Experimental Television Center schließt

Ende einer Ära – das legendäre Experimental Television Center schließt

1971 wurde von Ralph Hocking und Freunden in New York das Experimental Television Center (ETC) gegründet. Nach 40 Jahren wechselhafter, erfolgreicher Geschichte stellte das ETC am 1. Juli 2011 seinen Betrieb ein. Mit dieser Schließung geht eine Ära zu Ende – die Ära des analogen Videos und des künstlerischen Community-Fernsehens.

Das Schlüsselwort für die Gründung des Experimental Television Center hieß „šmedia access‘. Vor dem Hintergrund der technischen Entwicklung, namentlich der ersten tragbaren Fernsehkameras und Videorekorder, erschien der Zugang zu den Medien für Jedermann in greifbare Nähe gerückt. Das ETC erfüllte deshalb gleich mehrere Funktionen. Es war ein technisches Entwicklungslabor, ein Treffpunkt für Künstler und ein gemeinnütziges Zentrum für Medienausbildung und Produktion.

Auf all diesen Sektoren war das Center bahnbrechend und innovativ. Zu den technischen Meilensteinen gehört zum Beispiel die Konstruktion eines Bildprozessors, der später unter dem Namen Paik/Abe Video Synthesizer bekannt wurde. Die technische Ausstattung, meist handelsübliche Geräte, die den eigenen Bedürfnissen angepasst wurde (heute würde man das als Modding bezeichnen), wurden Künstlern und gemeinnützigen Organisationen für die Videoproduktion zur Verfügung gestellt. Die Arbeiten wurden in Ausstellungen gezeigt, aber insbesondere auch von offenen Kanälen des öffentlichen Fernsehens wie WGBH (Boston) und WNET (Newark) ausgestrahlt.

Zu den frühen Sendungen, die es ohne das ETC nicht gegeben hätte, gehörten zum Beispiel „Tribute to John Cage“ oder die von Sherry Miller Hocking produzierte Wochenschau „Access“. In der gleichen Zeit arbeitete Nam June Paik mit Charlotte Moorman im ETC an „TV Cello“. Das Ziel dieser Pioniere war es, die Menschen mit ihrer kulturellen und sozialen Agenda direkt in ihren Wohnstuben zu erreichen.

Ein öffentlich gefördertes Residency Program ermöglichte Künstlern das Arbeiten an Projekten im ETC. Später kamen weitere Förderprogramme hinzu. Das Center wurde so eine wichtige Förderinstitution für Video- und Filmkunstprojekte. Seit Gründung hat das Experimental Television Center mehr als 1.500 Künstler unterstützt. Die Namen lesen sich wie ein Who-is-who der Videokunst. In der Anfangszeit waren dies zum Beispiel Joan Jonas, Beryl Korot, Gary Hill, Woody und Steina Vasulka, Ernie Gehr, Hollis Frampton oder Ken Jacobs. Viele blieben dem Center über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte treu. In den 80er Jahren stieß eine neue Generation hinzu. Es kamen unter anderen Paul Garrin, Irit Batrsry, David Blair, Peter Rose, Peter Callas und Kathy High. In den 90er Jahren dann Filmemacher wie Abigail Child, Keith Sanborn, Lynn Sachs, Ken Kobland oder Barbara Hammer.

Bis heute hat sich das Center immer weiter entwickelt und ist innovativ geblieben. Zwar wurde auch der Wechsel von analog zu digital früh mitvollzogen. Jedoch veränderten sich die technischen und kulturellen Rahmenbedingungen so drastisch, dass man vom Ende eine Ära sprechen kann. Hierzu gehört das Scheitern der Idee Fernsehen als kreatives Medium bei den Sendern zu etablieren. Gleichzeitig wurde Videokunst von der Kunstwelt und dem Kunstmarkt entdeckt. Auch für die zugrundeliegende Idee und eigentliche Motivation des „Public Access“ und der Community-Produktion eröffneten sich mit dem Internet ganz andere Möglichkeiten. Und eine Entwicklung, die das Center selbst intensiv und nachhaltig befördert hat, nämlich Produktionsmittel und preiswerte Techniken für unabhängige Künstlern und Filmemacher zu entwickeln, führte dazu, dass heute jeder sein eigenes Studio zu Hause einrichten kann. In den letzten Jahren arbeitete das Experimental Television Center deshalb vor allem als Agentur für öffentliche Projektförderungen – eine Institutionalisierung mit der auch die Verwaltungsarbeit zunahm.

In einer Art offenem Abschiedsbrief nennen Ralph und Sherry Hocking weitere Gründe für die Schließung des Center, von denen wohl keiner alleine entscheidend war. Ausschlaggebend war aber wohl die Einstellung der institutionellen Förderung durch das National Endowment for the Arts (NEA). Sie wurde damit begründet, dass das Studio nicht mehr den ADA-Standards entspricht (ADA=Americans with Disabilities Act). Ein Umbau oder gar Umzug des Center wäre erforderlich – eine realistische Perspektive hierfür gibt es aber nicht. Die Hockings sprechen auch ganz offen aus, dass sie einfach zu alt und müde geworden sind, um weiter zu machen wie bisher. Und sie schimpfen auf das Überhandnehmen unsinniger zeitaufwändiger Verwaltungsarbeit in Folge bürokratischer Anforderungen von Behörden …

Auch wenn das Experimental Television Center als öffentliches Produktionsstudio schließt, so bleibt das ETC jedoch öffentlich präsent. Denn das Center widmet sich einer neuen, ebenfalls wichtigen Aufgabe: der Dokumentation der Geschichte der Videokunst und des Community Television. Hierzu gehört auch die Restaurierung und Erhaltung von Videoarbeiten samt der erforderlichen Technik, um sie auch in Zukunft der Öffentlichkeit zugänglich zu halten. Das ETC hat sehr früh diese Notwendigkeit aufgrund der Vergänglichkeit der Medien und Technik erkannt und bereits 1994 mit ihrem „Video History Project“ begonnen. Schon heute ist deshalb die Website des History Project eine unerschöpfliche Fundgrube und wichtige Informationsquelle über ein spannendes Stück Mediengeschichte. Eine Zeit, die zugleich sehr nah, aber wegen der rasanten Entwicklungen, auch schon weit entfernt von heute erscheint.

rww

URL ETC: http://www.experimentaltvcenter.org
Video History Project: http://www.experimentaltvcenter.org/history/index.html
(siehe auch in der Rubrik „Kurzfilm online“: Demo Video The Wobbulator)

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