In Gefahr und größter Not, bringt der Mittelweg den Tod:
Zum Filmkollektiv Spengemann / Eichberg / Goldkamp / Hans

Porträt

Das Satanische Dickicht DREI (Willy Hans, 2017) © SPENGEMANN EICHBERG GOLDKAMP HANS GbR

Spengemann, Eichberg, Goldkamp, Hans – vier Namen erscheinen kreisförmig angeordnet nach dem Abspann einiger Kurzfilme, die seit 2014 im Kontext der HFBK Hamburg entstanden sind. Die vier Filmemacher beschreiben das aus ihren Nachnamen zusammengesetzte Logo flapsig als „Sticker“: Ein Sticker lässt sich einem Film anheften, soll ihm aber nichts überstülpen. Dafür ist das Kino als partizipative Kunstform zu vielgestaltig. Paul Spengemann, Jan Eichberg, Steffen Goldkamp und Willy Hans bilden keine Produktionsgruppe, kein Büroprojekt. Sie wollen nicht alles kontrollieren, sondern erkunden als inhaltlich ausgerichtetes Kollektiv die Möglichkeiten eines steten Austauschs; geboren aus der Entscheidung, miteinander praktisch über das Kino zu diskutieren. Das Konzept von möglichst großer Freiheit innerhalb der Gruppe scheint zu fruchten und alle nach vorne zu bringen: Die Gruppe und ihre Mitglieder fallen in der konkurrenzbewussten, hierarchischen deutschen Filmbranche auf. Innerhalb der hiesigen Kurzfilm-Landschaft zählen sie zu den sichtbarsten Nachwuchsstimmen.

 

Im August 2017 lief „Das satanische Dickicht – DREI“ (der neue Film von Willy Hans) beim Festival von Locarno. Ein Film über eine Familie, die zum See fährt, um zu Campen und Würste zu essen. Die Tochter ist ein Teenie und guckt nach Jungs, der Vater setzt sich aufs Boot und bleibt eher ein Stiller. Die Mutter kann ziemlich aufbrausend werden. Der jüngere Bruder erscheint als halbes Kind und sucht sich seine eigenen Abenteuer meistens außerhalb Bilds. Das Bild wiederum ist schwarz und weiß. Mit der Empathie füreinander hält es sich in Grenzen. Klassische Musik spielt eine große Rolle für die Logik des satanischen Dickichts: Ideen vom Teuflischen und Himmlischen, vom Grotesken und Übernatürlichen, vom Wirrwarr aus Mensch und Natur durchziehen nach und nach den Film, mal mehr mal weniger ironisch. Vielleicht sarkastisch? Mikrodramaturgien einzelner Szenen und regelmäßige Abblenden treffen auf den Wunsch, im Dickicht des filmischen Montierens doch eine verbundene Geschichte zu erzählen. Es ist ein Widerstreit spürbar zwischen dem eindringlichen Blick von Paul Spengemanns Kamera, dem zurückgenommenen Schauspiel und der profanen Rhetorik der Figuren.

 

Die satanische Nummer drei stellt die dritte Arbeit einer Reihe dar, in der sich die Zusammenarbeit der Gruppe vielleicht am bisher markantesten veranschaulichen lässt. Weil sich über die drei Teile hinweg stilistische Routinen skizzieren lassen. Auch bei den vorherigen Episoden des satanischen Dickichts übernahm Paul Spengemann die Bildgestaltung, mit ganz ähnlichen Resultaten. In diesem Fall assistierten nun zudem Steffen Goldkamp und Jan Eichberg der Regie von Willy Hans, der seine Trilogie mit ihrem Rückhalt zu einem unerwartet versöhnlichen Ende führt.

 

Was zuvor bereits zweimal funktionierte (der erste Teil erlebte seine Premiere im Wettbewerb von Oberhausen, der zweite Teil in Hamburg), führt sich hier fort, wenn auch weniger exzentrisch. Es wurde wieder auf Super16 gedreht. Lars Rudolph tritt auf – wie schon im zweiten Teil des Dickichts – diesmal als kauziger Platzwart, der sich um den Müll und ein Kaninchen kümmert. Neben Eva Löbau (zu sehen in Jan Eichbergs „Jule“) ist er das bisher bekannteste Schauspielergesicht in den Filmen der Gruppe und weckt bereits mit dem zweiten Auftritt ein Gefühl der Kontinuität. Rudolfs Erscheinen wirft motivische Fragen auf, sowohl im Bezug auf die Selbstverortung des Filmemachers Willy Hans, als auch der Gruppe als Ganze: Welche Rolle spielen hier Erfolgsstrategien und der Wunsch, prominent zu besetzen? Welche Rollengeschichte wird mit Lars Rudolph aufgegriffen und welcher Begriff eines deutschen Kinos? Vor dem geistigen Auge verbindet Rudolph das satanische Dickicht mit Béla Tarrs „Die Werckmeisterschen Harmonien“ (2000), wo er eine seiner markantesten Hauptrolle spielte – ein ikonischer Film der jüngeren Kinogeschichte über infernalisch-apokalyptische Lesarten des Politischen.

 

Der erste Teil des satanischen Dickichts markiert übrigens die erste gemeinsame Arbeit des Kollektivs nach ihren individuellen Fingerübungen für ihr Studium. Willy Hans trommelt zu der Zeit alle zusammen, zunächst zur Aufnahme einer ausgiebigen Diskussion über ein Kino, das zu der Zeit im Rahmen der HFBK stattfindet. Die vier Filmemacher bemerken beim Studieren, das viele Mitstreiter*innen inspiriert sind vom Kino der „Berliner Schule“ – vermutlich nicht zuletzt durch die Anwesenheit Angela Schanelecs als Dozentin. Erst 2013 war die stark diskursorientierte Strömung von Berliner Filmemachenden im Museum of Modern Art mit einer umfassenden Ausstellung und Buchpublikation gewürdigt worden. Voneinander unabhängige Stimmen des jungen deutschen Kinos wurden dazu fremdbestimmter als im Fall der Münchener und Kölner Filmgruppen miteinander verwoben. Im Nachahmen des Berliner Stils sehen die Hamburger Filmemacher ein Jahr später die trügerische Sicherheit einer Filmpraxis, die alle Prüfungen bestehen will.

 

„Das satanische Dickicht – EINS“ (2014) sowie die parallel entstehenden Filme „Wallenhorst“ (2014, R: Steffen Goldkamp) und „Philosophieren“ (2015, R: Paul Spengemann) sollen als Auflehnung gegen diese Sicherheit ein „pubertäres“ Kino erproben: Ein Kino, das das Scheitern als Chance begreift, sich statt Nüchternheit und Struktur auf Experimente der Überhöhung und Überspitzung einlässt. Die Gruppe will sich ein Kino im Geiste des Sturm und Drang erschaffen.

 

Wallenhorst (Steffen Goldkamp, 2014) © SPENGEMANN EICHBERG GOLDKAMP HANS GbR

Für „Wallenhorst“ durchquert Steffen Goldkamp mit Paul Spengemann die norddeutsche Provinz nahe Osnabrück. Der titelgebende Ort wird zum dokumentarischen Labor, ermöglicht eine freie Suche nach Montageprinzipien und Ereignisfolgen. Kids und Jugendliche sind wichtig, nicht nur im Schlussbild des Films. Skater gleiten gemeinsam mit der Kamera einen Straßenzug entlang. Buben blockieren unter Protest und Gekicher die Rutsche im Schwimmbad. Im Klassenzimmer schaut einer schüchtern in die Kamera, während manche cool so tun, als würden sie nichts bemerken. Draußen führt einer vor, was sein Roller kann. Immer weiter im Kreis. Daneben stehen andere mit Fahrrädern und gucken blöd aus der Wäsche. Bei Gemeinderitualen kommen dann alle Generationen öffentlich zusammen. Die Älteren, die hier leben, kennen den Ort seit ihrer Kindheit, das lassen ihre Blicke erahnen. „Wallenhorst“ ist entschlossen, Brüchigkeiten und Schnitte zuzulassen, montiert wird vor allem in Tableaus über die Bildrahmung. In kaum einem anderen Film der Gruppe ist die Kamera in sich ruhender.

 

Philosophieren (Paul Spengemann, 2015) © SPENGEMANN EICHBERG GOLDKAMP HANS GbR

 

Auch „Philosophieren“ betrachtet junge Menschen, beinahe obsessiv. Spengemann bleibt als Regisseur selbst an der Kamera und geht ohne externe Regievorgaben einem Blick nach, der durchdringender als im satanischen Dickicht funktioniert. Penetrant, teils an der Grenze zum Voyeuristischen, erweist sich sein Film im besten Sinne als aufdringlich, als nicht minder impulsiv denn seine Figuren. Zahlreiche Bilder und ungeschnittene Bewegungsfolgen stehen für sich, als Dramaturgie kann es genügen, einen kurzen Kitzel herzustellen. Eine jugendliche Gruppe macht Urlaub in einem Elternhaus und findet gemeinsam heraus, wie aus dem Haus das eine oder andere Vergnügen herauszuholen ist. Das Feuerwerk aus dem Keller trägt seinen Teil dazu bei, der Gartenschlauch bleibt nicht liegen, Getränke gibt es reichlich für ungeübte Trinker*innen. Woher die Angela Merkel Maske kommt, bleibt ein Rätsel, das nächtlichen Spukbildern jedoch nicht ihre Kraft zu nehmen vermag – ganz im Gegenteil. Viele der frischen Gesichter entlarven sich gemessen am Bildwillen der Kamera schlussendlich als maskenhaft und schablonenartig. Das braucht der Film gar nicht zu erzählen, weil er keinen Hehl daraus macht, wie er zeigen will. Niemand kann weglaufen, weil der Raum beschränkt ist und Kollisionen in der Gruppe herbeiführen soll. Die agierende Kamera montiert Bilder und Körper gleichermaßen.

 

Während Paul Spengemann sich in späteren Filmen wie „About Falling in Love and Even Little Rubber Ducks“ (2016) oder „Walking Stick“ (2017) vom Menschen zunehmend abwendet, bleibt die Herstellung eines aktiven, handelnden Blicks ein Prinzip seiner filmischen Arbeit als Regisseur. Die Konflikte seiner Kamera mit dem Körper verlagern sich insbesondere in die Filme von Willy Hans, während sich in seinen abstrakteren Regiearbeiten der letzten Jahre eine immer größere Offenheit entfaltet, die sowohl zu leichten als auch düsteren Tönen findet. In „Walking Stick“ verfolgt die Kamera ein unheimliches, animiertes Wesen, das sein Leben innerhalb eines Raums beschreitet und seine Ruhe unter dem Blätterdach einer Topfpflanze sucht. Die Kreatur legt sich mit der Kamera an, die dann wie aus Trotz und begleitet von einer Taschenlampe deren Nachtruhe stört. „About Falling in Love and Even Little Rubber Ducks“ spielt sich im gleichen Raum – im Atelier Spengemanns – ab, allerdings lebt in diesem Fall nur noch die Kamera selbst. In dramatischen Fahrten, unterlegt von aufbrausenden Klängen und Werbesprech sucht das Objektiv nach reißerischen Perspektiven und macht sich in Makros, Fahrten und Untersichten über ein Kino der übergroßen Einstellungen lustig.

Walking Stick (Paul Spengemann, 2017) © SPENGEMANN EICHBERG GOLDKAMP HANS GbR

Seit den ersten gemeinsamen Arbeiten hat sich die Gruppe von einer übergreifenden Positionierung klar zur individuellen Stilbildung gewendet und die Ursprünge an der HFBK zunehmend verlassen. Alle verfolgen, was sie inspiriert. Mittel erwirtschaften die Filmemachenden individuell, die Entscheidungshoheit über ein Projekt liegt komplett bei der jeweiligen Regie. Während Paul Spengemann sich vom Erzählkino zunehmend abwendet und sich zunehmend über Kunststipendien wie den Columbus-Förderpreis oder den New Positions Preis finanziert, schreibt Jan Eichberg heute vor allem Drehbücher und ist in der Regie derzeit weniger aktiv. Zuletzt wagte er sich 2016 mit „Jule“ an den bisher längsten und klassischsten Film, der in der Gruppe entstand. Eva Löbau gibt ähnlich wie in Maren Ades „Der Wald vor lauter Bäumen“ eine labile Frau, die sich in diesem Fall an der verkorksten Beziehung zu ihrer Schwester abarbeitet. Der Hund ist verschwunden und damit ein Konflikt geschaffen. Situationen funktionieren psychologisch. Die Kamera ist funktional. Jan Eichberg selbst taucht in seinem Film als Schauspieler auf und gibt einen unangenehmen Esoteriker. Zuletzt steht er in Steffen Goldkamps „Western Union“ (2018) vor der Kamera.

 

Goldkamp wiederum hatte mit „L’été espérée“ (2016) zunächst seinen halbdokumentarischen Stil weiter ausgearbeitet, bevor er mit „Western Union“ erstmals das fragmentarische Filmerzählen mit Schauspielern erprobte. Für seinen kommenden Film arbeitet er erstmals nicht mit Paul Spengemanns Kamera. Gedreht werden soll im Jugendknast – nach der Stadt, dem Dorf und der Wüste somit wieder in einem klar definierten Raum. Die kurze Filmform habe das Potenzial, experimenteller zu sein, als der Langfilm, meint die Gruppe im Gespräch. Spengemann sieht lange Rezeptionsformen in der Krise, machte seine letzten beiden Arbeiten dezidiert kurz und zeigt sie regulär als Loops in Galerien. Dennoch kann ein guter Film ja im Grunde nicht lang genug sein. Willy Hans nimmt diese Idee beim Wort und arbeitet derzeit mit der Hamburger Produktionsfirma Fünferfilm seinen ersten Langfilm aus.

 

Western Union (Steffen Goldkamp, 2018) © SPENGEMANN EICHBERG GOLDKAMP HANS GbR

 

Die Arbeit der Gruppe folgt anders als materialpolitische Initiativen wie die Kieler Filmgruppe Chaos, die Wiener Filmkooperative, oder etwa das Labor Berlin nach wie vor keinem ästhetischen Programm und verweigert sich der Logik von Wirtschaftsgruppen wie SCHMIDTZ KATZE oder Komplizen Film. Dennoch bezeichnen sich Spengemann, Eichberg, Goldkamp und Hans ungezwungen als Kollektiv. Ein Begriff, der einst utopisch anklang und heute beinahe aus der Mode gekommen scheint. „Kollektiv“, das tönt heute heute, in Zeiten verschwimmender Politisierungen, nach einem bloßen Label, eben nach einem Sticker. Als Reaktion darauf betont die Hamburger Gruppe die zentrale Rolle von Freundschaft für ihre Verbindung. Die Sache ist simpel: Man arbeitet miteinander, weil man sich seit Jahren kennt. Weil man sich etwas zu sagen hat und sich inspiriert. Mit anderen wäre das so nicht reproduzierbar.

 

Damals beim Sturm und Drang waren die Männerbünde ja bekanntlich auch recht freundschaftlich aufgestellt, fungierten da allerdings auch als eine ungenierte Form der gegenseitigen Bestärkung, zur Statusbildung und zur Ausweitung eines eingeschränkten Wirkungskreises. Männerfreundschaften genießen in der gegenwärtigen Kunstpraxis einen Beigeschmack des Reaktionären. Doch die innige Freundschaft als Basis des Arbeitens, verkörpert sie heute, in Zeiten der inflationären und vereinnahmten Kunst, nicht auch mehr denn je ein hohes Gut? Die Idee einer Integrität, die sich als Gruppe gegen die Wirren der Verwertung verteidigen lässt? Wie so oft scheint die Wahrheit dazwischen zu liegen, wird im Fall von Spengemann, Eichberg, Goldkamp und Hans jedoch hoffentlich nicht zum freundschaftlich-routinierten Mittelweg durch ein neoliberales Dickicht, das sich am Ende weder vom satanischen, noch vom himmlischen noch bezaubern lässt. Ein teuflisches Kino in Deutschland, das gab es schon einmal, davon ließe sich doch wieder träumen! Und weshalb eigentlich diese Beschränkung auf Freundschaft? Auch die gescheiten Feindschaften braucht es!

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