Kurzfilm als Selbstverständlichkeit

Wenn es sich nicht gerade um einen der «berfl«ssigen«Wie drehe ich einen Kurzfilm«-Ratgeber handelt, sind B«cher zum Kurzfilm zumeist eine positive, da rare, «berraschung. Insgesamt h«lt sich n«mlich die Bandbreite der Literatur zum Kurzfilm in schmalen Grenzen und d«rfte wohl, l«sst man die Festivalkataloge au«er Acht, kaum «ber einen Regalmeter hinausgehen. Nur selten schafft es eine Publikation wie Richard Raskins «The Art of the Short Fiction Film« durch die Filter der Filmverlagslektoren.

Der Schnitt-Verlag hat nun in Zusammenarbeit mit den Kurzfilmtagen Oberhausen den Schritt gewagt und Gespr«che, die der Fernsehjournalist Peter Kremski mit elf Filmemachern verschiedener Generationen zum Thema Kurzfilm f«hrte, in einem Band herausgebracht.Urspr«nglich gef«hrt f«r eine ARTE-Dokumentation im Rahmen des Themenabends zum 50. Geburtstag der Kurzfilmtage Oberhausen war das Material verlockend genug, um eine Zweitverwertung nahe zu legen. Unter den Filmemachern sind tats«chlich gro«e Namen wie Tom Tykwer, Michel Gondry oder Kenneth Anger, aber auch vor allem innerhalb der Szene bekannte K«nstler wie Laura Waddington, Zbigniew Rybczynski oder Mara Mattuschka.

 

Die Interviews vermitteln eine sehr konzentrierte Stimmung, fast schon Werkstattcharakter. Statt Frage-Antwort Pingpong, raffinierten oder spontanen Nachfragen sp«rt man dem Gespr«chsband deutlich das Medium an, f«r das die Gespr«che urspr«nglich produziert wurden: So gibt Kremski seinen Interviewpartnern breiten Raum in ihrem Antwortspektrum, die Antworten erstrecken sich ohne Einw«rfe manchmal «ber zwei Seiten. Auch das Fragekonzept unterstreicht den Werkstattcharakter: Kremski beginnt jedes Interview mit einer Frage zum Verh«ltnis des Filmers zum Kurzfilm, um sp«ter dann die zweite Standardfrage zum Thema «Kurzfilm als Schock und Provokation« einzuflechten.

 

Doch so einfach das Fragekonzept ist, so effizient ist es auch bei der Leser-Bindung. Denn das Ergebnis ist eine kleine Sensation im Filmbuch-Bereich, die selbst hohe Erwartungen befriedigen d«rfte. Nur selten erlebt man in dieser K«rze (jedes Interview umfasst ca. 15 Seiten) eine solch intensive Auseinandersetzung von FilmemacherInnen mit ihrer eigenen Kunst. Die Gespr«che erz«hlen exemplarisch am Beispiel des Kurzfilms eine Geschichte des k«nstlerischen Spiel-, Animations-, Dokumentar- und Experimentalfilms anhand einiger ihrer wichtigsten Protagonisten. Ein Interview als besonders gelungen herauszuheben, scheint dabei ungerechtfertigt. Einmal im Kurzfilmrausch erlebt man die distanziert-intellektuelle Haltung eines Matthias M«ller genauso als Lesevergn«gen wie die Schilderung von Provokationstechniken durch Korn«l Mundrucz« oder die Beschreibung von Publikumsreaktionen auf Cargo durch Laura Waddington.

 

Auch wenn die k«nstlerischen Differenzen offen angesprochen werden, erfreuen die gro«e Solidarit«t und der Respekt vor der Arbeit der Kollegen, die sich – mit Ausnahme Tykwers und Gondrys – jenseits der gro«en kommerziellen Erfolge bewegen. Genau dieses Herausarbeiten der unterschiedlichen Ans«tze ist es auch, was den Gespr«chsband zu einem ganz gro«en Wurf macht. Mit zielsicherer Beil«ufigkeit gelingt es Kremski, seine Gespr«che immer wieder um einige zentrale Werke der Kurzfilmkunst, die mit wenigen Ausnahmen Werke der im selben Band zu Wort kommenden Kollegen sind, «berzuleiten. John Smith f«rchtet sich vor dem semiologischen Overkill der Werke Michel Gondrys. Gondry hingegen l«sst seiner Begeisterung «ber Rybczinskis Oscar-pr«mierten Kurzfilm «Tango« freien Lauf, Mara Mattuschka gesteht ein, dass sie «hnlich dem K«nstler Flatz in Romuald Karmakars «Demontage IX« auch einmal kopf«ber «ber einer Biertheke gehangen hat und Matthias M«ller sieht in den sp«teren Filmen von Kenneth Anger eine gewisse Tragik des gescheiterten Berufprovokateurs. Kremski er«ffnet einen filmischen Kosmos der Selbst- und Fremdreferenz, der scheinbar zuf«llig vorrangig aus Kurzfilme(r)n besteht. Der Autor und seine Gespr«chspartner wenden sich zwar vehement gegen das Kurzfilm-Sektierertum, was in Anbetracht ihrer Genregrenzen sprengenden Film-Biografien nahe liegt. Zugleich verweisen sie mit ihren Werken selbst auf die Unverzichtbarkeit des Kurzfilms. Georg See«len sprach einmal vom Kurzfilm als dem «Reservoir der Filmkultur«. Wer nach einer plausiblen Illustration f«r diese These suchte, der wird in Kremskis Gespr«chssammlung f«ndig.

 

Michael Jahn

 

Original Page