Crowd statt Staat

Hintergrund
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OSTEN – teilcrowdfinanziertes Kurzfilmprojekt von Philipp Müller © CC-BY-NC-SA 4.0 Johanna Baschke / Max Hilsamer / Philipp Müller

Bei vielen Filmschaffenden hat die staatliche Filmförderung einen schlechten Ruf. Scheinbar nicht nachvollziehbare Förderentscheidungen, große formale Barrieren, aufwendiger Papierkram und jede Menge Bürokratie bei der Abwicklung eines geförderten Projekts − all das macht aus Sicht vieler Filmschaffender Crowdfunding als Finanzierungsalternative attraktiv. Crowdfunding verspricht, was die öffentliche Filmförderung nicht zu sein scheint: Es ist einfach in der Abwicklung, frei zugänglich für jeden, basisdemokratisch und transparent. Und die Erfolgsgeschichten sprechen für sich. „Stromberg“, „Iron Sky“ und „Hotel Desire“ konnten ebenso wie der letzte Film des Altmeisters Jan Svankmajer innerhalb weniger Tage oder Wochen sechsstellige Beträge über Crowdfunding generieren. Dabei ist das Prinzip ganz einfach. Statt wie in der klassischen Filmfinanzierung auf einzelne große Geldgeber (Förderung, Fernsehen) zu setzen, finanzieren beim Crowdfunding viele Anleger mit kleinen Beträgen den geplanten Film.

Eingesammelt werden diese Gelder typischerweise, aber nicht zwangsläufig, über eines der Crowdfunding-Portale im Internet. Davon gibt es mittlerweile recht viele, von größerer Bedeutung in Deutschland sind jedoch nur Kickstarter, Indiegogo sowie deren deutsches Pendant Startnext. Alle drei Plattformen funktionieren ähnlich. Als Projektstarterin oder -starter veröffentlicht man dort sein Projekt und gibt an, in welchem Kampagnenzeitraum man welche Summe als Finanzierungsziel erreichen möchte. Kickstarter und Startnext verfolgen dabei das „Alles oder nichts“-Konzept. Das bedeutet, dass das eingesammelte Geld nur ausgezahlt wird, wenn das Finanzierungsziel erreicht oder idealerweise übertroffen wurde. Ist das nicht der Falls, erhalten die Geldgeber ihr Geld zurück. Indiegogo bietet als Alternative auch einen flexiblen Zielbetrag an. Wählt man diese Option, werden alle eingesammelten Gelder ausgezahlt, egal ob das Finanzierungsziel erreicht wurde oder nicht. Beide Varianten haben ihre Vor- und Nachteile. Das „Alles oder nichts“ – Konzept nutzt den Spieltrieb und die Dynamik der Community. Mit jedem Euro, der gesammelt wird, kommen die Projekteinreichenden ihrem Ziel ein Stück näher. Gleichzeitig wird das Projekt auch immer attraktiver für neue Geldgeber. Außerdem können sich beim „Alles oder nichts“-Prinzip die Geldgeber sicher sein, dass sie nur dann bezahlen müssen, wenn ein Projekt voll finanziert ist. Indiegogos flexibles Finanzierungsziel bietet diese Sicherheit nicht. Aus diesem Grund empfiehlt Indiegogo selbst das „Alles oder Nichts“-Konzept für Projekte, die an definierte Herstellungskosten gebunden sind.

Den Zahlungsverkehr zwischen Geldgeber und Filmschaffenden organisieren im Übrigen die Plattformen. Und weil nichts umsonst ist, verlangen sie hierfür bei erfolgreichen Projekten neben ihrer Verwaltungsgebühr (5 Prozent bei Kickstarter und Indiegogo, 1 Prozent plus freiwillige Provision bei Startnext) einen vom Zahlungsmittel abhängigen Zuschlag von 3 bis 5 Prozent.

Komplettiert wird ein Crowdfunding-Projekt allerdings erst durch die „Dankeschöns“ oder „Perks“, die die Geldgeber als Belohnung für ihre Beiträge erhalten. Da alle drei Plattformen die Beteiligung der Geldgeber an den Erlösen aus den Projekten untersagen (das wäre Crowdinvesting), handelt es sich dabei meistens um kleine Geschenke. Angefangen von der namentlichen Nennung in Vor- oder Abspann, über DVDs und Plakate bis hin zu Statistenrollen im geplanten Film.

Welche Plattform ist die beste? Falsche Frage. Kommt drauf an, was und wen man erreichen möchte. Kickstarter ist mit über 11 Millionen angemeldeten Unterstützern wohl das Portal mit der größten Reichweite. Gefolgt von Indiegogo, das monatlich nach eigenen Angaben von 15 Millionen Menschen besucht wird. Mit fast 700.000 Nutzern liegt Startnext deutlich dahinter. Startnexts Konzentration auf den deutschsprachigen Raum ist aber nicht zwangsläufig ein Nachteil. Schließlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass das eigene Projekt dort gefunden wird, durch die relativ geringe Zahl konkurrierender Filmprojekte (Am 25. August 2016 waren es 20) ungleich höher als bei den Wettbewerbern. Bei diesen buhlen jeweils mehrere Hundert Filme gleichzeitig um das Geld der Crowd. Dies spiegelt sich auch in den Erfolgsquoten wider. Während bei Startnext im Jahr 2014 62 % der Projekte das Finanzierungsziel erreicht haben, weist die Statistik von Kickstarter gerade einmal 37 % als erfolgreich aus. Ein weiteres Argument für Startnext sind die geringe Mindestgebühr und das Versprechen, Projektstarter bei Bedarf individuell zu beraten. Sollen mit einem Projekt auch internationale Geldgeber angesprochen werden, führt derzeit jedoch kein Weg an Indiegogo oder Kickstarter vorbei.

„Das Projekt muss den Zeitgeist treffen und richtig in Szene gesetzt werden. Es muss sich von der Menge abheben und gleichzeitig den Eindruck vermitteln, dass es finanzierbar ist.“ fasst Jan Bütow in seiner an der DEKRA Medienhochschule vorgelegten Bachelor-Arbeit1 über die Crowdfunding-Finanzierung von Kurzfilmen die Frage nach dem „richtigen“ Crowdfunding-Projekt zusammen. Beispiel Startnext. Hier wurden im ersten Halbjahr 2016 Kampagnen für rund 80 Kurzfilmprojekte durchgeführt. Die größte Gruppe waren Hochschulfilme. Besonders auffällig dabei ist, dass Crowdfunding offensichtlich gerne von Studierenden genutzt wird, die eine Medienausbildung jenseits der großen Filmhochschulen machen. Als zweite Gruppe lassen sich im weitesten Sinne (medien-)pädagogische Projekte identifizieren, bei denen das Machen selbst oder die Thematik im Vordergrund stehen, nicht jedoch das filmische Ergebnis. Der große Rest ist so unterschiedlich aufgestellt, dass eine Einteilung in Gruppen mit typischen Merkmalen unmöglich ist. Während bei Kickstarter besonders Filme aus den Bereichen Fantasy und Animation Erfolg versprechend zu sein scheinen, sind bei Startnext besonders viele Dokumentarfilme zu finden. Beide Genres haben eins gemeinsam: sie machen es den Fimemachern realtiv einfach, ihre Zielgruppen über deren Genre-Affinität oder das Thema des Filmes anzusprechen. Klassische Kurzfilmdramen- und komödien tun sich in dieser Hinsicht sehr viel schwerer. Startnext selbst erklärt, dass auf ihrer Plattform Dokumentarfilme mit Inhalten rund um das Thema Sport besonders erfolgreich sind. So konnte eine Doku über den Weg der Hockey-Nationalmannschaften zu den Olympischen Spielen 2016 rund 325.000 Euro einsammeln. Wohlgemerkt als abendfüllender Film. Die Spannbreite der Finanzierungsziele bei kurzen Dokumentar-, Spiel- und Animationsfilmen ist dagegen sehr viel geringer. Sie reichte bei den untersuchten Projekten von 300 bis 12.000 Euro. Durchschnittlich wurden rund 3.700 Euro als Ziel definiert. Ähnlich verhalten sich die Zahlen für erfolgreich finanzierte Kurzfilme bei allen drei Plattformen. Hier wurde bei Startnext ein mittleres Einspielergebnis von rund 3.500 Euro erzielt. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Fördersumme für einen Kurzfilm bei der staatlichen Filmförderung lag 2013 mit 15.000 Euro mehr als viermal so hoch.

Es sieht also ganz so aus, als würde Crowdfunding vor allem für Kurzfilme im unteren, bestenfalls mittleren Budgetbereich genutzt werden. Kurzfilme mit höheren Finanzierungszielen sind auf den Plattformen kaum zu finden, genauso wenig Filme von bekannten oder etablierten Filmschaffenden. Warum das so ist, kann nur vermutet werden. Zum einen ist es sicherlich so, dass Crowdfunding oftmals nur als die letzte aller Möglichkeiten betrachtet wird, wenn es einen Film zu finanzieren gilt. Das ist angesichts der typischen Crowdfunding-Beträge kaum verwunderlich. 3.000 oder 4.000 Euro reichen nicht für eine professionelle Kurzfilmproduktion. Andererseits eröffnet Crowdfunding gerade Neu- und Quereinsteigern die Chance, ihre Projekte weitestgehend unabhängig herzustellen. Sofern sie genügend Unterstützer finden.

„Bei jedem neuen Projekt entscheidet der User neu, ob er sich finanziell verpflichtet oder nicht.“ schreibt Jan Bütow in seiner Bachelorarbeit. Crowdfunding ist daher immer auch ein Stück „Menschenfischerei“. Überzeugungsarbeit, die das kritische Hinterfragen des eigenen Projektes voraussetzt: „Warum sollte mir jemand sein Geld geben, damit ich meinen Film machen kann?“ Wer hierauf keine nachvollziehbare Antwort hat, wird kaum Erfolg mit seiner Crowdfunding-Kampagne haben können.

Nicht unterschätzt werden sollte zudem, wie viel Arbeit eine Crowdfunding-Kampagne macht. Bütow bewertet den Aufwand sogar höher als bei klassischen Filmförderungen. Grund ist der teilweise enorme Aufwand, den Filmschaffende betreiben müssen, um eine ausreichende Anzahl Unterstützer zu finden. Startnext gibt als Faustregel an, dass es pro Euro Finanzierungsziel einen Besucher auf der Kampagneseite bedarf. Will heißen: wenn ich 10.000 Euro generieren möchte, muss ich 10.000 Besucher auf meine Kampagnenseite „locken“. Das macht Arbeit. Sowohl auf der strategischen Planungsebene als auch in der täglichen Betreuung des Projekts während die Finanzierung läuft. „Wen wollen wir erreichen?“, „Was sind die Stärken unseres Projekts?“, „Womit können wir überzeugen?“, „Welches Finanzierungsziel haben wir?“, „Wann starten wir die Kampagne und wie lange soll sie dauern?“ und nicht zuletzt „Wie erreichen wir potenzielle Geldgeber?“ sind Fragen, auf die alle, die Crowdfunding als Finanzierungsalternative erwägen, eine Antwort finden müssen.

Einige, aber nicht alle Antworten liefern die Portalbetreiber selbst. So betonen Kickstarter & Co. die Wichtigkeit eines guten und überzeugenden Kampagnenfilms. Kampagnenfilme sollten keine Trailer sein, sondern Selbstporträts der Filmschaffenden, die sich und ihr Projekt in zwei bis drei Minuten den potenziellen Geldgebern präsentieren. Im Grunde also nichts Anderes als ein klassischer Pitch.

Andere Erfolgsfaktoren sind die Kampagnendauer und die Dynamik der Kampagnen. Bei der Dauer empfehlen die drei Portale 30 bis maximal 45 Tage. Kürzere Laufzeiten haben in der Regel bessere Chancen, weil sie eine höhere Dynamik aufweisen. Zu kurze Laufzeiten dagegen lassen die notwendige Dynamik erst gar nicht entstehen. Besonders wichtig für den Erfolg sind dabei die ersten Tage nach dem Start. In seinem Campaigner Field Guide stellt Indiegogo fest, dass erfolgreiche Kampagnen mindestens 30 % des Finanzierungsziels innerhalb der ersten zwei Wochen nach Veröffentlichung erreichen. Daher raten die Plattformbetreiber auch, eine Kampagne erst dann zu beginnen, wenn sichergestellt ist, dass ein Drittel der Finanzierung durch Freunde, Bekannte oder Verwandte bereitgestellt werden. Der größere Teil dieser Mittel sollte dazu genutzt werden, die Dynamik am Beginn der Kampagne in Gang zu setzen, ein kleinerer dient als Reserve, falls kurz vor Ende der Kampagne das Finanzierungsziel noch nicht erreicht ist.

Die Höhe des Finanzierungsziels richtet sich nach den Anforderungen und der Qualität des Projektes selbst. Die meisten Geldgeber haben ein feines Gespür dafür, wie viel ein Film „wert“ ist. Ist das Ziel zu niedrig gesteckt, wird ein Projekt schnell unglaubwürdig. Ist es zu hoch, besteht genauso schnell der Verdacht, dass das Geld verschleudert wird. Als Initiator oder Initiatorin ist man daher mit maximaler Transparenz und einer ehrlichen Kalkulation gut beraten. Bei der Berechnung nicht vergessen sollte man die Kosten für die Kampagne selbst. Neben den Plattformgebühren schlagen in jedem Fall auch Kosten für Dankeschöns und Perks zu Buche. Und: Die Einnahmen aus dem Crowdfunding unterliegen wie anderen Einnahmen auch dem Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuerrecht (Hier dazu mehr…). Privatpersonen sollte daher immer einen Aufschlag von mindestens 15 % (5 – 9 % Gebühren + 5 bis 10 % für Perks), Gewerbetreibende sogar von 35 % (zusätzlich 19 % Umsatzsteuer) bei ihrer Kalkulation berücksichtigen.

Attraktive Belohnungen und Dankeschöns sind ein weiterer Erfolgsfaktor. Sie sollen Geldgeber jenseits des eigenen Netzwerks motivieren, das Projekt zu fördern. Üblicherweise werden Perks nach Fördersumme gestaffelt: Je mehr Geld ein Förderer gibt, umso wertvoller (monetär oder ideell) und exklusiver ist das Dankeschön. Fast schon langweilige Klassiker sind hier die DVD oder der VoD-Zugang (typische Fördersumme 5 bis 50 EUR), die Namensnennung im Abspann (10 bis 100 EUR) oder ein Requisit aus dem Film (50 – 4500 EUR). Vereinfacht gilt auch hier: Mit der Attraktivität (und Originalität) der Dankeschöns steigt auch die Bereitschaft, ein Projekt zu fördern. Besonders beliebt bei den Geldgebern sind im Übrigen Finanzierungsbeiträge von 25 EUR/USD. Indiegogo empfiehlt deshalb, genau für diesen Betrag ein oder, besser noch, gleich mehrere verschiedene Perks anzubieten.

Die schönsten und ausgefallensten Perks nutzen jedoch nichts, wenn sich niemand für eine Kampagne interessiert oder wenn, viel häufiger, niemand von der Kampagne weiß. Dass ein Geldgeber per Zufall auf ein Kurzfilmprojekt stößt und sich begeistern lässt, ist zumindest bei den US-Portalen recht unwahrscheinlich. Umso wichtiger ist das Entwickeln einer eigenen Community, die dafür sorgt, dass das Projekt so bekannt wird, wie nur irgend möglich. Alle Portale bieten hierzu integrierte Funktionen zur Betreuung potenzieller Unterstützer. Diese Tools alleine reichen jedoch nicht aus. Facebook, Twitter, Instagram und andere soziale Medien eignen sich zumeist viel besser für den Aufbau und das „Füttern“ der Community. Immer in der Hoffnung, dass sich das eigene Projekt viral verbreitet. Mit der guten Vorbereitung steht oder fällt daher oftmals die Kampagne. Ein Projektplan, der für die Kampagnendauer festlegt, wann wer was auf welchem Kanal kommuniziert, ist daher fast schon Pflicht.

Hält Crowdfunding also, was es verspricht? Ja und Nein. Als Alternative zur staatlichen Filmförderung taugt das Konzept nur eingeschränkt, da die erzielbare Finanzierung (zumindest im Moment noch) bei weitem nicht an die von den großen Fördereinrichtungen vergebenen Summen heranreicht. Trotzdem kann Crowdfunding gerade auch für Filmschaffende, die staatlich Förderung in Anspruch nehmen wollen, eine wichtige, zusätzliche Finanzierungsquelle sein. Seine eigentlichen Stärken entwickelt Crowdfunding aber erst bei Projekten, denen der Weg zum Geld vom Staat verschlossen ist. Für Filmschaffende ohne (eigene) Produktionsfirma, Studierende oder Neueinsteiger ist crowdfunding gerade deshalb eine attraktive und kalkulierbare Option, Geld für die Finanzierung ihres Kurzfilms einzusammeln. Sie sollten sich aber im Klaren sein, dass Crowdfunding kein Selbstläufer ist.

 

1 Jan Bütow: Crowdfunding als Finanzierungsalternative für Kurzfilme in Deutschland, vorgelegt an der DEKRA Medienhochschule

 

 

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