Gegen Bilder – Die Videoarbeiten des NEOZOON Kollektivs

BUCK FEVER © NEOZOON

Einfach ein schönes Tier. In „Buck Fever“, einer Videoarbeit des Künstlerinnenkollektivs NEOZOON, töten bewaffnete Menschen aus Vergnügen nichtmenschliche Tiere und posieren dann neben den Kadavern vor der Kamera. Eine Mischung aus Stolz, fehlgeleiteter Präsentationswut und Verblendung zeigt sich in ihren Gesten und Worten, in einigen Momenten scheint die körperliche Begegnung mit einem frei lebenden Geschöpf ihr Weltbild durcheinanderzubringen und ihr Vorstellungsvermögen zu übersteigen. Die Arbeit unterstreicht besonders das, was sich wiederholt und Universelles erahnen lässt: das Rituelle und Klischeehafte. Stolz zur herrschenden Spezies zu gehören, das Innehalten vor dem Schuss. Wiederkehrend sind Kinder, die von ihren Eltern das Töten lernen. Tatschen, um die Körper zu spüren. Die Köpfe und Geweihe werden zur Kamera gewendet. Ungläubiges Blicken auf die riesenhaften Leichen. Handschläge. Liebesbekundungen. Eine Montage aus gefundenen Eindrücken, die sich in ihrer Drastik wie eine deprimierende Karikatur selbst entlarven.

 

Wenn die Realität über den Umweg des Bilds ihre Konstruktionen preis gibt, wird das Kino am stärksten und findet zu seiner größten Möglichkeit: Den Blick auf die Welt, die Menschen und ihre Erscheinungen über die natürliche Wahrnehmung hinaus zu schärfen. Oft strebt das System Kino in seinen reichweitenstärksten Formen zum Gegenteil hin und verteidigt gefällige, konservative Träumereien. „No animals were harmed in the making of this film“, schrieb die American Humane Association (AHA) in den Abspann von Peter Jacksons „The Hobbit: An Unexpected Journey“, nachdem beim Dreh rund 30 Tiere umgekommen waren. Wie viele Facetten des gesellschaftlichen Lebens werden die Kunst und das Kino getragen von Industrien, die sich für Wahrheiten und kritische Konfrontation nicht sonderlich interessieren. Selbst in der linken Filmpraxis spiegeln Filme von Michael Haneke, Kim Ki-duk, Lars von Trier, Carlos Reygadas, Jean-Luc Godard, Park Chan-wook, Naomi Kawase, Alejandro González Iñárritu, Andrei Tarkovsky und vielen anderen wider, dass die Kunst kein machtfreier Raum ist und über das Leben nichtmenschlicher Tiere frei verfügen, sie nach Belieben töten und missbrauchen darf. Das Künstlerische und das Ethische sind sich nicht selten ebenbürtige Widersacher.

 

NEOZOON brechen in ihrer interdisziplinären Arbeit mit der Komplizenschaft von Kunstproduktion und Machtstrukturen indem sie speziesistische[1] und kapitalistische Unterdrückungsroutinen zum Zentrum ihrer ästhetischen Forschung machen. Sie demonstrieren über Bildschirme, Leinwände, Galerien und über öffentliche Stadträume, wie darwinistisches und marktkonformes Denken in menschlichen Lebens- und Konsumwelten zum täglich Brot zählt. Installationen zeigen etwa surreal verformte Tierkörper, geisterhaft angetrieben von Maschinen. Pelzmäntel werden wiederverwertet und zum Material subversiver Neuaneignungen: NEOZOON installierten im Münsteraner Zoo hinter Gittern die Fantasiespezies des Manteltiers und filmten die Spekulationen des Laufpublikums („Das Manteltier“, 2010), das sich aufmerksam die satirische Texttafel neben der Scheibe durchlas. An Hausfassaden klebten sie aus Pelzresten die Umrisse stadtnaher Tierarten in suggestiven Posen („Fur Coat Recycling“, 2009-2012 / „Spanish Riding School“, 2011 / „Bah Bah Black Sheep“, 2010, „Les Gout des Bêtes“, 2010), agitierten mit Fellfetzen die Achseln und Intimbereiche von Frauenkörpern auf Werbeplakaten („Hairy Women“, 2011-2012), oder setzten in Supermärkten Fantasieprodukte wie Rinderzähne und Igelsülze in die Regale ein („Food Products“ 2011-2013).

 

FUR COAT RECYCLING 2009 – 2012 © NEOZOON

 

Das Verhältnis zwischen den Lebewesen ist in den Zentren der Zivilisation zu einem Grundrauschen der Unnatürlichkeit geworden. Statt nun nochmals unnatürliche Gegenbilder zu produzieren, suchen NEOZOON in ihren Videoarbeiten diejenigen Eindrücke, in denen sich die Menschen in ihrem absurden Verhältnis zu anderen Lebewesen bereits überdeutlich selbst offenbaren. Die Realität erscheint als Überformung, YouTube fungiert als zentrale Quelle einer widerständigen Archivarbeit und zeigt sich in komplexen Montagen als Echokammer verinnerlichter Verhaltensweisen der Durchschnittsbevölkerung.

 

Neben dem eingangs angerissenen Zyklus zum Jagen und Töten („Buck Fever“, 2012 / „Big Game“, 2013 / „Shake Shake Shake“, 2016), konzentriert sich ein zweiter Schwerpunkt („Good Boy – Bad Boy“, 2011 / „Unboxing Eden“, 2013 / „MY BBY 8L3W“, 2014 / „Call f the Wild“, 2017 / „Love Goes Through the Stomach“, 2017) auf den Privatraum und zeigt als „Haustiere“ nicht zuletzt den Menschen selbst. Nichtmenschliche Tiere hingegen treten als sprachlose Kommentator*innen in Erscheinung, lebend wie tot, verarbeitet und unverarbeitet, dressiert und ins heimische, heimliche Leben einsortiert.

 

UNBOXNIG EDEN © NEOZOON

 

Die vermutlich größte Leinwandpräsenz im Werk von NEOZOON hat eine gewaltige Schlange, die von amerikanischen Züchtern während einer Tierbörse herumgetragen wird – so zumindest der Versuch. „Schaut, wir sind nicht Manns genug, um sie im Griff zu behalten“, meint einer der Kerle. Eine sonderbare öffentliche Performance des menschlichen Scheiterns, argwöhnisch betrachtet von herumstehenden Messebesucher*innen. Auch was dieser Mann sagt, verrät selbstredend mehr über die menschliche Psychologie, als über die Befindlichkeit des Tiers. Der Riesenphallus lässt sich nicht beherrschen und übernimmt den Bildraum, gegen den Widerstand starker Arme, die vielleicht etwas kompensieren sollen. Mit „Unboxing Eden“ wecken NEOZOON vielleicht am eindringlichsten das Bedürfnis, Menschen von ihren Lieblingstieren verschlungen zu sehen.

 

Montiert wird hier und in den anderen Videoarbeiten thesenhaft – zugespitzt auf das, was sich ähnelt und gegenseitig verstärkt, den Sinn für Zusammenhänge schärft. So streift „Unboxing Eden“ zu Beginn verdichtet die Warenform des Tiers: Kisten erreichen Sammler*innen, die sich auf verpackte Schlangen im Innern freuen. Sorgsames Auspacken bringt kleine Exemplare als neue Zöglinge zum Vorschein. Einige ergeben sich in ihr Schicksal, andere haben Händen nur ratlos-aggressive Bisse entgegenzusetzen. Die Menschen bewerten indes, kommentieren, wiegen, sortieren und fantasieren. Auch hier: Der Genuss, die eigene Vormachtstellung auszukosten. Das erkauft Exotische trifft auf biedere, meist amerikanische Vorstadthaushalte und schmale Horizonte. Sich zu filmen, das wird für die Schlangenhalter*innen über YouTube zur Selbstbehauptung in einer Welt, die sich für sie ansonsten nicht zu interessieren scheint.

 

Dennoch zeigen NEOZOON den Menschen nicht als Täter*in, sondern gleichermaßen als verblendetes Opfer größerer Erzählungen. Spätestens wenn Supermärkte in „Love Goes Through the Stomach“ Hähnchenschenkel mit überschwänglichen Glücksversprechen und Sonderangeboten anpreisen, vermischen sich psychologische Zustände mit körperlichen Bedürfnissen. Und so wird hier die Liebe zum Huhn gedankenverloren mit der Liebe zum gut gewürzten Schenkel verwechselt, während in „MY BBY 8L3W“ und „Good Boy – Bad Boy“ die Verantwortung für Tiere zu einer Obsession wird, die für Abhängigkeiten und heimische Gewaltrealitäten blind macht. Mensch zu sein, das schließt in der von NEOZOON skizzierten Konsumgesellschaft eine antrainierte Unmündigkeit mit ein, im kleineren und größeren Maße eine Unvermeidbarkeit von Komplizenschaft. Die Menschen offenbaren sich in ihrer Suche nach Genuss, Selbstbestätigung und Intimität vor der heimischen Kamera als Agent*innen eines Systems, das menschliches ebenso wie nichtmenschliches Leben nur als Teil einer Verwertungslogik begreift und flüchten sich regelmäßig in den Beistand ihrer Kuscheltiere.

 

MY BBY 8L3W © NEOZOON

 

Drei andere Videoarbeiten nehmen direkt die Hirngespinste der großen Säugetiere in den Blick: Bei „Call of the Wild“ (2017) untersuchen NEOZOON YouTuber, die ihre inneren Tiere für die Kamera nach außen kehren. Urschreie und katzenhafte Niedlichkeiten formulieren ein Panorama des unzivilisierten, unkultivierten, mal ironischen, mal ernsten Aufbäumens, das in den wahnwitzigen Schreien einer extremen Metalband seine ganzheitliche Einlösung findet. Einmal das Menschliche überwinden, zum Dämon und Fetischobjekt werden. Gegenkulturen gründen. Das Gehirn langweilt sich schnell, nicht nur in der Stadt. Die Frage ist die nach dem Umgang mit Freiräumen. NEOZOON finden bedrückende Antworten. „Little Lower Than The Angels“ (2019) zeichnet menschliche Überheblichkeiten und religiöse Allmachtsfantasien nach. Jüngst präsentierte das Kollektiv im deutschen Wettbewerb der Kurzfilmtage von Oberhausen das Video „FragMANts“ (2019), in dem sich die Künstlerinnen einen Spaß daraus machen, menschliche Körper und Gesten in ihre Einzelteile zu zerlegen und daraus innerhalb eines gemeinsamen Bildkaders schwachsinnig-vulgäre Kunstwesen zusammen zu puzzeln. Schwachsinn, der aus obskuren Videofunden und dem menschlichen Verhältnis zu Waren entsteht. Eine Art Collage, in der sich erstmals bereits verwendetes Material wiederholt und in neuen Arrangements auftaucht.

 

FragMANts © NEOZOON

 

NEOZOON besteht seit 2009, die Künstlerinnen stammen aus der Bildenden Kunst und arbeiten nach dem Konsensprinzip in wechselnden Entscheidungsverteilungen. Recycling, ein Prinzip der Videomontage, zählte seit Beginn zum Handwerkszeug, erzählen sie im Interview mit arte Kurzschluss. Seit des Erfolgs von „Buck Fever“, der bei rund 30 Festivals (u.a. Rotterdam, Hamburg, EMAF, Kassel, Kiew) – und darunter bei fast allen zentralen Plattformen für Experimentalfilm und Videokunst in Deutschland – zu sehen war, erarbeiten sie sich eine wachsende Sichtbarkeit im Kino- und Festivalbetrieb, verbunden mit ersten Auszeichnungen und wachsende Produktionsmitteln. Wenn auch das Kinopublikum sich weniger vielfältig zeigt, als die Passant*innen auf der Straße, sehen NEOZOON dennoch einen großen Reiz in der konzentrierten Kino-Betrachtung, die Arbeiten wie „Love Goes Through the Stomach“ eine größere Schärfe verleiht.

 

LOVE GOES THROUGH THE STOMACH © NEOZOON

 

Was aus der ersten Schaffensphase erhalten blieb, ist insbesondere das Stilmittel der Anonymität. Die eigenen Namen zu verbergen, die eigene Kunst mit einer Aura der Verwegenheit und Kriminalisierung zu umgeben: Das sind an sich gängige Strategien der Street Art Szene, die sich NEOZOON für die einstigen Pelz-Agitationen des Stadtraums aneigneten und verspielt weiterführten. Praktisch sind die derzeit verborgenen Namen allemal, denn Grenzüberschreitungen finden sich heute für das Kollektiv im risikofreudigen Umgang mit Filmmaterial, dessen Rechtelage auf YouTube mindestens als unklar zu betrachten ist. Im Bereich des Experimentalfilms scheinen die Regeln der Aneignung heutzutage locker, die von Festivals tolerierten Freiheiten bleiben jedoch ungeschriebene Gesetze und bieten letztlich niemandem Sicherheiten.

 

NEOZOON laden ihre Arbeiten kämpferisch auf, doch interessieren sie sich nicht für eine didaktische Lesart ihres Schaffens. Für die Videoarbeiten bleibt das zentral, was vor der Kamera passiert: Der audiovisuelle Erfahrungsraum mit all seinen Missverständlichkeiten. In den besten Momenten gelingen Bestandsaufnahme einer Gegenwart und der speziesistischen Verhaltensweisen des gegenwärtigen Menschen. Nochmals: Wesentlich ist, was vor der Kamera passiert. So argumentierte auch die American Humane Association zum Hobbit, denn die bei Peter Jacksons Dreh umgekommenen Schafe seien ja nicht vor der Kamera und für die Kamera gestorben. Der Film sei also moralisch einwandfrei. Eine PETA-Klage von vor zwei Jahren gegen den größten Dienstleister für Filmtier-Einsätze in Hollywood provozierte von der betroffenen Firma genau gegenteilige Reaktionen: Birds & Animals Unlimited versuchte unwürdige Haltungsbedingungen trotz offensichtlicher Beweisvideos abzustreiten, weil sie nicht die gesamte Situation darstellen würden. Währenddessen konnten sich die Produktionsfirmen von Filmen wie „Harry Potter“ oder „Game of Thrones“ dank ihrer AHA-Zertifikate die Hände in unwissender Unschuld waschen. Verantwortung zu tragen, das ist in der oft klassisch-kapitalistischen, hierarchischen und männerdominierten Filmbranche nicht in Mode. Glücklicherweise hat das Bild seine Kraft als Beweismittel noch nicht völlig verloren.

 

Wie gegen dominante Weltbilder eine agitatorische Ästhetik in Stellung zu bringen ist und inwiefern sich eine feministische mit einer antispeziesistischen, antikapitalistischen Kunstpraxis verbinden lässt, dazu stellen NEOZOON zeitgemäße und unterrepräsentierte Fragen – und demonstrieren Perspektiven, die entgegen konservativer linker Positionen an der Emanzipation aller Bevölkerungsgruppen und Spezies interessiert sind. Das Kino hat nach 100 Jahren längst nicht ausgelernt.

 

http://www.neozoon.org

NEOZOON auf Vimeo

 

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Speziesismus