Studio Filmbilder

Von der Kunst des kreativen Spagats

DER KLOANE (Andreas Hykade) © Studio FilmBilder

DER KLOANE (Andreas Hykade) © Studio FILMBILDER

Im Animationsfilmbusiness gilt eine einfache Regel: wer vom Animationsfilm leben können will, muss den Spagat zwischen Kunst und Kommerz beherrschen. Diesen Spagat auf Dauer auszuhalten, ist nicht immer einfach und kann leicht zu kreativem Muskelkater führen.

Um dieser Erschöpfung vorzubeugen, hat der Animationsfilmemacher Thomas Meyer-Hermann eine Struktur geschaffen, die ihm den Spagat zwischen unabhängigen Projekten mit künstlerischen Anspruch und Auftragsarbeiten erleichtern soll: sein Studio FILMBILDER ist angelegt wie eine Brücke, die es ihm (und einer ganzen Reihe weiterer Filmemacher) erlaubt, mit beiden Beinen sicher auf unterschiedlichen Feldern zu stehen.

Diese Brücke nutzen nun seit mehr als 20 Jahren Künstler wie Andreas Hykade, der mit seiner aufs nötigste reduzierten Zeichentechnik einen unverwechselbaren, sich stark am Comic orientierenden Stil geprägt hat und dessen Arbeiten vor einigen Jahren sogar in einer Werkschau im renommierten Museum of Modern Art in New York gezeigt wurden. Mit seinem aktuellen Kurzfilm LOVE & THEFT (2010) hat er eine ganz neue Ästhetik für sich entdeckt und morpht munter hunderte Comiccharaktere ineinander. Dieser intelligente, hintersinnige und ausgesprochen rhythmische Kommentar auf die Urheberschaft von Ideen und die nicht aufzuhaltende Evolution der Zeichen lief sehr erfolgreich auf deutschen und internationalen Festivals. Hykade hat wie Thomas Meyer-Hermann selbst in Stuttgart bei Alfred Ade, dem späteren Gründungsdirektor der Filmakademie Ludwigsburg, studiert. Sowohl die Kunstakademie in Stuttgart als auch die Baden-Württembergische Filmakademie sind wichtige Orte im Universum der Studio FILMBILDER: viele, die mit dem Studio zu tun haben, haben hier entweder ihr Handwerk gelernt oder das Curriculum als Lehrende geprägt.

Auch Daniel Nocke, der sowohl als Drehbuchautor für fiktionale TV-und Kinofilme (u.a. SIE HABEN KNUT und SOMMER 04) als auch als Kurzfilmemacher (siehe das Portrait über ihn hier) bekannt geworden ist, hat in Ludwigsburg studiert. Wenn ihm seine Arbeit als Drehbuchautor Zeit lässt, macht er alle paar Jahre wieder animierte Kurzfilme, die bisher alle in Zusammenarbeit mit dem Studio FILMBILDER entstanden sind. Zuletzt waren das die ausgesprochen komische Mini-Charakterstudie einer Wildtier-WG KEIN PLATZ FÜR GEROLD (2006) und 12 JAHRE (2010), in dem eine herzzerreißende Trennungsszene zwischen zweier ungleichen Partnern für Lacher sorgt.

Auch Gil Alkabetz, der zuletzt mit DER DA VINCI TIMECODE (2009) auf vielen Festivals erfolgreich war, arbeitete einige Jahre mit Meyer-Hermann im Stuttgarter Studio, bevor er diesen Produktionszusammenhang 2001 verließ, um sich verstärkt internationalen Lehraufträgen zu widmen. Im FILMBILDER Studio entstanden zum Beispiel YANKALE (1995) und RUBICON (1997), seine auch heute noch vielleicht bekanntesten Filme.

Mit Animationsfilmemachern wie Phil Mulloy (THE FINAL SOLUTION 2004) und Louis Zoller (DIE STRAFE GOTTES 2004) arbeitete das Studio temporär zusammen und eine ganze Reihe von Animatoren arbeiten seit vielen Jahren im Studio daran, außer Kurzfilmen auch Musikvideos, Trailer, Werbeclips und Titelsequenzen in den verschiedenen Tricktechniken zu verwirklichen.
Allen filmischen Ergebnissen, die im Studio entstehen, egal ob Werbeclip oder Kurzfilm, ist eines gemeinsam: sie wurden von Thomas Meyer-Hermann produziert. Er leitet seit nun mehr als 20 Jahren die Geschicke des Studios.
Obwohl im Großraumbüro in Stuttgart fast alle Animationstechniken zur Anwendung kommen und viele verschiedene Animatoren unter dem Dach der Firma gearbeitet haben, hat sich über die Jahre doch ein typischer FILMBILDER Stil heraus gebildet, der – mit Ausnahmen – eher durch reduziert gezeichnete und stark typisierte Charaktere auffällt als durch naturalistische Darstellungsweise. Die Figuren, die die Filme bevölkern, sind meist mit wenigen Strichen skizziert und zeichnen sich durch einen großen Wiedererkennungswert aus. Obwohl viele Protagonisten des FILMBILDERuniversums auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, einem harmlosen Comic entsprungen zu sein, macht der schwarze Humor der Geschichten und eine starke Affinität zur sexualisierten Machogeste diesen Eindruck schnell wieder zunichte.

Studio FILMBILDER hat in den letzten 20 Jahren bis auf wenige Ausnahmen eher „Jungsfilme“ gemacht. Die sind mal spröde, minimalistisch und mit einem Hang zur Psychoanalyse wie Andreas Hykades WE LIVED IN GRASS (1995) und DER KLOANE (2006), mal hysterisch bunt und auf pubertäre Weise lustig wie bei Ged Haneys MILK MILK LEMONADE (2010) oder bitterböse satirisch wie in THE FINAL SOLUTION (2004) von Phil Mulloy.
Meyer-Hermanns selbst hat vor allem in den Anfangsjahren des Studios eigene Animationsfilme als Regisseur verwirklicht. Sein bekanntester Film dürfte DIE SCHÖPFUNG (1994) sein, ein klassisch mit Bleistift auf Papier gezeichneter Kurzfilm. In einer fließenden Animationsfolge sehen wir, wie es direkt nach dem Urknall ausgesehen haben könnte. Untermalt von der Musik Joseph Haydns entwickelt sich auf einem weißen Blatt Papier eine komplexe Welt voller seltsamer Lebewesen in einem endlosen Zirkel von Entstehen und Vergehen. Kurz bevor der Schöpfung die Krone aufgesetzt werden soll, kommt es allerdings zu einem folgenschweren Zwischenfall der dafür sorgt, dass die Weltgeschichte eigentlich umgeschrieben werden müsste“¦. Der Film wurde unter anderem beim Kurzfilmfestival in Tampere ausgezeichnet und lief auch auf vielen internationalen Festivals.

Auf DIE SCHÖPFUNG folgte – allerdings schon mit fünf-jährigem Abstand – KARL ANTON, eine Mini-Serie aus sieben 30-sekündigen Clips, die in reduzierter 2D-Comicanimationstechnik Einblick geben in das Leben des kleinen Karl Anton, der überzeugt davon ist, ein Rockgenie zu sein, aber leider ein paar Schwierigkeiten hat, auch seine Umwelt davon zu überzeugen. Der wütende kleine Karl Anton blieb bis heute der letzte Protagonist Thomas Meyer-Hermanns Filmografie als Regisseur. Die Gründe dafür, sich ab 2000 vollständig auf Produzieren zu konzentrieren, beschreibt Meyer-Hermann so:

Mich hat schon während der Produktion von DIE SCHÖPFUNG das zweigleisige Fahren so gestresst, dass ich mich entschieden habe, nicht mehr gleichzeitig als Produzent und Regisseur zu arbeiten. Mit anderen Worten: ich habe beschlossen, zunächst keine eigenen Filme mehr zu machen, sondern mich auf meine Tätigkeit als Produzent zu konzentrieren.

Eine Entscheidung, die ihm nicht leicht fiel, hatte er doch das das Studio ursprünglich gegründet, um sich selbst das freie Filmemachen zu ermöglichen. Die Vereinigung aller Positionen in Personalunion sei aber eben doch zu aufreibend – zumindest, wenn man eine langfristige Perspektive im Auge hat und nicht nur für sich selbst, sondern für eine ganze Studiostruktur die Verantwortung hat.

Der Animationsfilm ist häufig stark arbeitsteilig organisiert. Deshalb braucht es, um immer wieder solche „animierten Autorenfilme“ zu verwirklichen, wie man sie von Daniel Nocke oder Andreas Hykade gewohnt ist, den Schutzraum einer solchen Struktur. Das Studio schafft einen Raum, in dem sich die Filmemacher immer wieder die Freiheit nehmen können, die normale Arbeitsroutine eine Animators zu durchbrechen und sowohl beim Drehbuch schreiben als auch bei der ästhetischen Umsetzung und der Animation „den Hut aufzuhaben“.

Ermöglicht wird dieser Freiraum durch das wohlorganisierte zweite Standbein des Studios, das von Anfang an auch professionelle kommerzielle Aufträge umgesetzt hat und sich neben der Animation von Einzelsequenzen für Spielfilme (z.B. für Tom Tykwers LOLA RENNT 1998) und Werbeclips vor allem einen Namen mit Musikvideos gemacht hat. Dabei sind die Künstler, die in diesem Bereich arbeiten, häufig die gleichen, die unter dem Dach des Studio FILMBILDER Dach ihre freien Kurzfilme verwirklichen – mit Unterstützung des Produzenten Thomas Meyer-Hermann.

Von Andreas Hykade stammen zum Beispiel die Videos zu ZEHN KLEINE JÄGERMEISTER (1996) und WALKAMPF (2004), zwei Songs der Fun Punk Band „Die Toten Hosen“. Trotz ihrer jeweils individuellen Umsetzung blieben beide deutlich als Hykade-Filme zu identifizieren. Nicht weniger emblematisch ist das namenlose Strichmännchen, das Hykade für Gigi D’Agostino Hits „Bla Bla Bla“ und „The Riddle“ ersann. Auch wenn diese Musikvideos ganz klar zu den Auftragsarbeiten zählen, betont Meyer-Hermann, dass den Autoren in diesem Bereich sehr viel kreative Freiheit gelassen wurde. Vor allem in den 90ern, als das Genre Musikvideo boomte, zeigten sich die Auftraggeber bewusst experimentierfreudig, so dass man sogar davon sprechen könne, dass hier „zeitweise beide Gleise zusammengelaufen sind. Die Musik-Clips waren zwar kommerziell, ließen aber gleichzeitig fast jeden Raum für eigene Ideen„. Solche Arbeitsbedingungen sind es, die Thomas Meyer-Hermann gern verstetigen würde.

Zur Studiogründung vor 20 Jahren habe ich keine andere Chance gesehen, als zweigleisig zu arbeiten, mein Traum ist aber, dass diese beiden Gleise am Ende zusammen laufen, dass man also künstlerische Produktion und kommerzielle Auswertung erreicht – bei ein und demselben Projekt.

Dass die Voraussetzungen dafür heute besser zu sein scheinen als vor zwanzig Jahren, führt Meyer-Hermann zum einen auf die neuen technischen Möglichkeiten zurück, die „es erlauben, das Publikum direkt zu erreichen. Wenn man seine Filme via YouTube Channel oder per App vertreibt, stehen plötzlich keine Fernsehredakteure oder Kinoverleiher mehr dazwischen, die einen bremsen. Man bekommt einfach eine direktere Verbindung und viel mehr Resonanz.

Trotz anfänglicher Vorbehalte gegenüber YouTube macht das Studio FILMBILDER seit einem Jahr seine Arbeiten in einem eigenen Channel im Internet zugänglich und ist überwältigt von der großen Resonanz. Mit 15 Millionen Klicks sei die oft gehörte Behauptung vieler TV-Redakteure, es gäbe kein großes Publikum für die FILMBILDER-Filme, wohl widerlegt, schmunzelt Meyer-Hermann.

Zusätzlich dazu erschließt sich das Studio seit 2005 ein ganz neues Publikum. Der von Andreas Hykade entwickelte Charakter Tom ist inzwischen zu einem wichtigen Aushängeschild des Studios geworden. Seit im November 2005 die erste Folge von TOM UND DAS ERDBEERMARMELADEBROT MIT HONIG ausgestrahlt wurde, hat sich der bebrillte Held im blauen Kleid zum Dauerbrenner entwickelt. Die Serie wird auf dem KiKa ausgestrahlt und ist für Kinder zwischen 3 und 8 Jahren gedacht. Ende dieses Jahres soll die 52. Folge fertig gestellt werden. Tom läuft und läuft, immer auf der Suche nach einem Erdbeermarmeladebrötchen mit Honig. Wiederholungen spielen eine wichtige Rolle in dem 5-Minuten-Format, das Hykade zunächst als interaktiven Mitspielfilm entwickelt hat und das heute im kindgerechten Tom-Portal auch im Internet verfügbar ist. 2009 gewann Andreas Hykade mit dem Internetauftritt der Figur einen Grimme-Online-Award und arbeitet seitdem daran, mit seinem anarchischen Humor das Kinderfernsehen aufzumischen.

Mit TOM UND DAS ERDBEERMARMELADEBROT MIT HONIG sei dem Studio zum zweiten Mal nach den Musikvideos das Kunststück gelungen, von einem kreativen Autorenansatz auszugehen und trotzdem ein großes Publikum zu erreichen. Hier sei es also wieder gelungen, die beiden Gleise in eins laufen zu lassen, so Meyer-Hermann. Nun komme es darauf an, sich die Kreativität zu bewahren und immer wieder die Grenzen des Mediums auszutesten. Meyer-Hermann sieht seine Funktion als Produzent des Studios denn auch darin, für die Regisseure einen Raum zu schaffen, in dem sie ihrer Experimentierfreude nachgehen können und trotzdem – oder gerade deswegen – ihre Arbeiten auswerten können und neue Projekte finanziert bekommen. Meyer-Hermann ist in den letzten 20 Jahren vom Regisseur zum Produzenten geworden, eine Arbeit, die wie er sagt, nur mit ganz viel Lust und Kreativität erfolgreich zu bewältigen ist. Auf den Muskelkater, den ein andauernder persönlicher Spagat zwischen Kreativität und Kommerz auslösen kann, verzichtet er momentan. Denn mit der Herausforderung, eins der bekanntesten Animationsstudios Deutschlands ins dritte Jahrzehnt zu steuern, wird auch eine Menge kreativer Energie verbunden sein.

von Luc-Carolin Ziemann

Linkliste:
Webseite des Studio FILMBILDER
www.filmbilder.de
YouTube Channel des Studio FILMBILDER
www.youtube.com/user/filmbilder
Webseite von Andreas Hykade
www.hykade.de
Webseite von TOM UND DAS ERDBEERMARMELADEBROT MIT HONIG
www.kindernetz.de/tom
YouTube Channel von TOM UND DAS ERDBEERMARMELADEBROT MIT HONIG
www.youtube.com

Original Page