Zuviel Content – Studien zeigen wie #stayathome die Mediennutzung beeinflusst

Analyse

 

„Man watching“ von Said Marroun CC Shutterstock

 

Wenig überraschend sind Mediennutzungen während der Pandemie massiv angestiegen. Insbesondere Netflix & Co haben davon profitiert, wie Statistiken belegen. Inzwischen gibt es Studien, die genauer den Zusammenhang mit dem Verlauf der Pandemie untersuchen. Natürlich ist insbesondere die Werbewirtschaft an solchen Analysen interessiert. Doch bestimmte Trends sind von allgemeinem Interesse und legen Prognosen für die Zeit nach der Pandemie nahe.

 

Im August hat Adobe Digital Insights Ergebnisse aus einer eigenen Studie veröffentlicht[1]. Mit Hilfe von Adobe Analytics wurden über 24 Milliarden Videostarts und über 6,6 Milliarden Stunden an Videoinhalten analysiert, die online über OTT-, Desktop- und Mobiltelefon-Plattformen angesehen wurden. Die Daten wurden durch Umfragen unter Nutzern (in den USA) ergänzt.

 

Binging-Kurven

Zu den auffälligsten Trends der Adobe-Studie gehört die Korrelation zwischen dem Anstieg der Infektionskurve mit einer exzessiven Mediennutzung (‚binging‘). Doch das Verhalten der Konsumenten ist erstaunlich volatil. So ist erkennbar, dass während der Lockdown-Phase die Zeit, die mit Medienkonsum verbracht wurde, in den ersten Monaten enorm anstieg, aber sofort wieder zurückfiel als die Kurve – in den USA im Juni – flacher wurde.

 

Interessant ist auch die Beobachtung, dass mit der Ausbreitung der Pandemie sowohl die Aufmerksamkeit für Netzvideos und andere Inhalte als auch die Verweildauer anstieg. Anfang 2019, so Adobe, begann die Zahl der Videos, die online zu Ende angeschaut wurden, stetig zu fallen. Die Verweildauer wurde immer kürzer. Die Pandemie hat den langfristigen Trend aber gestoppt. In der Zeit ab April 2020 drehte dieser Trend und im Juli 2020 stieg die Zahl der komplett, das heißt vom Anfang bis zum Ende, rezipierten Inhalte im Vergleich zum Vorjahr um 11 Prozent.

 

Traditionelle und regionale Medien im Aufwind

Was die Inhalte angeht, so verzeichneten – vor Online-Filmen und Serien an zweiter Stelle – Nachrichten-Angebote den stärksten Zuwachs in der Mediennutzung. Interessanterweise profitierten davon traditionelle Formate und Absender, denen in einer Krise größeres Vertrauen entgegengebracht wird. Ein weiterer Effekt ist die Bevorzugung regionaler und lokaler Medienanbieter vor überregionalen Angeboten oder gar globalen Plattformen.

 

Die Adobe-Ergebnisse, die sich auf Untersuchungen in den USA stützen, werden zu weiten Teilen auch von, weniger umfangreichen oder thematisch eingeschränkten, europäischen Studien unterstützt.

 

In Österreich beobachtete eine Studie von Havas Media Wien ähnliche Entwicklungen. Alle Newsportale profitierten und Zeitungen konnten ihre Reichweite beinahe verdoppeln. In allen Altersgruppen stieg die Nutzungszeit des klassischen Endgeräts Fernsehen – begann aber im April beim Abflachen der Infektionskurve wieder zurückzugehen. Landesweite Websites konnten im Verhältnis zu internationalen relativ stärker profitieren. Globale Social Media Plattformen jedoch nur in geringerem Ausmaß und die Facebook-Nutzung stagnierte sogar.[2]

 

Ähnlich vertrauen auch in Deutschland, laut einer Studie des Hans-Bredow-Instituts, nur noch 14 Prozent der Nutzer Nachrichten in sozialen Medien, aber 45 Prozent Nachrichten der klassischen Kanälen wie TV, Radio oder Printmedien. Laut einer Forsa-Umfrage nutzten nur Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren, insbesondere während der Schulschließungen, digitale Medien auf mobilen Endgeräten stärker als zuvor.

 

Endgerätnutzung – Smartphones verlieren

Was die Endgeräte für Videostreaming angeht, darin stimmen alle Studien überein, sind Smartphones die großen Verlierer der Pandemie. Vor und nur ganz am Anfang der Pandemie stieg die Videonutzung auf Smartphones im Vergleich zu anderen Endgeräten stetig an. Laut Adobe sinkt die Nutzung von Mobiltelefonen seit Mai kontinuierlich und lag im Juni 35% niedriger als im Vorjahr.

 

Großes Pech hatte deshalb die neue Plattform für Short Content ausschließlich auf Mobiltelefonen, Quibi (‚quick bites‘), die ausgerechnet im April an den lange geplanten Start ging. Quibi[3] hatte für den Launch im großen Stil und mit hohen Investitionen (1,1 Mrd. $) Original Content, darunter 7.000 neue Kurzfilm-Episoden, vorproduziert. Der mit großen Erwartungen verbundene Launch war ein Fehlstart. Die App hatte Ende Mai nur 1,5 Millionen aktive Nutzer, wie das Wall Street Journal berichtete, während das Unternehmen mit 7,4 Millionen Abonnenten rechnete. Die Prognose musste im Juli vom Unternehmen auf 2 Millionen angepasst werden.

 

Die New York Times schrieb zum sinkenden Interesse an Diensten auf dem Mobiltelefon: »In den letzten Jahren sind die Nutzer dieser Dienste zunehmend auf ihre Smartphones umgestiegen, wodurch ein branchenweiter Fokus auf mobile Geräte entstand. Jetzt, da wir unsere Tage zu Hause verbringen, mit Computern in der Nähe, scheinen sich die Amerikaner daran zu erinnern, wie unangenehm es sein kann, auf diese kleinen Telefonbildschirme zu schielen« (The Virus Changed the Way We Internet)[4].

 

Ein überraschender Außenseiter-Gewinner der massiven Verschiebungen in der Mediennutzung in Folge der Pandemie sind aber Podcasts (und Radiosendungen). Laut der Studie des Hans-Bredow-Instituts wuchs die Nutzerschaft, insbesondere unter den 18- bis 24-Jährigen, um 11 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

 

 

Too much content

Bereits vor der Pandemie stellten viele Untersuchungen fest, dass der Streaming Markt übersättigt ist. Es ist schon von ‚Streaming Fatigue‘ und ‚Content Obesity (Fettleibigkeit)‘ die Rede. Im November letzten Jahres gab es eine Nutzerstudie der Meinungsforschungsunternehmen TV Time und UTA IQ. Die Studie, bei der 6.634 Verbraucher in den USA, Kanada, Australien und den Niederlanden befragt wurden, ergab, dass 70 Prozent der Streaming-Kunden der Meinung sind, es gäbe inzwischen zu viele Streaming-Optionen und dass 67 Prozent der Verbraucher das Umschalten zwischen mehreren Diensten bereits jetzt frustrierend finden. 58 Prozent der Verbraucher empfinden die Verwaltung zahlreicher Logins als lästig. Und 45 Prozent sagen, es sei bereits zu schwierig, das zu finden, was sie suchen.[5]

 

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die aktuelle Adobe-Studie. Dort heißt es unter der Überschrift „Too Much Content“: Obwohl die Verbraucher einen großen Teil ihrer Zeit unter Quarantäne mit laufenden Streaming Videos verbracht haben, fühlen sich 40 Prozent mit der großen Auswahl an Programmen überfordert, die sie zur Auswahl haben. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass 40 Prozent der Befragten der Meinung sind, dass es zu viele Anwendungen und Dienste für das Video-Streaming gibt und dass die große Auswahl schwierig zu bewältigen und zu managen war.

 

 

Die Korrelationen zwischen Mediennutzungen und der Entwicklung der Infektionskurve legt zusammen mit Phänomenen wie Streaming fatigue, Subscription fatigue oder auch Zoom fatique den Schluss nahe, dass es längst noch nicht ausgemacht ist, dass nach der Pandemie all diese digitalen Mediennutzungen zum New Normal gehören werden.

 

 

[1] Quelle: Adobe Blog Insights https://blog.adobe.com/en/2020/08/13/5-covid-19-driven-video-content-consumption-trends-to-watch

[2] Im Artikel über eine Studie der New York Times heißt es dazu »Facebook, Netflix and YouTube have all seen user numbers on their phone apps stagnate or fall off as their websites have grown, the data from SimilarWeb and Apptopia indicates. SimilarWeb and Apptopia both draw their traffic numbers from several independent sources to create data that can be compared across the internet.« („The Virus Changed the Way We Internet„)

[3] siehe auch unser Artikel „Jeffrey Katzenberg kündigt Premium Short Form Video-Plattform Quibi an“

[4] NYT, ebenda 

[5] Quellen: „There’s Too Many Damn Streaming Services, Study Finds“ (Vice) und „Survey: Consumers Concerned About the Glut of Streamers Set to Flood the Market“ (Variety)

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