Chris Marker

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Chris Marker, 88 Jahre, als Newbie in Second Life

Am 29. Juli wurde der französische Filmemacher Chris Marker 88 Jahre alt. Als Geburtsort gibt er gerne die Gegend von Ulan Bator an, tatsächlich war es aber wohl die Gegend um Paris. Lange Zeit war sein richtiger Name nicht bekannt und arbeitete er unter verschiedenen Pseudonymen. Bis heute gibt es von dem öffentlichkeitsscheuen Künstler nur ganz wenige Fotos. Und das, obwohl er selbst ein passionierter Fotograf ist. In seinen Filmen wie auch Fotografien schätzte er insbesondere den Moment, wenn eine fremde Person plötzlich und unerwartet in seine Kamera (zurück-) schaut …

Bekannt wurde Marker durch einen Kurzfilm – seinen experimentellen Foto-Film „La Jetée“ (1962). Zu seinem umfangreichen Werk gehören aber Filme aller Längen. Bereits sein zweiter Film, „Le Joli Mai“ (1963) ist fast drei Stunden lang. Marker hat sich diesbezüglich nie festlegen lassen. Alle seine Arbeiten sind jedoch dokumentarisch, meist handeln sie von sozialen Bewegungen, immer jedoch von Menschen (mit der Ausnahme von Katzen, die, als eine Art höherer Wesen, bei Marker eine privilegierte Position einnehmen).

Obwohl die Gegenstände und Motive seiner Filme in der äußeren Realität verankert sind, arbeitete Marker jedoch nie der Ideologie einer fotografisch abbildenden Authentizität zu, sondern reflektierte immer auch die Medialität von Abbildungen. Folglich sind auch Spielfilm und Dokumentarfilm für Marker keine entgegen gesetzte Pole oder sich ausschließende Methoden der Realitätsaneignung. Er gilt deshalb als Mitbegründer des Essay-Films, der sich unkonventionell der non-linearen Montage und des philosophisch-fiktiven Kommentars bedient.

Insofern sollte nicht überraschen, dass Marker selbst in verschiedenen Rollen auftritt und auch sehr früh die Möglichkeiten neuer Technologien und Medien nutzt. Da er offenbar selbst ein Faible für das Programmieren und Hacken hat, setzt er anstelle teurer HighTech gerne die jeweils avanciertesten und angesagtesten LowTech-Anwendungen ein, also Produktionsmittel, die er auch selbst beherrschen kann. 

So nutzte Marker bereits bei der Bearbeitung von „Sans Soleil“ einen Personal Computer (seinen Apple II). 1996 gestaltete er mit Hyperstudio und Xplugs die non-lineare CD-ROM „Immemory“ und wendet sich in seinem Film „Level 5“ (1997) dem Computerbild und Videospiel zu. Inwieweit Marker auch im Internet aktiv wurde, ist wegen der Anonymität des Netzes und des Potentials an Fakes schwer nachzuvollziehen. Mitte der neunziger Jahre gab es eine Website, die im zugesprochen wurde. Gegenwärtig ist Chris Marker möglicherweise auf Flickr mit einem Fotoalbum vertreten: Jedenfalls dann, wenn er sich dort unter dem Namen Sandor Krasna angemeldet hat, also unter dem Namen des fiktiven Kameramanns im Film „Sans Soleil“. URL: http://www.flickr.com/photos/89096975@N00/

Und, wenn die Vermutung stimmt, dass sich hinter dem Pseudonym „Kosinki“ ebenfalls Chris Marker versteckt, dann hat er seine letzten Filme auf YouTube veröffentlicht (URL: http://www.youtube.com/user/Kosinki). Die meisten sind übrigens computergenerierte Kurzfilme, darunter Clips, die mit Shareware-Animationsprogrammen oder Web 2.0 Anwendungen wie Animoto hergestellt wurden.

Seit der Ausstellung „Abschied vom Kino“, die ihm das Museum für Gestaltung Zürich widmete (2008), ist Chris Marker nun auch als Avatar auf der 3-D-Online-Plattform Second Life vertreten. Denn, anläßlich der Zürcher Ausstellung wurde für Chris Marker die Insel L’Ouvrier eingerichtet. Neben einem privaten Haus mit Schiffsanlegestelle, Strand und Palme schwebt über der Insel ein veritables Chris-Marker-Museum mit Ausstellungen seiner Werke!

Gebaut wurde L’Ouvrier, nicht von Marker selbst, sondern von den österreichischen Medienkünstlern Margarete Jahrmann und Max Moswitzer. Chris Marker hat sich dieser „šneuen Heimat‘ jedoch angenommen und ist gelegentlich unter dem Second-Life-Namen Sergei Murasaki als Avatar auf L’Ouvrier anzutreffen. So richtig eingelebt scheint er sich jedoch noch nicht zu haben. Denn, obwohl Marker dort nun schon älter als ein Jahr ist, trägt er noch immer die typische Newbie-Kleidung, also Jeans, Sandalen und ein T-Shirt. Eine edlere Skin kostet halt auf SL (wenn man sie sich nicht selbst programmieren kann) echte Linden-Dollars. Immerhin scheint aber auf dem T-Shirt – vage erkennbar – die Katze Guillaume als Comic-Figur aufgedruckt zu sein.

Vorläufiger Höhepunkt dieser virtuellen Aktivitäten von Marker war im Mai 2009 eine „šAvatour‘ durch seine Ausstellung auf L’Ouvrier, die im Harvard Film Archive veranstaltet wurde. In den Gesprächen während dieses Rundgangs wurde Chris Marker gefragt, ob er schon darüber nachgedacht hätte in Second Life einen Film, also ein Machinima, zu drehen. Sergei Murasaki antwortete: „I have already lots of rushes on my trips in SL what I need is again an extra life to work on them.“

rww

Klick-Tipps zu Chris Marker in Second Life:
SLurl von L’Ouvrier 

– Beschreibung einer Insel: L’Ouvrier von Lucien Bookmite

– Dokumentarische Avatour auf der Insel L’Ouvrier – drei Machinimas von Fiteiro Cultural direkt aus SL

Transkript des Chats mit Chris Marker in Second Life im Mai 2009

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