Jonatan Schwenk
Erst die Geschichte, dann die Animation

ZOON © Jonatan Schwenk

 

Verzückt pflückt der Zweibeiner den ebenfalls selig lächelnden Axolotl von der Erde und steckt ihn sich in den Mund. Das reine Glück. Die Hände, filigrane Stabpuppen-Hände, greifen dabei erst tastend, dann gierig nach den süßen Stop-Motion-Wesen. So viel Nuancen und Animationstechniken in einem kleinen Moment finden sich ständig in Jonatan Schwenks ZOON. Da geht doch jemand absolut auf im Medium Animation oder etwa nicht? „Die Animationstechnik an sich ist mir eigentlich nicht so wichtig“, sagt dann der 34-jährige Independent Filmemacher und Animator im Gespräch überraschend. „Sie ist nur der notwendige Weg, das zu erzählen, was ich erzählen will“. Animation als praktisches, haptisches Handwerkszeug und als Mittel zum Zweck. Diese Auffassung steht im Kontrast zu romantisierenden Rezeptionen von Animation, die das Medium fast schon ehrfürchtig als passioniertes traumwandlerisches Versunkensein überhöhen. Und sie steht andererseits im Kontrast zum Technikfokus, den Viele auch innerhalb der Animationsbranche selbst haben. Vielleicht ist es diese Herangehensweise, die man Jonatan Schwenks hybriden und haptisch anmutenden Filmen so anspürt. Und die ihm schon einige Erfolge bescherte: Sein SOG (3D Digital, Puppen, Live-Action und 2D Digital) von 2017 wurde über 40-mal international mit Preisen und Special Mentions ausgezeichnet, unter anderem mit dem Cristal als bester Studentenfilm in Annecy. Sein aktueller Film, ZOON, ist gerade im internationalen Festivalbetrieb unterwegs, hatte beim Sundance Film Festival im Januar seine Weltpremiere. Im Juni 2022 folgten das Animafest Zagreb und das Kurzfilm Festival in Hamburg. Auch für den NEXT GENERATION SHORT TIGER, dem Talent-Showcase von German Films, das jährlich eine Selektion von studentischen Filmen in Cannes und danach weltweit präsentiert, wurde ZOON ausgewählt.

 

Hybrides Erzählen vom Menschsein

Die einzelnen, erzählten Szenen sind bei Schwenk vielleicht gerade aufgrund der oft handgearbeiteten Details mikrokosmisch und kreaturenzentriert, aber inhaltlich steht in seinen Filmen das ganze Menschsein im Fokus. Dabei hält es Schwenk mit der Koryphäe des filmischen Storytellings, Robert McKee, sprich, er möchte „eine möglichst allgemeingültige Geschichte erzählen, aber dafür möglichst viele Bilder finden, die man noch nicht so kennt“ Und die schlussendlich Identifikation für möglichst viele Zuschauer*innen bedeuten können. In SOG geht es jedenfalls um nicht weniger als Darwin und Hobbes. Nach einer Flut hängen Fische in den Bäumen und brüllen. Ihre permanenten Schreie treiben die dort lebenden Höhlengeschöpfe erst zur Verzweiflung und dann zur Weißglut. Mit schwerwiegenden Konsequenzen. Diese Begegnung der Andersartigkeit buchstabiert Schwenk auch formal aus: Fisch-Puppen und 3D-Gestalten begegnen sich animationstechnisch als Fremde.

 

SOG © Jonatan Schwenk

 

SOG ließ sich als zeitlose Parabel schauen, aber zeitlich passte er auch gut in die gesellschaftlichen Diskussionen um Geflüchtete in Deutschland nach 2015. Wobei das Zeitlose, Parabelhafte und das Menschsein als solches Jonatan Schwenk dann aber doch intensiver beschäftigen als das konkrete politische Moment. Denn auch in ZOON (lateinisch: Wesen) treffen zwei Spezies aufeinander, von denen die eine die andere darwinistisch in ihre Schranken weist. Nur, dass hier die Axolotl Spaß daran haben, gefressen zu werden, und die Zweibeiner wiederum ebenfalls Teil einer deterministischen (Verwertungs)kette sind.

 

Vorbilder? Eigene Bilder!

Während SOG fast schon naturalistisch bedrückend anmutet mit seiner kargen Baumlandschaft und den lichtlosen Höhlen, wirkt ZOON trotz potentiell apokalyptischer Lesart eher surrealistisch – und sogar etwas augenzwinkernd. Das liegt zum einen an der bewusst gewählten, fast schon kitschigen Himmelwolkenlandschaft, in der das Finale des Films stattfindet, und zum anderen an den Augen und Mündern (sowie Füßen und Händen), die Jonatan Schwenk auf beide Wesen digital handgezeichnet hat.

ZOON © Jonatan Schwenk

 

Ein tonaler Wechsel: „Nach SOG brauchte ich was Positiveres, nicht so was absolut Dystopisches“, sagt Schwenk, und auf die Farbe es Himmels angesprochen, fügt er hinzu: „Ich mag das Konzept des Magischen Realismus“. Inspirationen sind dazu passend auch Studio Ghibli Produktionen, in denen die reale Welt oft in die magische hinübergleitet, ohne dabei gleich Science Fiction zu werden. Aber es gibt keinen fixen Kanon, an dem sich Schwenk reibt oder Vorbilder, denen er bewusst nacheifert. Im Gegenteil: Oft liest er jetzt noch lieber abends, als sich das nächste Bildgewitter aus dem Netz reinzuziehen – einerseits um die Reizüberflutung zu stoppen und andererseits, um der eigenen Ideenwelt einen größeren Raum zu geben. Sein All-time-Favorit ist dann aber zumindest Literaturkanon: „Herr der Fliegen“ von William Golding. Der Klassiker glänzt mit einem ziemlich pessimistischen Menschenbild, das auch Jonatan Schwenk zeitweise begleitet, obgleich er mit seinen Filmen auch immer konstruktive, positive Auswege anbieten möchte.

 

Von der Umkleide ins Animationsstudio

Die totale Bildimmersion vermeiden – diese Alltagsnavigation hat vielleicht ihre Wurzeln in Schwenks Kindheit. Schwenk wuchs ohne Fernseher auf und der Animation näherte er sich zuerst hobbymäßig im Jugendalter: In einer umfunktionierten Sportumkleide seiner Göttinger Schule animierten er zusammen mit Freunden einen ersten Stop-Motion-Film, einen unterhaltsamen 8-Minüter. Aardman war die große Referenz, es sollte lustig sein. Erst im Studium entdeckte Schwenk dann für sich, wie gut Animation auch für die ernsteren Stoffe funktioniert, die er eigentlich erzählen will.

 

Es folgten die ersten Filme im Studium – mit menschlichen Figuren, von denen er sich dann später mit SOG und ZOON verabschieden sollte. SISYPHOS BLUES von 2009 zum Beispiel, im ersten Semester Offenbach realisiert, eine Kombination aus Knetanimation und Zeichnung. Hier buchstabiert Schwenk die Alltagshamsterräder aus Arbeit und kurzweiliger Ablenkung aus, komplett mit Sisyphos-Stein. Doch schon in MAISON SONORE von 2011 zeigte sich Schwenks Orientierung hin zur nicht-ganz-auflösbaren Metapher, klingt seine Vorliebe für den Magischen Realismus an. MAISON SONORE, der auf über 20 internationalen Festivals lief, darunter in Annecy, beleuchtet das Mit- oder eher Nebeneinander verschiedener Parteien/Etagen eines Mietshauses. Irgendwo klopft ein Handwerker auf die Wasserrohre, anderswo stehen Menschen in einer ewigen Warteschlange eines Amts. Gemeinsam haben sie nur, dass sie allesamt ziemlich unglücklich wirken, routiniert im Unglück. Erst das Akkordeonspiel in einer verlassenen Wohnung scheint etwas zu verändern. Warum gerade Akkordeon? „Für mich klingt das Instrument von Natur aus ein bisschen nach Fernweh, nach nostalgischen Erinnerungen und ein bisschen als würde es eigentlich davon träumen, ein ganzes Orchester zu sein. In MAISON SONORE hat das gut gepasst, weil ich dort das Festgefahrensein in vorhandenen Strukturen beschreiben wollte“, sagt Schwenk. Ebenfalls als Knetanimation realisiert, arbeitet Schwenk hier schon mit detaillierteren Modellen von Zimmern, die später in noch filigranere, aber vor allem im Freien gelegene Umgebungen übergehen werden. Und auch die Akkordeonmusik von Nils Wildegans, mit denen beide Filme arbeiten, weicht Musik, die nicht so konkret dramatisiert und auch rhythmisiert, sondern eher subtil menschliche Untiefen zum Klingen bringt.

 

Obwohl Schwenk längst ein regelmäßiger Festivalgast ist: Auch bei seinen zwei bekanntesten Filmen handelt es sich tatsächlich allesamt noch um studentische Arbeiten. SOG ist sein Vordiplom im Nebenfach, das er während des Studiums der Visuellen Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung Offenbach begann und als Gaststudent an der Kunsthochschule Kassel beendete, und ZOON ist sein Diplomfilm. Im Hochschulbetrieb haben ihn unter anderem einige Professor*innen, zum Beispiel Rotraut Pape, geprägt – vor allem, weil sie ihn einfach haben machen lassen. Die künstlerische Freiheit im Animationsstudium hält er auch dank ihr für weitaus wichtiger als festgezurrte Studienpläne und strenges Festhalten an den Animationsprinzipien. Als gute Schule für das wilde Draußen nach dem Studium.

 

Arbeitsprozesse: Allein und im Team

Die Animation aus der Story heraus denken: Schwenks Arbeitsphilosophie fließt auch in die praktischen Animationsprozesse ein, step by step. Dabei probiert er, sobald er das Drehbuch (das A und O!) und dann das Animatic fertig hat, gern selbst alles aus, bevor er sich fachkundige Unterstützung sucht. Die aus Knete gefertigten Axolotl aus ZOON hat Schwenk zum Beispiel noch ganz allein im Lockdown Bild für Bild im untergeschossigen Kreuzberger TORP Studio animiert, das Animationsnetzwerk, in dem er unter anderem mit Dina Velikovskaya (TIES) arbeitet.

 

Stopmotion Arbeit an ZOON © Jonatan Schwenk

 

Bei den Zweibeinern handelt es sich hingegen um Stabpuppen, die von je zwei bis drei Menschen in Echtzeit vor einem Blue Screen bewegt und getrackt wurden. Mit diesem Einsatz von Live Action wollte er „mehr Raum für den Zufall“ lassen, der ihm im durchgetakteten Medium der Animation manchmal fehlt. Schwenk arbeitet in allen Arbeitsprozessen außerdem gern mit Freund*innen und Mitstreiter*innen zusammen, zum Beispiel Merlin Flügel (RULES OF PLAY u.a.), der ihn bei beiden Filmen maßgeblich bei der Ideenentwicklung geholfen hat und wichtigen Input liefert oder auch Marta Magnuska. Und andersherum springt Jonatan Schwenk auch gern anderen Mitstreiter*innen aus seinem Netzwerk bei, unter anderem als Sounddesigner (z.B. bei Florian Maubachs RÄUBER UND GENDARM, der 2018 den Kurzfilmpreis gewann oder auch Merlin Flügels RULES OF PLAY, der 2019 mit dem Cristal in Annecy als bester Abschlussfilm ausgezeichnet wurde).

 

Teamarbeit – Animation der Stabpuppen in Zoon © Jonatan Schwenk

 

Strukturelle und eigene Herausforderungen – und neue Projekte

Schwenk hat vier Jahre an SOG und zweieinhalb Jahre an ZOON getüftelt, Produktionszeiten, die Schwenk auch auf die fehlenden Förderstrukturen zurückführt – er musste nebenher an anderen Projekten arbeiten, um selbst über die Runden zu kommen. Das deutsche System hat großen Nachholbedarf in Sachen Grundsicherung, Förderung und Residenz-Angeboten findet Schwenk, gerade, wenn man nach Frankreich schaut. Vielleicht ist Jonatan Schwenk zum Zeitpunkt des Gesprächs auch noch ganz besonders von frischen Eindrücken geprägt: Erst im April 2022 hat er dank der „NEF International Residency for Animated Films“ einige Wochen für die im Kloster von Fontevraud verbracht, eine idyllisch gelegene Residenzmöglichkeit unter anderem für Animationsfilmmacher*innen. 2020 war er außerdem eines von 250 ausgewählten Talenten der Berlinale Talents, der Nachwuchsförderinitiative der Berlinale. Nachwuchsförderung ist jedenfalls auch jenseits der eigenen Filme ein Thema von Schwenk und es ist auch neben der Mitgliederakquise der Bereich, für den er sich in der AG Animationsfilm seit Ende 2021 im Vorstand engagiert.

 

Aber selbst bei besseren Produktionsbedingungen wird die intellektuelle und physische Auseinandersetzung mit dem eigenen Filmstoff einfach immer viel Zeit beanspruchen. Eine Work-Life-Balance zu finden, ist da gar nicht so einfach. Und auch der Ausgleich der zwei Extreme zwischen dem „hinterm-Vorhang und dann plötzlich-auf-der-Bühne“-Sein – oder auch zwischen dem Filmemachen und dem Zeigen des Filmes bzw. der wirbeligen Kommunikation auf Festivals – ist nicht unkompliziert. Aber trotz genau dieser Festivaleinladungen in die ganze Welt steckt er gerade schon wieder voller Enthusiasmus und Ideen im nächsten Projekt, zu dem er noch nicht viel preisgeben möchte (außer, dass es vielleicht menschliche Charaktere geben wird – echte Menschen; auch Dialog schließt er nicht aus). Es wird sein Debüt außerhalb des Hochschulkosmos. Merlin Flügel findet das Drehbuch jedenfalls schon mal gut. Ob es wieder eine Parabel über die Abgründe der Spezies Mensch sein wird? Jonatan Schwenk nickt vehement: „Mit hundertprozentiger Sicherheit“.