Film im White Cube

Report

Film im White Cube – Philippe Parreno und Serpentine Gallery zeigen wie es geht

Vor fast zehn Jahren haben wir hier begonnen Texte zum Verhältnis von Black Box (Kino) und White Cube (Ausstellungsraum) zu veröffentlichen. Das Thema ist immer noch aktuell. Lösungen für die adäquate Präsentation von Filmen in Ausstellungskontexten sind in der Zwischenzeit kaum gefunden, vielleicht gar nicht gesucht worden. Offenbar bleibt es den Filmemachern/Künstlern überlassen ihre Arbeiten so zu adaptieren, dass sie in den White Cube passen, während nur wenige Ausstellungsmacher umgekehrt auf die Filmemacher zugehen und sich mit der spezifischen Ästhetik und Rezeption des Mediums Film einlassen.

Die primitivste Form der filmischen Präsentation ist heutzutage überall zu sehen und wird offenbar nicht mehr hinterfragt: Videoprojektoren werfen Filmbilder – meist niedrig aufgelöst von einer DVD – auf randlos weiße Wände. Das Bild wird so weit aufgezogen, wie es die Deckenhöhe erlaubt. Mehrere Arbeiten werden mit nur geringem Abstand hinter- oder nebeneinander projiziert und der Ton überlappt oder ist nur aus Kopfhörern erlebbar. Kadrage, Skalierung, Rahmen, räumlicher Kontext etc. – alles Aspekte, die beim Hängen von Malerei selbstverständlich berücksichtigt werden, sind vergessen oder werden bei Film nicht bedacht. Betrachter haben meist keine andere Chance als eine Ausstellung so zu passieren, wie man sonst an Billboards vorbeifährt oder auf Laufbändern im Flughafen City-Lights und Werbefilme wahrnimmt.

Dass es auch anders geht, zeigt derzeit eine Ausstellung von Filmen des algerisch-französischen Künstlers Philippe Parreno in der Londoner Serpentine Gallery. In dem überschaubaren Parkgebäude mit nur drei kleinen Hallen und einem Entrée werden vier Kurzfilme zwischen 2 bis 12 Minuten Länge präsentiert. Jedem Film ist ein eigener Raum, eine jeweils spezifische Projektionsanlage und eigene Projektionsfläche gewidmet. Das besondere dieser Ausstellung ist ihre Inszenierung, in der die Werke, das Gebäude selbst und sogar dessen Umgebung zu einem einzigen Erlebnis miteinander verbunden sind.

Parrenos Filme werden nicht gleichzeitig, sondern nacheinander gezeigt. Endet ein Film, leitet ein abklingender und andernorts aufklingender Ton die Besucher in die nächste Vorstellung im benachbarten Raum. In zwei der Hallen, deren Fensterfront verdunkelt wird, wenn ein Film beginnt, entsteht durch einen ganz besonderen Kniff Kino-Ambiente: Die Filme werden auf eine schwarze Leinwand projiziert, die nicht mehr Licht als nötig in den Raum zurückwirft. In dem mittleren, klassich-hellen White Cube hingegen überrascht eine riesige, gestochen scharfe DCP-Digitalprojektion während im Entrée zwischen den Hallen ein Quicktime-Movie auf angemessen kleiner Fläche gezeigt wird.

Nicht zuletzt durch die Einbeziehung der äußeren Umgebung wird die Ausstellung als solche zu einem einzigen Erfahrungsraum und eigenen Kunstobjekt: so werden O-Töne aus den Kensington Gardens eingespielt und, wenn sich die Verdunklung hebt, sorgen außen angebrachte Maschinen für überraschende Schneeflocken beim Blick in den Park. In Begleittext der Galerie heißt es folgerichtig: „Parreno strebte danach die Ausstellungserfahrung umzudefinieren, indem er Ausstellung als ein Medium versteht, dessen Potential er als kohärentes Objekt erkundet statt als Ansammlung einzelner Arbeiten.“

Dies ist überzeugend gelungen, zudem die Filme aus verschiedenen Schaffensperioden stammen, sehr unterschiedliche Stile und Themen verfolgen und einzeln vorgeführt werden können. Gemeinsam ist allerdings ein künstlerisches Interesse an Konzeptionen kinematographischer Raum-Zeit und halluzinatorischer Realität zwischen Dokument und Fiktion. So, wie in der Serpentine Gallery präsentiert, ergeben die einzelnen Filme aber ein kohärentes Programm, zumal das mit einer Gesamtlänge von 30 Minuten für die Rezeption in einer Ausstellung auch noch ideal getaktet ist.

Wer in der Nähe ist oder nach London reist sollte die Ausstellung, die noch bis 13. Februar zu sehen, nicht verpassen.

rww

Filme:
„No More Reality, la manifestation“, F 1991, 2 Min, Quicktime
„The Boy from Mars“, F/Thailand 2003, 12 Min, 35mm auf HD
„June 8, 1968“, 2009, F/USA, 7 Min, Digital Cinema Package
„Invisibleboy“, 2010, F/USA, 6 Min, 35mm auf 2K

Ausstellungs-URL: http://www.serpentinegallery.org/2010/11/philippe_parreno_25_november_1_1.html

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