Jörg Wagner

Porträt

MOTODROM © Jörg Wagner

MOTODROM © Jörg Wagner

Nachdem in den letzten Ausgaben der Filmemacherportraits der Fokus vorrangig auf künstlerischen Erfolg lag, wollen wir heute den kommerziell erfolgreichsten Kurzfilmer Deutschlands, Jörg Wagner, vorstellen. Mit seinem mittlerweile zum Kultfilm erkorenen Film STAPLERFAHRER KLAUS – DER ERSTE ARBEITSTAG hat er es über Splatter-Foren bis in das Video Regal vom Media Markt geschafft und kann es dort durchaus mit dem Bekanntheitsgrade der Blockbuster aufnehmen. Ende Januar konnte Jörg Wagner mit seinem zweiten Kurzfilm MOTODROM in Sundance Erfolge feiern.

Die Kurzfilmszene kennt Jörg Wagner sehr genau: Der 1967 in Stuttgart geborene Wahl-Hamburger ließ sich zum AV-Mediendesigner ausbilden, führte Regie bei diversen Bühnenshows und moderierte Veranstaltungen. Die Faszination für die kurze Form konnte er bereits 1996 als Mitarbeiter des Hamburger KurzFilmFestivals ausleben, wo er einige Jahre den KurzFilmVerleih der Kurzfilmagentur leitete. Wagner ist demnach auch ein Beispiel für die gerade in Hamburg nie klar gezogene Grenze zwischen dem von Kurzfilmen begeisterten Zuschauer oder Festivalmacher auf der einen und dem aktivem Produzenten auf der anderen Seite: „Der Impuls zu einem Kurzfilm geht von einer Idee aus, die ich unbedingt realisieren möchte“, bringt er seine Motivation als Filmemacher auf den Punkt. Nach diversen Trailern und Spots führte ihn dieser Gedanke zur Produktion eines aufwendigen 10-Minüters.

Herausgekommen ist der gemeinsam mit Stefan Prehn entwickelte STAPLERFAHRER KLAUS – DER ERSTE ARBEITSTAG – ein Kurzfilm, der von einem Kritiker treffend als „Peter Jackson verfilmt der Siebte Sinn“ beschrieben wurde. Die Illusion eines biederen Schulungfilms wird in den ersten Minuten mit allen bekannten verfügbaren ästhetischen und dramaturgischen Mitteln aufgebaut, was besonders dank der vertrauten Stimme des Siebten Sinn-Sprechers Egon Hoegen ausgezeichnet gelingt. Der anschließende Splatter ist mit viel Liebe zum Detail inszeniert und ein wunderbares Stück Edel-Trash, das lustigerweise gerade im Rahmen von Arbeitsschutzschulungen gerne eingesetzt wird.

Trotz hohem „Production Value“ und weitgehend professionellen Arbeitsbedingungen am Set waren die Macher von der Rezeption völlig überrascht. „Der Erfolg war überhaupt nicht absehbar“, meint hierzu Jörg Wagner. STAPLERFAHRER KLAUS lief nach seiner Festivalpremiere Anfang 2001 auf über 100 internationalen Kurzfilmfestivals und wurde unter anderem auch als Wettbewerbsbeitrag in Cannes gezeigt. 17 Auszeichnungen, darunter der Preis der Deutschen Filmkritik für den besten Kurzfilm 2001 sowie der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Kurzfilmpreis krönten die Teilnahmen.

Die Festivalauswertung wurde durch die DVD-Auswertung sogar übertroffen:

Während sich die Verkaufszahlen für Kurzfilme gewöhnlich im dreistelligen Bereich bewegen, verkaufte sich STAPLERFAHRER KLAUS mitsamt dem 75-minütigen Bonusmaterial in Deutschland über 250.000 Mal – dank guter Vertriebswege auch über den Wühltisch bei Saturn und im Media Markt.

Trotz des Erfolgs musste man auf den neuen „Wagner“ ganze fünf Jahre warten. Mit MOTODROM, der im Januar 2006 Premiere feierte, hat sich Jörg Wagner dann jedoch mit einem bildgewaltigen Kurzdokumentarfilm wieder ganz die Aufmerksamkeit der Szene gesichert. Der 9-minütige experimentelle Dokfilm über sogenannte Steilwandfahrer taucht in träumerischen Bildern in schwarz-weiß ein in die Welt eines aussterbenden Schaustellergewerbes. Er arbeitet mit allen Regeln der dokumentarischen Spannungssteigerung, um den Zuschauer schließlich die Faszination des Steilwandfahrens erleben zu lassen, ohne dabei die Tragik auszublenden. Das ist nicht allein der faszinierend-ästhetisierten Schwarz-Weiß-Optik des Films und der komplexen Kameraarbeit zu verdanken, die die Blicke des Publikums ebenso wie die atemberaubende Perspektive einer Steilwandfahrt aus Sicht des Motorradfahrers darstellt. Gerade dem Sounddesign kommt in dieser motorheulenden Vorhölle eine besondere Bedeutung zu, da auf Sprache ansonsten vollkommen verzichtet wird. Jörg Wagner hat, wie einige Kritiker zu Recht bemerken, mit MOTODROM einen der großen Dokumentarfilme der letzten Jahre gedreht, einer, der eine zeitlose Schönheit ausstrahlt, die man im Dokumentarfilm oft verloren glaubte. Nach über 60 Festivalteileinladungen weltweit und diversen Preisen – MOTODROM wurde unter anderem mit dem ZDFdokukanalpreis beim Internationalen KurzFilmFestival Hamburg, einer Nominierung zum Deutschen Kurzfilmpreis und dem ersten Preis bei den short cuts cologne ausgezeichnet – erlangte Motodrom Ende Januar 2007 eine Lobende Erwähnung beim Sundance Film Festival.

In Anbetracht seiner biografischen Verwurzelung im Kurzfilm und seinen außergewöhnlichen Erfolgen, verwundert es daher kaum, dass sich Wagner gegen die Klassifizierung des Kurzfilms als Visitenkarte wehrt. „Die Betrachtung des Kurzfilms als Visitenkarte halte ich für problematisch“, kritisiert er das weit verbreitete Vorurteil, Kurzfilme seien nur Fingerübungen des Nachwuchses. Eine Wertschätzung ähnlich der Kurzgeschichte in der Literatur fehle in Deutschland allerdings weitgehend, was sich auch in den Finanzierungsmöglichkeiten widerspiegele, die sich auch für ihn sehr schlecht gestalten. „Statt zwei oder drei Kurzfilmprojekten wird meist nur noch ein Film gefördert oder eben mit deutlich weniger Geld.“ Nur dank massiver Lohnrückstellungen war die Finanzierung möglich gewesen.

Und als Quelle für den Lebensunterhalt war selbst ein Kurzfilm wie STAPLERFAHRER KLAUS nicht geeignet. Jörg Wagner verdient sein Geld mit Drehbüchern für Fernsehserien statt mit dem filmischen Äquivalent der Kurzgeschichte.

(MJ)

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