Der Deutsche Kurzfilmpreis auf der Suche nach sich selbst

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Auf der Suche nach dem „kurzen“ Kurzfilmen

Ein zwiespältiges Fazit vom Deutschen Kurzfilmpreis und dem Short Tiger

 

Am 13. November wurde in Potsdam zum 51. Mal der Deutsche Kurzfilmpreis, eine der höchstdotierten und renommiertesten Auszeichnungen für den Kurzfilm in Deutschland, verliehen. Das feinfühlige Familiendrama DAS GEFRORENE MEER von Lukas Miko erhielt den Kurzfilmpreis in Gold für Spielfilme mit einer Laufzeit zwischen sieben und 30 Minuten. In der Kategorie Dokumentarfilm wurde der Preis ex aequo an die Filme CIGARETTA MON AMOUR – PORTRAIT MEINES VATERS (Regie: Rosa Hannah Ziegler) und DIE AKKORDEONSPIELERIN (Regie: Biljana Garvanlieva) vergeben. Der Animationsfilm DER KLOANE/THE RUNT von Andreas Hykade erhielt die Lola in der Kategorie Animations-/Experimentalfilm. Über den Sonderpreis für Filme mit einer Laufzeit von mehr als 30 bis 78 Minuten freute sich die Regisseurin Saara Aila Waasner, die für DIE GEDANKEN SIND FREI, einen Dokumentarfilm über eine psychisch kranke Frau und ihre Pflegefamilie, ausgezeichnet wurde. Nur in einer Kategorie blieben die Nominierungen in diesem Jahr aus: erstmals wurde in der Kategorie „Spielfilm bis 7 Minuten“ kein einziger Film für den Deutschen Kurzfilmpreis nominiert.

Jurymitglied Karl-Heinz Schmid begründete diese Entscheidung mit der auffallend geringen Anzahl von nur 9 Filmen (im Vergleich zu 38 im Vorjahr), die in diesem Jahr für die Kategorie eingereicht wurden – so wenige wie noch nie. Nach der Sichtung dieser Filme hatte sich die sechsköpfige Jury einstimmig dafür entschieden, komplett auf Nominierungen für diese Kategorie zu verzichten. Schon im Vorfeld der Verleihung hatte diese Entwicklung für Diskussionen gesorgt, schließlich ist beim Deutschen Kurzfilmpreis bereits mit der Nominierung eine Prämie von 15.000 Euro verbunden, die Kurzfilmpreise in Gold sind mit jeweils 30.000 Euro dotiert. Pro Kategorie sind bis zu drei Nominierungen möglich. Mit den Prämien, die für die Herstellung eines neuen Films bestimmt sind, will die Bundesregierung neue Produktionen stimulieren.

Die Frage, die während des anschließenden Empfangs immer wieder diskutiert wurde, lautete also: Gibt es tatsächlich keine gut erzählten fiktionalen Stoffe aus Deutschland geben, die ihre Zuschauer auch in wenigen Minuten fesseln können?

Schon bei der Vergabe des Short Tiger, des mit 25.000 EUR dotierten Kurzfilmpreis der Filmförderungsanstalt (FFA) wurde auf einen Rückgang an kurzen Kurzfilmen hingewiesen. Der Short Tiger versteht sich explizit als Nachwuchspreis und will besonders „kinotaugliche“ Kurzfilme unter fünf Minuten auszeichnen. Er wurde in diesem Jahr zum zweiten Mal in einer gemeinsamen Zeremonie mit dem Deutschen Kurzfilmpreis vergeben. Die Jury des Short Tiger um FFA-Vorstand Peter Dinges kritisierte sowohl die Quantität als auch die Qualität der diesjährigen Einreichungen. Dass schließlich nur einer (statt 3 möglicher) Short Tiger vergeben wurde, begründeten sie nicht zuletzt mit der geringen Anzahl von nur 23 eingereichten Beiträgen. Im Vorjahr waren es mit 46 Filmen noch doppelt so viele Beiträge gewesen, die sich um den Short Tiger, der für alle Genres offen ist, beworben hatten. Ausgezeichnet wurde schließlich mit dem schwarzhumorigen Puppentrickfilm GESCHWISTERLIEBE von Jan-Marcel Kühn und Matthias Scharfi kein Spiel- sondern ein Animationsfilm.

Werden Kurzfilme immer länger?

Auf der Suche nach Ursachen für den ausgesprochenen Mangel an kurzen Spielfilmen unter fünf bzw. sieben Minuten ist Robin Mallick ein guter Ansprechpartner. Mallick ist seit 6 Jahren Mitglied der Jury des Deutschen Kurzfilmpreises für den Bereich Spielfilm und hat darüber hinaus als Festivaldirektor des Dresdner Filmfestes (das sich besonders auf Kurzspielfilme und Animationsfilm konzentriert) einen guten Überblick über die aktuelle Jahresproduktion der deutschen Kurzfilmszene. Seiner Meinung nach ließ vor allem die Qualität der kurzen Spielfilme im Jahrgang 2007 zu wünschen übrig. Das liege jedoch weniger am mangelnden Talent der Kurzfilmemacher als an der Tatsache, dass der Trend insgesamt klar zu längeren Kurzfilmen ging. Carsten Spicher von den Kurzfilmtagen in Oberhausen macht dafür nicht zuletzt die Möglichkeiten der digitalen Produktionstechnik verantwortlich, die einerseits die Produktionszahlen insgesamt in die Höhe schnellen lassen und gleichzeitig dafür sorgen, dass Kurzfilme zunehmend länger werden. Schließlich macht es finanziell kaum einen Unterschied mehr, ob man sich ein paar Minuten mehr gönnt. Spicher weist darauf hin, dass sich dieser Zuwachs an Freiheit beileibe nicht immer positiv auf die Qualität der Filme auswirke. Ein ähnliches Bild bietet sich auch beim Kurzfilmfestival in Hamburg. Auch dort waren die längeren Kurzspielfilme in den letzten Jahren viel besser im Wettbewerb vertreten als die Kurzen.
Die Jury des Deutschen Kurzfilmpreises hat als Ausgleich für die ausgebliebenen Nominierungen in der Kategorie der kurzen Spielfilme drei zusätzliche Nominierungen bei den längeren Spielfilmen bis 30 Minuten vorgenommen. Im Gegensatz zur kurzen Kategorie hätten sie hier, so Mallick, das Gefühl gehabt, aus mehr als genug preiswürdigen Filmen eine Auswahl treffen zu können.

Der Kurzfilm als Nachwuchsfilm: Sprungbrett oder Wahlheimat

Auf den Sichtungsveranstaltungen der deutschen Filmhochschulen zeichnet sich diese Entwicklung schon länger ab. Auch hier sind es vor allem die Regisseure der Spielfilmabteilungen, die sich verstärkt in Richtung Langfilm orientieren. Viele angehende Spielfilmregisseure begreifen ihre kurzen Hochschulfilme vor allem als Visitenkarten, die den Einstieg ins Langfilmgenre ermöglichen sollen.

Experimentierfreude und spielerische Leichtigkeit im Umgang mit dem vielfältigen Genre Kurzfilm waren in den letzten Jahren eher in den anderen Bereichen zu finden. Viele kurze Dokumentarfilme loten die Grenzen des eigenen Genres aus und ziehen – wie der 6 Minuten lange CIGARETTA MON AMOUR – PORTRAIT MEINES VATERS – gerade aus der konzentrierten filmischen Form eine formale Stärke, die über 90 Minuten wohl niemals erreichbar wäre. Im Experimentalfilm ist die Reflexion der eigenen Formen ohnehin grundlegend und die Grenzen zwischen Lang- und Kurzfilm deutlich durchlässiger. Und für den überwiegenden Teil der Animationsfilmer gilt der Kurzfilm nicht als Vorübung, sondern als „Königsdisziplin“, wie Thomas Meyer-Hermann, der Produzent des ausgezeichneten Animationsfilms THE RUNT in seiner Dankesrede hervor hob. Dazu kommen natürlich noch die unzählbaren Filme, bzw. Videos, die auf Plattformen wie YouTube oder MyVideo manchmal deutlich mehr Zuschauer erreichen, als die klassischen Kurzfilme, die vor allem eine Festival- und Kinoauswertung anstreben.

Gerade die Nachwuchsregisseure, die den „klassischen“ Weg über eine Filmhochschule gehen, sehen im Kurzfilm zunehmend ein Mittel zum Zweck. Dabei ist es keineswegs bewiesen, dass sich Redakteure und Produzenten ausgerechnet durch Kurzfilme, die wie Stichwortversionen einer 90-Minuten-Geschichte daher kommen, überzeugen lassen, den Regisseuren auch lange Projekte anzuvertrauen.

Gemeinhin reichen die Filmhochschulen bei Wettbewerben und Festivals ihre Jahresproduktion nicht einzeln, sondern als Paket ein – für die Studenten ist dies ein willkommener Service, den sie gerne in Anspruch nehmen und um den sie von ihren Kollegen aus der freien Szene oft beneidet werden. Aber auch dieser vermeintliche Vorteil hat seine Schattenseiten, denn so gut wie alle Hochschulen treffen bereits in diesem Stadium eine Vorauswahl und versenden zumeist nicht alle Filme, die formal in Frage kommen, sondern beschränken sich auf einige wenige, die ihrer Meinung nach am ehesten Aussicht auf Erfolg haben. Gerade die Übungsfilme aus dem ersten und zweiten Semester (die oftmals die kürzesten sind), werden in den letzten Jahren in vielen Fällen bewusst nicht eingereicht, um die Studenten nicht zu früh dem Erfolgsdruck auszusetzen, sondern ihnen zunächst die Möglichkeit der künstlerischen Entfaltung jenseits von Marktmechanismen zu geben. Ob diese Vorauswahl im Einzelfall künstlerisch gerechtfertigt ist, gibt inner- und außerhalb der Hochschulen immer wieder Anlass für Diskussionen. Auf jeden Fall minimiert auch diese Praxis die Zahl der Einreichungen im kurzen Bereich weiter.
Diese Entwicklungen sind allerdings alles andere als neu und können daher den dramatischen Einbruch bei den Einreichungen auch nur bedingt erklären. Bedenkt man darüber hinaus, dass nur ca. 1/3 der Jahresproduktion an Kurzfilmen überhaupt aus den Filmhochschulen stammen, relativiert sich die Bedeutung solcher hochschulinterner Tendenzen weiter. Heute entstehen mehr als 60% der deutschen Kurzfilme außerhalb von Schulen und anderen Institutionen und überproportional viele dieser frei produzierten Filme gehören zur Kategorie der „kurzen“ Kurzfilme. Warum spielen gerade diese Filme bei den Einreichungen für den Deutschen Kurzfilmpreis und den Short Tiger eine so viel geringere Rolle, obwohl alle Welt verzweifelt nach ihnen fahndet?

Strenge Türpolitik – Wettbewerbe in exklusiver Runde

Beim Short Tiger liegen die Gründe für diese Diskrepanz auf der Hand, denn hier ist eine Teilnahme von unabhängig produzierten Kurzfilmen von vornherein ausgeschlossen. Der Short Tiger sieht sich ausdrücklich als Nachwuchspreis – leider versteht die FFA unter „Nachwuchsfilmen“ ausschließlich Filme von Studenten der großen Filmhochschulen. Selbst Kurzfilmer, die in einem der diversen Medienstudiengänge an Fach- oder Kunsthochschulen immatrikuliert sind, sind nicht zur Einreichung berechtigt, ganz zu schweigen von der großen Menge der unabhängigen Filmemacher. In diesem Jahr wurde nun der Kreis der teilnahmeberechtigten Filmhochschulen stillschweigend noch einmal verkleinert und durch eine extrem kurzfristige Ausschreibung selbst denen die Einreichung erschwert, die offiziell dazu berechtigt waren.
Diese ausgesprochen enge Definition von „Nachwuchs“ hatte schon im Vorfeld für Unruhe gesorgt, denn schließlich entstehen auch außerhalb der klassischen Filmhochschulen exzellente Nachwuchsfilme. Als mindestens ebenso problematisch erwies sich eine weitere Änderung des Short Tiger Reglements: erstmals mussten sich die Kurzfilmemacher zwischen der Teilnahme an beiden Wettbewerben entscheiden. Wer sich um den Short Tiger bewerben wollte, konnte seinen Film nicht gleichzeitig für den Deutschen Kurzfilmpreis einreichen, dies schloss das neue Short Tiger Reglement kategorisch aus. Diese Maßnahme dürfte dazu beigetragen haben, den Filmpool für beide Jurys noch weiter zu verknappen.

Angesichts des Negativrekords von nur 9 eingereichten Kurzspielfilmen beim Deutschen Kurzfilmpreis ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich viele Regisseure für den Short Tiger entschieden zu haben – zumindest diejenigen, die dessen formale Bedingungen erfüllten. Zwei Fragen tauchten nach der Preisverleihung immer wieder in den Gesprächen auf: Warum machen sich hier zwei der wichtigsten Kurzfilmpreise gegenseitig Konkurrenz? Und weshalb weichen die unabhängigen Kurzfilmemacher nicht auf den Deutschen Kurzfilmpreis aus?

Ein Teil der Antwort findet sich auch hier wieder im Kleingedruckten: auch für die Teilnahme am Deutschen Kurzfilmpreis gelten besondere Bedingungen. Eine direkte Bewerbung ist grundsätzlich ausgeschlossen. Filme können ausschließlich von Verbünden und Einrichtungen des deutschen Films (dazu gehören Filmhochschulen, die großen Kurzfilmfestivals, regionale Filmverbände und Förderer, die Hamburger Kurzfilmagentur und die AG Kurzfilm) und den aktuellen Jurymitgliedern des Deutschen Kurzfilmpreis empfohlen werden. Leider wissen die wenigsten Filmemacher, dass sie sich auch selbst an einen der Verbände (z.B. die AG Kurzfilm) wenden können, damit dieser von seinem Vorschlagsrecht Gebrauch macht. Außerdem müssen alle eingereichten Filme laut Reglement über eine Freigabe der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) verfügen, die mit mindestens 345 EUR zu Buche schlägt – eine Summe, die viele Kurzfilmer nicht aufbringen können, vor allem dann nicht, wenn Ihnen die FSK-Freigabe ansonsten keine Vorteile bringt (die normalen Festivals verlangen kein FSK-Prüfsiegel).
Beide Vorgaben fungieren als eine Art Filter, der den Deutschen Kurzfilmpreises vor einem ungeregelten Ansturm schätzen soll.

In der Öffnung liegt die Kraft, oder: Türen auf für frischen Wind 

Möglicherweise funktionieren diese Ausschlussmechanismen – verstärkt durch die verschärfte Konkurrenz durch den Short Tiger – inzwischen aber so gut, so dass kaum noch preiswürdige Kurzfilme die Filter des Deutschen Kurzfilmpreises passieren. Je weniger Filme allerdings die formalen Zugangskriterien erfüllen, desto gravierender wirken sich die Tendenzen und Qualitätsschwankungen der allgemeinen Kurzfilmproduktion auch direkt auf den Wettbewerb aus. Füllt ein Jahrgang mal schlecht aus, schlägt sich das sofort so deutlich im Feld der Einreichungen nieder, dass im Zweifelsfall ganze Kategorien unbesetzt bleiben. Je weniger Filme die formalen Zugangskriterien eines Wettbewerbs erfüllen, desto weniger kann dieser noch als tatsächlicher Spiegel der vielgestaltigen deutschen Kurzfilmlandschaft dienen. Auf lange Sicht droht sowohl dem Short Tiger als auch dem Deutschen Kurzfilmpreis so der Verlust der Bodenhaftung.

Auf diese Gefahr wies auch der Regisseur Lukas Miko hin, nachdem er mit seinem unabhängig produzierten Spielfilm DAS GEFRORENE MEER gerade die Lola in der Kategorie von 7-30 Minuten Laufzeit gewonnen hatte. Er nutzte seine Dankesrede, um an die zahllosen begabten Kurzfilmer zu erinnern, die in diesem Moment nicht mit auf der Bühne standen. Er sei sich sicher, so Miko, dass alle im Saal wüssten, dass es so etwas wie einen besten Film nie geben kann, sondern dass es – gerade in der Kurzfilmszene – auf die Vielfalt und Vielgestaltigkeit der Filme ankomme. Deshalb widmete er seinen Preis allen engagierten Kurzfilmemachern, unabhängig davon, ob sie für die Wettbewerbe nominiert gewesen waren oder nicht. 

Der gebürtige Österreicher weiß um die Ausgrenzungsmechanismen des Betriebs, denn er ist als ausgebildeter Schauspieler selbst ein Quereinsteiger im Regiefach. Ohne die Unterstützung einer Filmhochschule konnte er seinen knapp 30-minütigen Debütfilm erst nach einigen Schwierigkeiten mit einer unabhängigen Produktionsfirma unter Beteiligung des Bayrischen Rundfunks verwirklichen.

Wenn der Deutsche Kurzfilmpreis weiterhin ein Spiegel der deutschen Kurzfilmlandschaft sein will, sollte unabhängig produzierten Filmen die Teilnahme erleichtert werden – vor allem angesichts der Entwicklung des Short Tigers zum reinen Filmhochschulpreis ist diese Öffnung auf der anderen Seite unverzichtbar.
Der Kurzfilm ist ein extrem flexibles Genre. Gerade weil niemand mit einem Kurzfilm wirklich Geld verdient, wird nirgends so viel experimentiert wie hier. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass sich die Veränderungen und Entwicklungen der Kurzfilmszene in den Wettbewerben widerspiegeln können und die Reglements offen genug sind, um Raum für neue Formen und Tendenzen zu schaffen. Die diesjährige Preisverleihung hat gezeigt, dass es auch angesichts der öffentlichen Wahrnehmung beider Wettbewerbe noch Verbesserungsmöglichkeiten gibt.
Trotz aller Kritik sollte man nicht vergessen, dass beide Wettbewerbe für die deutsche Kurzfilmszene, die sich nicht unwesentlich durch Preisgelder finanziert, schon ökonomisch unverzichtbar sind. Darüber hinaus bieten sie dem Kurzfilm – und das ist vielleicht sogar noch wichtiger – ein einzigartiges Podium, auf dem sich die Kurzfilmszene in ihrer Vielfalt präsentieren kann.

 

Luc-Carolin Ziemann

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