Bessere Bildstrategien für Online-Festivalgespräche

Pompöse Umgebung: Kino der Kunst LIVE, Symposium am 30.10.2020, mit Ulanda Blair und Filipa Ramos (auf dem Monitor), Emilija Škarnulytė (in der Raummitte) und Moderator Heinz Peter Schwerfel (rechts)  / cc Screenshot der öffentlichen Online-Wiedergabe

 

Seit Ausbruch der Pandemie müssen Filmfestivals versuchen ihre Veranstaltungen so gut es geht online zu vermitteln. Eine der schwierigsten Aufgaben ist es, finde ich, Gespräche und Diskussionen, die sonst vor Ort mit altbewährter Konzeption und Technik stattfinden, online abzubilden oder zu übertragen. Das alternativlose Mittel der Wahl sind Videokonferenzanwendungen. Diese Technik ist aber alles andere als ideal. Insbesondere nicht für Gespräche mit mehreren TeilnehmerInnen, wie sie für Diskussionen auf Kurzfilmfestivals typisch sind. Wie könnte man das ändern?

 

Aufzeichnungen oder Livestreams von Videokonferenzen unterscheiden sich wesentlich von den Formaten, wie wir sie aus den Medien Film oder Fernsehen kennen. Sie bilden, wenn nicht technisch und konzeptionell interveniert wird, irritierende, nie gesehene Perspektiven und Bildanordnungen. Das liegt daran, dass Videokonferenztools eine Weiterentwicklung der Bildtelefonie sind, die für nur zwei Gesprächspartner konzipiert war. Zu sehen war jeweils nur das Gegenüber. In dem darauf aufbauenden Dienst Skype wurde dann zusätzlich der Anrufer in einem kleinen Bildfenster am Bildrand eingeblendet. Die Einflussmöglichkeiten der Nutzer beschränken sich auf das eigene Agieren innerhalb des Blickwinkel des Kameraauges. An diesem Szenario hat sich nichts geändert. Alle Neuerungen und Verbesserungen in Videokonferenztools sind nur technisch-quantitativer Art: höhere Bildrate, größere Auflösung, Beschleunigung des Bildsignaltransports (geringere Latenz) und die Einbindung von mehr Teilnehmern. Gestaltungsmittel, die für die filmische Qualität maßgeblich sind, stehen weiterhin nicht zur Verfügung. Das Erscheinungsbild ist entsprechend dürftig und problematisch. Die Täuschung einer direkten Kommunikation, die das System herzustellen vorgibt, gelingt deshalb nicht.

 

Problemfeld: Blickachsen

Solange es keine Bildschirme gibt, die zugleich als Kamera fungieren, können sich die Teilnehmer nicht ‚in die Augen sehen‘. Da es unmöglich ist gleichzeitig in die Kamera zu sehen und das Abbild des Gegenüber anzuschauen, bleibt die Irritation durch, auch minimalste, Abweichungen im Blickwinkel. Das Problem vervielfacht sich mit der Anzahl der Teilnehmer, wenn jeder in eine andere Richtung ohne imaginäres Gegenüber oder sogar aus dem Bildraum heraus schaut.

 

Kadrierung

Solange nicht alle Teilnehmer die gleiche Aufnahmeapparatur benutzen (oder vom Veranstalter geliefert bekommen) und Einstellungsgrößen vereinbart werden, variieren die Abbildungsmaßstäbe und sind die Bildausschnitte so unterschiedlich, dass es störend wirkt.

 

Bildperspektive

Alle Teilnehmer werden aus der gleichen Zentralperspektive mit Weitwinkeloptik abgebildet. Verkleinert neben- und untereinander gestapelt erscheinen ihre Abbilder deshalb wie Kacheln auf einer zweidimensionalen Fläche.

 

Montage

Videokonferenzaufzeichnungen entziehen sich allen bekannten Konventionen der Montage von Filmbildern. Bildstrategische Methoden, die der räumlichen und oder zeitlichen Orientierung dienen, sind obsolet. Wie zum Beispiel die Beachtung der Handlungsachse oder die übliche Einbeziehung des jeweiligen Gegenübers in die Kadrage der zweiten Kamera.

 

Bildregie

Als aktiver Teilnehmer an einer Videokonferenz habe ich immerhin die Möglichkeit auszuwählen, ob ich alle gleichzeitig als Kacheln oder bestimmte Personen groß abgebildet sehe oder ob ich mich selbst spiegele. Während eines Gesprächs kann ich autonom wechseln. Darauf, was der Livestream oder die Aufzeichnung zeigt, kann jedoch niemand Einfluss nehmen [3]. Das entscheidet ein Algorithmus, der meistens nach dem Prinzip „Bild folgt Audio“ programmiert ist. Das heißt, wer die lautesten Signale von sich gibt, wird in den Vordergrund gerückt. Das mag bei Dialogen zwischen zwei Personen noch angehen, doch in einem Gespräch mit mehreren Teilnehmern, die unterschiedliche Mikrofone, Stimmvolumen und Umgebungsgeräusche haben, entgleitet die Gestaltung der Erscheinungsform einer solchen Aufnahme komplett. Eine systematisch signifikante Bildregie, wie bei Filmaufnahmen oder Fernsehsendungen, ist nicht machbar.

 

 

Möglichkeiten der Einflußnahme ohne Hilfsmittel

 

Ohne größeren Aufwand sind nur Eingriffe, wie das Ein- und Ausschalten von Bild und Ton möglich. Dennoch muss man dem Apparat nicht komplett die Regie überlassen. Die Anordnung und Position der Teilnehmerfenster lässt sich vor Start des Livestreams oder der Aufzeichnung auf vielen Plattformen einrichten. Beim Marktführer Zoom heißen die Anordnungen ‚Layouts‘. Für die Aufnahme stehen ‚gallery view‘ (Kacheln), ‚active speaker‘ (Bild folgt Ton) und ’shared window‘ (manuelle Bildschirmfreigabe) zur Auswahl. Leider können diese Grundeinstellungen während der Aufzeichnung nicht mehr geändert werden. Für die Nutzung bestimmter Funktionen ist es deshalb wichtig die Aufzeichnung erst zu beginnen, wenn alle Teilnehmer anwesend und ‚eingeordnet‘ sind. Achtung: Bei Konferenztools, die alternativ die Aufzeichnung auf dem Server des Anbieters oder auf der lokalen Festplatte anbieten, unterscheiden sich die Layout-Optionen je nach Speicherort.

Tipp: Die Bildschirmfreigabe eröffnet Gestaltungsspielräume, da mit ihr weitere Fenster mit anderen Bildinhalten eingebettet werden können. Allerdings muss man sie während der Konferenz live bedienen und sollte sie daher vorbereitet haben. Die beste Methode ist die Vorbereitung einer Präsentation in weiteren Tabs des gleichen Browsers. Im Chrome-Browser, der sich ohnehin für Videochat-Anwendungen empfiehlt, kann man auch noch entscheiden, ob das Audio des weiteren Fensters geteilt wird oder nicht.

 

 

Verbesserung durch technische Aufrüstung von Bild und Ton

 

In vielen Laptops oder Desktoprechnern sind die millimetergroßen Kameraoptiken von vergleichsweise minderer Qualität. In der Regel sind Kameras in Smartphones deutlich besser. Es gibt Anwendungen, die eine Einbettung der Smartphone-Kamera anstelle der eingebauten Rechnerkamera ermöglichen. Von der direkten Teilnahme mit einem Smartphone ist aus anderen Gründen aber abzuraten. Besser ist der Einsatz einer externen Webcam auf einem Tischstativ oder notfalls einem Karton in Augenhöhe direkt neben dem Bildschirm. Die Webcam sollte über eine Steuerungsanwendung verfügen, mit der mindestens die Lichttemperatur (white balance) sowie Helligkeit und Kontrast angepasst werden können. Weitere Einstellungen sind eigentlich nicht nötig und manche Effekte sogar nachteilig für die Bildqualität.

 

Wesentlich bessere Bildqualitäten erzielt man durch den Anschluss einer Videokamera oder Fotokamera, die Videos aufzeichnen kann. Der Vorteil besteht vor allem in der optischen Brennweitenveränderung und dem Einfluss auf die Tiefenschärfe durch die Blende – da erübrigt sich je nach Raumsituation auch der digitale Hintergrund-Blur. Allerdings können Videokameras nicht direkt an Computer angeschlossen werden. Es ist ein Signalwandler mit HDMI-Eingang und USB-Ausgang erforderlich.

 

Einfacher ist die Verbesserung der Tonqualität. Eingebaute Mikrofone eignen sich nicht, weil sie zu viel Geräusche der Umgebung und des Rechners mitaufzeichnen. Typischerweise heulen bei rechenintensiven Prozessen gerne mal die Lüfter hoch! Einfache Lösungen sind kleine Lavaliermikrofone oder der Einsatz eines Headsets. Letzteres hat den Vorteil, dass man zugleich den Ton mithören kann ohne dabei Echos oder gar Feedbackschleifen zu erzeugen.

Vor Beginn einer Aufzeichnung sollten die Mikrofonpegel aller Teilnehmer reihum abgeglichen werden, damit alle Stimmen etwa gleich laut wiedergegeben werden.

 

Insofern die meisten Filmfestivals vor allem Gespräche und Diskussionen mit FilmemacherInnen führen, ist die Hürde für diese Optimierungen nicht allzu hoch. Denn die meisten haben, sozusagen von Berufs wegen, Zugriff auf Kameras, Leuchten und Mikrofone, die sie einsetzen und auch bedienen können. Anders sieht es vielleicht bei den Veranstaltern aus, die eventuell Nachholbedarf haben;-)

 

 

Alternativen in der Bildregie für Veranstalter

 

Für Gespräche und Diskussionen auf Podien und Bühnen oder in Workshopräumen sind Filmfestivals vor Ort meist technisch und personell gut ausgestattet und erfahren. So ist es selbstverständlich, dass man sich bei Live-Veranstaltungen per Körpersprache und Blickkontakt verständigt, ein angenehmes Licht gesetzt wurde und im Hintergrund jemand die Mikrofonpegel regelt. Beim Medienwechsel in eine Online-Umgebung nutzen diese Erfahrungen entweder wenig oder werden schlicht ignoriert.

 

Mit einigem, leider nicht unerheblichem, Mehraufwand kann zumindest auf Seiten der Veranstalter, die Aufnahmesituation deutlich verbessert werden: Einige Festivals haben für die Moderation kleine Studios eingerichtet oder bestehende Räume entsprechend ausgestattet[1], Mithilfe einer zweiten Kamera und der Einspielung der Teilnehmer-Videofeeds auf Monitore im selben Raum, ist es möglich sich Teilnehmern zuzuwenden und, sobald sie sprechen, den Original-Videofeed zu zeigen. Dies erfordert neben der Studioausstattung allerdings eine Regieassistenz und zusätzliche Hardware.

Halbtotale Einstellung im Filmgespräch beim DOK.fest München am 13.5.2021, Gast: Volker Koepp (links im Monitor), Moderator: Daniel Sponsel (rechts im improvisierten Studio) / cc Screenshot der YouTube-Wiedergabe

 

Weniger aufwändig, und das haben einige Kurzfilmfestivals dieses Jahr genutzt, ist die Gestaltung der Bildfenster von Videoaufzeichnungen. Das können Änderungen im Farbdesign sein, Rahmungen, das Hinterlegen von Bildmotiven oder das Einblenden von Grafiken und Schriften nach der eigenen CI [2].

 

Nah-Einstellung für Schuss-Gegenschuss. Videofeed: Volker Koepp im goldenen Schnitt (!)

Nah-Einstellung Gegenschuss. Daniel Sponsel im Studio

Zumindest der Videofeed des Veranstalters kann mithilfe eines Videomischers – Hardware, die als virtuelle Kamera im Konferenzsystem angemeldet wird – aufgewertet werden. So sind Einspieler oder verschiedene Kameraeinstellungen und Perspektivwechsel auf der Moderatorenseite möglich.

 

Eine weitere Möglichkeit, die noch nicht ausgereizt ist, wäre das Durchschleifen der Videosignale durch virtuelle Bildmischer bevor das Signal aufgezeichnet oder gesendet wird. Hierfür sind aber viel Erfahrung und robuste Rechenleistungen erforderlich.

 

 

Multitasking – menschliche Grenzen

 

Die Teilnahme an Videokonferenzen, die veröffentlicht werden sollen, verlangt den TeilnehmerInnen viel ab. Sie führen die Kamera, setzen Licht und sind auch noch für die Tonaufnahme zuständig. Für ModeratorInnen sind die Anforderungen noch höher. Wenn man die Kontrolle nicht dem Algorithmus des Anbieters überlassen möchte, müssen neben der eigentlichen Arbeit der Gesprächsführung, weitere Funktionen in Echtzeit erfüllt werden. Dafür sind in anderen Medienproduktionen normalerweise ein Dutzend Gewerke zuständig …

 

 

Empfehlungen für Filmfestivals (Wunschzettel)

 

ModeratorInnen brauchen eine Assistenz und sollten mit leistungstarker Technik ausgestattet werden. Veranstalter sollten mehr Zeit und Mittel in die Recherche, Tests und Schulungen investieren. Alternativ müssten teure Dienstleister beauftragt werden. Das können sich aber nur wenige Festivals leisten. Deshalb ist permanentes Lernen und Hinterfragen der eigenen Praxis erforderlich. Dazu gehört auch, sich kontinuierlich über alternative Plattformen und Innovationen zu informieren. Bisher gab es zu wenig Austausch und Kommunikation zu diesem Thema. Die Bildung von Arbeitsgruppen und Kooperationen zwischen Festivals könnten helfen, damit wir die Krise, aber möglicherweise auch eine für immer hybride Festivalzukunft, qualitativ adäquat bewältigen können.

 

 

[1] gesehen bei EMAF in Osnabrück, Trickfilmfestival Stuttgart,  Berlinale u.v.a.

[2] zum Beispiel mit der Software OBS, die es sogar kostenlos gibt, aber eine steile Lernkurve fordert

[3] Die Möglichkeiten einer Bildregie und Dramaturgie sind bei den gängigen kostenfreien Videokonferenz-Anwendungen aus technischen Gründen begrenzt. Sie transportieren gleichzeitig einzelne Bildtelefonie-Feeds und setzen sie in Echtzeit in einem Browserfenster zusammen. Eine Bildregie ist rudimentär nur live und meist nur durch Tricks möglich. Es gibt nur diesen einen Stream, der aufgezeichnet werden kann. Die Teilnehmer sehen nur zufällig, nämlich bei gleicher lokaler Ansichtswahl, den selben Bildaufbau, während nicht teilnehmende Betrachter im Livestream alle das selbe, fremdprogrammierte Bild sehen. Deshalb ist, obwohl mehrere Kameras im Einsatz waren, ein nachträglicher Umschnitt auf einzelne Feeds unmöglich. Damit sind einer Bildgestaltung auf Videokonferenzplattformen, wenn nur die Bordmittel gängiger Personal Computer eingesetzt werden, enge Grenzen gesetzt.

 

Bildnachweise

Screenshot vom Filmgespräch beim DOK.fest München am 13.5.2021, auf YouTube

Screenshot vom Symposium II am 30.10.2020 bei Kino der Kunst München

Beitragbild: Collage aus CC-Bildern

 

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