Anibar, das Festival der Möglichkeiten
Eine Reisenotiz aus dem Kosovo

Anibar Festival © Marie Ketzscher

„Wie heißt du, woher kommst du? Danke, dass du hier bist!“ In der Storyboard-Ausstellung des kosovarischen Anibar Animation Festival suchen die Volunteers neugierig die Interaktion. Und sie erzählen auch selbst. Sie sind alle um die 15 und kennen das Festival seit Kindheitstagen. Was sie machen wollen nach der Schule? Natürlich Animation studieren, an der Animation Academy, die die NGO hinter dem gleichnamigen Anibar Festival vor ein paar Jahren gegründet hat.

 

Festival Athmosphäre © Anibar Animation Festival

Dieser Begeisterung, die auf runtergekühlte Westeuropäer*innen vielleicht ein bisschen übertrieben, geradezu amerikanisch wirken mag, begegne ich ständig bei meinem Besuch des Anibar Festivals, das vom 13. – 19. Juli 2022 in der Kleinstadt Peja stattfand. Eine Stadt, in der die Muezzinrufe zu hören sind (um die 95% der albanischen Kosovar*innen sind muslimisch), aber die Straßen nach Madeleine Albright & Co benannt sind. In der die Autos lärmen, aber nur wenige Minuten weiter ein herrlicher Bergfluss plätschert. Aber ich begreife schnell: Sie ist echt, diese Begeisterung. Und sie hat alles mit dem jungen Land zu tun, in dem ich mich befinde, mit der zwangsläufig ebenso so jungen Animationsbranche, die sich gerade für viele junge Menschen mit Hoffnung und Möglichkeitsspielräumen verbindet. Denn Kosovo ist schließlich auf dem Papier immer noch „nur“ ein De-Facto-Staat, den viele Länder weiterhin nicht anerkennen, die Kosovar*innen können nur mit Visum in den Schengenraum reisen. Und die Bevölkerung ist jung, sehr jung und sehnt sich vielleicht auch deswegen nach dem Austausch (Priština verfügt europaweit über die jüngste Bevölkerung mit einem Altersdurchschnitt von rund 30 Jahren). Die internationalen Filmemacher*innen brachten also von Anfang an auch die Hoffnung auf Kontakt und das Ende der Isolation nach Peja.

 

Vullnet Sanaja – Gründer und Executiv Director © Anibar Animation Festival

„In anderen Ländern gibt es zuerst ein Interesse an Animationsfilmen, dann eine Animationsschule, an der gelehrt wird, wie man Animationsfilme macht, dann werden diese Filme in Kinos gezeigt – und irgendwann gründen die Leute ein Festival, um internationale Animationsfilme zu präsentieren.“, beschreibt Vullnet Sanaja, der die NGO zum gleichnamigen Festival mit seinem Kumpel Rron Bajri 2009/2010 gründete (da war Sanaja 17 und Bajri 16) die Genese vieler (Animations)filmfestivals. Er grinst schelmisch: „In unserem Fall war es andersherum – wir haben mit dem Festival angefangen“. Beim Anibar hatten also zuerst zwei Jungs die große Idee, ein Festival zu machen. Sie schrieben den Festivalleiter des Melbourne International Film Festival, Malcom Turner an, erhielten Filme und stellten so die erste Ausgabe auf die Beine. Sie kontaktierten frank und frei Menschen im weltweiten Animationsnetzwerk, verbreiteten die Kunde und sagten immer wieder: „Helft uns, das Festival zu machen“. Heute, dreizehn Jahre später, ist das Anibar neben dem Dokufest in Prizren ein weiteres Leuchtturm-Filmfestival im Kosovo, jeden Tag ist das nationale Fernsehen da und berichtet.

 

Die Animation Academy könnte die Reichweite des Anibar noch weiter vergrößern. 2017 wurde sie in Priština und Peja gegründet, als erste Animationsschule im Kosovo, um in dem jungen Land eine Animationscommunity aufzubauen. Das Studium ist kurz, aber intensiv: In nur sechs Monaten lernen die Studierenden die Basics der Animation, Storytelling, Regie, Software-Grundlagen, Sound Design oder sie nehmen an Kursen teil, die sich auf VR oder AR fokussieren. Über 60 Absolvent*innen zählt die Animation Academy inzwischen, die dann wiederum die aktuellen Studierenden unterrichten. Die Unterrichtsräume in Peja befinden sich im Jusuf Gervalla-Kino, das Herz des Festivals, das auch die restlichen Büroräume des Teams beherbergt. Kinobetreiber*innen sind die Anibar-Teammitglieder nämlich auch: Das 1955 gebaute Kino war nach dem Kosovo-Krieg so gut wie außer Betrieb und sollte privatisiert werden, doch das Anibar-Team kämpfte medienwirksam um den Erhalt – und darf nun seit 2016 das Kino für 15 Jahre lang nutzen. Davon profitieren auch die Nicht-Animations-Fans: Auch anderen Filmreihen – und –festivals dürfen hier ihre Produktionen zeigen.

 

Festivalkino © Marie Ketzscher

Inzwischen hat Anibar nicht nur eine Zwischennutzungserlaubnis für das Kino erhalten können, sondern belebt auch andere vormals leer stehende Gebäude durch Veranstaltungen neu oder funktioniert sie in Projekt- und Arbeitsbereiche für das Anibar-Netzwerk um. Und viele ehemalige Volunteers arbeiten auf diese Art und Weise zum Teil in Vollzeit für die NGO. Dabei geht es aber nicht um den Gedanken des Wachsens um des Wachsens willens, sondern um die Verbreiterung des kulturellen Angebots für alle Bewohner*innen von Peja, wie Vullnet Sanaja sagt. Er möchte in Zukunft auch gern das Kino noch weiter aus dem Projektionsraum in die Communities holen. Anibar goes Kiez, um es mit der Berlinale zu sagen.

Arba Hatasi, Festivalleiterin © Anibar Animation Festival

Dabei wird Anibar unlängst nicht nur von der Animationscommunity frequentiert: Jeden Festivalabend steht ein anderes musikalisches Genre im Mittelpunkt der Afterparties – und das Open Air Cinema („Lake Cinema“) verwandelt sich in ein Freiluftkonzert mit anschließendem DJ-Set. Als die HipHop-Crew um den albanischen Rapper BimBamma auftritt, kommen mehrere tausend Besucher*innen aus dem ganzen Kosovo in die beschauliche Stadt.

Eine ganz schön immense Strahlkraft für so ein junges Festival, das mit der 24-jährigen Festivalleiterin Arba Hatashi (die einst als Volunteer anfing) auch der Tradition des Jungseins treu bleibt.

 

Die Vorstellung, dass eben diese jungen Menschen ein Festival aufziehen und betreiben, ist dann nach einigen Tagen gar nicht mehr so absurd, wie sie sich vielleicht vor Antritt der Reise angefühlt hat.  Sie ist vielmehr irgendwie normal – es gab nämlich auch keine großen einschüchternden Animationsvorbilder, vorhandenen Strukturen oder Fallhöhen, die eine Festivalgründung erschwert hätten. Und ein weiterer wichtiger Faktor kommt dazu, wie Sanaja erklärt: „Die Welt war voller Möglichkeiten. Das ist vermutlich so, wenn man den Krieg, das Schlimmstvorstellbare, erlebt hat: Die Welt ist danach voll mit unendlichen Möglichkeiten“.