Lernkongress „film>>up“ Hannover 02. bis 04. September 2010

Report

Impressionen und Reflexionen

Impressionen

„Das Projekt film>>up interkulturell führt seit 2007 Mediencamps für Jugendliche durch, unterstützt die Vernetzung von Medienzentren und fördert Lehrerinnen und Lehrer, die in der Schule filmpraktisch arbeiten. Der Lernkongress zieht ein Resümee der bisherigen Arbeit und möchte Grundlagen für weitere Projekte legen. Er richtet dafür den Fokus auf Projekte, die Kooperationen von Schule und außerschulischen Filmpartnern und Medienpädagogen erfolgreich realisieren. Der Kongress hat dabei die Frage im Blick, wie Jugendliche weiterhin innerhalb und auch außerhalb von Schule intensiv gefördert werden können.“
http://www.kongress.film-up.org

Als Zielstellung formulierten die Organisatoren drei Fragen, die während des Kongresses diskutiert werden sollten, mit deren Beantwortung eine Standortbestimmung vorgenommen werden kann und die in Vorschläge zur Umsetzung von neuen Projekten und Kooperationen sowie in einen Forderungskatalog münden sollten:

Welche Bedeutung hat die Filmbildung heute?
Welche Möglichkeiten bietet interdisziplinäre Filmarbeit?
Welche Chancen hat das Filmemachen im System Schule?

Zu den knapp 200 gemeldeten Teilnehmern aus mehreren Ländern gehörten Pädagogen, Medienpädagogen, Vertreter von Institutionen, Verbänden und Medienzentren, einige Filmemacher und wenige Schüler (abgesehen von den Akteuren der vorgestellten CITYZOOMS Projekte aus Hannover).
Es fehlten, obwohl auch angesprochen bzw. eingeladen, weitestgehend Vertreter einer „Filmbildungslobby“, der Politik oder der potenziellen Förderer. Somit war auch klar, dass weiterführende Antworten auf Fragen zu Möglichkeiten der finanziellen und materiellen Umsetzung formulierter Forderungen und Wünsche in Hannover nicht zu erwarten waren.

Am ersten und zweiten Tag sorgten mehrere Impulsreferate für Diskussionsstoff. So konstatierte der Vorsitzende des deutschen Kulturrates, Prof. Max Fuchs, der Begriff Medienbildung sei inzwischen fester Bestandteil der kulturellen Bildung ohne adäquate finanzielle Ausstattung. Er sieht die Ganztagsschule als eine große Chance, aber die Ziele der Medienbildung würden sich im Unterricht nicht verwirklichen lassen. Prof. Neuss, Vorsitzender der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, vertrat die Ansicht, man müsse endlich weg von der Phase der Modellprojekte hin zu strukturellen Veränderungen, einschließlich der Forderung, dass die Medienbildung auch im Schulstoff verankert werden muss.

In zwei Runden Speeddating wurden jeweils im 7 Minutentakt 25 deutsche und internationale Projekte vorgestellt (s. auch www.kongress.film-up.org), die sich fast ausschließlich dem kreativen Schaffensprozess Film widmeten.
Einzig der Schulversuch „Schulische Medienbildung in MV“ (Institut für Neue Medien Rostock) ging in seinen Ansätzen über den vorwiegend kreativen Umgang hinaus und beschäftigte sich mit Lernkonzepten.

Gruppenarbeit war hoch im Kurs und die beste Möglichkeit, den großen Teilnehmerkreis in produktiv-diskussionsfähigen kleineren Einheiten zusammenzuführen. In vier Arbeitsgruppen wurden viereinhalb Stunden lang unterschiedliche Schwerpunkte diskutiert.
AG 1: Aus- und Weiterbildung von Multiplikatoren und Lehrern
AG 2: Schulische Filmarbeit und außerschulische Partner
AG 3: Filmpräsentation und Festivals
AG 4: Förderung zwischen Schule und Ausbildung
Die Ergebnisse konnten in der Kürze der Zeit zwar nicht protokollfähig formuliert werden. Doch zeigte die Präsentation der einzelnen AGs am Abschlusstag die Vielschichtigkeit der diskutierten Aspekte, Fehlbedarfsformulierungen und auch der Wunschvorstellungen, wohin sich die Filmbildung in der Schule und die Projektarbeit entwickeln könnten oder sollten und was dazu notwendig wäre. Thematisiert wurden von fast allen Teilnehmern die Fragen nach dem Zeitkontingent der Protagonisten, dem notwendigen Geld zur Absicherung einer qualitativ hochwertigen Filmbildungsarbeit, nach strukturellen Grundlagen und Veränderungen in Unterricht/Lehrstoff und Arbeitsgemeinschaften aber auch nach dem Kontext der Filmbildung im Gesamtzusammenhang Schule, Ganztagsschule oder mit den traditionellen Künsten.

Programme mit Filmbeispielen u.a. der Schülerprojekte Hamburg im ZOOM und CITYZOOMS music aus Hannover lieferten interessante Einblicke in kreative Ergebnisse. Zu monieren war hier jedoch die mangelhafte Qualität des eingesetzten Beamers unter dem die Projektion zu leiden hatte.

Im Plenum, mit dem der Kongress abschloss, wurde noch einmal festgestellt, dass es eine sehr große Anzahl von Initiativen in der medienpädagogischen Arbeit gibt, die mit sehr viel Engagement arbeiten und auf diesem Kongress diskutierten, aber ohne eine entsprechende Lobby für die Filmbildung bleibt es bei Wunschvorstellung, weiteren finanziellen Einschnitten und der Selbstausbeutung der Akteure. Klaus Blaudzun, Geschäftsführer des Instituts für Neue Medien Rostock, betonte ausdrücklich, Qualität hat seinen Preis (hierin unterstützt von Monica Cantieni, von frischfilm vom Schweizer Fernsehen), Geld sei auch eine Form der Wertschätzung dieser Arbeit. Spürbar aber war auch eine Resignation hinsichtlich Fernsehgelder und den Einfluss auf deren Verwendung (Sport, volkstümliche Events) oder der Hang zu selbstausbeutenden Billigprojekten, deren Erfolg stark vom individuellen Engagement lebt, aber eher strukturelle Missstände und mangelnde Wertschätzung der Filmbildung gegenüber festigt.
Angeschnitten, aber nicht nachhaltig diskutiert, wurde mehrfach das Thema Breiten- und Spitzenförderung mit individuell sehr unterschiedlich gesetzten Schwerpunkten.

Stefan Rupp, Moderator vom rbb, Radio eins, moderierte souverän und sehr aufmerksam und hatte wesentlichen Anteil an der entspannten kreativen Atmosphäre des Kongresses.

Die Veranstalter wollen allen Teilnehmer ein ausführliches Veranstaltungsprotokoll zusenden, darüber hinaus Schlussfolgerungen formulieren und die Ergebnisse im Sinne einer Forderung an alle Protagonisten, Geldgeber sowie schulische und politische Entscheidungsträger aufarbeiten. Die Durchführung eines fortsetzenden Kongresses in zwei oder drei Jahren ist natürlich schon ins Auge gefasst.

Reflexionen

Aus meiner Sicht würde ich nach diesen drei intensiven Arbeitstagen u.a. folgende Grundprobleme sehen:
– Die Frage nach notwendigen strukturellen Veränderungen wurde kaum thematisiert und viel zuwenig diskutiert. So wurde mehr über Erfahrungen und neue Ideen in der Projektarbeit auf einem verbesserten Status-Quo-Level diskutiert anstatt darüber, welche Lobbyarbeit notwendig ist, um strukturelle und finanzielle Veränderungen herbeizuführen. Dazu wäre es auch notwendig, die bildungsstaatliche Wertschätzung vom Unterhaltungsimage des Films zu einer gegenüber den „traditionellen“ Künsten als gleichwertig anerkannten Kunstform zu verändern.
– Hinsichtlich der erforderlichen Finanzierung gab es nur Wunschäußerungen, da kompetente Gesprächspartner fehlten.
– Das Verständnis der meisten Kongressteilnehmer von Filmbildung war stark und oft sehr einseitig orientiert am kreativen Umgang mit Medien, im Vordergrund meist der Gedanke, alle Schüler müssten Filme machen. Hierin zeigt sich die Ambivalenz der Lehrersituation auch aus den Erfahrungen unterrichtlicher Vermittlung in anderen kunstorientierten Fächern: Schüler lassen sich leichter durch kreative Projektarbeit erreichen, wohingegen die sachliche Vermittlung von Allgemeinwissen auf mehr Abwehrhaltung stößt. Der sinnvolle Ansatz, in der Schule verstärkt Lebenskompetenz zu vermitteln, schafft zu selten den Balanceakt, gleichzeitig eine ausreichende Basis von Allgemeinwissen zu vermitteln.
– So erschien die Frage nach dem Anteil von Filmbildung als Allgemeinwissen im Kontext eines Schulfaches eher ungeliebt bei den Pädagogen. In Zeiten rasanter Vermehrung von menschlichem Wissen und Informationsvermittlung wäre die Installation von Einzelfächern für jede Kunstgattung utopisch. Aus meiner Sicht wäre hier ein Fach „Kultur- und Kunstgeschichte“ ein lohnenswerter Ansatz, in dem die Vermittlung allgemeinbildender Aspekte kunstgenreübergreifend zur schulischen Pflicht erklärt wird und der kreative Umgang in die Projektarbeit an den Ganztagsschulen und in die Zusammenarbeit mit kompetenten Partnern verlagert wird.
– Vorherrschend ist die Ansicht, der Pädagoge muss die Filmprojekte selber durchführen und oft derart motiviert: „Wenn ICH es nicht mache, macht es an dieser Schule niemand.“ (Womit der Lehrer leider noch allzu oft recht hat.) Auch wenn es nicht deren eigentliche Aufgabe ist (der Deutschlehrer schreibt mit den Schülern keine Romane, der Musiklehrer komponiert mit ihnen keine Sinfonien usw.), kann den Lehrern teilweise unterstellt werden, dass auch sie ihren Spaß an der Projektarbeit haben möchten und deshalb Filmprojekte durchführen.
Zudem werden durch starre sachliche Lehrplanvermittlung Schüler kaum erreicht und motiviert und es steigt die Gefahr, deren sinnlich-kreativen Potenziale eher zu degenerieren als Neugier und Verständnis zu wecken. Hierin steckt auch eine resignative Steigerung der Pädagogenhaltung, man müsse Jugendliche dort abholen, wo sie sind. Da sie auch nach dem „Besuch“ nicht mit dem Lehrer mitkommen, hält dieser sich eben länger auf deren Lieblings-Spielplatz auf.
– Zeitlich und fachlich ist es nahezu unmöglich – aber auch nicht notwendig -, dass (je)der Pädagoge ein Experte als Filmemacher und Produzent ist oder wird. Es fehlt an Zeit, an Geld, an der eigenen Ausbildung (und deren permanenter Fortsetzung). Hier muß an der Struktur gearbeitet werden, die so aussehen könnte: der Pädagoge hat und vermittelt Allgemeinwissen und besitzt die „Antenne“ für das Metier, Medienpädagogen fungieren verstärkt als Mittler, Berater und Projektbetreuer, während die Filmemacher und Medienzentren die fachlich kompetenten Partner sind. Dafür müssen Honorarmittel für Dritte fest im schulischen Haushalt verankert sein.
– Das technische Equipment im Filmbereich ist beständig einer schnellen Entwicklung unterworfen, Technik zu spezialisiert oder zu rasch veraltet, so dass es über einen Grundbedarf hinaus (Abspielgeräte, Beamer usw.) nicht regulärer Bestandteil der schulischen Grundausstattung sein kann. Stattdessen sollten Medienzentren, die intensiv mit Schulen zusammenarbeiten, finanzielle Unterstützung aus Bildungsministerien erhalten können.
– Mit einer zunehmenden Anerkennung von Film als eigenständiger Kunstform, in der es ausbalanciert Breiten- und Spitzenförderung geben muss, liegt der Gedanke nahe, neben Musik- oder Kunstschulen auch Filmschulen für die kulturelle Freizeit-Bildung zu installieren. In kleineren Städten oder Regionen wäre eine allgemeine Kunstschule für mehrere Sparten die Alternative.

Soweit nur ein kleiner Bericht mit persönlichen Impressionen und Reflektionen. Es wurden noch viele andere Aspekte und Erfahrungen diskutiert, die Rezeption der Projektergebnisse oder die Funktion sozialer Netzwerke angesprochen. Als Fazit bleibt: Es ist ein weites Feld mit beliebten Plätzen aber wenig ausgebauten Wegen. Anstrengend, herausfordernd, kommunikationsintensiv.

Peter Fischer

Links: http://www.kongress.film-up.org/
http://hamburgimzoom.blogspot.com/
http://www.cityzoomsmusic.de/

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