Abschiedsbild Hiroshima International Animation Festival ©HIAF hiroanim.org
Wer nicht die Animationsfachpresse oder japanische Medien verfolgt hat, wird sich spätestens jetzt die Augen reiben und feststellen, dass es das traditionsreiche Animationsfilmfestival in Hiroshima nicht mehr gibt.
Vom 17. bis 21. August findet nun in Hiroshima im Rahmen eines Stadtfests zum ersten Mal ein neues Festival unter dem Namen „Hiroshima Animation Season“ statt. Das alte, weltbekannte Festival unter dem Motto „Love and Peace“ mit der Friedenstaube als Symbol, wurde zuvor sang- und klanglos von der Stadt Hiroshima eingestellt. Lediglich der Mitveranstalter des Festivals, ASIFA-Japan im Dachverband Association Internationale du Film d’Animation (ASIFA), protestierte[1] lautstark.
Was war passiert? Im November 2019 teilte die Stadt Hiroshima ohne vorherige Konsultation der Veranstalter mit, »Hiroshima Festival will cease to exist in its current form after its 18th edition. In 2022, the city will launch a new ‘general arts and culture event’ [provisional title], which will feature animation. But ASIFA (and ASIFA-JAPAN) will not be involved«[2].
Sayoko KINOSHITA – langjährige Leiterin des Hiroshima International Animation Festivals ©ASIFA
Seit der Gründung 1985 war die Stadt Hiroshima Hauptförderer des Festivals. Laut The Asahi Shinbun[3] mit zuletzt 70 Millionen Yen (etwa 500.000 €) des Gesamtbudgets von 150 Mio. Yen. Bis 2020, als das Festival nur eingeschränkt online stattfand, wurde es alle zwei Jahre im Auftrag der Stadt von einem wechselndem Organisationkomitee und der ASIFA-Japan veranstaltet. Mitgründerin und langjährige Leiterin war Sayoko Kinoshita. Kinoshita, die quasi das Gesicht des Festivals ist, wurde von heute auf morgen bei einem Besuch im Festivalbüro von der Stadtverwaltung ohne schriftliche Begründung abgesetzt. »Es kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel«, sagte sie in der Zeitung Asahi Shinbun.
Monate später, im Juni 2021, veröffentlichte die Verwaltung der Stadt Hiroshima den Entwurf für ein „Integrated Cultural Arts Event“[4] mit der Bezeichnung „Hiroshima Festival“, in der eine „Hiroshima Animation Season“ als eine von vielen Aktivitäten genannt wurde. Den Schwerpunkt des vierwöchigen Stadtfests sollen Musikveranstaltungen bilden.
Kommentatoren und Vertreter der ASIFA interpretierten die Ankündigungen als Absage an ein professionelle Veranstaltung von internationalem Rang zugunsten eines populären Stadtfests für die BürgerInnen von Hiroshima. Ein weiterer Grund, der auch im Planungspapier genannt wird, liegt bei der besseren Förderung des Tourismus[5]. Als Motto des zukünftigen Hiroshima Festivals wurde vorgeschlagen: »Art for Peace Makes Life Shine; Everyone Plays A Leading Role!«. Obwohl das bisherige Filmfestivalprogramm bei manchen den Ruf hatte zu populistisch zu sein, war es der Stadt offenbar zu elitär.
Keine offiziellen Hinweise gibt es zur Finanzierung des neuen Events. Laut Veröffentlichungen von ASIFA sollen die Veranstaltungen weitgehend privatwirtschaftlich – unter anderem von einer Zeitung und einer Werbeagentur – organisiert werden.
Jetzt, wenige Tage vor Eröffnung der „Hiroshima Animation Season“, lässt sich zwar nicht die Finanzierung, jedoch der inhaltliche Charakter der Veranstaltung darstellen. Seit April diesen Jahres wurde auf einer eigenen Website nach und nach das Konzept vorgestellt.
Das neue Festival ruht auf drei Säulen: dem Wettbewerb, einem Workshop („Academy“) und einem Artist-in-Residence-Programm. Der Wettbewerb ist in einen internationalen und einen regionalen unterteilt („World Competion“ bzw. „Asia and Pan-Pacific Competition“). Die Wettbewerbsprogramme wurden von Vorjurys aus den Einreichungen ausgewählt. Die Programme und Preise in der internationalen Sektion sind nach Kategorien strukturiert. Für jeden Bereich – fiktionaler Film, Filme über soziale Fragen, Storytelling, poetischer Film und Kinderfilm – gibt es eine eigene Jury. Die Preise werden zur Eröffnung des Festivals bekanntgegeben. Aus diesen wählen die künstlerischen LeiterInnen dann den Grand Prix.
Während des Festivals wird auch eine Jury aus BürgerInnen und KritikerInnen die Filme beurteilen und einen Award und einen Publikumspreis vergeben.
Das Academy-Programm bietet praktische Workshops für Schulen und BürgerInnen in Hiroshima an. Als Artists in Residence werden drei internationale TeilnehmerInnen für sechs Wochen eingeladen. Ziel ist »ihre Karriere aufzubauen und die Kunst- und Kulturlandschaft in Hiroshima zu bereichern«.
Für die künstlerische Leitung wurde ein Duo benannt: Der renommierte Animationsfilmemacher Koji Yamamura (Kyoto) und die Animationsfilmemacherin Shizuka Miyazaki (Hiroshima). Die Geschäftsführung (Producer) liegt bei Nobuaki Doi, der bislang Leiter des New Chitose Airport Festivals (Hokkaido) war.
Das Festival findet wie zuvor im städtischen Konferenzzentrum JMS Aster Plaza, aber zusätzlich in vielen anderen Veranstaltungslokalen statt. Das Programm war zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels noch nicht veröffentlicht. Informationen in englischer Sprache sind rar. Das ist wohl alles mit der ‚heißen Nadel‘ gestrickt!
ASIFA-Japan, bei der Koji Yamamura übrigens Vorstandsmitglied ist, hat verkündet, dass der Verband die „Animationsabteilung“ der neuen Veranstaltung der Stadt Hiroshima nicht anerkennt und unterstützen wird[6]. Der Verband sprach außerdem die Hoffnung auf ein neues internationales Animationsfilmfestival in Japan aus. Bezüglich einer Empfehlung für oder gegen eine Teilnahme in Hiroshima hielt man sich allerdings bedeckt und wies daraufhin, dass das jede/r für sich entscheiden möge.
Links:
URL: Hiroshima Animation Season
URL: Festival Journal (nur Japanisch)
URL: Hiroshima Festival (nur Japanisch)
Archiv des ehemaligen Festivals: https://eng.hiroanim.org/
[1] https://asifa.jp/en/hiroshima/statement.html
[2] laut Official Statement des Festivals vom 10.01.2021 <https://asifa.jp/en/hiroshima/statement.html>
[3] Asahi Shinbun digital: <https://www.asahi.com/articles/DA3S14588573.html>
[4] Announcing Hiroshima Festival: An Integrated Cultural Arts Event <https://www.city.hiroshima.lg.jp/site/english/230279.html>
[5] »Promotion of tourism and other activities to create a lively atmosphere in Hiroshima«
[6] https://asifa.jp/en/hiroshima/faq.html