kurzfilmfestival für eine Online-Ausgabe vorbereitet. Neben dem eigentlichen Kurzfilmwettbewerb, gab es mehrere Filmreihen, Podiumsdiskussionen, Branchentreffen und Masterclasses mit einem enormen Umfang. Allein die Sektion Masterclasses & Events bestand aus mehr als 100 Einzelveranstaltungen mit Gästen wie Andrea Arnold bis Judi Dench.

Allerdings litt die Übersichtlichkeit der Magazin-Website, deren Gestaltung an fortlaufende Posts auf Instagram erinnert, an der schieren Masse an Veranstaltungen mit mehr als 500 Filmen des Festivals. Hier zeigt sich ein Vorteil von Printmedien: im ergänzend erscheinenden Festivalkatalog mit fast 300 Seiten kann man sich durch Umblättern besser und schneller orientieren als auf der labyrinthischen Website.

 

Online-Magazine scheinen wie gemacht für kuratierte Kurzfilmprogramme und man muss sich fast schon wundern, dass nicht noch mehr Publikationen, auch jenseits von Mode-, Lifestyle- und Kunstmagazinen, auf die Idee kamen (weitere Magazine siehe unten[1]).
Wünschenswert wäre allerdings bei finanzstarken Luxusgüterunternehmen als Herausgeber, dass sie statt Einbettungen von Videos, auch häufiger Filme ankaufen würden.

Eine umgekehrte Entwicklung, nämlich von Streaming- und Vertriebsangeboten zu Magazinen mit Textbeiträgen und Berichten bestätigen den Beginn eines Trends. Wie etwa das Notebook bei MUBI,  oder Le Blog de TËNK und The Current von Criterion zeigen. Und dort profitieren die FilmemacherInnen, anders als bei Lifestyle-Magazinen, dankenswerterweise auch nicht nur durch Aufmerksamkeit.

 

 

Links

Nowness https://www.nowness.com/

Nowness Asia https://www.nowness.asia/picks

Nowness China https://www.nowness.cn/

Curve Magazin https://www.curvemag.com/

Curve Virtual Festival https://www.curvemag.com/streaming-short-films/

Aesthetica Magazine https://aestheticamagazine.com/

Aesthetica Short Film Festival https://www.asff.co.uk/

Criterion: The Current https://www.criterion.com/current/posts

MUBI: Notebook https://mubi.com/de/notebook

 

[1] Weitere Beispiele aus unterschiedlichen Sparten:

Onassis Cosmos https://www.onassis.org/

Onassis: Beispiel Kurzfilm von Isabella Rossellini

TËNK http://leblogdetenk.fr/

TËNK Beispiel: Films of the Week

Vice Video, hier: Vice Mexico Shorts

Moving Poems Magazine The best Poetry Videos on the Web

 

siehe auch unser Artikel „10 Jahre Nowness – Filme & Panels live online