Fußball-Fieber

Report

Kurzfilmer im Fußball-Fieber

Die Fußball-WM 2006 ist nicht nur für die Klinsmann-Elf eine große Herausforderung, sondern auch für Kulturorganisator André Heller. Unter seiner Ägide soll Deutschland und die Welt mit Hilfe eines wahren Feuerwerks an künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem runden Lederauch auf kultureller Ebene WM-reif geschossen werden. Er kann sich nicht nur auf bereitwillig kooperierende Institutionen verlassen, sondern auch auf eine fußballfanatische Filmemachergemeinde.

 

Schiedsrichterskandale und die Querelen um die doppelte Führungsspitze des DFB lassen derzeit ein sportliches Großevent in den Hintergrund treten: die Fußball-WM 2006, die Deutschland nachhaltig für Fußballfans, Touristen und zögernde Investoren attraktiver machen soll. Um Deutschland und die Welt auch auf kultureller Ebene WM-reif zu schießen, initiieren die FIFA und der DFB ein wahres Feuerwerk an künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem runden Leder. Sie können sich nicht nur auf bereitwillig kooperierende Institutionen verlassen, sondern auch auf eine fußballfanatische Filmemachergemeinde.

30 Millionen Euro lässt sich der Bund das Kulturprogramm zur Einstimmung auf die Fußball-WM 2006 kosten. Deutschland soll darin als das weltoffene Land präsentiert werden, das es wohl offenbar doch noch nicht ist, und lässt dafür unter anderem den von André Heller konzipierten „Fußball-Globus“ durch die Austragungsorte touren. Auch audiovisuell wird man sich dem Fußball nicht entziehen können. Der Kulturkanal ARTE beispielsweise wurde von der Programmdirektion zu einem halben Dutzend Themenabenden rund um die kulturellen Implikationen des Fußballs verdonnert. Auch der sportbegeisterte Dieter Kosslick beugte sich nur allzu gern dem multiplen Druck: Der Talent Campus der Berlinale forderte in diesem Jahr „Shoot goals! Shoot movies!“ und erhielt 611 eingesandte Kurzfilme aus 75 Ländern! Die ausgewählten 45 Beiträge aus 29 Ländern wurden im Rahmen der Berlinale gar vor Fußballkaiser Franz Beckenbauer aufgeführt und von Bundesinnenminister Schily als „echte Perle des Kunst- und Kulturprogramms zur WM 2006 in Deutschland“ gelobt. So viel Aufmerksamkeit kommt dem Kurzfilm nur selten zuteil. Sogar um die Auswertung der torgefährlichen Werke ist bereits gesorgt, denn die flimmernden Beweise für die enge Symbiose von Fußball und Film werden in Deutschland und weltweit über die Goethe-Institute nach Gleichgesinnten suchen. Gemeinsam mit dem British Council hat das Goethe-Institut eine Auswahl internationaler Spiel- Dokumentar- und Kurzfilme rund um den Fußball zusammengestellt – darunter ebenjene Talent-Campus-Gewinner und der köstliche Wallace & Grommit Film „Soccamatic“.

 

Den auf Bundesebene angesiedelten Aktivitäten geht jedoch schon seit langer Zeit eine große Fußballaffinität im Kurzfilmbereich voraus. Wim Wenders Münchner Frühwerk „Die Angst des Tormanns vor dem Elfmeter“ war sicher nicht der Anfang jener Begeisterungsschübe, die sich heute in dem überwältigenden Echo auf den „Talent Campus“ Wettbewerb widerspiegelt. In den letzen Jahren haben sich immer wieder gerade Kurzfilme mit großem Erfolg dem deutschen Volkssport gewidmet. Einer der meist gesehenen und weiterempfohlenen Kurzfilme im Internet ist „Die Helden von Bern“. Die mit Stop-Motion-Technik animierten Lego-Männchen, die in dem Film von Florian Plag, Martin Seibert, Ingo Steidl das legendäre Spiel zum Originalkommentar von Herbert Zimmermann noch einmal nachspielen, sind inzwischen längst kein Geheimtipp mehr. Ein Riesenerfolg für die 10-minütige Semesterarbeit an der FH Offenburg.

 

Gar zu einer Nominierung für den Deutschen Kurzfilmpreis schaffte es „Die Katze von Altona“ von Wolfgang Dinslage. Der als Abschlussfilm an der Hamburger Filmwerkstatt entstandene Kurzspielfilm taucht ein in das Altonaer Arbeitermilieu  und diskutiert in einer Vater-Sohn-Konflikt-Geschichte Geschlechterrollen. Der pubertierende Sohn interessiert sich stärker für Frauenklamotten als für das wichtigste Spiel der Vereinsgeschichte, was in dem traditionellen Umfeld nicht unbedingt auf Begeisterung stößt.

Nicht nur hier dient der Fußball als willkommene Metapher für Traditionsbewusstsein. Mit feiner Ironie widmen sich zahlreiche Kurzfilme der Fankultur, die nicht nur als biografische Grundmelodie, sondern als generationsübergreifendes Integrationsmoment eine wichtige gesellschaftliche Funktion einnimmt. Fußball funktioniert als anachronistische Klammer einer ansonsten sich mit Traditionen schwertuenden Gesellschaft. Das Sepp Herberger Zitat „Wichtig is’ auf’m Platz“ nahm Tilman Martin als Leitmotiv für seinen gleichnamigen Diplomfilm an der HFF München. Darin möchte ein junger Mann seinem verstorbenen Großvater den letzten Willen erfüllen: ein Begräbnis auf dem Rasen des TSV 1860 – Stadions. Der tote Opa wird entführt, um am Ende dann als Begrenzungsweiß das Spielfeld zu markieren. Fußball als Religion in ihrer Reinstform.

 

Die Fülle der Fußballfilme hat denn auch immer wieder Festival- und Programmkuratoren auf den Plan gerufen. In Berlin fand diesen Februar mit dem „11mm-Festival“ zum zweiten Mal ein Filmfestival statt, das sich ausschließlich dem Fußball widmete. Auch das Internationale KurzFilmFestival Hamburg hat seinen inzwischen zum Kult avancierten Wettbewerb „Flotter Dreier“, der Kurzfilme von maximal drei Minuten Länge zeigt, in diesem Jahr dem Volkssport Nummer Eins gewidmet. Mitte Juni zeigt das Festival die besten Beiträge über Schwalben, Blutgrätschen, Abseitsfallen und zweifelhafte Schiedsrichterentscheidungen. Bei „Kurts Filme“ erschien jüngst eine Kurzfilm-Kompilation mit dem Titel „Gangster und Fußball“, die thematisch ausgesuchte Werke von Ludwigsburger Filmakademiestudenten auf einer DVD versammelt.

 

Ein Ende des filmischen Fußballbooms ist nicht abzusehen, denn schließlich möchte sich jeder WM-Austragungsort mit eigener kultureller Leistung in die WM-Welt eingebunden sehen. Die Stadt München beispielsweise empfiehlt seinen Bürgerinnen und Bürgern nicht nur ausdrücklich den Einsatz von Foto-Handys vor Olympiastadion, WM-Arena und Trainingsplätzen zur Bebilderung ihrer Webseiten, sondern auch die Herstellung eines „modularen WM-Films“. Dieser soll sowohl als kurzer Werbespot (30 Sekunden) wie als Kurzfilm (4 – 5 Minuten) eingesetzt und nach dem Wunsch der Stadt beim Anflug auf die Stadt an Bord von Lufthansa-Maschinen gezeigt werden. Die Gelder dafür werden trotz knapper Kassen sicherlich reichlich fließen und dafür sorgen, dass der Kurzfilm auch weiterhin als Medium und Verstärker der Fußballbegeisterung eingesetzt werden. (mj)

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