Rückblick auf die Kurzfilmpreisträger 2009 – eine kleine Auswertung

Ausgehend von dem Eindruck, dass weltweit eine Hand voll Kurzfilme die meisten Preise und Auszeichnungen erhält, hatten wir an dieser Stelle vor zwei Jahren zum ersten mal einen Rückblick auf die Preisträger des Vorjahres veröffentlicht. Durch eine Auswertung der in unserer Rubrik „Auszeichnungen“ registrierten Preisträger war es möglich diesen subjektiven Eindruck durch objektive Zahlen zu quantifizieren. Dies wiederholen wir nun in einem Rückblick auf das Jahr 2009.

Durch die Auswertung entsteht zwangsläufig auch eine Art Film-Hitparade. Ein solches Ranking kann selbstverständlich nicht zur Beurteilung der künstlerischen Qualität von Filmen herangezogen werden, gibt aber Auskunft über ihre Beliebtheit gemessen an Voten von Fachjurys und in Publikumsabstimmungen.

Indirekt lässt sich dabei auch ablesen, wie und wo Festivalkarrieren von Filmen ins Rollen kommen. Auch werden Trends in der Bevorzugung bestimmter Filmgattungen oder Themen sichtbar. Weiterhin gibt die Auswertung Aufschluss über die Verteilung der Preise bezüglich der Herstellungsländer der Filme.
 

Die Untersuchungsbasis
Ausgewertet wurden alle Auszeichnungen und Preise, die auf shortfilm.de in der Rubrik „Auszeichnungen“ im Jahr 2009 veröffentlicht wurden. Dies waren im vergangenen Jahr knapp 1.000 Nennungen. Berücksichtigt wurden aber selbstverständlich nicht alle Preise und Auszeichnungen, die weltweit irgendwo verliehen werden.

Regelmäßig registriert werden in unserer Rubrik „Auszeichnungen“ nur die größeren Kurzfilmfestivals mit internationalen Wettbewerben. Ausschließlich nationale oder regionale Wettbewerbe bleiben unberücksichtigt. Nationale Filmpreise, wie in Deutschland der Deutsche Kurzfilmpreis und in Spanien die Goyas, werden jedoch erfasst.

In der Regel werden nur die Hauptpreise registriert. Nur bei wenigen, großen Festivals werden auch lobende Erwähnungen genannt. Auch werden, mit Ausnahme bedeutender internationaler Spielfilmfestivals mit Kurzfilmwettbewerb wie Cannes, Berlin oder Sundance, nur Auszeichnungen auf Kurzfilmfestivals berücksichtigt.

Insgesamt liegen für 2009 Auswertungen von etwa 190 Festivals und Wettbewerben vor –  20 davon mit Sitz in Deutschland. Wegen unseres eigenen geografischen Standorts sind europäische Auszeichnungen leicht überrepräsentiert. Jedoch sind ansonsten alle Kontinente und Weltregionen berücksichtigt.
 
Starke Produktionsländer

Die Zahl der Herkunftsländer der Preisträger beträgt immerhin mehr als 70. Die mit deutlichem Abstand größte Zahl an Auszeichnungen im Jahr 2009 entfiel auf Filme aus den Ländern Frankreich (107 Preise), Deutschland (102), Großbritannien (88), USA (85) und Spanien (45). Im Vergleich zum Vorjahr änderten sich die Zahlen nur geringfügig. Deutschland und Frankreich tauschten den Platz an der Spitze und lediglich Filme aus Spanien erhielten deutlich weniger Preise als zuvor. Von den etwas mehr als 1.000 registrierten Auszeichnungen entfiel fast die Hälfte auf Filme aus diesen Ländern, die allerdings auch weltweit das größte Produktionsvolumen an Kurzfilmen vorweisen können.

Unter den kleineren Ländern – bezüglich ihrer Einwohnerzahlen oder ihrer Kurzfilmproduktion – waren 2009 insbesondere Schweden und Israel erfolgreich (34 bzw. 25 Preise). Auch gab es wieder Länder, deren Statistik sich nur aufgrund einzelner, sehr erfolgreicher Filme verbesserte – wie in den Jahren zuvor Rumänien und Island. Dieses Jahr war es Italien, das wegen des Erfolgs von MUTO in der Länderstatistik nach oben rutschte.

Die Herkunftszahlen der Preisträger reflektieren nicht nur das Produktionsvolumen an Kurzfilmen, sondern hängen natürlich auch von der Zahl der Festivals im betreffenden Land ab. Insofern einheimische Filme größere Chancen auf Auszeichnungen im eigenen Land haben, hängt das Ranking der preisgekrönten Filme nach Herkunft ebenfalls von der Festivaldichte in den jeweiligen Ländern ab.

Interessant sind deshalb auch die Zahlen über den Auslandserfolg von Kurzfilmen. Hier ergibt sich dann folgendes Bild: am Erfolgreichsten im Ausland waren 2009 Filme aus Großbritannien (75), Frankreich (55) und Deutschland (53), was ungefähr der Verteilung der Preise insgesamt, also inklusive der Preise im eigenen Land, entspricht. Aus dem Rahmen fallen diesbezüglich die Filme aus den USA und Spanien, die überwiegend ihre Preise im eigenen Land erhielten. Umgekehrt bildet Schweden eine Besonderheit dar, insofern von den 34 Preisen für schwedische Filme nur 4 im eigenen Land errungen wurden, was sicherlich auch an der relativ geringen Zahl an Kurzfilmfestivals liegt.

Unter den Ländern, die keine ausgeprägte Kurzfilmfestivalstruktur haben, fallen im Übrigen Israel und Island mit diesbezüglich überproportionalen Erfolgen im Ausland auf. Dies war bereits 2008 ähnlich. Im Fall von Island beruht der Erfolg auf einigen wenigen Filmen, während aus Israel ein ganze Reihe von Produktionen derzeit international Erfolg haben.
 
Inland- vs. Auslandserfolge

Ein Erfolg im eigenen Land bedeutet nicht notwendigerweise, dass ein Film auch im Ausland Erfolg hat. Dies hängt nicht nur von der Zahl der Kurzfilmfestivals in den jeweiligen Ländern ab. Es könnte aber auch sein, dass in manchen Ländern die Jurys nicht international besetzt sind und Filme aus dem eigenen Land bei der Preisvergabe bevorzugen. Dies gilt auf jeden Fall für Publikumspreise.

Wie bereits in den Jahren zuvor erhielten 2009 Filme aus Brasilien und den USA, aber auch aus Spanien, im eigenen Land deutlich mehr Preise als im Ausland.
Umgekehrt waren Filme aus Großbritannien, Schweden, Australien und Österreich im Ausland erfolgreicher als im Inland.

Unter den größeren Produktionsländern war das Verhältnis von Inland- zu Auslandserfolgen für Filme aus Deutschland und Frankreich ausgeglichen. Dies, obwohl es in beiden Ländern eine hohe Festivaldichte gibt und dort weltweit die meisten Auszeichnungen für Kurzfilme verliehen werden.
 
Die beliebtesten Produktionsländer in Deutschland

In Deutschland waren im Jahr 2009 am Erfolgreichsten Filme aus Großbritannien (11 Preise), Frankreich (9) und den Niederlanden (7), gefolgt von Filmen aus den USA, Belgien und Österreich (je 5). Auch diesbezüglich wird ein langfristiger Trend bestätigt.
 
Internationalität von Jury-Entscheidungen

Von den drei Ländern, in denen mit großem Abstand die meisten Kurzfilmpreise verliehen werden, gab es bezüglich der Internationalität kaum Unterschiede. Sowohl in Deutschland, Frankreich und den USA wurden mehr als 100 Preise auf Filme aus mehr als 25 Herkunftsländer „šverteilt‘. Eine diesbezügliche Öffnung haben 2009 die USA, aber insbesondere auch Spanien vollzogen. Dort wurden deutlich mehr ausländische Filme prämiert als in den Jahren zuvor. Auch in anderen Ländern schreitet diese Internationalisierung fort.
 
Die international erfolgreichsten Filme des Jahres

Im Jahr 2009 erhielt SKHIZEIN von Jérémy Clapin mit 17 Auszeichnungen die meisten der bei shortfilm.de registrierten Preise. SKHIZEIN schildert die Nöte seiner Hauptfigur, die nach einem Meteoriten-Einschlag 91cm neben dem Rest der Welt steht, also sozusagen verrückt ist und alleine in seinem eigenen Kosmos lebt. Der von ARTE koproduzierte französische Animationsfilm stand vor einem Jahr an dieser Stelle bereits auf Platz 2 der Filme mit den meisten Preisen. Im Blog des Films kann man nachlesen, dass SKHIZEIN seit seinem ersten Preis in Cannes 2008 bis Ende 2009 mehr als 60 mal ausgezeichnet wurde … und die Festivalkarriere dieses Films ist noch nicht zu Ende!

An zweiter Stelle steht 2009 der italienische Animationsfilm MUTO von Blu. Auch dieser Film stand bereits 2008 auf der Liste der zehn erfolgreichsten Filmen. MUTO ist der erste Film des Graffiti-Künstlers und Illustrators Blu, der durch seine monumentalen Wandgemälde Aufsehen erregte. Der Film ist im Grunde die Dokumentation einer Variante seiner Wandgemälde, die er durch abfotografierte Übermalungen animiert. MUTO war bereits vor seiner „Festivalkarriere“ im Internet sehr beliebt. Allein YouTube verzeichnet mehr als 6 Millionen Aufrufe. Da der Autor seinen Film unter Creative Commons Lizenz freigegeben hat und auf seiner Webseite MUTO frei zum Download anbietet, dürfte er der meistgesehenste Kurzfilm der letzten Jahre überhaupt sein.

An dritter Stelle steht eine Produktion aus dem Jahr 2009, die also noch gute Chancen hat ihre Erfolge in 2010 auszubauen: WAGAH von Supriyo Sen (Indien) und Najaf Bilgrami (Pakistan). Der Dokumentarfilm über einen Grenzübergang zwischen Pakistan und Indien erhielt dank der Nominierung zum Berlin Today Award des Berlinale Talent Campus eine Produktionsförderung. Als deutsche Produktion konnte er zum Deutschen Kurzfilmpreis 2009 nominiert werden und erhielt im vergangenen November den Kurzfilmpreis in Gold in der Kategorie der Dokumentarfilme bis 30 Minuten Länge.

Ebenfalls noch relativ neu ist der Kurzspielfilm THE GROUND BENEATH von René Hernandez aus Australien, der an vierter Stelle steht. Der Spielfilm über einen Jugendlichen handelt vom Umgang mit väterlicher Gewalt und wird inzwischen in vielen Ländern auch im Schulunterricht eingesetzt.

An fünfter Stelle steht noch einmal ein „šalter Bekannter‘: SMíFUGLAR (Two Birds) von Ríºnar Ríºnarsson, der im letzten Jahr bereits auf Platz 2 stand und insgesamt fast so viele Preise erhalten hat wie SKHIZEIN. Dieser nordeuropäische Film – die Produktion eines isländischen Studenten an der Danske Filmskole (Kopenhagen) – hatte überwiegend in romanischen Ländern Erfolg.

Den nächsten Platz teilen sich mehrere Filme mit gleich vielen Auszeichnungen: BERNADETTE von Duncan Campbell (UK), NEXT FLOOR von Denis Villeneuve (CAN), PHOTOGRAPH OF JESUS von Laurie Hill (UK) und PLEASE SAY SOMETHING von David O’Reilly (D/Ireland).

Der erfolgreichste Film des Jahres 2008, AUF DER STRECKE (On the Line), erhielt 2009 zwar keine großen Festivalpreise mehr, wurde jedoch für den Kurzfilm-Oscar nominiert. Der Oscar-Preisträger 2009 in der Kategorie Short Film (Live Action), SPIELZEUGLAND (Toyland) hat hingegen 2009 keine, der von uns registrierten Auszeichnungen erhalten. Ähnliches gilt im Übrigen auch für die aktuellen Oscar-Preisträger und Nominierungen in den anderen Kurzfilm-Kategorien Documentary (short subject) und Shortfilm (animated), die andernorts keine große Rolle spielten. Dies liegt wohl daran, dass das Auswahl-Procedere und die Stimmberechtigten von der internationalen Kurzfilmszene abgekoppelt sind.
 

Deutsche Filme

Der international mit Abstand erfolgreichste deutsche Film im Festivaljahr 2009 war WAGAH von Supriyo Sen & Najaf Bilgrami. In Deutschland selbst steht er nach SKHIZEIN und MUTO an dritter Stelle. Der zweiterfolgreichste deutsche Film stammt ebenfalls nicht von einem deutschen Regisseur: Es ist PLEASE SAY SOMETHING des irischen Filmemachers David O’Reilly. Der in Berlin lebende Filmemacher hat diesen computer-generierten Animationsfilm über Episoden aus dem Eheleben einer Maus und einer Katze auf dem heimischen Desktop hergestellt.
An dritter Stelle mit jeweils 3 Auszeichnungen stehen die Filme DER CONNY IHR PONY von Robert Pohle & Martin Hentze und GERMANIA WURST von Volker Schlecht. Beides sind Animationsfilme. DER CONNY IHR PONY ist eine Collage, die auf einem Poetry-Slam beruht. GERMANIA WURST ist ein auf Zeichnungen beruhender digital unterstützter Trickfilm, der 2000 Jahre deutscher Geschichte in metaphorischen Bildern durchläuft. Der Film entstand an der HFF Potsdam.
Ebenfalls 3 Auszeichnungen, darunter ebenfalls ein Deutscher Kurzfilmpreis, haben wir 2009 für den Kurzspielfilm POLAR registriert. Der Film des Schweizer Regisseurs über einen Vater-Sohn-Konflikt entstand an der KHM Köln.

Bis auf 7 Filme mit je zwei Preisen, erhielten alle übrigen 80 deutschen Filme, die 2009 einen auf shortfilm.de registrierten Preise gewonnen haben, jeweils nur eine Auszeichnung.
 
Publikumspreise

Noch deutlicher als im Jahr 2008 stimmen die Voten der Fachjurys im Jahresdurchschnitt 2009 mit den Publikumspreisen überein. Die meisten Publikumspreise erhielten die Filme SKHIZEIN, MUTO und WAGAH, also die selben Filme in der selben Reihenfolge. Lediglich zwei Filme, THE GROUND BENEATH und SMíFUGLER, waren bei den Fachjurys deutlich beliebter als beim Publikum und nur ein Film, LOST AND FOUND, beim Publikum deutlich beliebter als bei den Jurys.

Einen wesentlichen Unterschied zwischen den Voten des Publikums und der Fachjurys gibt es allerdings in der Bandbreite der ausgezeichneten Filme – diese ist bei den Fachjurys wesentlich größer, während das Publikum eine deutlich geringere Zahl an Filmen in Betracht zog.
 

Filmgattungen: Fiction wieder vorne

2008 akkumulierten Animationsfilme die meisten Preise. 2009 wurden jedoch, wie bereits 2007, im Durchschnitt Kurzspielfilme bevorzugt. Dokumentar- und Experimentalfilme konnten 2009 nicht mehr als 3 bzw. 2 Preise akkumulieren. Allerdings könnten zumindest einige der Animationsfilme durchaus auch in der Kategorie Experimentalfilm geführt werden, während die erfolgreichsten Kurzspielfilme fast alle klassisch narrative Filme sind. Die wenigen Filme, die 2009 an der Spitze die meisten Preise auf sich akkumulieren konnten, sind jedoch wie im Jahr zuvor Animationsfilme.

 

Auch 2009 dünne Luft an der Spitze: Akkumulation von Preisen

Im Rückblick auf das Jahr 2008 stellten wir fest, dass sich die Verteilungspyramide der Preise an die Filme an der Spitze stark verjüngt. Nur etwa 50 von 800 Filmen erhielten international jeweils mehr als zwei Preise. Und zu der kleinen „Spitzengruppe“, die sich weltweit absetzte, gehörten nur 18 Filme.

Im Jahr 2009 waren es nur 15 Filme, die mehr als 4 Auszeichnungen akkumulieren konnten (bis zu  je 17 Preise). Das sind 12% aller Auszeichnungen insgesamt, die diese kleine Gruppe an Filmen auf sich versammelt.
Nur knapp 50 von etwa 750 verschiedenen Titeln erhielten mehr als zwei Preise. Diese 50 Filme akkumulierten fast ein Viertel aller Auszeichnungen, die im Jahr 2009 vergeben wurden.
 
Konsens-Festivals: Übereinstimmungen von Jury-Entscheidungen bei verschiedenen Veranstaltern

Betrachtet man die 15 erfolgreichsten Filme und untersucht die gemeinsame Schnittmenge von Festivals, auf denen sie ausgezeichnet wurden, so lässt sich feststellen, dass viele dieser 15 Preisträger zugleich auf den Festivals in Clermont-Ferrand, Rio de Janeiro, Annecy, Dresden und Hamburg eine Auszeichnung erhielten.
 
Trendsetter und Vorreiter

Interessant ist auch, wo die Festivalkarrieren der 15 populärsten Filme begonnen haben: SKHIZEIN startete seine Karriere bereits 2008 in Cannes; MUTO – nach seinem Internet-Erfolg – beim Animation Festival in Ottawa; WAGAH in Berlin (im Ausland in Huesca); THE GROUND BENEATH in Prag; SMíFUGLAR in St. Petersburg; BERNADETTE in Rotterdam; NEXT FLOOR in Cannes; PHOTOGRAPH OF JESUS in Tampere; PLEASE SAY SOMETHING in Berlin.
In der nächsten Gruppe der Filme mit 5 Auszeichnungen: FORBACH in Cannes; SLAVAR (Slaves) in San Jose; NORA in Tiburon (im Ausland in Györ); SLITAGE (Seeds of the Fall) in Cannes; LOST AND FOUND in Palm Springs und LOGORAMA in Cannes.

Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang die im Vergleich zu den reinen Kurzfilmfestivals neuerdings erstarkte Position der Festivals in Cannes und Berlin. Dies ist eine der wenigen Veränderungen in der langfristigen Beobachtung. Bei der Verteilung von Preisen auf Filme und Länder scheinen ansonsten Strukturen und Muster durch, die sich Jahr für Jahr bestätigen.

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