Von ganz klein bis ganz groß (02/09)

Report

Von ganz klein bis ganz groß: Neue Abspielflächen für Kurzfilme im öffentlichen Raum

Dass die Situation für Kurzfilme in Kino und Fernsehen in Deutschland desolat ist, nachdem Filme die Festivals durchlaufen haben, ist hinreichend bekannt: Im Fernsehen sind sie vor allem – wenn überhaupt – nach Mitternacht oder als Lückenfüller auf höchst unregelmäßigen Sendeplätzen präsent.  In meist großstädtischen (Programm-)kinos laufen gelegentlich Kurzfilmrollen. So betitelte noch der Filmredakteur und Regisseur Achim Forst 2001 einen Artikel ironisch als „Der Kurzfilm (über)lebt auf den Filmfestivals der Welt“, und sprach der Filmkritiker Claus Löser im gleichen Jahr von „viele Filme, wenig Leinwand“.

 
Bedingt durch den kontinuierlichen Umbruch der Medienlandschaft, der – wie es der US-amerikanische Medientheoretiker Lev Manovich bereits 2001 feststellte – zum ersten Mal in der Mediengeschichte alle Bereiche (Produktion, Distribution, Rezeption etc.) umfasst und traditionelle Grenzziehungen aufweicht, hat sich diese Situation jetzt grundlegend geändert. 
Email, SMS, Instant Messaging, neue soziale Netzwerke wie der Microblogger Twitter, wo kurze Nachrichten bis maximal 140 Zeichen versendet werden können, sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass kurze und immer kürzer werdende Formen zu Anfang des 21. Jh. Hochkonjunktur haben. Begünstigt durch die zunehmende Medialisierung der Lebenswelten, die Omnipräsenz der Medien und die breite Verfügbarkeit von Breitbandnetzen – feiern auch Kurzfilme nach jahrzehntelangem Schattendasein im Internet ein spektakuläres Comeback – siehe etwa die Popularität von YouTube und ähnlichen Angeboten.

Darüber hinaus erfreuen sich Kurzfilme aber auch zunehmender Beliebtheit auf portablen Endgeräten wie Mobiltelefonen, iPods und ähnlichen Medienabspielgeräten sowie tragbaren Spielekonsolen (vgl. dazu auch die Artikel von Reinhard W. Wolf bei Shortfilm.de).
In Deutschland nehmen sich vor allem das Mobile Film Festival als auch das Bitfilm Festival dieser auch als „Micromovies, „Mini Films“, „Handyfilme“, „Pocket Films“ oder „Mobile Movies“ bezeichneten Filme an. Meist sponsern Mobilfunkbetreiber die Festivals, um die technischen Leistungen ihrer neuesten Mobil-Telefone zu vermarkten. „Sie sind so klein wie eine Sonderbriefmarke, so kurz wie ein Werbeclip und man muss sich anstrengen, um alle Details zu erkennen“ – so ein Zitat des Journalisten Helmut Merschmann.
Extrem kurz müssen die Filme sein, da die Aufmerksamkeitsspanne auf solch kleinen Displays begrenzt ist. Darüber sind sich alle einig, wie lang kurz allerdings ist, darüber gibt es genau so unterschiedliche Auffassungen wie bei klassischen Kurzfilm-Festivals. Insofern variieren die Einreichlängen bei den diversen Festivals auch zwischen 10 Sekunden und 3 Minuten. Was die graphische Darstellung angeht, wiederholen die winzigen Bildschirme tragbarer Endgeräte seit einigen Jahren sowohl die Geschichte des frühen Kinos, als auch die von Computerspielen: Nachdem anfangs nicht mehr als monochrome und grob pixelige, kleinen, aus nur wenigen Bildern bestehenden Schleifen möglich waren, liefern aktuelle Geräte mittlerweile bunte, hochaufgelöste und gestochen scharfe Bilder. 2008 war sogar die Deutsche Kinemathek ein Medienpartner des Mobile Film Festivals.

Aber auch im öffentlichen Raum werden Kurzfilme zunehmend eingesetzt. Durch die leichtere Transportierbarkeit – der im Vergleich zu klassischen Filmrollen weniger materiell gebundener – digitaler Daten und die Möglichkeiten zur Vernetzung ist die deutliche Verlagerung von Kurzfilmen aus ihren klassischen Ausstrahlungsorten wie Kino und Fernsehen in öffentliche Räume hinein zu beobachten, z. B. bei Open-Air-Events, in Clubs, Museen und Gallerien, aber auch in Verkehrsmittel wie Züge, Straßenbahnen, U-Bahnen, Flugzeuge, Autos, oder in andere öffentliche Räume mit Publikumsverkehr wie Tunnel, Warteräume, Universitäten und Gefängnisse.

An vielen Orten, wo Menschen warten müssen und ggf. so weit wie möglich trotz mitunter widriger Umstände bei guter Laune gehalten werden müssen, bspw. in Arztpraxen, Krankenhäusern, Ämtern und Behörden, Bahnhöfen oder U-Bahnhöfen, gibt es mittlerweile Bildschirme mit einem Infotainment-Programm. Die dort zu sehenden Programmschleifen, die sich meist aus einem Mix aus Nachrichten, Eigenwerbung, Unterhaltung und Sport zusammen setzen, nutzen nicht nur die Möglichkeit, für die eigenen Unternehmen und Institutionen zu werben, sondern integrieren als unterhaltsames Element auch Kurzfilme (die an diesen Orten allerdings für alle Altersgruppen geeignet sein müssen). 

Das Berliner Interfilm-Festival erkannte diesen Trend schon frühzeitig und veranstaltet seit 2002 das Festival „Going Underground“, bei dem während der Berlinale auf den in den Zügen angebrachten Doppelmonitoren des Berliner Fensters in ausgewählten U-Bahn-Linien Kurzfilme vorgeführt werden. Die Filme haben eine maximale Länge von 90 Sekunden und müssen ohne eigenen Ton funktionieren, dafür aber mit der typischen Geräuschkulisse der anhaltenden und abfahrenden Züge konkurrieren. Die (zufällig anwesenden) Fahrgäste, die ja eigentlich nicht mit der Absicht gekommen sind, Filme zu sehen, sondern möglichst schnell ihren Zielort zu erreichen, können per E-Mail oder SMS ihre Stimme abgeben. Die abschließende Preisverleihung findet dann aber doch in einem Kino statt. 2009 wird es „Going Underground“ leider nicht mehr geben.

Eine andere Form, sich den öffentlichen Raum zu erobern, besteht darin neue Schnittstellen zwischen klassischen Kurzfilmen, Architektur und Städteplanung auszuloten und dadurch nicht nur neue Abspielflächen, sondern auch neue Bedeutungskontexte zu erschließen. Mehr und mehr Künstler erkennen diesen Trend und schaffen sich ihre eigenen Leinwände jenseits des Kinos.

Ein Beispiel dafür sind die Arbeiten des in Berlin lebenden Schweizer Visual & Motion Designers Franí§ois Chalet. Seine meist kurzen und sehr reduzierten Animationen bestehen aus wenigen Strichen und geometrischen Grundformen mit vielen wiederkehrenden Elementen und Schleifen in immer wieder neuen Kombinationen und Drehungen. Trotz dieser selbst gewählten extremen Limitierung versprühen sie Komik, Esprit und Emotionalität, egal, ob sie als kleine Icons auf holographische Postkarten gedruckt, als klassische Werbe-Clips oder Kurzfilme im Fernsehen gesendet, als Live-Visuals in Clubs, in den Innenräumen des Centre Pompidou in Paris oder auf riesige Gebäudefassaden projiziert werden.

Auch der mit dem 1. Preis des „Modulare Medien“-Wettbewerbs ausgezeichnete Kurzfilm „Inbetween“ von Sonja Rohleder, die an der HFF Potsdam-Babelsberg studiert, und 2007 auf verschiedenen Festivals gezeigt wurde, wurde nicht nur für das Kino produziert. Der auf einer Performance basierende, in Mischtechnik (Realfilm, Compositing, digital Painting) umgesetzte Film, für den jedes der 900 Einzelbilder Bild für Bild digital übermalt wurden, lief auch als animiertes Gemälde auf dem ca. 14 Meter langen LED-Bildschirm im Deckenbereich des Foyers der Bertelsmann Repräsentanz in Berlin.

Bei dem 2003 von einer Hamburger Künstlergruppe ins Leben gerufenen Projekt „A Wall is a Screen“ ziehen Gruppen an Filminteressierten kollektiv zu thematisch ausgewählten Filmprogrammen durch ausgewählte Stadtviertel – in denen jeweils Schaufenster oder Hauswände mit spezifisch ausgewählten Filmen bespielt werden. Neben dem Ziel, durch diese nächtlichen Stadterkundungen Kurzfilme aus ihren angestammten Orten, d.h. Kinos, in die Stadt zu holen, verfolgt das Projekt auch soziale und globalisierungskritische Ziele, etwa nachts leeren Innenstadtvierteln wieder zu mehr Leben zu verhelfen oder auf soziale Missstände aufmerksam zu machen.

Zu seinem 20. Geburtstag 2001 machte sich der berühmte Chaos-Computer-Club, ein Hackerclub, der Sicherheitslücken in Computersystemen und Netzwerken aufdeckt, mit einer ungewöhnlichen Lichtinstallation ein besonderes Geschenk. Das Haus des Lehrers, in prominenter Lage am Berliner Alexanderplatz, was auch von der ICE- und S-Bahnstrecke, die quer durch Berlin führt, sehr gut gesehen werden kann, war kurz davor saniert zu werden und stand gerade leer. Der Chaos Computer Club installierte Baustrahler hinter den weiß gestrichenen Fenstern der oberen acht  Etagen des Gebäudes. Das Ein- oder Ausschalten der Baustrahler wurde von einem zentralen Computer gesteuert. Mit den insgesamt 144 Lampen entstand so ein riesiger Bildschirm, der an die grob pixelige und monochrome Computerspielästhetik der 1970er und 1980er Jahre erinnerte. Über Handy konnte der Computerspielklassiker Pong gespielt werden und es war möglich Liebesbotschaften zu verschicken. Außerdem konnten mittels einer auf der Website des Projekts veröffentlichten Software Animationen programmiert und per Email in eine Playlist aufgenommen werden, die die ganze Nacht über abgespielt wurden. Das interaktive Kunstprojekt hatte mehrere Ableger, z. B. „Arcade“ in Paris mit 520 Fenstern und bis zu acht darstellbaren Graustufen und einer 3.370 m² großen Gesamtleuchtfläche. Im Oktober 2008 lief mit „Stereoscope“ eine Neuauflage von Blinkenlights auf den Innenseiten des Rathauses in Toronto, welches aus zwei halbmondförmigen, einander zugewandten Hochhäusern besteht.

Die bekannte südafrikanische Firma Wicked Pixels zweckentfremdete 1 Million gelber Klebezettel, für einen Werbespot für den südafrikanischen Mobilfunkanbieter MTN. Ein 15 Meter großer „Stickyman“, für den pro Einzelbild 10.000 Post-Its an das Gebäude geklebt wurden, läuft an den Glasfassaden von Hochhäusern entlang. Der Spot wurde in fünf Tagen in Johannesburg gedreht und danach mehrere Wochen digital weiter bearbeitet. Eine digitale Version der Figur wurde immer dort eingesetzt, wo es keine Drehgenehmigung gab. Der Spot, untermalt von dem energetischen Song des britischen Musiker und Djs Fatboy Slim „Right Here, Right Now“, dokumentiert den Produktionsprozess.

Ein ebenfalls wachsender Bereich ist der Einsatz von 360°-Leinwänden im Kuppelformat und Rundbildern, in denen sich der Zuschauer im Zentrum befindet. Diese entsprechen einer Fortführung des Surround-Sounds ins Visuelle. Einen guten Einblick bietet das Domefest in Albuquerque, New Mexico, dessen frisch gekürte Preisträger in diesem Jahr erstmals beim Bitfilm-Festival gezeigt wurden.

Bei all diesen Formen werden nicht nur die spezifischen räumlichen Gegebenheiten kreativ in den Projektionsprozess einbezogen, sondern auch die Zuschauer aktiv zur Partizipation angeregt sowie Wechselwirkungen zwischen Architektur und der Ästhetik der Filme provoziert. Dabei hat jedes hier diskutierte  „Medium“ sein eigenes Dispositiv, es gelten für alle unterschiedliche Nutzungsweisen und die dort eingesetzten Filme müssen mal mehr und mal weniger um Interesse und Aufmerksamkeit der Zuschauer kämpfen. Kurzfilmemacher können sich mit diesen neuen, teils selbst erdachten und ungewöhnlichen Plattformen neue kreative Freiheiten eröffnen, neue Publika heranziehen und (häufig als Klein- und Alleinunternehmer) unabhängig bleiben.
Filmdistribution wird – ähnlich wie im 18. Jh. – wieder zum kreativen Akt.

Dass der Trend, Häuserfassaden oder gar ganze Städtekulissen für bewegte Bilder zu nutzen, noch längst nicht ausgereizt ist, sondern gerade erst am Anfang steht, illustrieren eindrucksvoll animierte Billboards insbesondere in asiatischen Städten oder an prominenten Plätzen wie z. B. dem Times Square, New York; dem Piccadilly Circus, London oder der Kulisse von Los Angeles oder auch die für das Medienfassaden-Festival ausgewählten Beiträge von Media Architecture.org. Man darf gespannt sein, wie sich Kurzfilmemacher, die dazu bereit sind, Kino und Fernsehen als einzigen Ausstrahlungsort zu verlassen, sich im Spannungsfeld zwischen Kurzfilm, Architektur, Städteplanung, Medienkunst und Interaktivität neue Arbeitsfelder erschließen.

Karin Wehn

Links
A Wall is a Screen. http://www.awallisascreen.com
Bitfilm Festival. http://www.bitfilm.de
Blinkenlights. http://www.blinkenlights.net
Chaos Computer Club. http://www.ccc.de
Domefest. http://www.domefest.org
Francoischalet.ch. http://www.francoischalet.ch
Going Underground. http://www.goingunderground.de
Infoscreen Content. http://www.infoscreen-content.de/programm.php
Mauerstreifen. http://www.mauer-streifen.de 
MediaArchitecture.org. http://www.mediaarchitecture.org
Mobile Film Festival. http://de.mobilefilmfestival.com/video.php
MTN Stickies. http://wickedpixels.com/flash.html
Sonja Rohleder. http://www.sonjarohleder.de
Twitter. http://www.twitter.com
YouTube. http://www.youtube.com
Zeitsprung Infotainment. http://www.zeitsprung-infotainment.de

Quellen:
Forst, Achim: „Feiern und verkaufen. Der Kurzfilm (über)lebt auf den Filmfestivals der Welt“. In: Film-Dienst 2, 2001, S. 20-22.
Löser, Claus: „Viele Filme, wenig Leinwand“. In: Filmdienst 9, 2001, Thema Kurzfilm, S. 12-14.
Manovich, Lev: The Language of New Media. Boston, Massachusetts 2001.
Merschmann, Helmut: Handyfilme. Smaller than Life. 11.05.2005. http://www.spiegel.de/netzwelt/tech/0,1518,384376,00.html.
Wolf, Reinhard W.: Kurzfilme für die Westentasche. (Teil 1)
http://www.shortfilm.de/?id=414.
Wolf, Reinhard W.: Micromovies – Kurzfilme für die Westentasche. (Teil 2)
http://www.shortfilm.de/?id=1735.

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