Mariola Brillowska

Kritische Weltenwanderin zwischen den Künsten

AN DAS MORGENGRAUEN © Mariola Brillowska

AN DAS MORGENGRAUEN © Mariola Brillowska

Einmal da hat sie es ausgerechnet. Hat ihre künstlerische Arbeit reduziert auf die bloßen produzierten Filmminuten. Gerade einmal zwanzig Minuten sind das pro Jahr. Und sie hat weitergezählt: „Die Zeiten, die Szenen, die Sekunden, die einzelnen Zeichnungen, die ich Eck-, Zwischen- und Reinphasen nannte. Mein künstlerisches Vorhaben rechnete ich von nun an in Mengen, in Arbeitsabschnitten.“
Und vielleicht ist es, weil Mariola Brillowska bereits auf über 20 Jahre als Filmemacherin zurückblicken kann, dass sich da auch ein wenig Lakonie mit in ihre Erzählung mischt, wenn sie darüber berichtet wie langwierig jedes Filmprojekt aufs Neue ist und wie viel Zeit sie in all den Jahren investiert hat: „Hundert Hintergründe, tausend Skizzen, zehntausend Reinphasen auf Papier, auf Folie, koloriert, korrigiert, abfotografiert, kopiert, montiert, vertont, synchronisiert, gemastert, geprintet, projiziert, postproduziert, mit der Hand, mit analogem Equipment, mit dem Computer.“ Sie nennt Trickfilm „eine schöne Schneckeraupe, die sich immer wieder zum Schmetterling zwischen Film und bildende Kunst entpuppt, die aber nicht schneller werden kann.“

Aber sie nur als Filmemacherin zu beschreiben greift deutlich zu kurz, ihr Schaffen reicht über den bloßen Animationsfilm hinaus, denn die Animation ist für sie nur ein Vehikel um ihre Inhalte zu transportieren. Sie ist eine Künstlerin die sich für ihre Arbeiten virtuos verschiedenster Genres bedient: Performance, Musik, bildende Kunst und Literatur gehören zu ihr wie ihre bunten Haare und die schrillen Outfits. Sie ist selbst zu einer Kunstfigur geworden. Sie inszeniert sich selbst, wie sie auch ihre Arbeiten inszeniert. Ein Gesamtkunstwerk, sie ist ihre eigene Kunstgattung. Nichts passiert zufällig: Ihre Inszenierung wirkt nicht nur nach außen sondern auch tief in ihre Arbeiten hinein. Neben den Animationen zeichnet sie auch als Autorin der Texte, Lieder und Gedichte ihrer Filme verantwortlich. Sie leiht ihren Filmen nicht nur ihre Stimme, sondern spielt als Sprecherin Rollenspiele mit ihrem Künstler-Ich. In Filmen wie MORGENRÖTE (1999), STEINIGES KIND (2006), I YOUR NICOTINE (2009), TRÄNEN ROLLEN (2009) oder AN DAS MORGENGRAUEN (2011) erschafft sie so poetische Kleinode mit persönlichem und ironischem Unterton.

Wer also ist Mariola Brillowska? Natürlich könnte man an dieser Stelle aus ihrer Biografie zitieren, um etwas über sie zu erfahren. Aber auch hier hat die Künstlerin vorgesorgt, auch hier verschwimmen Fakten und Fiktion, ist die eigene Geschichte nur der Stoff aus dem sie ihre Erzählungen webt. Aufgewachsen ist sie im polnischen Zoppot, ein Ort,  angeblich so grau, dass Mariola Brillowska dadurch ihre Obsession für grelle poppige Farben entwickelte und nach Abschluss der Schule von dort floh. Sie zog nach Hamburg und studierte von 1985 bis 1991 and der Hochschule für bildende Künste, wurde teil der Hamburger Untergrundkunstszene, zu der sie auch heute noch gehört.
Nicht nur die intensiven Farben sind seither ihr Markenzeichen, auch die minimalistischen Figuren, die manch einen an Zyklopen erinnern mögen, sorgen für einen starken Wiedererkennungswert. So hat sie ihre ganz eigene Bildsprache entwickelt, die sich sehr von der in Teilen der Animationsszene weit verbreiteten Niedlichkeit im Figurativen distanziert. Ihre Zeichnungen sind  effizient und markant, so dass gerne behauptet wird, Brillowska sei keine klassische Animationsfilmerin. Obwohl oder vielleicht auch gerade weil sie manch einem mit ihrem eigenwilligen Stil als eine Art Enfant terrible der Animationsszene gilt, lehrt sie seit 2007 an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach als Professorin für Freies Zeichnen und Illustration. Wie sehr sie ihre Studenten auch zu freiem Denken inspiriert wird in deren Arbeiten deutlich, auf die sie selbst auch enorm stolz ist.  Zu finden unter: www.mariolabrillowska.org/academy.html

Thematisch hat Brillowska einen eindeutigen Fokus: die Themen Sexualität und Beziehung, Fortschritt und Wirtschaft, insbesondere als Kritik am Kapitalismus und Kriminalität oder besser noch das Verbrecherische Handeln der Menschen stehen im Mittelpunkt ihrer Arbeiten.
Wobei es ihr in ihren Filmen immer um eine Analyse der Gesellschaft in all ihren Facetten geht. Brillowska stellt zur Schau was andere gern verschweigen und zeigt sich als eine präzise Beobachterin unserer Zeit. In der Filmwelt der Mariola Brillowska treibt die Idee des Kapitalismus perfide Auswüchse – alles und jeder ist käuflich und verkäuflich. Sie greift aktuelle Trends und Ideen auf und denkt sie wie z.B. in THE LAW OF CELLY (2011) bis bin in letzter Konsequenz zu Ende. Auch ihre Langfilme KATHARINA & WITT (1997) und KINDER DES TEUFELS (2010) sind Zukunftsszenarien einer gefühlskalten und übertechnisierten Menschheit. Das ganze verpackt sie in ein animiertes postsozialistisch anmutendes Ambiente aus farbenfrohem Zeichentrick. Gleichzeitig sind diese Fantasien aber auch so erschreckend, dass man es mit der Angst bekommen könnte, wäre da nicht der subtile Humor und das wunderbare Spiel mit Sprache und Form, das alle Filme von Mariola Brillowska durchzieht.

Auch das Thema Sex zieht sich wie ein roter Faden durch das Oeuvre der Künstlerin. Lust wird in ihren Filmen immer bis zur Extase und manchmal sogar bis zum Tode ausgelebt und natürlich ausführlich kommentiert. Innere Stimmen und Überlegungen werden verbalisiert und Handlungen nicht nur gezeigt sondern eben auch ausgesprochen.
Diese Explizität ist untypisch für Animationsfilme. Gleichzeitig ist Sex für Brillowska nur Mittel zum Zweck. Ihr erster Animationsfilm GRABOWSKI, HAUS DES LEBENS (1990) zum Beispiel greift sowohl Tod als auch Sexualität auf und führt die Figur der Femme Fatale Lola ein, die auch in weiteren Filmen wie zum Beispiel DER MANN GEHT IN DEN KRIEG (1992), ERYK IM SEXIL (1993) und LOLA ALLEIN ZU HAUS (2006) genutzt wird. Ihre Filmfigur Lola steht stellvertretend für die emanzipierte Frau, die sich nimmt was sie braucht, sich aber auch gebrauchen lässt. Grabowski selbst ist ein polnischer Totengräber auf einem deutschen Friedhof, der ein Faible für polnische Zigaretten hat und für die schnelle Bearbeitung der Todesfälle als Witwentröster arbeitet. Als Lola auftaucht, entsteht für ihn eine sexuelle Begehrlichkeit, die sich von der Abhängigkeit der Witwen unterscheidet und die nicht gut enden kann. Bereits in GRABOWSKI, HAUS DES LEBENS greift Brillowska die Migrationsproblematik auf, die auch später immer wieder Thema in ihren Filmen sein wird. Sie lässt ihren Polen über die westliche Welt und das konsumorientierte Leben sinnieren, das er gleichzeitig auch in sexueller Hinsicht ausnutzt und genießt und dass schlussendlich den Tod bringt. Diese Divergenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist ein Thema, dass Brillowska immer wieder reizt.

Mariola Brillowska ist nicht nur eine Weltenwanderin zwischen den Künsten sondern auch zwischen den Kulturen. Ihre Filme spiegeln auch nach über 30 Jahren in Deutschland ihre immer noch starke, wenn auch deutlich ambivalente Beziehung zu Polen wider. Nicht nur ihr polnischer Akzent, den sie pflegt, sondern auch ihre polnische Satzstellung und Wortwahl in der deutschen Sprache mit der sie virtuos umzugehen weiß, sind Ausdruck dieser Ambivalenz. Und viele ihrer Filme thematisieren Polen oder spielen auf polnischem Territorium. Besonders deutlich wird das in dem in Danzig angesiedelten Film CONTR-CONTRAS (1996) über die Absurditäten von Abstammung und Nationalität.

Mittlerweile ist auch Brillowskas Familie Teil ihres großen Filmuniversums. Grundlage für ihren Film ALLERGIETEST (2011) zum Beispiel ist eine Spielszene von Tochter Bela und Freund Felix Kubin. Sie spielen Ärztin und Patient und Frau Dr. Brillowska hat einige sehr merkwürdige Diagnosen im Angebot und verordnet noch merkwürdigere Behandlungsmethoden. Mariola Brillowska dokumentiert diese Episode aus der Kinderwelt ihrer Tochter auf ihre ganz eigene Weise fernab von den üblichen Homevideos, in dem sie daraus einen farbenfrohen Trickfilmdialog zwischen Engel und Teufel inszeniert.
An Ideen mangelt es Brillowska bis heute nicht. Und auch wenn es ihr selbst manchmal mit ihrer Arbeit nicht schnell genug voran geht, und bei all der Langsamkeit, die das Medium Trickfilm in der Produktion mit sich bringt, so zeigt doch ein einziger Blick auf ihr Werk wie ungeheuer produktiv sie diese Zeit bisher genutzt hat. Dabei hat sie Filme geschaffen, die von ihrer Bildsprache wie von ihren Themen relevant waren, sind und bleiben: Sie sind in ihrer Zeitlosigkeit immer aktuell.

Annegret Richter

Filmografie:

1990    Grabowski, Haus des Lebens
1992    Der Mann geht in den Krieg
1993    Eryk im Sexil
1994    Fifi
1994    Visa Víº
1995    Man Comes Home
1995    Man In Action
1996    Flash Fairy
1997    Der falsche Spieler
1997    Die Contr-Contras
1999    Morgenröte
2001    Hotel Super Nova
2003    Alle Welt ist Angst
2005    Matki Wandalki
2005    Porno Karaoke International
2006    Schwarze Hand
2006    Steiniges Kind
2007    Hond Aerobic
2007    Das Handygesetz
2008    Ruski Make Up
2008    Unnahbare Liebe
2008    Liebe Stirbt
2008    Handylicht
2008    Du Schläfst
2008    Die Tränen Kullern
2008    Darwin Auferstehe
2009    Ich dein Nikotin
2009    To Be Around
2010    Wahrheit
2010    Ruhe Niemals In Frieden
2010    Olympia Club
2010    Mein Gleichgewicht Schwindet
2011    An das Morgengrauen
2011    Der Allergietest
2012    Olympia Contemporary Art Club
2012    Blumen für Van Gogh

abendfüllende Filme

1992    KATHARINA & WITT, FICTION & REALITY screenplay
1997    KATHARINA & WITT, FICTION & REALITY
1997    CHILDREN OF THE DEVIL screenplay
2009    UNDER CONTROL compilation with cartoons of her and her students
2010    CHILDREN OF THE DEVIL
2011    PARALLELES UNIVERSUM 3.0 compilation with cartoons of her and her students

Links:
mariolabrillowska.com
vimeo.com/mariolabrillowska
vimeo.com/mbrillowskaclass

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