Der Einsatz sogenannter Künstlicher Intelligenz ist in aller Munde und nimmt mit jeder Machine-Learning-Verbesserung auch in der Filmherstellung Fahrt auf. Nun ist ein Manifest erschienen, in der nicht die Technik im Zentrum steht, sondern sehr umfangreich und interessant in ethische und rechtliche Fragen behandelt.
Auf der Grundlage von Studien und eigenen Erfahrungen hat die Archival Producers Alliance (APA) kollektiv sehr umfangreich und interessant Grundsätze für die beste Vorgehensweise bei der Verwendung, englisch “best practice”, von Künstlerischer Intelligenz erarbeitet. Die übergreifenden Themen der Veröffentlichung lauten: Wert der Primärquellen, Transparenz, Rechtliche Erwägungen
und Ethische Überlegungen zur Erstellung von menschlichen Simulationen
Geschrieben wurden die Richtlinien für die Herstellung von Filmen, die archiviertes, historisches Material verwenden, können aber auf jegliches dokumentarisches Arbeiten übertragen werden. Es sind Richtlinien, in denen allgemeine journalistisch Werte vertreten werden.
Das Manifest darauf hin, dass “Generative Künstliche Intelligenz” oft auf mehrere unbekannte Quellen zurück greift und realistisch anmutende Materialien erstellt, die das Publikum in die Irre führen können. Bei GenAI-Materialien handelt es sich um Elemente mit vermeintlicher Autorität, für die jedoch keine Urheberschaft nachgewiesen werden kann.
Negativbeispiele für irreführende Materialien sind sogenannte Deep-Fakes, menschliche Simulationen, die Verfälschungen tatsächlicher Ereignisse oder die Inszenierung von Handlungen, die überhaupt nicht stattgefunden haben.
Dokumentarisches Arbeiten, so die AutorInnen der Richtlinien, habe aber eine “inhärente Verpflichtung zur Realität”. Sie berufen sich dabei auf einen Text von G. Roy Levin[1], der als Grundlage das implizite Versprechen des Dokumentarfilms an das Publikum sei, dass das, was als real dargestellt wird, auch tatsächlich real ist. Mit künstlich bearbeitetem Material bestehe aber die Gefahr, dass Aufzeichnungen der Realität getrübt werden.
Aufgrund der Datenlage und der Auswahlprozesse könnten sich auch bestimmte Tendenzen durchsetzen, wie etwa Stereotypen und Voreingenommenheiten. Und die Algorithmen selbst können ein ‘bias’ haben, die sich unhinterfragt verbreitet.
Das Autorenteam wendet sich nicht grundsätzlich gegen den Einsatz künstlich Intelligenz und nennt auch positive Beispiele. Die Technik könne helfen, die Identität von Menschen zu schützen, für die ihr Erscheinen in einem Dokumentarfilm ein Risiko darstellt. Und Geschichten, die übersehen oder absichtlich unterdrückt werden, könnten damit erzählt werden.
Die KI kann oder kann bald fotorealistische Bilder produzieren, die ununterscheidbar von Primärquellen sind. Deshalb sind Richtlinien, wie die APA sie aufgestellt hat, wichtig. Die Guidelines der APA können, so meinen die AutorInnen, auch auf anderen Bereichen anwendbar sein, wie z. B. Fiktionsfilme, Podcasts, Werbespots, Museumsausstellungen und andere.
Die Diskussion stellt indirekt Haltungen in Frage, nach denen (allein) das dokumentarische Verfahren einfach die Realität abbildet und wie ein Spiegel wiedergibt. Medientheoretisch stärken die neuen Entwicklungen die Position, dass dokumentarische Bilder sich in ihrer Beziehung zur Realität in einer wichtigen Frage nicht wesentlich von inszenierten Bildern unterscheiden. Es geht um den anderen, wichtigeren Unterschied zwischen Wahrheit und Echtheit. Praktiker und Theoretiker wie auch die Betrachter kennen oder sollten den Unterschied zwischen echt und wahr kennen und nicht nach der Filmgattung urteilen. Jedes Bild kann echt, aber unwahr, wahr und unecht sein oder wahr und echt sein! Das ist kein Privileg der Gattung Dokumentarfilm.
Ein Spielfilm kann ethischen Grundsätzen folgen und Wahrheiten genauso gut zum Ausdruck verhelfen. Und beim künstlerischen Experimentalfilm laufen Warnungen vor dem Einsatz von künstlicher Intelligenz ganz ins Leere.
Die fundierte Analyse der APA zeigt indirekt, dass der Einsatz Künstlicher Intelligenz auch unsere Haltung und unser Verständnis von Film allgemein verändern wird.
Quelle
“Best Practices for Use of Generative AI in Documentaries, Archival Producers Alliance (APA), September 2024
Aufmerksam geworden durch eine Veröffentlichung: Short Verse (www.shortverse.com)
URL des Dokuments: PDF https://drive.google.com/file/d/1WS4iZ2Wi_wft5x54RG-hYb45sf10W8nV/view?pli=1
[1] Documentary Explorations