Experimentierfreude ohne Gewinner

Report

Experimentierfreude ohne Gewinner – Die Verleihung des Deutschen Kurzfilmpreises mit den FFA-Short Tiger

Dieter Wiedemann, Hausherr und Gastredner der Verleihung des Deutschen Kurzfilmpreises 2006, brachte seinen Wunsch zu Protokoll: künftig solle – längst überfällig – ein Preis für den besten Experimentalfilm vergeben werden, damit endlich einmal wieder auch kurze Animationsfilme die Chance auf einen Preis bekämen.

Ob aus diesen Worten Wiedemanns Sorge um einen der sicherlich produktivsten Bereiche des Deutschen Kurzfilmschaffens zu Tage trat oder doch ein dem Filmhochschulrektor sicherlich nicht ganz fremder Eigennutz, sei dahin gestellt. Seine Forderung nach einem Preis für den Experimentalfilm war allerdings längst überfällig. Nicht erst in diesem Jahr, wo Jan Koesters OUR MAN IN NIRVANA schlichtweg ignoriert wurde und stattdessen mit den DREI GRAZIEN und dem schlussendlich ausgezeichneten KRISTALL zwei eher dem Experimentalfilm zuzuordnenden Werke nominiert wurden, legte die Jury nicht mehr nachvollziehbare Gattungsmuster an den Tag. Bereits im Vorjahr musste sich die HFF-Knetanimation JAM SESSION mit dem Found-Footage-Film COUNTER vergleichen lassen – eine unlösbare Aufgabe, weshalb der Preis in der Kategorie schließlich überhaupt nicht vergeben wurde. Und auch der diesjährige Preisträger Matthias Müller (KRISTALL) brachte das offensichtliche auf den Punkt: „Mein Film ist nicht animiert.“

Offen bleibt, ob der Ruf nach einer neuen Preiskategorie beim Bundesbeauftragten für Kultur und Medien auf fruchtbaren Boden fiel. Gereizt verwies der auf den Coup des Hausherrn offenbar unvorbereitete Preisstifter Bernd Neumann auf das Engagement des Bundes im Bereich Animationsfilm im Rahmen des Deutschen Filmpreises und schwenkte rasch auf seinen großen Coups in Sachen Filmförderungsfonds ein. Die Sachbearbeiter und Berater dürften das Manko erkannt haben und an einer Lösung feilen. Einfach wird die Antwort auf die fast anarchisch anmutende Vergabepraxis der letzten zwei Jahre dennoch nicht sein. Die von Wiedemann vorgeschlagene Lösung, eine Kategorie „Experimentalfilm“ einzuführen, könnte ein Pyrrhus-Sieg sein: Denn die unter anderem in der von der AG Kurzfilm im Mai 2006 herausgegebenen Kurzfilmstudie festgestellte Vielfalt der Erscheinungsformen des Kurzfilms, die sich nicht in ein klares Kategoriengerüst einspannen lässt, wird klare Zuordnungen stets verhindern. Wäre Corinna Schnitts LIVING A BEAUTIFUL LIFE nun dokumentarisch, fiktiv oder experimentell? Könnte FEMALE/MALE nicht auch als Spiel- oder Experimentalfilm ausgezeichnet werden statt, wie geschehen, als kurzer Dokumentarfilm? Und wäre der in diesem Jahr im Bereich Animationsfilm nominierte DREI GRAZIEN nicht auch ein Fall für die Experimentalfilmkategorie? All dies führt zurück auf die rudimentäre Basisdefinition von Kurzfilm: Was ein Kurzfilm ist, das verrät einem letztlich der Blick auf die Uhr. Dennoch sollten die im Rahmen der Verleihung geäußerten Wünsche ernst genommen werden: Um auch Arbeiten, die sich bewusst klassischen Genre-Grenzen entziehen, mit zu berücksichtigen, ist eine Kategorie, in der experimentelle, primär künstlerische und häufig nicht von ambitionierten Hochschülern stammende Kurzfilme prämiert werden, angebracht – immerhin machen diese Arbeiten knapp ein Viertel der gesamten deutschen Kurzfilmproduktion aus. Um dies aus Sicht des Bundes „kostenneutral“ zu gestalten, könnte man darüber nachdenken, ob die insgesamt sechs Nominierungen für kurze Spielfilme nicht zugunsten der vernachlässigten experimentellen Formen auf vier reduziert werden könnten. Der Statistik würde man mit dieser Lösung genügen – zumal mit dem Short Tiger nun seit diesem Jahr dem Deutschen Kurzfilmpreis ein Preis an die Seite gestellt wurde, der sich gerade um die kürzesten und kinotauglichen Formate – also vor allem Spielfilme – besonders bemüht.

Erstmals im Rahmen des nationalen Spitzenpreises vergeben, war die Verleihung der FFA-Short Tiger die große Neuerung im Jahre 2006. Die beiden zumindest hinsichtlich ihrer Dotierung außergewöhnlich wichtigen Preise wurden von zwei unterschiedlichen Juries in einem Rahmen vergeben. Vorausgegangen waren heiße Diskussionen über Sinn und Unsinn von Preisen für Kurzfilme durch die FFA und die Akkumulation von Preisen auf wenige Kurzfilme eines Jahrgangs. Die drohende Gefahr einer „Doppelförderung“ durch den Bund oder Privat-Initiativen wie First Steps versuchte man durch die Einführung neuer Regularien gerecht zu werden: „besonders kinogeeignet“ und „nicht länger als fünf Minuten“ lauteten die Vorgaben, die Beschränkung auf Hochschularbeiten wurde aufgegeben. Zugleich verzichtete die FFA auf einen eigenen Event für die Kurzfilmcommunity im Rahmen des Filmfest München und kürzte die Mittel.

In doppelter Hinsicht wirkte der Short Tiger deplatziert: Zum einen waren die Jurybegründungen und die Auswahl der Filme vergleichsweise konventionell und boten im direkten Vergleich mit den wohlüberlegten und fein formulierten Entscheidungen der BKM-Juries nur wenig argumentatorischen Tiefgang.

Zum anderen muss sich die FFA die Frage stellen, ob die Prämierung angeblich besonders kinotauglicher Kurzfilme unter fünf Minuten überhaupt eine der Realität entsprechende Verwertungspraxis voraussetzt: Kurzfilme als Vorfilme werden, trotz entsprechendem Paragrafen im Filmfördergesetz, so gut wie nie eingesetzt. Beim Großteil der Kurzfilme, die heute im Kino zu sehen sind, handelt es sich um Kurzfilmrollen, die von Festivals, speziellen Kurzfilmverleihen oder Kuratoren aus dem Kunstbereich aufeinander abgestimmt gekoppelt werden und als abendfüllendes Programm zum Einsatz kommen. Die Annahme, dass allein durch die Vergabe von Preisgeldern nicht nur Produktion, sondern auch der Einsatz entsprechender kinotauglicher Vorfilme angeregt werden könnte, ist zweifelhaft.

Zu befürchten ist zudem, dass die unterschiedlichen Konzepte von Short Tiger und Deutschem Kurzfilmpreis verwässern und als jeweilige Markenzeichen nicht mehr klar ersichtlich sind.

Dass die Bündelung von Preisen ohnehin nicht vor Doppelung schützt, dafür ist gerade die Preisverleihung in diesem Jahr ein schönes Beispiel: den Hauptpreis für den besten Kurzspielfilm gewann FAIR TRADE – einer der erfolgreichsten deutschen Kurzspielfilme der vergangenen Jahre, der unter anderem bereits im Sommer mit dem First Steps-Award ausgezeichnet wurde. Gute Filme scheinen sich offenbar durchzusetzen – ob mit oder ohne eigene Kategorien und gegen jede filmpolitische Vernunft.

(MJ)

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