Kyne Uhlig und Nikolaus Hillebrand – Digital ist nicht immer besser

Porträt

GRÜN © niky-bilder Trickfilmwerkstatt Köln

Kyne Uhlig und Nikolas Hillebrand leben und arbeiten gemeinsam in Köln. In ihren Animationsfilmen für Kinder und Erwachsene werden Dinge des Alltags lebendig. Luc Carolin Ziemann porträtiert das NiKy-Filmbilder-Kollektiv.

 

In den Filmen von Kyne Uhlig und Nikolaus Hillebrand wimmelt es von Dingen, die man normalerweise in der Küche oder im Kleiderschrank findet. Gurken tanzen im Gleichschritt, Löffel entwickeln ein bedenkliches Eigenleben und einzelne Socken suchen verzweifelt nach ihrer besseren Hälfte. Die beiden Filmemacher, die in Köln zusammen leben und unter dem Namen niky-Bilder zusammen arbeiten, nutzen für ihre Animationsfilme am liebsten Alltagsgegenstände und Gefundenes, dem sie in ihren Kurzfilmen neues Leben einhauchen. Da ist es besonders praktisch, wenn das Atelier direkt ans Wohnhaus grenzt, so dass im Zweifelsfall auch mal der Inhalt der heimischen Abstellkammern ohne große Umstände ins Scheinwerferlicht gerückt werden kann.

„Leben und Arbeit sind bei uns eigentlich nicht voneinander zu trennen“ , sagt Kyne Uhlig und fügt hinzu: „Wir wollen es aber auch genauso haben. Eine andere Art zu arbeiten kann ich mir wirklich nur schwer vorstellen.“

Das geht sogar so weit, dass in den Kurzfilmen nicht nur Spielzeug und Küchengeräte der Familie eine tragende Rolle spielen, sondern auch die vier Kinder des Filmemacherpaares. Viele ihrer Arbeiten wurden durch Ideen der Kinder und deren Freunde inspiriert. So geht es zum Beispiel in STROMSPAREN (2009) darum, wie der Klimawandel durch einen geschickteren Umgang mit Energieressourcen verlangsamt werden könnte. Oder besser gesagt: es geht darum, was Kindern so einfällt zu diesem Thema. Die Ideen der fünf- bis zwölfjährigen Drehbuchschreiber haben Uhlig und Hillebrand aufgenommen und dramaturgisch bearbeitet. Die Originalstimmen fungieren im fertigen Film als Off-Kommentar. Erst dann wurde anhand der vorliegenden Tonspur überlegt, wie die Ideen mittels verschiedener Animationstechniken ins Bild gesetzt werden könnten.

 

STROMSPAREN © WDR / niky-bilder Trickfilmwerkstatt Köln

 

Schon nach wenigen Szenen erweist sich, dass die Kinderideen nur auf den ersten Blick verrückt oder wirklichkeitsfremd sind. Zwar wurde bis heute noch kein Haus entwickelt, dessen aufgeheiztes Dach nach einer 180-Grad-Drehung als Fußbodenheizung genutzt werden kann (dummerweise würden dabei ja auch immer die Möbel umfallen, wie einer der Energie-Experten bemerkt), aber die Nutzung von weniger dreh-intensiven solarthermischen Verteilsystemen ist heute längst gang und gäbe. Ähnlich sieht es mit der Idee aus, kleine Monster zu züchten, die in der Toilette leben und mit all dem gefüttert werden, was die menschlichen Bewohner sonst mit viel Wasser und Pumpenkraft ins Abwassersystem einspeisen. Erwachsene würden diese Monstertoiletten, die im Film mit einem Wollsocken-Monster mit freundlichem Gesicht bestückt wurden, vielleicht etwas weniger prosaisch als Kompostklos bezeichnen. Die Umwelt schonen diese Ideen in jedem Fall – egal wie man sie nennt.

 

Anders als STROMSPAREN, der wie viele Filme aus dem Hause niky-Bilder für den WDR entstand, ist WAS DA LEBT (2012) eine der Eigenproduktion der beiden Trickfilmer. Alle 3-4 Jahre gönnen sich die nikys einen ‚eigenen‘ Film ohne Auftrag und ohne Zeitdruck, dafür mit der künstlerischen Freiheit, sich einem Thema zu widmen, das Ihnen auf den Nägeln brennt und auch mitten im Prozess noch neue Entscheidungen treffen zu können. In dem knapp 10-minütigen Stopptrick-Epos nehmen sie uns mit in ihr eigenes Zuhause, in der die Dinge ein unheimliches Eigenleben führen und in Zusammenarbeit mit den vier Kindern der Familie Tag für Tag tatkräftig daran arbeiten, die Erwachsenenwelt ins totale Chaos zu stürzen. Jeder, der Kinder hat (und vielleicht auch jeder andere!), kennt die verhängnisvollen Mechanismen, die aufgeräumte Zimmer im Nullkommanichts in rumpelkammerartige Labyrinthe und verzweigte Höhlensysteme verwandeln können. In WAS DA LEBT haben die Filmemacher ihr eigenes Wohnumfeld mittels Stopptrick in Bewegung gesetzt. So wuseln Milchpumpen, Deckenberge, Kinder (sogar ein Neugeborenes) und wildgewordene Klopapierrollen durch die Räume, die sich in Rekordtempo von normalen Zimmern zu Spielhöhlen verwandeln, durch die wilde Lego-Flüsse fließen. Schöner wurde häusliches Chaos selten in Szene gesetzt.

 

WAS DA LEBT © niky-bilder Trickfilmwerkstatt Köln

 

Allen Filmen aus dem Hause niky-Bilder sieht man an, dass sie mit viel Liebe zum Detail und zur Handarbeit hergestellt werden. Statt Effekte in der Postproduktion zu erzeugen und einfach über die Bilder ‚drüber‘ zu legen, werden entweder natürliche Phänomene geschickt eingesetzt (wie Nebelschwaden, Wellenbewegungen oder Lichtreflexe) oder die Effekte handwerklich hergestellt, indem mit Gips, Holz, Ton und allem, was in der Lage ist, sich der Schwerkraft zu widersetzen, gearbeitet wird. Das Ergebnis hebt sich ganz bewusst vom Gros vieler anderer aktueller Animationsfilme ab. Die Filme haben Werkstattcharakter. Kleine Abstriche in Bezug auf die Perfektion werden gern in Kauf genommen, um sicherzustellen, dass spürbar bleibt, dass hier mit der Hand gearbeitet wurde.

 

„Wir beide lieben die Handarbeit, eigentlich sind wir auch darum Trickfilmer geworden, weil wir gern werkeln und mit Material arbeiten. Wir sind außerdem große Sammler und Freunde des Recyclings. In unserer Werkstatt horten wir deshalb ausgediente Alltagsgegenstände genauso wie Treibgut, dass uns der Rhein, der vor unserer Tür fließt, vor die Füße spült. Wir lassen uns einfach gern von dem, was da ist, inspirieren und es macht uns Spaß, zu improvisieren und sich auch mal ein Stück weit von den Dingen selbst leiten zu lassen.“ (Kyne Uhlig)

 

Natürlich kommen die beiden Künstler dennoch nicht ohne digitalen Schnitt und Nachbearbeitung aus. Die Digitalisierung hat ihre Arbeitsabläufe verändert und in vielerlei Hinsicht verbessert, wie Nikolaus Hillebrand betont. Während früher ein Film erst komplett abgedreht wurde und dann der Schnitt begann, läuft inzwischen beides parallel, was den Prozess deutlich flexibler werden lässt. Auch die Tatsache, dass die digitale Technik es ermöglicht hat, so gut wie alle Arbeitsschritte selbst durchzuführen und damit der Produktionsprozess inzwischen fast komplett in ihrer Hand liegt, werten beide als sehr positiv. Momentan liegt das Verhältnis zwischen digitaler Arbeit und Handarbeit bei den Filmen des Duos ca. bei 1:1 und Kyne Uhlig wünscht sich, dass sich dieses Verhältnis nicht noch weiter in die digitale Richtung verschiebt:

 

„Digital ist eben nicht immer besser. Für mich ist das Verhältnis zwischen Handarbeit und Arbeit am Computer bei unseren Filmen gerade perfekt. Mir ist wichtig, dass die Handarbeit als die Basis unserer Filme relevant bleibt.“

 

Auch wenn sie sich heute kaum noch vorstellen können, etwas anderes zu machen, als Animationsfilme, war der Weg zum Trickfilm bei beiden kein direkter. Während Uhlig zuerst Dokumentarfilme drehen wollte und in Vorbereitung darauf ein Geographiestudium absolvierte, schloss Hillebrand sein Architekturstudium ab und arbeitete im Anschluss daran bei diversen Projekten von Hellmuth Costard und seiner Sun-Machine. Dem Animationsfilm verfielen beide, als sie gemeinsam mit dem deutschen Experimentalfilmer Hellmuth Costard kurz nach der Wende ins lettische Riga fuhren, um dort beim Dreh des Science-Fiction-Films DER AUFSTAND DER DINGE (1993) zu helfen. Lettische Stop-Trick-Spezialisten waren hier wochenlang damit beschäftigt, animierte Szenen zu produzieren, die im Realfilm eingearbeitet wurden. Das schräge Werk war Nikolaus Hillebrands und Kyne Uhligs wirklicher Einstieg ins Trickfilmuniversum. Als weitere Einflüsse nennen beide die surrealen Stop-Motion-Filme des tschechischen Altmeisters Jan Švankmajer und die Arbeiten des französischen Alleskönners Michel Gondry. Genauso wichtig wie beeindruckende Vorbildfilme sind den beiden aber Filme, an denen sie sich reiben können und bei denen sie merken, dass sie ihre eigenen Geschichten doch auf eine ganz andere Art erzählen wollen.

 

Ein Beispiel, wie dieses „andere Erzählen“ aussehen kann, bieten die Märchenfilme, die beide seit 2012 für die ‚Sendung mit der Maus‘ herstellen. Den Anfang machte VOM FISCHER UND SEINER FRAU (2012), in dem sie Realfilm, Stop-Trick und digitale Animation kombinieren und die alte Geschichte auf ganz neue Art in Szene setzten. Eine Erzählerin leitet die Zuschauer durch die Geschichte, die sich zwar in den Grundzügen am Grimm’schen Ausgangstext orientiert, die Vorlage aber mit modernen Elementen humorvoll ergänzt. In den nächsten Jahren folgten modernisierte Stop-Trick-Verfilmungen von DER SÜSSE BREI (2014) , BABA JAGA (2015) und DIE PRINZESSIN AUF DER ERBSE (2017).

Kyne Uhlig betont, dass es ihnen wichtig ist, ihre Filme so zu gestalten, dass sie nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene spannend anzusehen sind:

 

„Die erste und wichtigste Ebene richtet sich natürlich an die Kinder, aber wir bauen immer noch ein paar weitere Ebenen ein, die vielleicht gar nicht jeder alle wahrnimmt. Verstehen kann man die Filme natürlich auch, wenn man nur die erste Ebene sieht. Aber wer dann genau hinschaut, der entdeckt vielleicht doch noch den einen oder anderen kleinen Scherz oder eine Doppeldeutigkeit, die wir bewusst eingebaut haben.“

 

Genau diese Vielschichtigkeit ist es, die die Filme von Kyne Uhlig und Nikolaus Hillebrand auszeichnet. Am deutlichsten sichtbar wird die Komplexität in den frei produzierten Arbeiten, wie GRÜN (2008), der sogar auf der Berlinale gezeigt wurde oder FETT (2016). Auch wenn FETT  wie STROMSPAREN und ZUKUNFT auf Ideen und Texten von Kindern basiert, ist die 8-minütige Geschichte beileibe kein Kinderfilm. Der mit Stop-Trick-Technik animierte und mit einer ausgezeichneten, sehr beunruhigenden Tonspur ausgestattete 8-Minüter entführt die Zuschauer in eine fremde und seltsame Welt, die uns nur deshalb merkwürdig vertraut vorkommt, weil sie aus entfremdeten Alltagsgegenständen zusammen gebaut ist. Aus Plastikflaschen, alten LPs und Kronkorken entsteht eine Mikrokosmos, in dem sich alles ums Fett dreht: Autos aus PET-Flaschen werden an Tankstellen mit Fett betankt, das die allesamt übergewichtigen Fahrer selbst liefern, indem die zähflüssige Masse aus ihren aufgequollenen Leibern mit einem ekelerregenden Gluckern direkt in die Zapfsäule abgeleitet wird. Nachschub besorgen sich die Menschen, indem sie sich an Chips-Stationen wieder ‚auftanken‘, um direkt danach wieder ‚gemolken‘ zu werden. Ein scheinbar endloser Kreislauf, dessen beißende Gesellschaftskritik kaum deutlicher sein könnte. Als ein neuartiges Automobil erfunden wird, dass – ohne den Umweg über die Tankstelle – direkt mit dem Fett des Fahrers betrieben wird, scheint diese bahnbrechende Erfindung den Kreislauf zu perfektionieren. Doch die Menschen haben sich verrechnet. Der Kreislauf aus Völlerei, Verdauung, Ausscheiden und Recycling kann sogar noch weiter perfektioniert werden…

 

FETT © niky-bilder Trickfilmwerkstatt Köln

 

Selten wurde die Konsumgesellschaft in einem nur 8-minütigen Animationsfilm, der auf den Zukunftsvisionen dreier Kinder basiert, so pointiert aufs Korn genommen. Die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) hat FETT dafür völlig zur Recht das Prädikat „besonders wertvoll“ verliehen. Und tatsächlich kann man den Film, auch wenn er nicht speziell für Kinder gemacht ist, sehr wohl mit älteren Kindern oder Jugendlichen anschauen und wird im Anschluss unter Garantie spannende Diskussionen erleben. Genau solche Gespräche mit Kindern und Jugendlichen sind es, die Kyne Uhlig und Nikolaus Hillebrand immer wieder aufs Neue inspirieren. Nicht zuletzt deshalb haben sie sich – neben ihrer Regie-Arbeit – seit 2004 ein zweites Standbein geschaffen und bieten Trickfilm-Workshops für Kinder und Jugendliche an. Auch hier gilt: Digital ist nicht immer besser – Handarbeit first: Der Computer bleibt weitgehend außen vor, die Animation findet im Hier und Jetzt direkt vor der Kamera statt. Die Teilnehmer*innen lernen verschiedenen Animationstechniken kennen und können ihre eigenen Geschichten in Bilder übersetzen. Und die Macher von niky-Bilder bekommen ganz sicher neuen „Treibstoff“ für ihren nächsten Film.

 

 

 

Links

www.niky-bilder.de

 

Filmografie

Gemeinsame Kurzfilme

 

1998 SCHIRMHERRSCHAFT

2000 KIRSCHFILM

2002 BACKE BACKE KUCHEN

2002 SOMMERLIEDER

2004 OKTOBERTAG

2004 EIERMALEN IM KÜHLSCHRANK

2004 NIKOLAUS-HAUS

2005 KLOTZTANZ

2006 BEIM OSTERHASEN DAHEIM

2007 GRÜN

2008 HALLOWEEN

2009 STROMSPAREN

2011 KINDER SEHEN IN DIE ZUKUNFT

2012 WAS DA LEBT

2012 VOM FISCHER UND SEINER FRAU

2014 DER SÜẞE BREI

2015 BABA JAGA

2016 FETT

2017 DIE PRINZESSIN AUF DER ERBSE